Couscous mit Zimt (eBook)
448 Seiten
Frankfurter Verlagsanstalt
978-3-627-02288-4 (ISBN)
Elsa Koester wurde 1984 als Tochter einer französischen Pied-noir mit tunesischer Kolonialgeschichte und eines norddeutschen Friesen mit US-amerikanischer Auswanderungsgeschichte in Berlin geboren, wo sie heute lebt. Sie ist politische Journalistin und stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung »Der Freitag«. Die neu entflammte Debatte über Kolonialismus, Identität und Heimat inspirierte sie zu ihrem erfolgreichen Romandebüt »Couscous mit Zimt«, in das ihre Erfahrungen aus einer diversen kulturellen Identität, als Journalistin und Aktivistin einfließen. 2024 erschien Elsa Koesters vielbeachteter, politischer Roman »Im Land der Wölfe«.
Elsa Koester wurde 1984 als Tochter einer französischen Pied-noir mit tunesischer Kolonialgeschichte und eines norddeutschen Friesen mit US-amerikanischer Auswanderungsgeschichte in Berlin geboren, wo sie heute lebt. Sie ist politische Journalistin und stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung »Der Freitag«. Die neu entflammte Debatte über Kolonialismus, Identität und Heimat inspirierte sie zu ihrem erfolgreichen Romandebüt »Couscous mit Zimt«, in das ihre Erfahrungen aus einer diversen kulturellen Identität, als Journalistin und Aktivistin einfließen. 2024 erschien Elsa Koesters vielbeachteter, politischer Roman »Im Land der Wölfe«.
Prolog.
Lucile
Ich habe Gott nie um Kinder gebeten. Es gibt so viele Frauen, mondieu, die Araberinnen machen richtige Hexentänze deshalb, knien nieder und flehen Allah an, er möge sie mit Kindern segnen. Segnen! Ich habe nie verstanden, was daran ein Segen sein soll. Erst bereiten sie dir Übelkeit, du kotzt dir die Seele aus dem Leib, jeden Morgen, dann tun dir alle Knochen weh und der Schweiß rinnt dir vor Anstrengung den Rücken hinunter, wenn du dich auch nur ein paar Meter bewegen willst. Kein Mann guckt dich mehr an, schon von Weitem sehen sie, wie dein Bauch, deine Hormone, deine monströsen Brüste deine Schönheit zerstört haben. Bei der Geburt reißen sie dir dann die Muschi auf, und nach stundenlangen Schmerzen, wenn du denkst, die Qual sei endlich vorbei, endlich das Balg raus aus deinem Bauch, wird es dir auf die Brust gelegt, wo ihm dann nichts anderes einfällt, als dich anzuschreien, knallrot in seinem hässlichen, zerknautschten, verklebten Gesicht, brüllt es dich an, und alle um dich herum schauen blöde, oh, wie niedlich, oh làlà, dieses niedliche kleine Wesen, putain, nehmt es weg!, habe ich gerufen, nehmt es weg, ich bin es doch gerade erst losgeworden.
Von wegen! Dann hängen sie monatelang an deiner Brust, als wären sie eigens dazu da, dir deinen Körper wegzunehmen. Du musst sie weiter mit dir rumschleppen, weil sie sich sonst gar nicht einkriegen vor Schreien, und das ist ein Gebrüll, so was hat man noch nicht gehört, etwas Lauteres habe ich überhaupt noch nie gehört als Babygebrüll. Sie sabbern und scheißen und machen Pipi, und von dir wird verlangt, dass du glücklich damit bist, diesen Schleim andauernd wegzuwischen, den ganzen Tag, du stopfst ihn ja auch immer wieder von oben in sie rein, und dann wischst du ihn weg, du kommst zu nichts anderem mehr, Schleim in allen Farben. Dann beruhigt sich die Lage, doch, ich würde sagen, nach ungefähr einem Jahr geht es. Sie können sogar manchmal ganz niedlich sein, wie sie herumglucksen, aber das Schreien und das Gezeter, das geht leider nie weg, auch Jahre später nicht. Und wenn sich mal eines beruhigt hat, bist du gleich wieder am Kotzen, weil schon das nächste unterwegs ist.
Ich weiß wirklich nicht, warum Allah mir das angetan hat, ich habe ihm von Anfang an gesagt, ich kann mit Kindern nichts anfangen, und er beschert mir gleich vier. Vier! Versteht mich nicht falsch, ich habe sie immer geliebt, nicht nur meine zwei Söhne, es ist wahr, ich wollte keine Kinder, erst recht nicht nach Maurice und Antoine, aber bon, was soll man machen, dann kamen eben noch Marie und Solange, geliebt habe ich sie ja alle vier, aber wenn ich vor der Wahl gestanden hätte, ich hätte mich ganz bestimmt nicht für vier Kinder entschieden. Versteht das denn niemand, dass eine Frau es satthat, immer wieder wie ein Elefant durch die Gegend zu laufen, über neun Monate, um dann schon wieder jemanden an der Brust hängen zu haben, erst an der Brust und dann am Rockzipfel, über Jahre und Jahre? Wo gibt es das denn bitte sonst in der Natur, alle Tiere werden schneller selbstständig, einfach alle, nur diese kleinen Gören von Menschen nicht!
Bah non, ich wollte endlich ein bisschen was haben vom Leben! Ich wollte mich amüsieren, ich war jung, mondieu, ich wollte ins Kino und schick dinieren mit meinem Claude und lesen und mir ein schönes Leben machen, zwei Söhne, das reicht doch wohl! Aber nein, Marie hat sich an meiner Gebärmutter festgebissen, gleich von Anfang an, dagegen konnte selbst die stärkste Hexe nichts tun, so blieb sie eigentlich ihr Leben lang, die kleine Marie, sie biss sich fest und ließ nicht mehr los. Wie eine Zecke wollte sie die Energie aus mir heraussaugen. Aber auch eine Mutter muss Grenzen ziehen.
Ach, sie hat es mir nicht leicht gemacht. Sie war krank, meine Marie, sie muss wohl schon krank auf die Welt gekommen sein, sie war schon immer ein komplizierter Charakter, unselbstständig, eitel, rasend, wenn sich nicht alles um sie drehte. Und nie hat sie gelernt, mich in Ruhe zu lassen. Die Jungs hingegen, Maurice und Antoine, die waren einfacher. Schon früh standen sie auf eigenen Beinen, nur deshalb habe ich sie bei ihrem Vater in der tunesischen Wüste gelassen, sie kamen zurecht, sonst wäre ich doch nie weggegangen mit Claude. Ja, die beiden Jungs lieben ihre Mutter, sie waren mir nie böse deswegen, sie sind oft zu uns gekommen, auf unseren Hof, sogar in unsere kleine Wohnung nach Tunis habe ich sie mitgenommen, ich habe sie nicht verlassen. Bis zu meinem Tod waren sie voller Dankbarkeit für alles, was sie von mir bekommen haben, sie besuchten mich hier in der Rue de Flandre, sie sorgten für mich, oh ja, ich kann mich nicht beklagen, sie waren sogar etwas zu oft hier, wenn man mich fragt. Ich hätte wirklich ein bisschen mehr Ruhe gebrauchen können in meinen letzten Jahren, nur ein bisschen Ruhe, mehr wollte ich doch nie vom Leben, und meinen Spaß natürlich, wozu kommt man denn sonst auf die Welt? Ein paar Jahre hat man hier, um Spaß zu haben, dann wird man wieder zu Staub, man sollte keinen so großen Wirbel darum machen.
Aber ich habe immer gewusst, wie ich mich aus dem Dreck ziehe. Vier Kinder habe ich großgezogen, und trotzdem habe ich meinen Weg gefunden, von der Tochter eines ausgewanderten Postboten zu einer Grundbesitzerin nahe Tunis, das kann sich doch sehen lassen, oder etwa nicht. In guter Gesellschaft haben wir diniert, wir waren bei den Baliers zu Gast, die haben in Tunis direkt für die französische Verwaltung gearbeitet, ganz direkt. Ich habe für ein gutes Umfeld gesorgt, aber meine Töchter wussten nie zu schätzen, was ich ihnen geboten habe, leicht war das nicht, nach der Rückkehr, ihnen einen guten Lebensstandard zu bieten in Frankreich. Sie waren verwöhnt, ja, das kann ich mir schon vorwerfen, ein bisschen verwöhnt habe ich sie, Marie und Solange. Ich habe alles von ihnen weggehalten, erst den Tod ihres Vaters, dann die Ängste, die ich in Tunesien ausstehen musste, als der Algerienkrieg näher kam, und Bizerte, nach Bizerte mussten wir einfach gehen, wir hatten keine Wahl mehr. Ich habe alles für sie organisiert, den ganzen Umzug nach Frankreich, ich habe sie zu meiner Schwester gebracht und sie hatten eine schöne Kindheit in Selles-sur-Cher, während ich mich um alles kümmerte, ich habe unseren Haushalt nach Frankreich geholt, ich habe uns eine Wohnung in Châteauroux gesucht, ich habe Marie erst auf die katholische Mädchenschule nach Tunis und dann fürs Abitur nach Paris gebracht, damit sie eine ordentliche Ausbildung bekommt. Und ich war es auch, die sie an die gute Literatur herangeführt hat, von mir hat sie die Klassiker bekommen, Proust, Flaubert, Thomas Mann, sonst hätte sie doch nie Literatur studiert, ohne mich. Und ihren Freund, ihren kleinen Freund habe ich mit offenen Armen empfangen in meiner Wohnung, diesen Alain, ich konnte gut verstehen, was sie an ihm fand, ja, Geschmack hatte sie! Er hatte etwas Verwegenes mit seiner Lederjacke, ein bisschen wie Alain Delon, der Schauspieler, er war hübsch anzusehen, das gebe ich zu. Sie hatte eine offene und moderne Mutter, meine Marie, da kann sie sich nicht beschweren.
Und als sie sich schwängern ließ mit ihren zwanzig Jahren! Natürlich, da habe ich alles drangesetzt, um sie zu retten, um ihr mein Schicksal zu ersparen. Alles habe ich drangesetzt! Die kleine Marie war ganz durcheinander, als sie zu mir kam, aber ich wusste, was zu tun ist, ich habe ihr da rausgeholfen, im Gegensatz zu mir hatte sie eine Mutter, die an ihrer Seite stand, ich musste da ganz alleine durch, aber meine kleine Marie kann von Glück sagen, dass wir ihr das Ding so schnell entfernen konnten. Meine Güte, wie am Spieß hat sie geschrien, als es da im Bidet lag, das kleine Stück Fleisch, was hat sie denn gedacht? Dass das Balg wie ein Engelchen in den Himmel fliegt, ein kleiner Hauch, der durch das Zimmer weht? Ein Stück Fleisch war es nach über zwei Monaten, ist doch klar, ist aber doch kein Drama, ein paar Zellen eben, jeden Tag stand ich in der Küche und schnitt und klopfte Fleischzellen, damit sie schön zart wurden, jahrzehntelang tat ich das für meine Mädchen, frisches Lamm oder Kalb, das haben Marie und Solange immer gerne gegessen, mit meinem berühmten Couscous, den mochten sie alle gerne, was macht sie da für ein Drama bei dem kleinen Hautläppchen, meine Güte. Aber natürlich habe ich sie wieder beschützt, wie ich es sonst auch getan habe, ich habe Marie in eine Decke gewickelt und ihr gut zugeredet, ich habe sie auf das Sofa gesetzt, bin zurück ins Bad und habe das Hautläppchen genommen und es ins Klo geworfen, einmal ziehen – und weg war es, mondieu, das machen wir doch jeden Tag mit unserer Scheiße und mit unserer halben Gebärmutter, wenn wir unsere Tage haben und ins Klo bluten, was macht das für einen Unterschied.
Ja, ich habe sie wohl ein bisschen zu sehr verwöhnt, und dafür strafte mich das Schicksal, dafür hatte ich sie weiter am Rockzipfel, sie wollten einfach nicht loslassen. Aber ich habe es wiedergutgemacht, als sie nach all der Zeit zu mir kam, um sich erneut an mich dranzuhängen, da habe ich ihr gezeigt, dass sie auf eigenen Beinen stehen muss, habe sie geschüttelt, wie sie es als kleines Mädchen schon gebraucht hätte, ordentlich geschüttelt, damit sie versteht, dass sie es alleine schaffen muss. Dass ich nicht ewig für sie da sein kann. Denn mondieu, waren fast sechzig Jahre etwa nicht genug? Fast sechzig Jahre lang musste ich mich um sie kümmern, immer wieder, wenn sie völlig am Ende hier auftauchte, betrunken, hysterisch, wo blieb denn da mein eigenes Leben? Maurice hat nur zehn gebraucht, zehn Jahre, dann war er alt genug, um für sich zu sorgen und für seinen kleinen Bruder gleich mit! Aber Marie, als reife Frau kam...
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2020 |
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Reihe/Serie | Debütromane in der FVA |
Debütromane in der FVA | |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Algerienkrieg • Berlin • Couscous • Entwurzelung • Familienroman • Frankreich • Französin • Frauen • Generationen • Großmutter • Heimat • Heimatsuche • Heimatverlust • Heimkehr • kolonalismus • Kolonie • Lisa • Lucile • Marie • Nordafrika • Nuit-debout • Paris • Pariser Revolte • Pied-Noir • Revolution • Schwarzfuß • Schwarzfüße • Starke Frauen • Tunesien • Unabhängigkeit • Vertreibung • Zimt |
ISBN-10 | 3-627-02288-2 / 3627022882 |
ISBN-13 | 978-3-627-02288-4 / 9783627022884 |
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