Die große Zerstörung (eBook)

Was der digitale Bruch mit unserem Leben macht
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2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Duden (Verlag)
978-3-411-91312-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die große Zerstörung -  Andreas Barthelmess
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Google statt Gelbe Seiten, Uber-App statt Taxi-Stand, Tinder statt Disko. Alles ist neu und digital. Disruption, denken wir, ist ein technologischer Trend. Falsch! Sie ist das Phänomen unserer Zeit. Radikal wälzt sie unser Leben um. Parteien und Verbrennungsmotor sind tot, Nachkriegsdeutschland ist vorbei. Die Menschen fühlen sich überfordert, die Gesellschaft polarisiert sich und kippt. Künstliche Intelligenz und autonome Maschinen nehmen uns Arbeit und Selbstwirksamkeit. Der Staat zerbricht unter seiner Fürsorgelast. Facebook, Google und Chinas Datenmacht steuern auf einen globalen Staatsstreich zu. Doch im Bruch liegt auch die Lösung. Digitale Bewegungen wie #MeToo und Fridays for Future machen Hoffnung auf eine neue demokratische Weltordnung. Klar ist: National bewirken wir heute nichts mehr, wir brauchen einen globalen Ordnungsrahmen. Eine Utopie in Zeiten von Trump und Co? Nein. Dieses Buch macht konkrete Vorschläge, was wir jetzt tun müssen: Europa fasst Mut. In flexiblen Allianzen macht es sich auf zur globalen Bürgergesellschaft. Aus Old Europe wird Bold Europe. 'Ein Buch mit lauter Aha-Effekten. Man kommt gar nicht mehr davon los. Wer den Zeitgeist verstehen will und wissen will, wohin Wirtschaft und Gesellschaft steuern, muss dieses packende Buch lesen!' Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, ifo Institut München

Andreas Barthelmess, geboren 1979, ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist. Er lebt in Berlin. Berufliche Anfänge bei Roland Berger, den Vereinten Nationen in New York und bei Gruner + Jahr. Neben eigenen Start-ups baute er führende europäische Tech-Unternehmen mit auf, heute ist er Berater. Noch als Student gründete er den 'Think Tank 30' unter dem Dach des Club of Rome Deutschland. Barthelmess kommentiert das Zeitgeschehen regelmäßig für 'DIE ZEIT', 'Die Welt', 'NZZ', 'Handelsblatt', 'WirtschaftsWoche' und 'Spiegel Online'. Dies ist sein erstes Buch.

Andreas Barthelmess, geboren 1979, ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist. Er lebt in Berlin. Berufliche Anfänge bei Roland Berger, den Vereinten Nationen in New York und bei Gruner + Jahr. Neben eigenen Start-ups baute er führende europäische Tech-Unternehmen mit auf, heute ist er Berater. Noch als Student gründete er den "Think Tank 30" unter dem Dach des Club of Rome Deutschland. Barthelmess kommentiert das Zeitgeschehen regelmäßig für "DIE ZEIT", "Die Welt", "NZZ", "Handelsblatt", "WirtschaftsWoche" und "Spiegel Online". Dies ist sein erstes Buch.

2 TECHNISCHER FORTSCHRITT, GLOBALISIERUNG UND DIGITALISIERUNG

Disruption, so die These dieses Buches, ist überall. Sie ist das übergeordnete Geschehen unserer Gegenwart. Deshalb kennzeichnet sie heute nicht nur, wie es die ursprüngliche Verwendung des Wortes »Disruption« tat, Evolutions- und Marktphänomene, sondern alle Bereiche unseres Lebens: Politik und Gesellschaft, Freundschaft und Liebe, Kunst und Ernährung, Sport und Gesundheit, Partnerschaft und Sex.

Alle diese Bereiche lassen sich unter einen weit verstandenen Begriff von »Kultur« fassen. Kultur ist, was wir Menschen aus dem machen, was uns unausweichlich vorgegeben ist. Aber was ist uns vorgegeben? Die Natur, wie viele Philosophen angenommen haben? Das Schicksal? Die göttliche Ordnung? Das Chaos?

Mein Vorschlag lautet: der technologische Fortschritt. Er treibt uns an. Ja, richtig: Nicht wir treiben ihn an, sondern er uns – jedenfalls, nachdem wir ihn einmal angeschoben und in die Welt gebracht haben. Wie genau der technologische Fortschritt in die Welt kommt, wissen wir nicht, wohl aber, welche Eigendynamik er entfaltet, sobald er in Form einer Erfindung oder Entdeckung einmal da ist. Das Feuer zum Beispiel: Wahrscheinlich zuerst in die Höhle geholt, um zu wärmen, nutzte der Mensch es dann, um Fleisch und Grassamen zu garen. Das brachte ihn zum Getreideanbau, ließ ihn sesshaft werden, Kornspeicher errichten, Stadtmauern, Türme und Tempel. Ließ ihn Götter erfinden, Könige und das Bierbrauen – und am Ende die Schrift, um die Gesetze zu fixieren, die man für ein kultiviertes menschliches Zusammenleben braucht, besonders unter Alkoholeinfluss.

Oder das Rad: Irgendwie kommen die Sumerer im 4. Jahrtausend vor Christus auf das Scheibenrad. Vier Stück an eine Kiste montiert und einen Ochsen davorgeschirrt, kriegen die Sumerer eine Wagenladung Gerste viel schneller zur Brauerei transportiert, als wenn sie sie schleppen müssten. Doch aus dem Rad lässt sich mehr machen als nur ein Bierwagen. Eine clevere bronzezeitliche Steppenkultur ersetzt die Scheibe durch Speichen, baut einen zweirädrigen Renn- und Streitwagen und spannt Pferde davor. Dieses Gespann macht im 13. Jahrhundert vor Christus bei Hethitern, Assyrern und Ägyptern Kriegskarriere, verschiebt Reichsgrenzen oder radiert sie aus.

So kommt es schon früher zur Globalisierung, als der Begriff vermuten lässt. Denn Globalisierung ist ja nichts anderes als die wachsende Vernetzung über eine zunehmende geografische Distanz hinweg. Als gradueller, kontinuierlicher Prozess verläuft sie parallel zum technischen Fortschritt. Zugleich unterstützt sie ihn bei seiner Verbreitung. Das Rad hat auch deshalb eine so zentrale Rolle gespielt, weil es weitere Innovationen angestoßen und ermöglicht hat: den Straßenbau etwa, der wiederum verstärkten Handel bringt.

Historisch haben wir uns daran gewöhnt, den Beginn der Globalisierung in der frühen Neuzeit anzusetzen. 1488 entdecken die Portugiesen am Kap der Guten Hoffnung den Seeweg nach Indien, 1492 erreicht Kolumbus, ebenfalls auf der Suche nach Indien, Amerika: Das Zeitalter von globalem Überseehandel und kolonialer Ausbeutung beginnt. Tatsächlich jedoch findet Globalisierung schon seit Jahrtausenden statt. Alexander der Große bringt die griechische Kultur nach Indien. Die Römer bauen das erste Straßennetz, das die gesamte ihnen bekannte Welt umspannt. So konnten sie über eine Distanz von 5000 Kilometern einen Brief von Babylon nach Londinium schicken. Infrastruktur schafft Mobilität, vernetzt und entgrenzt. Schon in der Antike bezog China über die Seidenstraße römisches Glas, Rom importierte chinesische Seide.

Was heißt das für den Menschen? In dem Maße, wie die Welt kleiner wird, wächst sein Bezugssystem, also der soziale, kulturelle, ökonomische und politische Bezugsrahmen. Das ist eine der Grundannahmen dieses Buches: Im Zuge des technischen Fortschritts erweitern sich diese menschlichen Referenzsysteme. Die Tendenz zur Globalisierung hatten sie dabei immer schon. Dennoch wird die globale Dimension erst in der Neuzeit sichtbar. Das wiederum hat mit einer zweiten Grundannahme dieses Buches zu tun: der Beschleunigung. Wenn distanzverkürzende Medien wie Rad und Straße die Überwindung des Raumes bewirken, dann schlägt sich dieses Schrumpfen des Raumes als Beschleunigung auf der Zeitachse nieder. Anders gesagt: Wenn die Straßen in Schuss sind und alle paar Dutzend Kilometer frische Pferde bereitstehen, kommt der Brief aus Babylon schneller in London an.

Die Menschheit schreitet also immer schneller voran. Anfangs sieht das stetig linear aus, tatsächlich jedoch befinden wir uns in einer exponentiellen Funktion. So besagt etwa das in den 1960er-Jahren formulierte sogenannte Moore’sche Gesetz, dass sich die Rechenleistung von Computerprozessoren alle ein bis zwei Jahre verdoppelt. Nach einem Zyklus ist die Leistung doppelt so hoch wie zuvor, nach zwei Zyklen viermal, nach drei achtmal, nach vier 16-mal, nach fünf 32-mal und so weiter: exponentielles Wachstum eben. Wir kennen den Graphen dazu noch aus der Schule. Erst bewegt er sich mit kaum wahrnehmbarer Steigung quälend langsam, anscheinend linear auf der Y-Achse hoch. Endlich, da hat man schon drei Viertel der X-Achse hinter sich, nimmt er ein bisschen Fahrt auf, jetzt geht es langsam los nach oben – und, rums, ist der Graph schon fast senkrecht durch die Decke geschossen.

Das liegt auch an den supraleitenden Prozessoren, die künftig zum Einsatz kommen werden. Früher kannte jedes Bit nur zwei Zustände, 0 oder 1. Heute arbeiten Quantencomputer wie Sycamore von Google bereits mit sogenannten Qubits, die, einfach gesagt, viele verschiedene Werte annehmen können. Operationen, für die klassische Computer noch mehrere Hundert Jahre gebraucht hätten, rechnen Quantencomputer binnen Minuten.

Also lautet die dritte Grundannahme dieses Buches: In der großen Disruption geht auch der technische Fortschritt durch die Decke. In diesem Zeitalter leben wir heute.

Mitte des 15. Jahrhunderts revolutioniert Johannes Gutenberg das Druckwesen. Bis dahin hatte man Texte mit der Hand abgeschrieben. Bei einem dicken Buch kostete das viel Mühe, Zeit und Geld. Als Gutenberg den Buchdruck mithilfe beweglicher Lettern erfand, konnte man plötzlich ein einmal gesetztes Buch hundertfach drucken: so etwa die berühmte Gutenberg-Bibel. Ohne sie wiederum hätte sich die von Luther angestoßene Reformation nicht so schnell verbreiten können, wie es im 16. Jahrhundert geschah. Eine wichtige Rolle bei der Emanzipation vom autoritären Katholizismus und Papsttum spielten auch schnell und billig zu druckende Propaganda-Flugblätter, die den Papst als Esel oder mit Scheißhaufen in der Hand auf einer Sau reitend zeigten: »des Teufels Sau, der Papst«, so O-Ton Luther, der seine Tiraden heute sicher über Twitter raushauen würde. Schon mit der Druckerpresse gibt es also eine Art ökonomischen Netzwerkeffekt, wie wir ihn heute im Digitalen bei Facebook, Google und anderen beobachten.

Den aus der konfessionellen Spaltung Mitteleuropas entstandenen Dreißigjährigen Krieg hat Luther, all seiner Giftigkeit zum Trotz, genauso wenig gewollt wie Gutenberg. Und doch hatte die Revolution im Druckwesen erheblich Anteil an jener politischen Mobilisierung, deren Eskalation zum Krieg ein Drittel der Bevölkerung Mitteleuropas das Leben kostete. Technologische Innovationen können zu gesellschaftlicher Polarisierung, zu dramatischen sozialen Umbrüchen führen, bis hin zum Krieg.

Das gilt heute auch für Twitter. So hat der Watergate-Enthüller Bob Woodward in einem Interview mit dem US-amerikanischen Sender CBS erläutert, wie US-Präsident Donald Trump möglicherweise um ein Haar einen Tweet verschickt hätte, den Nordkorea als Kriegserklärung hätte deuten können: nämlich die Mitteilung, alle Angehörigen US-amerikanischer Soldaten aus Südkorea abzuziehen.

Heraklit meinte, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Ich finde, das gibt dem Krieg zu viel der Ehre. Zwar gibt es Erfindungen, die ausdrücklich vom Militär bestellt wurden – etwa die Konservendose, die auf eine Preisausschreibung Napoleon Bonapartes zurückgeht, oder das unter der Naziherrschaft entwickelte Düsenflugzeug. Tatsächlich ist es aber häufig umgekehrt so, dass sich das Kriegswesen neue Erfindungen unter den Nagel reißt und für seine Zwecke nutzt, etwa das von Alfred Nobel erfundene Dynamit. Nobel, zu Lebzeiten gelegentlich als »Kaufmann des Todes« bezeichnet, stiftete die Nobelpreise, darunter auch einen für den Frieden, ganz so, also wollte er damit den Geist, den er aus der Flasche gelassen hatte, wieder zurückholen.

Aber das ist unmöglich. So führt es uns schon die Literatur vor Augen. Goethes Zauberlehrling ruft, als der von ihm belebte Besen das Haus unter Wasser setzt: »Ach, da kommt der Meister! / Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / werd ich nun nicht los.« Genauso geht es Victor Frankenstein, wenn ihn das Monster, das er selbst erschaffen hat, rachsüchtig bis zum Nordpol verfolgt. In Friedrich Dürrenmatts groteskem Theaterstück Die Physiker gibt sich ein Wissenschaftler absichtlich als Irrer aus, um zu verhindern, dass seine Entdeckung zur atomaren Weltzerstörung führt.

Was gesagt ist, ist gesagt. Was entdeckt ist, ist entdeckt. Worte und Erfindungen lassen sich nicht zurücknehmen und ungeschehen machen. So eröffnet jede Erfindung neue Entwicklungsmöglichkeiten, die missbraucht – oder aber zum Wohle der Menschen verwendet werden können. Der Buchdruck hatte nicht nur Einfluss auf die Religionskriege in Europa, sondern auch unzählige positive Folgen für die Entwicklung der Menschheit. Ohne ihn hätte es in Europa...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2020
Reihe/Serie Duden - Sachbuch
Duden-Sachbuch
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Kommunikation / Medien
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 21. Jahrhundert • Demokratie • Deutschland • Digitalisierung • Disruption • Facebook • Fridays For Future • Gesellschaft • Globalisierung • Internet • Internet-Giganten • Kapitalismus • Künstliche Intelligenz • Politik • Selbstwirksamkeit • Social Media
ISBN-10 3-411-91312-6 / 3411913126
ISBN-13 978-3-411-91312-1 / 9783411913121
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