Wie das Christentum entstand (eBook)

Eine Geschichte mit Brüchen im 1. und 2. Jahrhundert

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
352 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-27342-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie das Christentum entstand -  Klaus Wengst
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Die konfliktreichen Hintergründe der Frühen Kirche
»Jesus war der erste Christ!« - dass dieser Satz Unsinn ist, ist selbst in kirchlichen Kreisen nicht immer unmittelbar klar. Jesus war Jude und blieb es bis zu seinem Tod. Und auch die ersten Anhänger der Jesusbewegung waren Juden und blieben es. Wie aber entstand aus einer innerjüdischen Bewegung das Christentum? Und warum bestimmte dieses seine Identität sofort antijüdisch? Klaus Wengst erzählt die Geschichte einer neuen religiösen Bewegung im pluralen Panorama des Römischen Reiches. Eine Geschichte voller Eifer und Enthusiasmus, Konflikt und Leidenschaft - spannend, überraschend und erhellend.
  • Die Geschichte der frühen Jesus-Anhänger
  • Die historischen Wurzeln des christlichen Antijudaismus erkennen
  • Spannend und kenntnisreich erzählt


Klaus Wengst, geb. 1942 in Remsfeld (Bezirk Kassel); 1961-1967 Studium der evangelischen Theologie in Bethel, Tübingen, Heidelberg und Bonn; 1967 Promotion und 1970 Habilitation in Bonn; 1981 Professor für Neues Testament in Bochum; infolge der Studentenbewegung und daraus resultierender politischer Betätigung sozialgeschichtlich orientierte Exegese; seit Ende der 80er Jahre Begegnung mit dem Judentum, 1991 Studienaufenthalt an der Hebräischen Universität in Jerusalem; seit August 2007 pensioniert; Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag und des Evangelischen Studienkreises Kirche und Israel in Rheinland und Westfalen.

2. Jesu Schülerschaft: alle jüdisch – auch nach »Ostern«

a) Der Anfang: »Gott hat Jesus von den Toten aufgeweckt«

Unter den Punkten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als historisch gesichert gelten können, wurde im vorigen Kapitel angeführt, dass Jesus einen Schülerkreis um sich gesammelt hat. Alle erwähnten Daten weisen darauf hin, dass es sich bei diesen Mitgliedern durchgehend um jüdische Personen handelt. Die Schülerschaft Jesu fand aber ein abruptes Ende, als er festgenommen wurde. Die Evangelien berichten, dass alle Schüler die Flucht ergriffen. Ihre Enttäuschung muss noch größer gewesen sein, nachdem er hingerichtet worden war. Das spiegelt sich deutlich in der wunderhaften und wunderbaren Erzählung von zwei Schülern auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus am dritten Tag nach Jesu Tod. (Lukas 24,13–32) Es ist ein Weg zurück, ein Weg der Resignation. Ihnen schließt sich Jesus unerkannt als Dritter an. Als scheinbar Unwissender zieht er sie in ein Gespräch über sich selbst. Ihm gegenüber sagt einer der beiden Schüler: »Wir aber hatten gehofft, dass er es sei, der Israel befreien würde.« (Lukas 24,21) Die auf Jesus gesetzte Hoffnung und damit auch ihre Schülerschaft ihm gegenüber haben mit Jesu Tod ein Ende gefunden.

Die Evangelien enden jedoch nicht mit dem Bericht von Jesu Tod. Sie und das gesamte übrige Neue Testament wissen von einer Wende der Resignation und Enttäuschung. Sie bezeugen auf unterschiedliche Weise ein Sehen Jesu nach dessen Tod, das zum Glauben führte, Gott habe ihn von den Toten aufgeweckt. Ich folge dazu zunächst weiter der Erzählung vom Gang nach Emmaus. Nachdem einer der beiden Schüler die Enttäuschung resigniert festgestellt hat, dementiert Jesus nicht die darin ausgesprochene Hoffnung. Er dementiert den Grund ihrer Enttäuschung, dass es durch seinen Tod endgültig aus mit ihm sei. Dieses Dementi zeigt die Erzählung für ihre Leser- und Hörerschaft schon dadurch, dass sie Jesus als Lebendigen mit seinen Schülern mitgehen und mit und zu ihnen reden lässt. Auf die ausgesprochene Enttäuschung antwortet Jesus: »Seid ihr denn so unverständig und zu träge im Herzen, um all dem zu vertrauen, was die Propheten geredet haben?! Musste das nicht der Gesalbte erleiden und in seinen Glanz eingehen?« Anschließend stellt der Evangelist erläuternd fest: »Und von Mose und allen Prophetenbüchern an begann er, ihnen in allen Schriften das zu erklären, was ihn betrifft.« (Lukas 24,25–27) Das deprimierende Schicksal Jesu wird mit den Aussagen der heiligen Schriften Israels zusammengesehen und damit der in ihnen bezeugte lebendige Gott in dieses schlimme Geschehen hineingezogen. Der überlässt seinen Gesalbten, den Messias, nicht dem Tode, wie die Aussage von dessen Eingehen »in seinen Glanz« andeutet. Aber das führt bei den Schülern noch nicht zu einem Umschwung. Es bedarf noch eines weiteren Anstoßes. Der erfolgt, als sie gegen Abend in Emmaus ankommen und den Unbekannten bedrängen, bei ihnen einzukehren. Beim Mahl übernimmt dieser in aller Selbstverständlichkeit die Rolle des Hausvaters. Er »nahm das Brot, sagte den Segensspruch, brach es und gab es ihnen«. An dieser Stelle heißt es: »Da wurden ihnen die Augen geöffnet, sodass sie ihn erkannten.« (Lukas 24,28–31a) Dass vergangenes Handeln Jesu gegenwärtig wird, was nur Gott bewirken kann, öffnet ihnen die Augen und lässt sie Jesus als Lebendigen erkennen. Aber nun berichtet die Erzählung nicht von einer fröhlichen Wiedersehensfeier. Sie stellt vielmehr sofort fest: »Er jedoch wurde vor ihnen unsichtbar.« (Lukas 24,31b) Nach dem Aufblitzen der Erkenntnis seiner lebendigen Gegenwart ist ihnen Jesus sogleich wieder entzogen. Aber die gewonnene Erkenntnis wirkt sofort in der Weise, dass sie keinen Augenblick länger in Emmaus, dem Ort ihrer Resignation, bleiben können. Jetzt stellen sie fest: »Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs zu uns redete, als er uns die Schriften öffnete?« Und so treten sie augenblicklich den Rückweg nach Jerusalem an zur Gemeinschaft mit der übrigen Schülerschaft Jesu, von der sie sogleich zu hören bekommen: »Wirklich, der Herr ist aufgeweckt worden und dem Simon erschienen.« (Lukas 24,32–34)

Die Aussage vom Erscheinen Jesu nach seinem Tod vor Simon Petrus findet sich bereits in einer Formulierung, die schon Paulus als ihm überkommene Tradition kennzeichnet. Nämlich, »dass der Gesalbte für unsere Sünden gestorben ist gemäß den Schriften und dass er bestattet wurde und dass er am dritten Tag aufgeweckt ist gemäß den Schriften und dass er dem Kephas (= Petrus) erschien, danach den Zwölf.« (1. Korinther 15,3b–5) Auch hier ist ein Verb aus dem Bereich des Sehens mit einem Hinweis auf »die Schriften« verbunden. Dabei kann besonders Hosea 6,1–2 im Blick sein: »Kommt, lasst uns umkehren zum Ewigen! Ja, er hat zerrissen, wird uns aber heilen, hat geschlagen, wird uns aber verbinden, macht uns lebendig nach zwei Tagen, lässt am dritten Tag uns aufstehen, sodass wir vor ihm leben.«

Paulus sagt vor der Zitierung des Traditionsstückes nicht nur, dass es ihm überliefert wurde, sondern auch, dass er es seinerseits der korinthischen Gemeinde gleich zu Beginn seiner dortigen Tätigkeit übergeben hat. Anschließend führt er weitere Zeugen an, denen Jesus nach seinem Tod erschienen ist: mehr als fünfhundert Geschwistern auf einmal, Jakobus, allen Aposteln. Danach nennt er sich selbst als letzten Zeugen in dieser Sache. (1. Korinther 15,6–8)

Nach dem Matthäusevangelium sind es »Mirjam aus Magdala und die andere Mirjam«, die in aller Frühe am Beginn des ersten Wochentages eine Begegnung mit dem auferweckten Jesus haben. Unmittelbar davor wird ein »Bote des Ewigen, vom Himmel herabgestiegen«, erwähnt. Er rollt den Stein von Jesu Grab weg; seine blitzartige Erscheinung lässt die Grabwächter wie tot werden. Den beiden Frauen verkündet er, Jesus sei aufgeweckt worden und nicht mehr im Grab. Seinen Schülern sollen sie sagen, er gehe ihnen nach Galiläa voran. (Matthäus 28,1–7) In der anschließend äußerst knapp erzählten Begegnung der Frauen mit Jesus selbst wiederholt dieser lediglich den Auftrag, seinen »Brüdern« zu melden, »dass sie nach Galiläa gehen sollen, wo sie ihn sehen werden«. (Matthäus 28,9–10) Das Johannesevangelium erzählt ausführlich eine Erstbegegnung des auferweckten Jesus mit Mirjam aus Magdala. (Johannes 20,11–18)

Ob sich aus diesen und weiteren Erzählungen historisch etwas gewinnen lässt, ist sehr fraglich. In historischer Perspektive gelesen, sind sie voller unausgleichbarer Widersprüche. Wichtiger ist die Feststellung: Alle hier genannten Personen sind Jüdinnen und Juden. Mit ihrem durch ein bestimmtes Sehen bewirkten Glauben an den gekreuzigten Jesus als lebendig Gegenwärtigen haben sie kein anderes als jüdisches Selbstverständnis gewonnen. Wäre es nicht anachronistischer Unsinn anzunehmen, irgendjemand von ihnen hätte gedacht: Also bin ich von jetzt an nicht mehr jüdisch, sondern »christlich«? Sie sind als Jüdinnen und Juden im Zusammenhang mit ihrer jüdischen Bibel und Tradition zu diesem Glauben gekommen. Dass Gott »die Toten lebendig macht«, ist im Judentum der Zeit verbreitete Hoffnung. Schon in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. d. Z. weigern sich, so wird erzählt, eine Mutter und ihre sieben Söhne, durch demonstratives Essen von Schweinefleisch den Abfall vom Judentum und also den Abfall von Israels Gott als dem Einen zu vollziehen. Sie nehmen stattdessen den für diesen Fall angedrohten Tod durch qualvolle Hinrichtungen in Kauf. Sie tun es im »Erwarten des von Gott zu Erhoffenden, von ihm wieder aufgerichtet zu werden«. »Der König der Welt […] wird uns wiederbeleben und zum ewigen Leben aufstehen lassen.« (2. Makkabäer 7,9.14) In der auf Jesus bezogenen entsprechenden Aussage ist die Zeitform anders. Es heißt nicht, Gott wird ihn, sondern Gott hat ihn aufstehen lassen bzw. aufgeweckt. Das ist das Neue, das so bisher nicht gesagt wurde, dass Gott am toten Jesus schon neuschöpferisch gehandelt hat. Aber auch diese Aussage konnte nur innerhalb der jüdischen Tradition erfolgen und verstanden werden und führte für diejenigen, die sie machten und übernahmen, zu keinem anderen Selbstverständnis.

Weil die Aussage von der Auferweckung Jesu einen Akt endzeitlicher Neuschöpfung durch Gott benennt, hat sie weitreichende Implikationen. Sie werden in späteren Kapiteln entfaltet. Hier sei nur auf eine Formulierung des Paulus eingegangen: »Jetzt aber ist der Gesalbte von den Toten aufgeweckt als Erstlingsgabe der Entschlafenen.« (1. Korinther 15,20) Im Zusammenhang geht es Paulus darum, der Gemeinde über die Auferstehung der Toten Gewissheit zu geben. Er tut das so, dass er sie in der Auferweckung Jesu begründet sein lässt. Doch nennt er in diesem Kontext nicht den bloßen Namen »Jesus«, sondern spricht von ihm immer wieder als dem »Gesalbten«, dem endzeitlichen messianischen König. Dieser Gesalbte ist aufgeweckt als »Erstlingsgabe der Entschlafenen«. Paulus bezeichnet damit Jesus nicht einfach als den ersten schon Auferweckten. Mit dem Wort »Erstlingsgabe« lässt er an die biblischen Bestimmungen über die Abgaben denken, die von den im Land Israel geernteten und hergestellten Produkten an den Tempel zu entrichten sind. Sie sind zu entrichten, weil Gott als Eigentümer des Landes gilt, dem rechtens alles in ihm und auf ihm Produzierte zusteht. Er begnügt sich aber mit den Erstlingsgaben, die somit das Ganze repräsentieren, von dem sie genommen sind. Wenn Jesus als der von Gott endzeitlich aufgeweckte messianische König die »Erstlingsgabe« der Entschlafenen ist, repräsentiert er damit alle zu ihm Gehörigen. Alle, die sich seiner Herrschaft...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Schlagworte Bibel • Christenverfolgung • christlicher Antijudaismus • Die Bibel • eBooks • erste Christen • Gerd Theißen • Geschichte • Jörg Lauster • Judentum • Jüdischer Krieg • Navid Kermani • Paulus • Urkirche
ISBN-10 3-641-27342-0 / 3641273420
ISBN-13 978-3-641-27342-2 / 9783641273422
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