Einsamkeit -  Jakob Simmank

Einsamkeit (eBook)

Warum wir aus einem Gefühl keine Krankheit machen sollten
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
80 Seiten
Atrium Verlag AG Zürich
978-3-03792-171-5 (ISBN)
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Einsamkeit gilt heute als eine der am stärksten unterschätzten Gefahren für die Gesundheit. Wer einsam ist, heißt es, ist anfälliger für Krebs und erleidet eher einen Herzinfarkt. Was dabei aus dem Blick gerät: Einsamkeit ist keine Krankheit, Einsamkeit ist ein Gefühl. Wie Trauer ist sie elementarer Bestandteil des Menschseins und kein ausschließlich negatives Phänomen. Im Hinblick auf die damit verbundenen Gefahren muss vielmehr von sozialer Isolation gesprochen werden. Jakob Simmank zeigt in seiner Streitschrift, wie die so wichtige gesellschaftliche Debatte gezielt emotionalisiert wird. Schließlich lässt sich hinter starken Emotionen viel verstecken: schlichter Kulturpessimismus, aber auch weitreichende politische Versäumnisse. Dieses Buch offenbart, was sich wirklich hinter der ?Epidemie Einsamkeit? versteckt, und richtet den Blick auf die eigentlich wichtigen Fragen.

Jakob Simmank, geboren 1988, hat in Hamburg, Leipzig und Buenos Aires Medizin studiert und am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften promoviert, bevor er sich dem Schreiben widmete. Nach Stationen bei der ?Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung? und dem Magazin ?ZEIT Wissen? absolvierte er ein Wissenschaftsvolontariat bei ?ZEIT ONLINE,? wo er seit Januar 2018 Redakteur ist. Mit dem Thema der Einsamkeit beschäftigt er sich bereits seit mehreren Jahren intensiv.

Jakob Simmank, geboren 1988, hat in Hamburg, Leipzig und Buenos Aires Medizin studiert und am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften promoviert, bevor er sich dem Schreiben widmete. Nach Stationen bei der ›Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‹ und dem Magazin ›ZEIT Wissen‹ absolvierte er ein Wissenschaftsvolontariat bei ›ZEIT ONLINE,‹ wo er seit Januar 2018 Redakteur ist. Mit dem Thema der Einsamkeit beschäftigt er sich bereits seit mehreren Jahren intensiv.

Kapitel 1 Wie Einsamkeit zur »Krankheit« wurde


Wer einmal Paviane im Zoo oder in der Savanne Ostafrikas beobachtet hat, dem ist vielleicht aufgefallen: Die Primaten haben nicht nur klare Hierarchien, sondern sind auch soziale und liebevolle Wesen. Mütter nehmen ihre Kinder in den Arm, Väter spielen mit ihnen. Bis sie ein Jahr alt sind, sitzen die Pavianjungen auf dem Rücken der Mutter. Sie krallen sich mit ihren Händen im Fell fest oder umschlingen den Bauch der Mutter mit ihren Beinen, um nicht herunterzufallen. Es sind dabei aber nicht allein die biologischen Eltern, die sich um die Jungtiere kümmern. Schwestern und nichtverwandte Weibchen helfen sich gegenseitig dabei, ihre Kinder großzuziehen, und Männchen helfen, Essen zu besorgen. Das zeigt Wirkung. Je besser ein Weibchen es schafft, Beziehungen zu anderen Weibchen aufzubauen, je mehr Vertraute es gewissermaßen hat, desto größer ist die Chance, dass seine Kinder am Leben bleiben, erwachsen werden und selbst Nachwuchs bekommen[8].

Das Beispiel der Paviane ist deshalb so interessant, weil es uns etwas zeigt, das für die mit Pavianen eng verwandten Menschen genauso gilt, wahrscheinlich sogar noch stärker: Soziale Bindungen können für das Überleben elementar sein[9].

Und das hat Folgen: Wenn mehr Kinder aus Familien überleben, die besonders gut sozial integriert sind, setzen sich Gene durch, die Menschen sozialer machen. Das dürfte die Kultur des menschlichen Zusammenlebens geprägt haben, was sich wiederum auf unseren Genpool ausgewirkt haben wird. Diese Ko-Evolution von Kultur und Genen[10] hat den Menschen »ultrasozial« gemacht, sagen Biologen. Wenn der Mensch eines besonders gut kann, dann ist es, mit anderen zu kooperieren. Was abstrakt klingt, ist für das Verständnis der menschlichen Einsamkeit und ihrer möglichen Folgen essenziell.

Aber bleiben wir zunächst bei der »Ultrasozialität«. Noch stärker als Primaten sind wir Menschen auf Hilfe angewiesen, um unseren Nachwuchs (und damit unsere Gene) durchzubringen. Menschliche Kinder bedürfen besonders viel Zuneigung und Pflege, denn sie werden so unreif geboren wie die Jungen keiner anderen Säugetierspezies: Babys können zu Beginn des Lebens kaum sehen, sich nicht fortbewegen und kaum kommunizieren. Das Gehirn menschlicher Neugeborener hat einen Gutteil seiner Wachstumsschübe noch vor sich. Seine Größe wird sich im Laufe des Lebens vervierfachen[11]. Zum Vergleich: Ein Schimpansengehirn wächst gerade einmal auf die doppelte Größe an. Dass Menschen ihren Nachwuchs so unreif gebären, hat wohl einen ganz praktischen Grund. Hätte das Gehirn des Kindes seine endgültige Größe schon vor der Geburt erreicht, würde der Kopf niemals durch das Becken der Gebärenden passen.

Dass wir Menschen auch im Verhältnis zu unserer Körpergröße so große Gehirne haben, vor allem eine sehr dicke und ausgedehnte Hirnrinde, liegt daran, dass Menschen ein äußerst »soziales Gehirn« haben, glaubt der bekannte Anthropologe Robin Dunbar. Einen Großteil unserer Hirnkapazitäten brauchen wir, um die vielen komplizierten sozialen Interaktionen zu managen, die unser Überleben sichern[12]: um den genervten Unterton des Kassierers an der Kasse herauszuhören, die drohende Körperhaltung der Chefin, die einen Bericht erwartet, zu erkennen und die richtigen Worte zu finden, um dem eigenen Sohn zu erklären, warum seine vermeintlich beste Freundin ihn nicht zum Kindergeburtstag eingeladen hat.

Dunbar betont, dass für den Menschen eine Art der sozialen Beziehung besonders wichtig ist: »intensive Formen der Paarbindungen«. Er dürfte damit enge Familienbande meinen, bedeutsame Freundschaften und von Liebe und Verständnis getragene Partnerschaften. Sich Menschen zugehörig fühlen zu wollen sei ein evolutionär geformtes Bedürfnis, schreiben auch die Evolutionspsychologen Roy Baumeister und Mark Leary[13]. Alles in uns Menschen, glauben sie, strebt darauf hin, eng in soziale Netze integriert zu sein. Kein Wunder also, dass es vielen Menschen in Pandemiezeiten so schwerfällt, Distanz zueinander zu halten.

Der inzwischen verstorbene Einsamkeitsforscher John Cacioppo verglich das Bedürfnis, sich sozial aufgehoben zu fühlen, mit dem Drang, genügend zu essen und zu trinken zu haben und Kinder zu bekommen. Genau wie Hunger und Durst, schreibt Cacioppo in seinem Buch Loneliness, sei auch Einsamkeit ein evolutionär altes Alarmsignal. Sie signalisiere uns, dass wir in die Gruppe zurückkehren sollen, die uns Schutz bietet – ursprünglich, das heißt zu Beginn der Menschheitsgeschichte, vor Raubtieren und vor dem Verhungern.

 

Viele Psychologen wie Cacioppo halten Gefühlszustände primär für etwas, das in der Evolution entstanden ist, um unser Verhalten zu lenken. Ekel hält uns von verfaulten Speisen fern und schützt uns damit vor Infektionen mit Durchfallkeimen. Die Angst vor Blut lässt uns besonders vorsichtig auf einen Baum klettern, damit wir uns ja nicht den Arm aufratschen[14]. Und Freude oder Euphorie motiviert uns, angenehme Dinge wie Sex zu wiederholen. Einsamkeit – für Cacioppo vor allem das Gefühl, von anderen Menschen isoliert zu sein – erzeuge das Bedürfnis, in den Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren. Er schreibt:

»Das Gehirn hat sich dahingehend entwickelt, den Zustand des sozialen Körpers genauso zu überwachen wie den Zustand des physischen Körpers. So wie Schmerz als Signal dient, das uns auf Gefahren oder Schäden am physischen Körper hinweist und darauf reagieren lässt, dient Einsamkeit förmlich als Signal, das uns auf Gefahren oder Schäden am sozialen Körper hinweist und eine Antwort auf sie provoziert. […] Das unangenehme Gefühl der Einsamkeit veranlasst uns, den Anschluss [an die Gruppe] zu erneuern, und fördert Vertrauen, Gruppenzugehörigkeit und kollektives Handeln.«[15]

Im Optimalfall passiert also Folgendes: Das Alarmsignal Einsamkeit triggert ein Verhalten, der Mensch kehrt in die Gruppe zurück, das Bedürfnis nach Verbundenheit ist befriedigt, die Einsamkeit erlischt.

Nur was, wenn das nicht geschieht, wenn die Einsamkeit chronisch wird?

Dann beginnt ein Teufelskreis, der die Wahrnehmung von Menschen verändert, sie unter Dauerstress setzt und sie im schlimmsten Falle krank macht. Denn Einsamkeit führt noch zu etwas anderem, schreibt Cacioppo. Durch ihre Funktion als Gefahrensignal schärft sie unsere Aufmerksamkeit gegenüber jedwedem Risiko – auch in sozialen Situationen. Einsame Menschen sehen die Welt wie durch einen Schleier der Negativität. Sie hören in Gesprächen jeden noch so kleinen Fetzen Kritik und messen ihm mehr Bedeutung zu als nichteinsame Menschen. Sehen sie glückliche Menschen, macht ihnen das keine Freude, es kann ihnen sogar wehtun. Einsame Menschen sehen in den kleinen Nickligkeiten des Alltags – einer Steuernachzahlung, die höher ausfällt als erwartet, oder einer Absage eines Bekannten, mit dem sie essen gehen wollten – viel schneller große Probleme: den finanziellen Ruin oder das Ende der Freundschaft. Chronisch einsame Menschen können durchaus Freunde oder einen Partner haben. Aber sie lassen sich schlechter durch deren Unterstützung trösten[16]. Wer einsam ist, verliert sein Selbstwertgefühl. Das Gefühl, mit anderen verbunden zu sein, so Cacioppo, sei wie ein Gerüst für unser Selbst: »Beschädige das Gerüst, und der Rest des Selbst beginnt zu bröckeln.«[17]

Diese verzerrte Wahrnehmung wiederum führt in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Einsame Menschen schieben die Menschen von sich weg, denen sie eigentlich nah sein wollen. Weil einsame Menschen im Schnitt weniger von einem Treffen mit anderen Menschen erwarten und ihre Wahrnehmung der anderen Person negativer gefärbt ist, kommt es regelmäßig dazu, dass sie Zurückweisung erfahren. Wer einen Bekannten kritisiert oder bei einem Treffen wortkarg herummault, wird dafür natürlich keine Zuneigung bekommen[18].

Gefühlte Einsamkeit – das zu zeigen, ist Cacioppos große wissenschaftliche Errungenschaft – kann in einen Teufelskreis führen, der Menschen nur noch einsamer macht. Aber was für einen Sinn soll das Ganze evolutionär gehabt haben? Darauf hat die Wissenschaft noch keine schlüssige Antwort gefunden. Cacioppo vergleicht – einmal mehr, hier allerdings kaum überzeugend, finde ich – Einsamkeit mit Hunger. Zwar würden Menschen, die Hunger haben, Essen suchen. Ihr Geschmackssinn aber reagiere viel sensibler auf Bitterkeit als auf Süße. Ein bitterer Geschmack zeigt, dass etwas giftig sein könnte. Auch Interaktionen mit Menschen könnten buchstäblich giftig oder nahrhaft sein. Und für die Giftigkeit hätten wir nun einmal sensiblere Antennen.

 

Interessanter als die Frage, warum Einsamkeit in einen Teufelskreis führt, ist aber ohnehin die Frage, welche Folgen dieser Teufelskreis hat. Eine Frage, die uns zurück zu Cacioppos TED Talk führt, in dem er zeigt, dass Einsamkeit – der rote Balken – für die Gesundheit gefährlicher sei, als ein Alkoholproblem zu haben. Wir erinnern uns: Chronisch einsam zu sein, sei so gefährlich, wie jeden Tag fünfzehn Zigaretten zu rauchen. Nur wie kann das sein?

Um die Effekte der Einsamkeit auf die Gesundheit und unser Erleben zeigen zu können, entwickelten Wissenschaftler um John Cacioppo eine einfache Skala[19]. Die drei wichtigsten Fragen, auf die man mit »so gut wie nie«, »manchmal« oder »häufig« antworten kann, lauten:

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Erscheint lt. Verlag 21.8.2020
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Einsamkeitsforschung • Emotionalisierung • Epidemie • Essay • gesellschaftliche Debatte • Krankheit • soziale Isolation • Streitschrift • ZEIT ONLINE
ISBN-10 3-03792-171-4 / 3037921714
ISBN-13 978-3-03792-171-5 / 9783037921715
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