Mahlers Sinfonien (eBook)

Ein musikalischer Werkführer

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2020 | 1. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-74733-5 (ISBN)
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Gustav Mahlers neun vollendete sowie die letzte, unvollendet gebliebene 10. Sinfonie zählen zu den meist aufgeführten Werken dieser Gattung. Der vorliegende Band bietet eine klare und anregende Einführung in dieses Herzstück der Kompositionen Mahlers. Peter Revers, einer der profiliertesten Kenner seines ?uvres, zeigt darin unter anderem die Einflüsse auf das sinfonische Schaffen des Komponisten, erhellt die Stellung der Sinfonien in dessen Gesamtwerk, beschreibt den Prozess ihres Entstehens und stellt Werk für Werk eingehend vor.

Gustav Mahlers neun Sinfonien sowie die (unvollendete) Zehnte zählen weltweit zum zentralen Konzertrepertoire. Von Anfang an sprengte Mahler die traditionellen Gattungsgrenzen, vor allem zwischen Lied und Sinfonie. Und obwohl er, der begnadete Dirigent und Direktor der Wiener Hofoper, nie eine Oper komponiert hat, finden sich in seinen Sinfonien zahlreiche Beispiele gleichsam szenischer Provenienz: eine Theatralik ohne Bühne. Seine Sinfonien beschreiben häufig eine Welt schroffer Ausdruckskontraste, die elementare musikalische Kategorien wie etwa Marsch, Lied, Choral, volksmusikalische Einflüsse, aber auch katastrophal anmutende Klangeruptionen und Zusammenbrüche einerseits, krönende Finalsteigerungen andererseits beinhalten. Nach der monumentalen 8. Sinfonie («Sinfonie der Tausend») herrscht in seinen beiden letzten die Aura des Abschieds vor. Das allmähliche Verstummen der musikalischen Ereignisse wird zum zentralen Moment des musikalischen Ausdrucks und eröffnet eine neue Perspektive von Finalsätzen abseits jeglichen triumphalen Gestus.

Peter Revers lehrt als Professor für Historische Musikwissenschaft an der Kunstuniversität Graz.

II. Die Sinfonien


Naturlaut – Groteske – Apotheose:
die 1. Sinfonie


Besetzung: 4 Fl. (3. und 4. auch Piccolofl.), 4 Ob. (3. auch Eh.), 4 Klar. (3. auch Bassklar., 4. auch Es-Klar.), 3 Fag. (3. auch Kontrafag.), 7 Hr., 5 Trp., 4 Pos., Basstuba, Pauken, Schlagwerk (Große Trommel, Becken, Triangel, Tam-tam), Harfe, Streicher.

Entstehungszeit: Anfänge ungewiss, 2. Satz («Blumine») 1884; Fertigstellung März 1888.

Fassungen: insgesamt 3 Fassungen, wobei die früheste nicht vollständig überliefert ist (ursprünglich 5 Sätze, lediglich der 1. Satz, das Scherzo sowie das Finale sind erhalten). Die zweite, fünfsätzige Fassung unter dem Titel «Titan», eine Tondichtung in Symphonieform. Die dritte Fassung entspricht der späteren Druckfassung und ist viersätzig. Bezeichnung Symphonie in D-Dur für grosses Orchester).

Aufführungen: Erste fünfsätzige Fassung: Budapest, 20. Nov. 1889 (dort als Symphonische Dichtung in zwei Teilen uraufgeführt). Zweite Fassung ist vollständig erhalten: Erstaufführung in Hamburg am 27.10.​1893 unter dem Titel «Titan», eine Tondichtung in Symphonieform. Zweite Aufführung am 3. Juni 1894 in Weimar unter dem Titel Titan. Symphonie in zwei Abtheilungen und fünf Sätzen. Dritte Fassung: 16. März 1896 in Berlin.

Erstdruck: (Fassung in vier Sätzen): Josef Weinberger, Wien–Leipzig–Paris 1899.

Kritische Gesamtausgabe: Symphonie Nr. 1 in vier Sätzen für großes Orchester, Bd. 1, Wien (Universal-Edition) 1992. Neue Kritische Gesamtausgabe: Titan. Eine Tondichtung in Symphonieform in zwei Teilen und fünf Sätzen für großes Orchester, Supplement Bd. V, Wien (UE) 2019.

Zu den zweifellos eindrucksvollsten kompositorischen Leistungen des jungen Mahler zählt der Anfang des Kopfsatzes seiner Ersten Sinfonie. Und es wäre kaum übertrieben, diesen (zusammen mit dem Beginn der 1. Szene von Wagners Rheingold) als Paradigma für eine auf Klang und Klanggestaltung basierende Kompositionsweise zu beschreiben. Was diese «Klangkomposition» wesentlich ausmacht ist weder ein komplexes harmonisches Phänomen, noch die Dynamik innerer Bewegung in einem fluktuierenden Klangkontinuum (wie bei Wagner), sondern der, allerdings in mehreren Oktavlagen erklingende, liegende Einzelton a, über dem sich das auf elementare Bausteine beschränkte motivische Geschehen entfaltet. Und doch war es gerade dieser einzelne Ton, der im Laufe des Kompositionsprozesses die meisten Veränderungen erfahren hat. Mahlers Ziel war es dabei, so nahe wie möglich das Ideal eines elementaren Naturklangs zu realisieren, inspiriert von der Idee des Sonnenlichtes an einem sommerlichen Tag, das «durch die Zweige zittert und schimmert.» (NBL 2: 173). Die klangliche Umsetzung dieser Imagination sollte man sich jedoch nicht als rein statischen Klang vorstellen. Über sechs Oktaven erstreckt sich dieses anfängliche a, das von neunfach geteilten Streichern (Violinen, Bratschen, Violoncelli und zwei Drittel der Kontrabässe) im Flageolett ausgeführt wird. Nur der übrige Teil der Kontrabässe spielt ein Kontra-A, und zwar – wie Mahler eigens hinzufügt – im pp, aber «sehr deutlich». Während dieser Basston über 53 Takte unverändert bleibt, ist die Zusammensetzung der im Flageolett erklingenden Streicher einem ständigen Wandel ausgesetzt. Die im Grunde statisch-immaterielle Klangaura wird damit auf eine bis dahin einzigartige Weise auskomponiert und zur Basis einer gleichermaßen allmählichen wie hoch differenzierten Entwicklung elementarer motivisch-thematischer Bausteine. Ein nicht weniger innovatives Moment in diesem sich immerhin über 62 Takte erstreckenden Entwicklungsprozess betrifft die Gestaltung und Empfindung des Zeitverlaufs. Insgesamt 16 wechselnde Tempoangaben schreibt Mahler vor und vermeidet damit bewusst jeglichen Eindruck einer metrischen Regelmäßigkeit. Mehrfach wechseln innerhalb weniger Takte die Angaben «più mosso» (bewegter), «accelerando» (rascher werdend) und «ritardando» (verzögernd). Es sind in erster Linie die oft bruchstückhaften motivischen Ereignisse selbst, die aus sich heraus das temporale Geschehen in dieser Einleitung bestimmen. Besonders deutlich wird dies bei den stilisierten Kuckucksrufen, die als fallende Quarten in Erscheinung treten und – wie Mahler vorschreibt – ohne Rücksicht auf die anfängliche Tempoangabe «Langsam. Schleppend» auszuführen seien (T. 30ff. und 45ff.). Diese Gleichzeitigkeit von naturhaften Klangphänomenen und diskontinuierlicher Zeitgestaltung formiert sich erst relativ spät (ab T. 47) zu einer metrisch klar fassbaren Gestalt, die in weiterer Folge zum Hauptthema führt, das dem zweiten Gesellen-Lied (Ging heut’ morgen übers Feld) entnommen ist (ab T. 63). Doch ist dieses Thema nicht ein eigentlicher Neubeginn, sondern vielmehr eine weitere Stufe in diesem groß dimensionierten Prozess allmählicher Themenevolution. Und auch hier bildet das Quartintervall, das zu Beginn dieser Sinfonie als gleichsam «genetischer Code» der weiteren Entwicklung grundgelegt wurde, den Fokus der melodischen Struktur. Mahler verdeutlicht dies, indem das Liedthema erst allmählich Ausgangspunkt weitläufig angelegter motivisch-thematischer Entwicklung wird, zunächst einmal aber nach kurzem Ansetzen wieder in das elementare Quartintervall zurückfällt (T. 71–​74). Dieses wird zugleich Ausgangspunkt für eine weitere Etappe der thematischen Entwicklung, die sich auf die 3. Liedstrophe bezieht (ab T. 84). Deren Text beschreibt eine sonnendurchflutete Natur, in der das vorangegangene allmähliche Werden seine Erfüllung findet und «alles Ton und Farbe» gewinnt. Mahler setzt nun allerdings nicht mit der desillusionierenden 4. Strophe fort, in der die Distanz der eigenen Befindlichkeit zur schönen Naturwelt beschrieben wird, sondern kehrt ab T. 109 zu einer Variante der ersten Strophe (in die auch Elemente der zweiten einfließen) zurück und führt sie zu einem dynamischen Höhepunkt. Hier nun – am Ende der Exposition – erfolgt allerdings nicht eine gesteigerte Schlusswirkung. Vielmehr fällt das Geschehen innerhalb weniger Takte einmal mehr in jene elementaren Intervall- und Motivkonstellationen der Einleitung zurück, womit zugleich die Brücke zur Durchführung hergestellt wird. Im Grunde folgt Mahler in diesem Kopfsatz zwar dem äußeren Rahmen der Sonatenform. Aber bereits in der Exposition wird deutlich, dass eine in vielen Aspekten andere, neuartige Auseinandersetzung mit der formalen Konvention vorliegt. Denn von einer Exposition im Sinne in sich geschlossener Themengebilde, geprägt von einem Themendualismus, kann hier kaum die Rede sein. Vielmehr ist das musikalische Geschehen eine ständige Veränderung und Neuformulierung des Liedmaterials, somit – ebenso wie die Einleitung – im Grunde ein unabgeschlossener Entwicklungsprozess. Und wohl genau deshalb kehrt Mahler am Ende des ersten großen Formabschnitts («Exposition») wieder zu jener elementaren Klanglichkeit zurück, die den Anfang charakterisiert hat (ab T. 163). Eine bloße Wiederholung des Einleitungsteils liegt freilich nicht vor. Zunächst greift Mahler in den Flöten ein Motiv auf (von Paul Bekker als «Tirili-Motiv» beschrieben: Bekker 1921/2016: 44), das erstmals am Ende der Exposition in Erscheinung tritt (dort T. 135ff.) und durchaus eine Affinität zur Motivwelt des zugrunde liegenden Gesellen-Liedes erkennen lässt. Der fallende Quartsprung und das Quartsequenzenmotiv werden ebenso aus der Einleitung übernommen wie der chromatisch in sich kreisende Duktus der tiefen Streicher (T. 189ff.), der bald einer diatonischen Fortschreitung sowie einem stufenweisen, fauxbourdonartigen Hörnersatz Raum gibt. Hingegen verzichtet Mahler auf die in der Einleitung erklingenden Fanfarenelemente, die er allerdings umso wirkungsvoller in der letzten Steigerungsphase vor Erreichen der höchsten Kraftentfaltung (T. 358ff.), die Adorno als «Durchbruch» beschreibt, zum Einsatz bringt. Stattdessen führt er sehr behutsam neue Motive bzw. Themen ein, denen im weiteren Verlauf entscheidende Bedeutung zukommt. Vor allem sind dies eine durch fallenden Kleinsext- und anschließenden Quintsprung geprägte, seufzerartige Kantilene der Violoncelli, sowie ein erstes, im dreifachen piano wie eine Andeutung wirkendes Hörnerthema (ab T. 209), das in seiner von Dreiklangsbrechungen geprägten Melodik, seinem verhalten lyrischen Tonfall sowie der klar ausgeprägten Periodik (4 + 4 Takte) liedhaften Charakter hat. Es ist...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik Klassik / Oper / Musical
Schlagworte 19. Jahrhundert • alle Sinfonien • Einführung • Entstehungsprozess • Gustav Mahler • Komponist • Mahler • Musik • Musikgeschichte • Romantik • Sachbuch • Sinfonien • Werkführer • Werk für Werk
ISBN-10 3-406-74733-7 / 3406747337
ISBN-13 978-3-406-74733-5 / 9783406747335
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