Der Bruder (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
544 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-26366-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Bruder -  Christine Brand
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Eine bewegende Story mit immenser Sogwirkung! Krimispannung auf höchstem Niveau. Brillant!« Romy Fölck
Irena Jundts Vater ist tot. Um das Elternhaus zu räumen, muss die Rechtsmedizinerin der Berner Kripo zurück in das abgelegene Bergdorf ihrer Kindheit. Eine Kindheit, die mit dem Verschwinden ihres Bruders abrupt endete. Damals wurde ein brutaler Kindermörder für Benis Tod verurteilt. Doch bei ihrer Rückkehr erkennt Irena, dass irgendetwas an der Geschichte nicht stimmt, und die Dorfbewohner etwas verbergen. Wenig später wird in Bern ein kleiner Junge vermisst gemeldet - Sandro Bandini, Chef der Abteilung Leib und Leben bei der Berner Polizei, beginnt mit Hochdruck zu ermitteln und auch seine Freundin, Journalistin Milla, versucht mit gewohnt unkonventionellen Mitteln die Spur des Kindes zu verfolgen. Noch ahnt niemand, welche Kreise der Fall ziehen wird - und dass die Vergangenheit noch immer dunkle Schatten in die Gegenwart wirft ...

Die unabhängig voneinander lesbaren Krimis um Milla Nova und Sandro Bandini bei Blanvalet:

1. Blind

2. Die Patientin

3. Der Bruder

4. Der Unbekannte

5. Der Feind

Lesen Sie auch »Wahre Verbrechen»: Christine Brand schreibt über ihre dramatischsten Fälle als Gerichtsreporterin.

Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental in der Schweiz, arbeitete als Redakteurin bei der »Neuen Zürcher Zeitung«, als Reporterin beim Schweizer Fernsehen und als Gerichtsreporterin. Im Gerichtssaal und durch Recherchen und Reportagen über die Polizeiarbeit erhielt sie Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie. Neben der erfolgreichen Milla-Nova-Reihe erscheinen bei Blanvalet auch ihre True-Crime-Titel »Wahre Verbrechen« über Kriminalfälle, die sie als Gerichtsreporterin begleitete. Christine Brand lebt in Zürich und auf Sansibar.

4


»Sitzt auch alles richtig?«

»Ja-haaaa!«, sagt Silas, ohne von seinem Dominik-Dachs-Büchlein aufzublicken. Nathaniel hat die Frage bestimmt schon sechs Mal gestellt. Zwei Mal hat Silas gewissenhaft geprüft, ob Nathaniels Hemd korrekt zugeknöpft ist, ob es überall und regelmäßig in der Hose steckt, ob deren Reißverschluss ganz zu ist. Doch beim dritten Mal hat Silas beschlossen, dass man sich entscheiden muss im Leben, weil man nicht zwei Dinge gleichzeitig tun kann. Er hat sich für Dominik Dachs entschieden. Nathaniels immergleiche Frage ist langweilig. Nicht nur Nathaniel führt sich heute eigenartig auf, auch Alisha streift in der Wohnung herum, als würde sie ein gut verstecktes Wursträdchen suchen, und die Mama hat sich seit etwa einer Stunde im Badezimmer eingeschlossen. Erwachsene sind komisch. Und Hunde ebenso.

»Du musst nicht nervös sein«, sagt Nathaniel zu Silas.

»Mmh.«

»Es ist eigentlich keine große Angelegenheit.«

»Mmh.«

»In fünfzehn Minuten wird alles vorbei sein.«

Enttäuscht klappt Silas das Büchlein zu. Dominik Dachs muss warten, Nathaniel will reden.

»Ich bin nicht nervös«, sagt Silas. »Was macht Mama so lange?«

»Sie macht sich schön.«

»Ist Mama nervös?«

»Ich glaube schon.«

»Bist du nervös?«

»Vielleicht ein bisschen.« Schon wieder tastet Nathaniel seinen Hemdkragen ab, um sicherzugehen, dass er gerade sitzt.

»Warum bist du nervös, wenn es in fünfzehn Minuten vorbei ist?«

Ja, warum eigentlich?, fragt sich Nathaniel selbst. Zumal es reine Formsache ist, dass er sich heute trauen lässt. Mit einer Frau, die der beste Mensch ist, der ihm jemals begegnet ist, die er aber nicht liebt, weil er sie nicht lieben darf, weil er weiß, dass sie ihn niemals lieben wird. Es ist kompliziert, wie so oft im Leben, vor allem wenn es um die Liebe geht. Aber wäre das Leben wirklich besser, wenn es weniger kompliziert wäre? Nathaniel glaubt nicht, dass er die Welt mögen würde, in der alles einfach wäre, in der sich keine neuen Herausforderungen stellten und alles immer beim Alten bliebe. Der Mensch ist geschaffen dafür, sich mit Schwierigkeiten auseinandersetzen zu müssen – und wenn es gerade mal keine gibt, schafft er sie sich selbst.

Es ist, wie es ist, denkt Nathaniel. Und manche Dinge lassen sich nicht ändern. Wie zum Beispiel die sexuelle Ausrichtung eines Menschen. Carole steht nun mal nicht auf Männer, auch wenn sich Nathaniel wünschte, dass es anders wäre. Gleichzeitig ist er sich sicher, dass – wenn sie auf Männer stehen würde – Carole sich kaum für einen Mann wie ihn entschieden hätte. Einen Blinden.

Die Umstände machen es erforderlich, dass er sie trotzdem heiratet. Weil Carole als alleinstehende, arbeitende Frau, noch dazu Lesbe, sonst nahezu keine Chance gehabt hätte, das Sorgerecht für ihren Sohn Silas zurückzuerhalten. Die Pflegeeltern des Kleinen, bei denen er seine ersten vier Lebensjahre verbracht hat, haben mit allen Mitteln darum gekämpft, den Jungen behalten zu können, obwohl Silas sich für seine leibliche Mutter entschieden hat. Nur werden Kinder in diesem Alter noch nicht nach ihrer Meinung gefragt. Wenn es um das angebliche Wohl eines Kindes geht, sprechen die Behörden eine eigene Sprache, beeinflusst durch ein starres Paragrafenwerk und gut bezahlte Advokaten.

Darum müssen Carole und Silas und Nathaniel auch auf dem Papier eine richtige Familie werden, obwohl sie genau das in gewisser Weise längst sind. Vor Kurzem sind sie in eine gemeinsame Wohnung gezogen, weil alle drei davon profitieren. Wenn Carole in ihrem Grafikatelier arbeitet, ist es Nathaniel, der auf sein Patenkind Silas aufpasst, den fünfjährigen kleinen Knopf, der immer so direkte Fragen stellt.

»Ich bin nervös, weil man das wahrscheinlich nur einmal im Leben macht«, antwortet Nathaniel und tastet nach seinem Blindenstock.

»Was macht man nur einmal im Leben?«

»Heiraten.«

»Wenn du Mama heiratest, bist du danach mein Papa. Weil Mamas immer mit Papas verheiratet sind.«

»Ich werde immer dein Papa sein. Auch wenn ich nicht dein leiblicher Papa bin.«

»Was ist ein leiblicher Papa?«

Nathaniel schluckt. Er streckt die Hand aus, um durch Silas’ Haare zu wuscheln, doch er greift ins Leere.

»Nicht meine Frisur kaputt machen!«

In dem Moment hört Nathaniel, wie sich die Badezimmertür öffnet. Danke, Carole, perfektes Timing. Er hofft, dass Silas die Frage von vorhin schon vergessen hat.

»Na, wie sieht Mama aus?«, fragt Nathaniel.

»Wie die Prinzessin aus dem Märchen mit den sieben Zwergen. Nur ihre Nase ist größer«, erklärt Silas mit ernsthafter Stimme.

Ein Lächeln umspielt Nathaniels Lippen, das halb belustigt, halb traurig ist. Weil er Carole, seine Braut, noch nie gesehen hat und auch niemals sehen wird.

»Und Nathaniel sieht aus wie der tapfere Ritter, der mit der Prinzessin in den unsicheren Hafen der Scheinehe reiten wird«, sagt Carole lachend.

»Nathaniel ist kein Ritter. Ritter tragen Kleider aus Blech«, stellt Silas fest.

Nathaniel tippt auf seine Uhr. »Es ist dreizehn Uhr dreiunddreißig«, sagt eine Frauenstimme.

»Himmel, wir werden noch zu spät zu unserer Hochzeit kommen!«, ruft Carole laut.

Auf einmal bricht Hektik aus. Nathaniel lässt Alisha in ihr Blindenhund-Geschirr schlüpfen, Carole steckt Silas in die wärmste Winterjacke und stülpt ihm eine Mütze über. Als sie kurz darauf die Tür öffnen, erinnert das ungewöhnliche Vierergespann an aufgeschreckte Rennpferde, die aus der Startmaschine stürmen. Allen voran Alisha, die an ihrem Geschirr zerrt, als gelte es, als Erste über die Ziellinie zu kommen.

Es scheint ein ungeschriebenes, aber unumstößliches Gesetz zu sein, dass man immer die Rückansicht eines wegfahrenden Busses zu sehen bekommt, wenn man sowieso schon knapp dran ist. Ganz selten jedoch erweist sich das vermeintliche Pech im Nachhinein als wahres Glück. Caroles Schimpftirade über den verpassten Bus ist noch nicht verklungen, als Silas plötzlich zu winken beginnt. Caroles Blick folgt jenem ihres Sohnes und wandert auf die andere Straßenseite, wo eine betagte Dame heftig mit den Händen wedelt. Veronika.

»Was macht Veronika dort drüben?«, fragt Carole Nathaniel, obwohl er nicht einmal erahnen kann, dass Veronika in der Nähe ist.

»Veronika? Wo ist sie, was macht sie hier, sie wollte doch zum Standesamt kommen?«

»Sie will, dass wir hinübergehen«, sagt Silas.

Schlagartig dämmert es Carole, dass sie an der Haltestelle für den Bus in die entgegengesetzte Richtung stehen und um ein Haar den falschen genommen hätten. Sie blickt nach rechts und sieht, dass sich der andere Bus schon nähert, ruft laut »Avanti!«, und nicht nur Alisha gehorcht ihr aufs Wort, sondern auch der kleine und der große Mann, die mit ihr über die Straße eilen.

»Carole, dein Orientierungssinn ist so schlecht, dass sogar ein Blinder eher ans Ziel findet«, sagt Nathaniel, als er sich kurze Zeit darauf auf den Sitz im Bus sinken lässt. »Zum Glück haben wir Veronika!«

Exakt zwei Minuten und fünfundvierzig Sekunden bevor die Trauungszeremonie beginnt, trifft das Brautpaar mit seiner Entourage auf dem Standesamt ein. Milla atmet erleichtert aus. Sie hat in den letzten drei Minuten etwa alle zehn Sekunden auf die Uhr geschaut. Sie ist nervöser, als würde sie selbst vor den Altar treten.

»Wir haben schon befürchtet, ihr hättet es euch anders überlegt!«, ruft sie laut, als sie die Hündin Alisha die Treppe des Standesamts hochtraben sieht, dicht gefolgt von Nathaniel, Silas und Carole, und etwas später auch von Veronika, die mit dem Tempo der jüngeren Generationen nicht ganz mithalten kann. Milla und Veronika werden die Trauzeuginnen sein, Sandro, Silas und Alisha bilden die übrigen Hochzeitsgäste. Und obwohl alle wissen, dass diese Trauung nur stattfindet, damit den Behörden ein amtliches Papier vorgelegt werden kann, das ihnen vorgaukelt, Nathaniel und Carole seien ein Paar, sind sie doch alle aufgeregt, als würde hier eine große Liebe besiegelt. Tatsächlich geht es in dieser Geschichte um Liebe, allerdings um die Liebe zu diesem kleinen Jungen, für den die Anwesenden nur das Beste wollen.

Kaum haben sich alle begrüßt, öffnet sich die Tür zum Trauungszimmer. Der Mann, der sein Gesicht hinausstreckt, zieht die Nase kraus, als er die seltsam zusammengewürfelte Truppe im Warteraum erblickt. Dann tritt er zur Seite und bittet sie einzutreten.

Müsste man für eine TV-Komödie die Rolle eines überzeichneten Standesbeamten besetzen – dann wäre Beat Zwicker dafür gesetzt. Er sieht aus wie die menschgewordene Verkörperung seines Berufstandes. Zwicker ist etwas zu klein geraten, seine Nase ist spitz, das gelbliche Haar sorgfältig von rechts nach links über die Glatze gekämmt, und sein Teint sieht aus, als habe er die Sonne vor zehn Jahren das letzte Mal gesehen. Er wirkt überaus korrekt, ordentlich und langweilig.

Das Trauungszimmer hingegen sieht ganz anders aus, als man es erwarten würde. Der an sich schöne Raum mit Parkett, Wandtäfelung und Stuckverzierungen an der Decke ist verunstaltet mit einem runden Teppich mit Blumenmuster in einer nicht mehr definierbaren Farbe, die an abgestandenes Spülwasser erinnert. Darauf steht ein Tisch mit drei abgerundeten Ecken, der an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist. Die Lampen, die darüber hängen, sehen aus wie zwei unterschiedlich große fliegende Untertassen. Und die...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2021
Reihe/Serie Milla Nova ermittelt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bern • Blind • Buch für den Urlaub • Die Patientin • eBooks • Entführung • Ermittlerpaar • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimireihe • Krimis • Krimi Schweiz • Melanie Raabe • Neuerscheinungen 2021 • Schweiz • Spannung • Spiegel-Bestseller-Autorin • Stieg Larsson • Urlaubslektüre • Ursula Poznanski • verschwundenes Kind • Wahre Verbrechen • weibliche Ermittlerin
ISBN-10 3-641-26366-2 / 3641263662
ISBN-13 978-3-641-26366-9 / 9783641263669
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2022)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99