Warum Kompromisse schließen? (eBook)

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2020 | 1. Auflage
128 Seiten
Duden (Verlag)
978-3-411-91324-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warum Kompromisse schließen? -  Andreas Weber
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Ob es um die eigenen Lebensziele geht, um wirtschaftlichen Wettbewerb oder um politisches Handeln: Kompromisslosigkeit gilt weithin als Zeichen der Stärke, als alleiniges Erfolgsrezept. Wer Kompromisse eingeht, gilt dagegen als schwach, als weltfremder Träumer. Auch Biologie und Wirtschaft suggerieren: Der Stärkere siegt. Aber stimmt das? Für den Philosophen und Biologen Andreas Weber sind Kompromisse keineswegs automatisch faul, sondern Grundvoraussetzung für ein gedeihliches Leben aller. Mehr noch: Als Lebewesen haben wir ein natürliches Bedürfnis nach Ausgleich. Kompromisse machen heißt eben nicht, zähneknirschend zweitbeste Lösungen zu akzeptieren, sondern das zu wählen, was mir etwas schenkt, weil ich selbst großzügig bin. So wird die Kunst des Kompromisses zur Lebenskunst, zur Lust daran, diese Welt zu bereichern und miteinander - auf Augenhöhe - ökologisch und politisch zu gestalten.

Andreas Weber, geboren 1967, Biologe und Philosoph, arbeitet als freier Autor und Journalist. Seit vielen Jahren schreibt er für große deutsche Magazine und Zeitungen, u. a. für GEO, National Geographic, DIE ZEIT und Greenpeace Magazin. 2010 wurde er mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Er ist Dozent an der Universität der Künste Berlin und leitet regelmäßig Workshops zu 'Nature Writing'. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen 'Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften' (2007), 'Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie' (2014) und 'Indigenialität' (2018). Er lebt in Berlin und Italien. www.autor-andreas-weber.de

Andreas Weber, geboren 1967, Biologe und Philosoph, arbeitet als freier Autor und Journalist. Seit vielen Jahren schreibt er für große deutsche Magazine und Zeitungen, u. a. für GEO, National Geographic, DIE ZEIT und Greenpeace Magazin. 2010 wurde er mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Er ist Dozent an der Universität der Künste Berlin und leitet regelmäßig Workshops zu "Nature Writing". Zu seinen bekanntesten Büchern zählen "Alles fühlt. Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften" (2007), "Lebendigkeit. Eine erotische Ökologie" (2014) und "Indigenialität" (2018). Er lebt in Berlin und Italien. www.autor-andreas-weber.de

Lieber keinen Kuchen als einen halben

Ich habe mit meiner Frau eine Meinungsverschiedenheit. Es geht um die Frage, ob wir stolz darauf sein dürfen, wie weit es die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft haben, in einer Gesellschaft anzukommen, in der nicht nur Prinzipien geritten werden, sondern Menschen den Ausgleich suchen und Unterschiede tolerieren können. Inwieweit also wir Deutschen uns mit unserer Bereitschaft zu Kompromissen brüsten dürfen.

Meine Frau ist in Italien aufgewachsen. Sie kam während des Studiums nach Berlin. Sie beschloss zu bleiben, weil sie die Menschen hier als flexibler und weniger von vorgefassten Meinungen geprägt erlebt als ihre Landsleute jenseits der Alpen. Meine Frau findet, dass die Kompromissfähigkeit in Deutschland ausgeprägt ist. Und stößt damit bei mir auf Skepsis.

Schließlich – ich sagte es schon – liebe ich das südländische »leben und leben lassen«. Was ist mit den deutschen Hausnachbarn, die klingeln, damit ich die Fußmatte rechtwinklig zur Tür ausrichte? Was mit dem Satz: »Ordnung muss sein«? Mit dem mit Lineal gezogenen Doppelstrich, den die Mathelehrerin meiner Tochter aus Prinzip unter dem Rechenergebnis sehen wollte? Ich – und viele andere – ertragen so etwas mit leiser Scham. So richtig stolz auf die Erfolge dieser Kultur in der Kunst des Kompromisses vermag ich noch nicht zu sein.

Meine Frau kann das schwer fassen. Noch weniger, dass deutsche Freunde sofort dagegenhalten, wenn sie von ihrer neuen Heimat zu schwärmen beginnt. Warum so ein Schwarz-Weiß-Denken?, fragt sie. Warum von einem Extrem ins andere fallen und nicht das Gute und das Schlechte gleichermaßen sehen, in einem Mosaik, das beides enthält?

Nun, zwölf Jahre lang haben die Deutschen der Welt in die Ohren gebrüllt, was für eine überlegene Rasse sie seien. Seitdem machen sie sich klein, reden ihre Erfolge schlecht und finden, dass es keinen Grund zum Feiern gebe. Dafür fahren sie lieber außer Landes. Nach Italien etwa. In dieser Haltung bin auch ich ganz und gar kompromisslos. »Echt deutsch«, findet meine Frau.

In Deutschland ist der Kompromiss ein heikles Thema. Noch immer haben wir nicht unseren Frieden mit ihm geschlossen. Zugegeben, als Gesellschaft sind wir inzwischen erheblich kompromissbereiter als noch vor ein paar Jahrzehnten. Aber die praktische Handhabung der »Intelligenza« fällt uns nach wie vor schwer, woran mich der Disput mit meiner Frau erinnert.

Gerade in Deutschland hatte Kompromissbereitschaft lange Zeit einen schlechten Ruf. Ein gesetztes Ziel nicht konsequent anzupeilen und umzusetzen, galt als Schwäche oder sogar Schande. Unsere Kultur war über weite Strecken ausgesprochen kompromissfeindlich, und möglicherweise lassen sich manche politischen Verhakungen von heute noch mit diesem Erbe erklären.

Aus der deutschen Kultur stammen jedenfalls einige der perfidesten Vertreter der Kompromisslosigkeit. Andererseits hat sie auch die vielleicht fantasievollste Werberin dafür hervorgebracht, dass ein aktives Suchen der Gemeinsamkeiten den Kern politischen Handelns ausmacht: die Philosophin Hannah Arendt. Das entgegengesetzte Extrem finden wir im Staatsrechtler Carl Schmitt, der in den 1930er-Jahren zum Stichwortgeber der Nationalsozialisten wurde, ehe sie ihn kaltstellten.

Für Schmitt bestand der Grundcharakter des Politischen in der Aufspaltung zwischen Freund und Feind. Politisches Handeln war für ihn alles, was das Aktionsfeld klar in »schwarz« und »weiß«, in »wir« und »die anderen« unterteilte. Je klarer die Frontstellung markiert wurde, desto eindeutiger würden die Konfliktpartner erkennen, was sie zu tun hatten, um ihr Anliegen durchzufechten. Schmitt fasste das Ziel politischen Handelns demgemäß so auf, dass es darum gehe, Polaritäten bewusst zu verschärfen und die jeweils andere Seite konsequent zu bekämpfen.

Diese Haltung hatte die kulturelle Praxis der Deutschen schon vor Schmitt geprägt. In den Augen des Politikwissenschaftlers und Militärhistorikers Andreas Herberg-Rothe konsolidierte sie sich im preußischen Soldatenstaat, wo sie von einem seiner maßgeblichen militärischen Strategen, dem General Carl von Clausewitz, zu einem Ethos der Kriegsführung systematisiert wurde. Für Clausewitz war der Krieg »die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln«.2 Das ist eine Sichtweise, der zufolge Unterschiede in den jeweiligen Interessen nicht anders als durch eine Konfrontation aufgelöst werden können. Rational handelt somit, wer alles dafür tut, den unvermeidlichen Kampf als Sieger zu beenden. Dass es noch eine andere Umgangsweise mit unterschiedlichen Bedürfnissen geben könnte, wird gar nicht erwogen.

»Es existieren grundsätzlich zwei Formen des politischen Handelns«, sagt Herberg-Rothe. »Eine der beiden ist das Gewalthandeln, dem es darum geht, sich durchzusetzen, immer auch mit Brutalität.«3 Das Gewalthandeln verachtet den Kompromiss als unpolitisch. Für diese Tradition stehen Clausewitz, Schmitt und natürlich auch der politische Dämon Adolf Hitler. Dessen Auffassung, wenn das deutsche Volk nicht die Weltherrschaft erringe, dann solle es ausgelöscht werden, bezeichnet die äußerste Konsequenz des Gewalthandelns. Ihre Kurzformel lautet: »Sieg oder Untergang«. Wie auch jene Behauptung, die uns im Populismus wieder begegnet: »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.«

Der zweite Pol politischen Tuns ist für Herberg-Rothe das »Zusammenhandeln«.4 Ursprünglich hat diesen Begriff die Philosophin Hannah Arendt geprägt. Im Zusammenhandeln liegt für Arendt der Horizont aller menschlichen Bemühungen.5 Demnach haben wir als Menschen ein grundsätzliches Bedürfnis, in Gemeinsamkeit zu agieren. Wir gewinnen diese Gemeinsamkeit, indem die Vielzahl der einzelnen Interessen bestehen bleibt – und nicht dadurch, dass wir diese gewaltsam homogenisieren oder aber deren Gegensätze verschärfen. Das Politische besteht für Arendt – und darin unterscheidet sie sich diametral von Schmitt – im aktiven Herausarbeiten dessen, was uns verbindet.

Sprachgeschichtlich entstammt das Wort »Kompromiss« einer solchen Haltung: Es bezeichnet ein Versprechen in Gegenseitigkeit, gebildet aus der lateinischen Vorsilbe cum, »miteinander«, und promissum, »Versprechen« (das wir auch im englischen Wort promise wiederfinden). Im alten Rom schlossen Streitparteien einen Kompromiss, indem sie einander versprachen, die je andere Position anzuerkennen.6 Dieses Versprechen war möglich, weil die Kontrahenten akzeptierten, dass zwar gegensätzliche Interessen zwischen ihnen standen, dass aber zugleich fundamentale Gemeinsamkeiten sie miteinander verbanden. Das Versprechen, das »cum-promissum«, beruhte letztlich auf der Anerkennung der gemeinsamen Menschlichkeit.

Vielleicht liegt die größte kulturelle Veränderung, die sich in Deutschland in den letzten siebzig Jahren vollzogen hat, im – zumindest angestrebten – Abschied vom Gewalthandeln und der damit verbundenen Kompromissfeindschaft. Wie sehr das gelungen ist, muss sich angesichts des Neuerstarkens von Anbietern radikaler Lösungen allerdings noch erweisen.

Was das Verhältnis zwischen Kompromiss und Wirklichkeit angeht, so ist das Abendland in zwei Traditionen gespalten. Man könnte die eine als die platonischkatholische bezeichnen, die andere als die romantisch-protestantische. Für die platonisch-katholische Sichtweise ist die Welt »hinieden« selbst bereits ein Kompromiss. Das Reale ist Abklatsch einer idealen Welt (Platon), das Jammertal, das wir in Erbsünde durchschreiten, mit der wir uns, so gut es geht, arrangieren müssen. Wir sind als Irdische also immer schon kompromittiert. Im Arrangement mit dem Kompromisshaften aller Existenz gilt es, das Eintrittsrecht in die Welt der Ideale, die nach dem Tod im Paradies auf uns wartet, nicht zu verspielen.

Die andere Traditionslinie glaubt hingegen, dass das Paradies nicht nur im Jenseits zu finden ist, sondern sich schon hier auf Erden einrichten lässt. Erlösung gibt es – wenn man hart genug kämpft – bereits in diesem Leben. Diese Haltung findet vielfach das Kompromisslose – das reine Ideal – in der Schönheit der Natur. Die Schönheit aber will immer wieder errungen werden. So wie die Natur oft voller Leiden ist und das Ideale gleichsam nur zaghaft aus ihren Blüten hervorleuchtet, ist für diese Auffassung die reale Welt vor allem ein Schauplatz des Kampfes und der Mühsal. Darum gilt es, aufrecht für das Gute einzustehen. Sich zu arrangieren, Kompromisse einzugehen heißt nach dieser Sichtweise, die Möglichkeiten einer Vervollkommnung der irdischen Verhältnisse auszuschlagen. Der Sieg wird durch beherztes (Gewalt-)Handeln im Hier und Jetzt errungen, nicht im Jenseits. Wer Kompromisse macht, ist dem Kampf nicht gewachsen.

Aus dieser zweiten Quelle speist sich ein gutes Stück unserer nationalen Kultur. Von der tragischen Figur des Michael Kohlhaas bei Kleist, der – ungerecht behandelt – Gerechtigkeit um jeden Preis sucht und sich mit keinem Arrangement zufriedengibt, bis zum »Hier stehe ich und kann nicht anders« des als Ketzer geschmähten Martin Luther auf dem Wormser Reichstag 1521 vor Kaiser Karl stößt man allenthalben auf eine Moral des Ganz-odergar-nicht.

Das Gewissen spielt – wie in Luthers Ausruf – bei der Umsetzung des Guten auf Erden eine wichtige Rolle. Es stellt im Protestantismus die jedem Menschen zugängliche Offenbarung des göttlichen Willens dar und steht damit sozusagen dauerhaft auf Empfang für Kompromisslosigkeit. Das Gewissen befähigt uns, diesen Willen im Diesseits umzusetzen, wenn wir uns dabei nicht auf Halbheiten einlassen.

Ein guter Wille ist der irdische...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2020
Reihe/Serie Warum?
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Philosophie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Artensterben • Beziehungen • Demokratie • Ethik • Freiheit • Gegenseitigkeit • Gerechtigkeit • Gesellschaft • Kant • Kommunikation • Kompromissfähigkeit • kompromisslosigkeit • Konsens • Ökologie • Partnerschaft • Philosophie • Politik • Rassismus • Wettbewerb • Win-win-Situation • Wirtschaft
ISBN-10 3-411-91324-X / 341191324X
ISBN-13 978-3-411-91324-4 / 9783411913244
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