Das dunkle Haus am Meer (eBook)
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98728-8 (ISBN)
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der »Sisters in Crime« und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch »Wer nicht hören will, muß fühlen« erhielt sie die »Agathe«, den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der "Sisters in Crime" und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch "Wer nicht hören will, muß fühlen" erhielt sie die "Agathe", den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Zweiter Teil
Helen war früh auf den Beinen. Sie bewegte sich wie in Trance in die Küche, öffnete eine Flasche Wein, schenkte sich ein Glas ein. Sie trank es am Küchentisch sitzend in hastigen Schlucken. Auch eine Art zu frühstücken, dachte sie, aber leider wurde sie kein bißchen betrunken.
Um der Stille zu entfliehen, ging sie auf die Terrasse und betrachtete erneut die Fensterscheibe. Es war kein Wunder, daß sie heil geblieben war. Es war Panzerglas. Wieso hatte Paul Panzerglas einbauen lassen? Warum nicht? Das Haus stand einsam und war oft leer, eine Einladung an Einbrecher und Vandalen. Oder war es wegen der Bilder? Aber erstens, wer wußte schon von ihnen, und zweitens: So wertvoll waren diese Kopien sicherlich auch wieder nicht, sonst könnte man sie nicht einfach für ein paar Wochen oder Monate bei Monsieur Bignon ausleihen, jede Ferien ein paar andere. Zur Zeit hingen drei düstere Expressionisten in Pauls Arbeitszimmer.
Warum hatte er das Panzerglas nie erwähnt?
Du hast nie danach gefragt, ging ihr Pauls Antwort schon im voraus durch den Kopf.
Ausgerechnet heute tauchte schon am frühen Vormittag die Schottin auf, noch dazu gerade dann, als sich Helen ein zweites Glas Wein eingießen wollte. In Anbetracht der Besucherin ließ sie es sein und machte sich daran, Kaffee aufzusetzen. Die Schottin wartete auf der Terrasse, auf Pauls Stuhl, obwohl der Morgen kühl und feucht war.
»Was hat es mit dieser Frau auf sich, mit dieser Dagmar?« fragte die Schottin in ihrer direkten Art.
Helen seufzte, während sie in ihrer Kaffeetasse rührte. »Sie ist… war eine Freundin. Zuerst war sie unsere Untermieterin, meine Mutter hatte ihr unser Dachzimmer vermietet. So haben wir uns kennengelernt. Sie hat dann aber den Studienort gewechselt und ist später tödlich verunglückt.«
»Welcher Art war das Unglück?«
»Sie hatte Drogen genommen und stürzte von der Dachterrasse eines hohen Hauses.«
»Drogen«, wiederholte die Besucherin gedehnt, dann lächelte sie schlau. »Ein paar Körnchen vom giftigen Nachtschatten, und einer hat die wunderlichsten Träume, ein paar Körnchen mehr, und er haucht sein Leben aus in tiefem Schlaf.«
Helen nickte. Ihre Gedanken waren woanders, ihre Kopfschmerzen kaum zu ertragen, aber sie lenkten wenigstens von dem anderen Schmerz ab, der in ihr wütete.
»Oder Beeren, Pilze, es gibt genug Mittelchen, die einem das Paradies oder die Hölle vorgaukeln. Diese heilige Johanna, die die Pferdefresser so verehren«, die Schottin machte eine abfällige Mundbewegung, »alles Scharlatanerie. Ihre Visionen, direkt vom Herrn im Himmel? Pah! Der Himmel hat damit nichts zu tun. Ihre Hirngespinste kamen von ganz irdischen Gewächsen, wie die meisten Visionen dieser Hexen.«
»So ähnlich war es auch mit Dagmar. So etwas passierte damals häufiger.«
Madame zuckte die Schultern. »Glaubt, was Ihr zu glauben wünscht.« Sie wies auf den Pflasterstein, der noch immer auf dem Tisch lag. »Sagte ich nicht, Ihr solltet Euch vorsehen?«
»Ja, das sagten Sie.«
Ihre Augen gingen durch Helen hindurch, ihr war, als leuchteten sie ihr Inneres aus wie ein Scheinwerfer eine Höhle, es war zwecklos, sie würde alles entdecken, auch das, was sich im hintersten Winkel verbarg, und schon sagte sie: »Ihr habt gestern viel roten Wein getrunken. Ihr riecht wie mein Vater, wenn er zuviel vom Kräuterteufel erwischt hatte.«
»Paul wird mich verlassen. Endgültig.«
Die Augen der Schottin, eben noch zwei scharfe Messer, bekamen einen weichen Glanz, ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Das ist gut«, sagte sie. »Ich freue mich für Euch!«
»Wie bitte?«
»Es wird Zeit, das Leben zu beginnen.«
»Welches Leben denn?«
»Eures. Aber seid vorsichtig. Da sind Männer, die gläserne Blicke auf Euch richten.«
Noch während Helen ihr Gegenüber verwundert ansah, hörten sie vom Dorf her erneut Schüsse.
»Die Jagdzeit fängt an«, sagte Helen müde.
»Die Jagdzeit hat längst begonnen«, antwortete die Dame.
»Nun sind die Hunde an der Reihe.«
»Die Hunde?«
»Jedes Jahr, wenn die Fremden fort sind, erschießen sie die Straßenhunde. Es werden sonst zu viele, sie verwildern und werden zur Gefahr, sagen sie. Aber ich glaube, es ist ihre angeborene Mordlust, die sie um die Häuser treibt. So waren sie schon immer«, urteilte die Schottin.
Helen sah sich in Panik um. Babbo! Wo war Babbo?
Der Richter kam sich albern vor, wie er da mit gebeugten Knien auf dem niedrigen Dachboden seines Schlafzimmers stand und durch die enge Dachluke mit dem Fernglas das Anwesen seiner Nachbarn beobachtete. Viel tat sich nicht. Vorhin saß die Hausherrin kurz auf ihrer Terrasse, eben sah er sie im Garten herumwandern, in schlottrigen Jeans und einem grauen TShirt, das auch eines von Paul hätte sein können.
Sie wirkte zerstreut, schien planlos etwas zu suchen, einmal glaubte er sogar, schwache Rufe zu hören. Von Paul Tauber war wieder nichts zu sehen gewesen. War er schon wieder zu Hause, in Darmstadt, oder auf einer Reise? Vom Dorf her und aus dem Wald tönten ab und zu Schüsse. Eigentlich wollte er heute eine Radtour machen, aber es schien sicherer zu sein, den ersten Schub des Jagdfiebers der einheimischen Bevölkerung abzuwarten. Der Tod durch eine Salve Schrot aus der Flinte eines Freizeitjägers schien ihm keine sehr angenehme Alternative zu seinem Vorhaben. Um seinen Augen etwas Erholung zu gönnen, ließ er seinen Blick am Horizont entlangschweifen. Das Meer leuchtete in trügerischem Blau. Gewitter und Sturm waren angekündigt worden, aber im Moment war die Welt noch sanft und freundlich. Ein schneeweißes Kreuzfahrtschiff zog am Horizont entlang. Er hatte Gerda immer eine Kreuzfahrt versprochen, später, nach seiner Pensionierung. In Ufernähe dümpelte ein Fischerboot vor sich hin, weiter draußen kreuzte ein größeres Schiff mit seltsamen Aufbauten. Ein Algenfischer, erkannte er, denn er hatte gestern abend im französischen Fernsehen eine Sendung über die Algenproduktion in der Bretagne gesehen, ein neuer Erwerbszweig, zukunftsträchtig.
Es herrschte extremes Niedrigwasser. Felsen, die man sonst nicht sah, ragten aus dem Wasser, es war sogar ein gut zehn Meter breites Stück Strand entstanden, das sonst nicht existierte. Die Luft roch nach altem Fisch. Der Richter hatte im Reiseführer gelesen, daß es im Frühjahr und im Herbst zu extremen Gezeiten kommen konnte, abhängig von der Stellung des Mondes zur Erde. Offenbar war heute so ein Tag.
Da trieb sich jemand zwischen den niedrigen, schroffen Felsen herum, die heute fast auf dem Trockenen standen. Dieser Spaziergänger war wohl schon wieder unterwegs. Immer wieder sah er ihn auftauchen und verschwinden. Suchte er Krebse, Schnecken, Muscheln, wie es die Einheimischen bei Ebbe taten? Dafür war es hier ungünstig, wer sich auskannte, sammelte am Badestrand, wo der Sandstreifen bei Ebbe über hundert Meter breit war. Der Richter hatte inzwischen keine Zweifel mehr: Der Mann beobachtete Taubers Haus. Immer wieder richtete er sein Fernglas darauf.
Er verließ seinen Posten, um sich zu strecken und in der Küche einen Kaffee zu trinken. Als er wieder Stellung bezog, hatte sich etwas getan. Ein Jeep parkte vor dem Gartentor. Der Richter stellte das Glas schärfer. Er kannte dieses Fahrzeug, er war ihm auf seinen Spaziergängen schon begegnet. Es gehörte diesem arroganten kleinen Dorfmacho, der auf alles schoß, was sich bewegte. Hinten im Wagen befand sich eine Stange, an die der Jäger seine Beute zu hängen pflegte. Wenn er sich nicht täuschte, hingen da – nein, das durfte nicht wahr sein! Hunde. Zwei tote Hunde. Der Richter hatte als Kind einen Rauhhaardackel besessen. Er verzog das Gesicht vor Ekel und Entsetzen. Der Jäger trat durch das Gartentor, das Gewehr geschultert. Er wurde von Pauls Frau aufgehalten. Die beiden standen am Tor und redeten. Sie wies auf das Gartentor, in der Art, wie man jemandem die Tür weist. Aber der Mann blieb. An ihrer Haltung veränderte sich etwas im Lauf des Gesprächs. Sie starrte zuerst zum Wagen des Mannes, dann auf sein Gewehr. Der Mann schien hämisch zu grinsen, soweit der Richter das durch sein Fernglas erkennen konnte. Von da an ging alles sehr rasch. Zu rasch, um alle Einzelheiten behalten zu können. Später, als er das Geschehen zu rekonstruieren versuchte, erwies er sich als unsicherer Zeuge.
»Was geschah dann?«
»Dann kam der Hund angerannt.«
»Woher kam der, was für ein Hund war das?«
»Der Hund, der sich öfter im Haus befand. Ein Mischling, mittelgroß, helles Fell, Schlappohren. Er kam aus dem Haus oder aus dem Garten, ich konnte es nicht sehen. Er umsprang den Besucher.«
»Auf welche Weise? Freute er sich?«
»Nein. Auf aggressive Weise. Ich konnte ihn bis zu mir bellen hören. Frau Tauber wollte den Hund ins Haus zurückscheuchen, das sah ich an ihren Gebärden, aber der Hund gehorchte nicht.«
»Hat der Hund den Mann angegriffen?«
»Nicht richtig. Er sprang nur bellend um ihn herum. Daraufhin hob der Mann seine doppelläufige Schrotflinte an die Schulter und zielte auf den Hund. Inzwischen gehorchte der Hund aber doch und trottete langsam auf das Haus zu. Es bestand also keine Notwendigkeit mehr, ihn zu erschießen, aber für einen blutrünstigen Sonntagsjäger war er in diesem Moment ein leichtes Ziel.«
»Herr Zeuge, bitte schildern Sie nur die Tatsachen, und verzichten Sie auf Charakterstudien. Wo befand sich Frau Tauber in dem Moment?«
»Sie stand neben dem Gartentor, etwa zwei oder drei Meter von dem Besucher entfernt. Dieser war dem Hund ein paar Schritte nachgegangen.«
»Hatte sie da schon den Pflasterstein in der...
Erscheint lt. Verlag | 3.8.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Agatha Christie • Beste deutsche Krimis • Bretagne • Cosy Crime • Frankreich Krimi • Hannover-Krimi • Krimis aus Frankreich • Liliane Fontaine • Psychothriller • Spannung für Frauen • Südfrankreich Krimi |
ISBN-10 | 3-492-98728-1 / 3492987281 |
ISBN-13 | 978-3-492-98728-8 / 9783492987288 |
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