Um unsere Webseiten für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch Bestätigen des Buttons »Akzeptieren« stimmen Sie der Verwendung zu. Über den Button »Einstellungen« können Sie auswählen, welche Cookies Sie zulassen wollen.

AkzeptierenEinstellungen

Apollonia (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
380 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7325-9506-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Marie besucht das Grab ihrer Großmutter. Doch dort liegt mehr begraben als die streitbare Apollonia: Liebe, Hass, Armut, Krieg und der wilde Westerwald. Je mehr Marie in die Welt ihrer Großmutter eintaucht, umso deutlicher kehrt auch die Erinnerung an ihre eigene Jugend zurück. Mit unbändiger Fabulierlust, kraftvoll und atmosphärisch dicht erzählt Annegret Held die Geschichte ihrer Großmutter, die zugleich auch die Geschichte eines ganzen Dorfs im vergangenen Jahrhundert ist.



Annegret Held, geboren 1962 im Westerwald, arbeitete u.a. als Polizistin, Altenpflegerin und Luftsicherheitsassistentin - und ist erfolgreiche Autorin. Sie bekam den Berliner Kunstpreis der Akademie, den Glaser-Förderpreis und ist PEN-Mitglied. Ihre beiden Westerwald-Romane Apollonia und Armut ist ein brennend Hemd wurden von der Presse hochgelobt. Annegret Held lebt im Westerwald.

Annegret Held, geboren 1962 im Westerwald, arbeitete u.a. als Polizistin, Altenpflegerin und Luftsicherheitsassistentin - und ist erfolgreiche Autorin. Sie bekam den Berliner Kunstpreis der Akademie, den Glaser-Förderpreis und ist PEN-Mitglied. Ihre beiden Westerwald-Romane Apollonia und Armut ist ein brennend Hemd wurden von der Presse hochgelobt. Annegret Held lebt im Westerwald.

Wir gingen zur Struderlehe hinauf, und der Weg war weit, und es ging immer bergauf. Ich sah, wie Lydia mit Foreman herumkicherte und lachte und wahrscheinlich heute noch mit ihm anbandelte oder schon angebandelt hatte, und endlich landeten wir am Wachhäuschen der legendären amerikanischen Dornröschenstätte als Gäste von Mr. Foreman Stunn, und ich füllte ein Formular aus mit meinem Namen und der Ausweisnummer aus dem Personalausweis, den ich aus der Dokumentenmappe geholt hatte aus der Schublade mit dem Schmuck und den Karnevalsorden von meinem Vater.

Der Soldat hinter dem gelblichen Glas mit dem Drahtgitter musterte uns fragend, und ich wäre beinahe gestorben, schnell schob Foreman uns aus dem Häuschen und dann war ich in Amerika. Alle Menschen waren Amerikaner. Ich war die einzige Deutsche, ich und Lydia Kosslowski.

So, my dear, sagte Foreman. As far as I know deine Jim is cleaning the floor in the gym.

Turnhalle!, sagte Lydia wichtig, als hätte ich nichts verstanden.

Wieso denn eigentlich um diese Zeit? Es ist schon nach sieben Uhr abends!

First he works as soldier, then he must de Strafe macken.

Bloß weil er mich mit Blumen im Jeep von der Schule abgeholt hatte. Ich fühlte mich mitschuldig und Gott sei Dank hatte ich noch den Stonsdorfer und eine Flasche Maria Cron und dazu Briefpapier mit violetten Federbüschen, das hatte ich im Kaufhaus Schwenn gekauft, damit er mir schreiben konnte, und dazu noch ein Bild von mir im langen Crêpe-Kleid mit schwarz eingefasstem Ausschnitt und Folklorebändern und einer massiven Lockenfrisur, mit dem Lockenstab gemacht, für den Abschlussball der Tanzstunde Stoffel.

Wir gingen vorbei an großen, hellen Gebäuden, die alle gleich aussahen, Kasernen, in denen die Soldaten in Uniformen oder in Zivil ein- und ausgingen, rechts handelte es sich wohl um ein Verwaltungsgebäude, daneben eine weit geöffnete Werkstatt, andere Gebäude hatten riesige Tore für Panzer und Jeeps, und in einem mochten noch vertrocknete Blüten liegen. Über uns brannten große Lampen, und ein hoher Turm zur Linken überwachte uns alle, überwachte die Kaserne, die Mauern, die ganze Struderlehe und schaute von hier aus bis nach Russland, immer mit dem Fernglas dem Iwan direkt ins Auge.

Weil sie im Turm nach Russland schauten, nutzten wir die Gelegenheit und schlüpften schnell in die Turnhalle, und ich konnte es nicht fassen, dass ich mit einem Mal mitten in Deutschland in einer amerikanischen Halle war, es war so dunkel und das graublaue Linoleum unter uns schien mir auch amerikanisch, die zerkratzten Fußleisten, amerikanisch, die militärischen Abkürzungen in dem viereckigen Kasten über dem Türgriff, amerikanisch, die dünne Olive-dread-Wand, amerikanisch, es roch ein wenig nach Männerschweiß. Der hätte auch deutsch sein können.

Die Halle war nicht übermäßig groß. Es war mehr eine hohe Basketballhalle als eine Fußballhalle. Sie hatte einen beinahe schwarzen Boden, der im Abendlicht aus den hohen Fenstern schimmerte und glänzte, und in der Ecke kniete mein Jim Larry David Logan und hatte neben sich einen Eimer mit allerlei Lappen und Plastikflaschen und rubbelte und polierte mit dem Cottonball. Shining, sollte es sein, SHINING.

Jim fuhr herum und der Cottonball fiel ihm aus der Hand.

What the hell … Oh my GOD … Märreeee … what are YOUUU … Foreman!!! … What did you …

Had to do her a favour … man … I come back in one hour – eins Stunde, girl!

Dann waren Foreman und Lydia Kosslowski verschwunden.

Jim knetete nervös seinen Bohnerlappen, sah sich dauernd um, als könnte aus jeder Ecke ein Sergeant springen, und ich hatte schreckliche Angst, er sei mir vielleicht böse, weil ich gekommen sei. Aber dann stellte er sich andächtig vor mich und sagte:

Whow, what a surprise … Märrie. Und nahm mich in die Arme.

Und wir landeten auf stinkenden, grauen Leinenmatten voller Magnesium, zwischen Barren und Bällen, einem riesigen Ständer mit Netzkorb und einer Kiste voller Schulterpolster und Helme für den American Football.

I am so sorry, sagte ich. So so so so sorry … dass du so bestraft wirst … bloß wegen diesem Ausflug … das war doch … nur ein kleiner Umweg mit dem Wagen.

Oh my dear … it was worth each minute … so glad you came … you’re so crazy …

Er küsste mich und wir knutschten drauflos, aber jedes Mal, wenn er etwas knacksen hörte oder als plötzlich im Haufen der Bälle einer verrutschte und davonrollte, erschreckte er sich fürchterlich und flüsterte:

Head down, Marie!

Morgen müsse er das Office vom Sergeant streichen, flüsterte er, und danach vielleicht Rasen mähen, jeden Tag nach dem Dienst von 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr, und das sei reine Schikane. Alle hätten schon mal mit dem Jeep Mist gemacht und nur er, er würde so ungerecht bestraft, und seine Freunde Rick und Foreman seien auf ihn sauer, weil er ihnen angeblich Geld schulde, das sei aber nicht wahr, weil sie bis morgens um sechs Uhr gesoffen hatten und er, Jim, an der Tankstelle noch Bier geholt habe und Wodka und er, Jim, habe bezahlt, aber sie meinten, sie, Rick und Foreman, hätten das bezahlt. Jim sei hundert Prozent sicher, dass er die Zeche bezahlt habe, und dann sei er leider mit der Kiste Bier den Abhang heruntergestürzt und obendrein sei die Flasche Wodka zerbrochen und sie hätten gesagt, Jim, du machst nur Scheiß. Das sei aber unfair, schließlich hätte er ihnen schon oft aus der Scheiße geholfen, wenn die Mist gemacht hatten und …

Schon wieder knackste es, und Jim flüsterte:

Head down!!, und presste meine Nase auf die stinkende Leinenmatte und hielt die Luft an. Es war aber nur ein Vogel, der von außen an das Glasfenster geflogen war. Ich konnte mir aber mit der Nase in der Matte überlegen, ob ich alles begriffen hatte, was Jim mir da in Englisch und Deutsch herüberkauderwelschte, und ich stellte fest, dass ich überhaupt nichts kapiert hatte. Immerhin hatte ich die Flasche Maria Cron, und die holte ich jetzt aus dem Schulranzen und gab sie ihm und dazu das Papier vom Kaufhaus Schwenn und mein schönes Bild mit Lockenfrisur, wo ich aussah wie die Les Humphrie Singers in der Hitparade.

Jim nahm das Bild und küsste es und steckte es in sein Uniformhemd, als sei es eine Geheimakte von der CIA, und dann öffnete er die Maria Cron und nahm einen kräftigen Schluck.

Thanks, my love.

Er stopfte die Flasche und das Briefpapier in einen alten Kasten voller Knieschützer und wollte sie später unauffällig mitnehmen.

I love you so much, Märree, sagte Jim, und seine Schnute näherte sich der meinen, und er wollte sich auf mich werfen in der dämmerigen Höhle der Geräte und Holmen und Barren, da ging tatsächlich die Tür auf und es wurde hell, so hell in der Halle, und der Schatten eines Sergeant erschien wie ein Riese im Lichtschein auf dem schimmernd polierten Boden.

Oh shit, flüsterte Jim. The staff duty officer!!!

Oh yeah, sagte eine männliche Stimme und klang sichtlich zufrieden.

The floor is … shining … really … shining … great … Private Logan!!!

In Zeitlupe stand Jim auf und kroch aus dem Lager hervor.

Sergeant Willborough!! … Sorry … was just … drinking something.

Hey man …! You did a good job, this looks good! The floor is brilliant! Well done!

Ich drückte mich tief ins Matratzenlager, ich atmete weniger als die tote Fliege auf dem Linoleum, mir war schwarz vor Augen im Halbdunkel des Barrens.

Thank you, Sergeant, sagte Jim.

Okay man, I think it’s finished. Take your stuff to the storage shed. I’ll close the door. You can go.

Ich lag da und wäre beinahe gestorben und hörte, wie der Sergeant Jim lobte und nach Hause schickte und wie Jim den Eimer nahm und schließlich mit dem Sergeant und dem quietschenden Eimer verschwand und von draußen die Hallentür dreimal zugeschlossen wurde.

Ich hörte das Schloss und die Tür noch hallen, ich sah den Boden im Abendlicht schimmern und das Licht trüber werden. Da saß ich in der Turnhalle, so alleine wie noch nie im Leben, ich, mein Ranzen und Maria Cron.

Es war mir, als säße ich in der Struderlehe bis in alle Ewigkeit.

Der Weinbrand hatte mich benommen gemacht, er entschärfte meine Sinne und zeichnete das Basketballnetz im Abendlicht sehr weich und flimmerig, aber er machte mich nicht blind, er ließ mich dröge ein paar Sauflieder aus unserem Wirtshaus summen, aber er machte mich nicht taub. Und so schien nach endlosen Zeiten, in denen ich mich nicht zu rühren traute, weil mich doch niemand sehen durfte, dass ich aus der Richtung der Toiletten etwas kratzen hörte. Waren es Ratten, waren es russische Spione, war es der Staff Duty Officer, der meinen Jim so freundlich hatte gehen lassen? Ich kroch unter den Barren heraus zu den Toiletten und wagte nicht zu atmen, bis ich eindeutig das Sirren und Klingen von Lydia Kosslowskis Armreifen hörte und ihre lila Fingernägel die Scheibe bearbeiteten:

Marie!!! … Psst!!! Marie? Bist du dadrin?

Da spürte ich es bis ins Mark. Von nun an würde ich Lydia Kosslowski so was wie mein Leben verdanken.

...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2020
Reihe/Serie Westerwald-Chronik
Westerwald-Chronik
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Chronik • Dialekt • Dorfchronik • Dorfroman • Familiengeschichte • Krieg • Sonstige Belletristik • Wäller Platt • Westerwald
ISBN-10 3-7325-9506-4 / 3732595064
ISBN-13 978-3-7325-9506-8 / 9783732595068
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Wolf Haas

eBook Download (2025)
Carl Hanser Verlag München
18,99
Roman

von Percival Everett

eBook Download (2024)
Carl Hanser Verlag München
19,99
Roman

von Chimamanda Ngozi Adichie

eBook Download (2025)
Fischer E-Books (Verlag)
19,99