Eines Menschen Flügel (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
1257 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-9439-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eines Menschen Flügel -  Andreas Eschbach
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Eine ferne Zukunft auf einem fernen, scheinbar paradiesischen Planeten - doch der Schein trügt. Etwas Mörderisches lauert unter der Erde, dessen auch die ersten Siedler nicht Herr wurden. Deswegen haben sie ihre Kinder gentechnisch aufgerüstet, sie mit Flügeln ausgestattet, mit denen sie fliegen können.

Doch nicht nur am Boden lauern Rätsel: Der Himmel ist allezeit undurchdringlich. Die Menschen wissen von den Sternen, haben sie aber noch nie gesehen. Das weckt die Neugier von Owen, einem Außenseiter, der alles daransetzt, die vertrauten Grenzen seiner Welt zu durchstoßen und dem Geheimnis auf die Spur zu kommen - mit verheerenden Folgen ...



Andreas Eschbach, geboren 1959 in Ulm, wurde vor allem durch den Thriller Das Jesus-Video bekannt. Mit Romanen wie Eine Billion Dollar und Ausgebrannt stieg er endgültig in die Riege der deutschen Top-Autoren auf. Sein Bestseller NSA beschäftigt sich mit der brisanten Frage: Was wäre, wenn es im dritten Reich bereits Computer gegeben hätte, das Internet - und deren totale Überwachung?

Andreas Eschbach, geboren 1959 in Ulm, wurde vor allem durch den Thriller Das Jesus-Video bekannt. Mit Romanen wie Eine Billion Dollar und Ausgebrannt stieg er endgültig in die Riege der deutschen Top-Autoren auf. Sein Bestseller NSA beschäftigt sich mit der brisanten Frage: Was wäre, wenn es im dritten Reich bereits Computer gegeben hätte, das Internet - und deren totale Überwachung?

Owen


Der unerreichbare Himmel


»Was sind die Sterne?«, fragte Owen, als er noch ein Kind war.

»Die Sterne«, sagte der alte Hekwen, den man den Weisen nannte, »sind der Ort, von dem wir kommen.«

»Und wo sind die Sterne?«

»Jenseits des Himmels«, sagte Hekwen und deutete empor zum milchig-grauen Firmament, hinter dem das große Licht des Tages leuchtete und die Welt erhellte.

»Ich will sie sehen«, sagte Owen.

Der Weise, dessen Schwingen schon grau und schlaff waren vom Alter, schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, Owen. Der Himmel ist unerreichbar hoch. Keines Menschen Flügel können ihn überwinden.«

Owen sah in die Höhe und fand das ungerecht. »Das glaube ich nicht«, sagte er. Noch am gleichen Tag erkletterte er einen der höchsten Startpunkte des Nestbaums, breitete seine jungen Flügel aus, ließ den auflandigen Wind hineinfahren und sprang. Er nutzte die aufsteigende Strömung und die Kraft seiner Flügel, um höher zu steigen als je zuvor. Die Welt fiel unter ihm zurück, bis die meilentiefen Schluchten mit ihren alles zermalmenden Wasserfällen aussahen wie Furchen und Rinnsale und die riesigen Nestbäume wie dürres Gewächs, und er stieg und stieg in einen Himmel von rauchigem Grauweiß, der gleichwohl nicht näher zu kommen schien, so sehr er sich auch anstrengte. Schließlich verließen ihn seine Kräfte, die Brustmuskeln schmerzten, die Flügelspitzen begannen zu zittern, und er musste aufgeben und nach Hause zurückkehren.

»Glaubst du es nun?«, fragte Hekwen, als Owen das Geflecht der Nestbauten in der Krone ihres Baumes keuchend wieder erreicht hatte.

»Nein«, sagte Owen dickköpfig, aber er versuchte es nicht noch einmal.

Doch er vergaß es nicht. Solange die Trockenzeit dauerte, badeten sie in den hohen Flüssen, da, wo es sicher war, weil Wasser floss, ließen sich von der Strömung über die Kante tragen und hinab in die fürchterlichen Tiefen, um sich möglichst spät aus der Gewalt des silbern herabschießenden Wasserfalls zu lösen – doch wenn Owen dann mit langen Flügelschlägen an der tosenden, gischtenden Säule entlang wieder hinaufflog zu den anderen, dachte er, dass es sich so anfühlen müsse, den Himmel zu durchstoßen. Als die Windzeit begann, zog er mit den anderen Kindern halbe Tage lang Kreise, weit draußen über dem grünen Meer, wo es kochte von den heißen Quellen und einem die Süßmücken schwarmweise in den Mund flogen – aber er behielt den Himmel im Auge wie einen Feind, studierte das strähnige Muster aus Dunkel und Hell darin und stellte sich vor, wie es sein mochte, dort anzukommen und hindurchzutauchen und die andere Seite zu erreichen.

Dann kam die Regenzeit, ein steter Sturzbach von Wasser, den auch die Riesenblätter nicht abhalten konnten. Die Kinder hockten in den nass an den Ästen des Nestbaums klebenden Hütten, lernten zählen und rechnen, die Schrift der Ahnen und die Geschichte ihres Volkes. Sie erfuhren, dass die Ahnen von den Sternen gekommen waren, ja, von jenseits des Himmels waren sie herabgestiegen in einem großen silbernen Fahrzeug. Sie hörten zu ihrem Erstaunen, dass die Ahnen noch keine Flügel besessen hatten, und versuchten sich vorzustellen, wie diese auf dem Boden gelebt hatten, im düsteren Unterholz, in Furcht vor dem Margor und geplagt von den grauen Ratzen. Doch die Ahnen hatten sich auf Künste verstanden, die seither verloren gegangen waren. Sie hatten es vermocht, von den Pfeilfalken die Flügel und die Kraft zu nehmen und beides ihren Kindern einzupflanzen, die seit dieser Zeit Flügel besaßen und fliegen konnten, als seien sie die Herren der Lüfte, und kein Mensch musste mehr im Unterholz leben, seit der letzte der Ahnen gestorben war vor tausend Jahren.

Dann folgte die Nebelzeit. Silberner Dunst lag morgens über den Wäldern, verdeckte die Abgründe der Schluchten wie ein undurchdringlicher Schleier, und die Wasserfälle schrumpften zu dünnen, dampfenden Rinnsalen. Die Schleier sahen undurchdringlich aus, doch sie waren es nicht. Wenn man hindurchflog, spürte man nur einen kalten Hauch, aber man musste vorsichtig sein, weil man nicht weit sah. Das brachte Owen auf den Gedanken, über die Natur des Himmels nachzudenken. »Ist der Himmel«, wollte er wissen, »womöglich nur eine Art ewiger Nebel? Eine Wolkendecke, die niemals verschwindet?«

Satwen, der die Kinder unterrichtete, prüfte, was die Schriften dazu wussten, und siehe da: Genau so verhielt es sich. Der Himmel war eine hohe, unvergängliche Wolkenschicht, das hatten schon die Ahnen gesagt, die sich in derlei Dingen nicht irrten.

Die Frostzeit brach herein, ließ die Wasserfälle erstarren und verstummen, überzog die riesigen Lederblätter der Nestbäume mit silbrigem Reif und erfüllte die Luft mit dem märchenhaften Klingen gefrorener Lianen, wenn sie der kalte Seewind gegeneinander schlagen ließ. In eisernen Schalen glommen Kiurka-Samen in der Glut und durchdrangen die Nesthütten mit ihrem würzigen Duft, und an hellen Tagen kletterten die Verwegensten ins Freie, um Eisfrüchte zu ernten. Dies war die Zeit der Lieder, des Flickzeugs und des Nachsinnens über das, was gewesen war, und das, was kommen würde im neuen Jahr.

Owen erlernte die Kunst, Entfernungen mittels Triangulation zu bestimmen, aber nicht um die Distanz zu Inseln draußen im Meer oder zu Bergen im Hinterland zu ermitteln wie die anderen: Er baute sich, als wieder Trockenzeit war, ein Triangulationsbesteck, um die Höhe des Himmels zu messen.

Ihm war aufgefallen, dass man manchmal Muster am Himmel ausmachen konnte, wenn man genau hinsah – Gestalten in Grau und Weiß, die für halbe oder viertel Tage sichtbar waren und sich dann wieder auflösten. Wann immer er ein solches Muster entdeckte, peilte er es mit seinem Triangulationsbesteck an, maß die Winkel und flog anschließend, das schwere Besteck an den Körper gepresst, weiter zu einer Klippe, deren Entfernung zum Nest er genauestens bestimmt hatte, um von dort aus noch einmal zu peilen und zu messen. Nach einigen Messungen war er sich seiner Sache sicher: Der Himmel war sehr hoch – aber nicht unendlich hoch. Tatsächlich war der Himmel vom Nestbaum nicht weiter entfernt als die heißen Quellen, nur eben in die Höhe.

Owen begann zu trainieren.

Den Himmel berühren


Zunächst fiel den anderen Kindern kaum auf, dass es plötzlich fast immer Owen war, der einen Wettflug vorschlug, zur Klippe, zu den heißen Quellen, zur Muschelbucht hinab. Zumal Owen so gut wie nie gewann. Aber Owen meldete sich auch, wenn die Erwachsenen Helfer brauchten zum Lastentransport, ließ sich bereitwillig Tragegeschirre anlegen, was allen anderen Kindern ein Graus war, und ging endlich dazu über, ein neugeborenes Hiibu jeden Tag einmal im Geschirr hinunter in den Fjord zu fliegen, um es zu tränken. Weil das Hiibu jeden Tag ein wenig größer und schwerer wurde, wurde Owen im Lauf der Zeit immer stärker, fast ohne etwas davon zu merken. Schließlich wollte niemand mehr gegen ihn um die Wette fliegen, weil Owen immer gewann. Als die nächste Frostzeit kam, war Owen der stärkste und schnellste Flieger des Stamms.

Das ganze Jahr über hatte er seine Messungen der Himmelshöhe fortgesetzt und herausgefunden, dass der Himmel in der Windzeit am höchsten, am niedrigsten dagegen am Ende der Nebelzeit war, kurz bevor die Frostzeit begann. Doch als er wieder einmal versuchte, ihn zu erreichen, war es wie beim ersten Mal: So sehr er sich auch bemühte, er schien dem Himmel nicht näher zu kommen.

»Glaubst du es immer noch nicht?«, fragte Hekwen mit gutmütigem Lächeln, als Owen klammgefroren und erschöpft aus dem Landenetz kroch.

»Nein«, sagte Owen grimmig.

Er flog wieder mit den anderen, aber ihre kurzatmigen Spiele begannen ihn zu langweilen, wie sie ihrerseits zunehmend davor zurückschreckten, ihn zu begleiten, wenn er eine neue Herausforderung suchte: ohne Zwischenlandung bis zu den Inseln des Leik-Stammes zu fliegen, beispielsweise. Das könne er allein machen, hieß es, und so machte er es allein. Er flog den ganzen Tag und die Nacht hindurch ohne Pause, im Dunkeln nur geleitet vom kleinen Licht der Nacht, das das Meer in verzaubernden Schimmer tauchte. Als er wieder zu Hause ankam, war er erschöpft und, obwohl er geschafft hatte, was er sich vorgenommen hatte, unzufrieden. Was er wollte, war ja nicht, weite Distanzen zu bewältigen, sondern große Höhen!

Er begann die Vögel zu studieren. Die Ahnen hatten ihnen die Flügel der Vögel gegeben, aber das war erst wenig mehr als tausend Jahre her. Zweifellos mussten die Tiere, die schon seit dem Anfang der Zeit fliegen konnten, die besseren Flieger sein – und vielleicht konnte er aus ihrer Beobachtung noch etwas lernen.

Nur einer, der schmächtige Jiuwen, begleitete ihn auf seinen Beobachtungszügen. Gemeinsam lagen sie in Höhlen an der Küste und verfolgten das Treiben der Strandsegler, Küstenflatterer, Tauchschwirrer und Raubdrifter. Jiuwen führte begeistert Buch über ihre Beobachtungen und hielt die Vögel in wunderbaren Zeichnungen fest. Owen kam zu dem Schluss, dass die Küstenvögel ziemlich faule und schwerfällige Gesellen waren – vermutlich, weil es ihnen so leicht fiel, Beute zu machen, denn die Küste war voller Würmer, Mücken und anderem Getier. Er drängte darauf, dass sie ins Hinterland vordrangen und die Vögel der kargeren Vorberge beobachteten. Damit verbrachten sie fast die gesamte Trockenzeit.

Schließlich waren es ausgerechnet die Pfeilfalken – von denen die Flügel der Menschen ja tatsächlich abstammten –, die Owen etwas darüber lehrten, wie man Höhe gewann.

Die Pfeilfalken waren mächtige Raubvögel, die weit...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Ausgebrannt • Buchmesse Leipzig • Der Letzte seiner Art • digitale Buchmesse • Dystopie • Eurolit Buchpreis 2021 • Fantasy • Fliegende Menschen • Fremde Welten • Geflügelte • heliosphere • herr aller dinge • Himmelsstürmer • Ikarus • Jesus-Deal • Jesus-Video • Leipziger • Nationales Sicherheitsamt • NSA • Postapokalypse • Raumkampf • Raumschiff • Raumschiffe • Raumschlacht • Science Fiction Romane • Seraph • Traum vom Fliegen • Zukunftsroman
ISBN-10 3-7325-9439-4 / 3732594394
ISBN-13 978-3-7325-9439-9 / 9783732594399
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