Rache der Verlierer (eBook)

Die Erfindung des Rechtsterrors in Deutschland
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
250 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8017-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rache der Verlierer -  Florian Huber
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Kehrt die Geschichte zurück? Die Geschichte des rechten Terrors in Deutschland begann nicht mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten, sondern mit einer Verschwörung gegen die deutsche Demokratie und einer blutigen Mordserie vor genau 100 Jahren. Die Täter in der frühen Weimarer Republik hatten schon die gleichen Motive, Ressentiments und Ziele wie die Rechtsterroristen von heute. Ihre tödliche Entschlossenheit beruhte auf Milieus und Gefühlswelten, auf Strukturen und Netzwerken, die überall wieder möglich und nie ganz verschwunden sind. Florian Huber spürt diesen Parallelen in einer spannenden Erzählung nach, die in der spektakulären Ermordung des deutschen Außenministers Walther Rathenau gipfelt. Er zeigt, wo sich Geschichte wiederholt - oder genauso weitergeht.

Florian Huber, geboren 1967, promovierte als Historiker zur Besatzungspolitik der Briten in Deutschland. Er ist der Autor von historischen Büchern wie Meine DDR. Leben im anderen Deutschland und Schabowskis Irrtum. Das Drama des 9. November. Als Filmemacher hat er preisgekrönte Dokumentarfilme zu zeitgeschichtlichen Stoffen produziert, darunter der Mauerfall, das mysteriöse Ende des Dichters Antoine de Saint-Exupéry sowie die Olympischen Spiele von 1936. Im Berlin Verlag erschienen Hinter den Türen warten die Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit und sein Bestseller Kind, versprich mir, dass du dich erschießt. Der Untergang der kleinen Leute 1945, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und von der Times unter die besten historischen Bücher des Jahres 2019 gewählt wurde.

Florian Huber, geboren 1967, promovierte als Historiker zur Besatzungspolitik der Briten in Deutschland. Er ist der Autor von historischen Büchern wie Meine DDR. Leben im anderen Deutschland und Schabowskis Irrtum. Das Drama des 9. November. Als Filmemacher hat er preisgekrönte Dokumentarfilme zu zeitgeschichtlichen Stoffen produziert, darunter der Mauerfall, das mysteriöse Ende des Dichters Antoine de Saint-Exupéry sowie die Olympischen Spiele von 1936. Im Berlin Verlag erschienen Hinter den Türen warten die Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit und sein Bestseller Kind, versprich mir, dass du dich erschießt. Der Untergang der kleinen Leute 1945, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und 2019 von der Times unter die besten historischen Bücher des Jahres 2019 gewählt wurde.

Hermann Ehrhardt war ein Verlierer. Zum Verlierer geboren war er jedoch nicht. Als er in jungen Jahren am Anfang seines Weges stand, begriff er, was von einem Mann wie ihm gefordert wurde, um in der Gesellschaft geachtet und erfolgreich zu sein. Innerhalb ihrer Grenzen und Möglichkeiten traf er eine Wahl, die gut zu ihm passte. Er spielte nach ihren Regeln und kam weit damit. Hermann Ehrhardt, Kind seiner Zeit, wollte nichts anderes sein als das, was er war. Er konnte nicht voraussehen, dass er seine Laufbahn einer Ordnung verschrieben hatte, die sich im Herbst 1918 innerhalb weniger Wochen in Nichts auflöste.

Als damit auch die Regeln verschwanden, an denen er sich ausgerichtet, und die Privilegien, die er sich auf diese Weise verdient hatte, brach für ihn alles auseinander. In dem Modell, das danach kam, fand er sich nicht wieder. Auch wenn er selbst es nicht so gesehen hätte, weil es nicht zu seinem Bild von einem deutschen Mann passte, weil er alle Kämpfe gewonnen zu haben glaubte und zudem eine verschworene Gefolgschaft hinter sich wusste, so gehörte Ehrhardt im neuen Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zu den Verlierern. Da er aber nicht bereit war, sich mit diesem Los wie ein Versager abzufinden, beschloss er, um seine Welt zu kämpfen mit Mitteln, wie er sie gelernt hatte. Das Schicksal des Verlierers und seine Weigerung, dieses anzunehmen, sollten sein weiteres Leben bestimmen, und nicht nur das seine. Dieser Weg führte ihn und viele andere aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand und darüber hinaus.

Seine Jugend hatte Hermann Ehrhardt in einem evangelischen Pfarrhaus am Rand des Südschwarzwalds verbracht. Wie Vater und Großvater sollte er Pastor werden, doch das vertrug sich schlecht mit seinem Temperament, in dem sich Stolz und Verletzbarkeit die Waage hielten. Im großen Zeitalter des Ehrgefühls im wilhelminischen Deutschland lernten schon die Kinder, um ihrer Ehre willen in den Ring zu steigen. Als er das Gymnasium besuchte, genügte dem Schüler Hermann dafür eine herablassende Bemerkung seines Schulmeisters. »Dieser Mensch höhnte mich noch, und die Klasse hinter mir grinste!« Der Schüler ohrfeigte seinen Lehrer und flog dafür von der Schule.

Drei Jahrzehnte später ließ Ehrhardt den Münchner Schriftsteller Friedrich Freksa einen biografischen Roman über sein Leben verfassen. Der Autor lässt den Erzähler in der ersten Person von sich sprechen, als führte Ehrhardt selbst die Feder. In der Episode um seinen Rauswurf aus dem Gymnasium deutet sich an, was diesen Mann später einmal zum Machtfaktor im Spiel um Deutschlands Zukunft werden ließ. Er zeigt sich hier als jemand, der einer Demütigung seinen Trotz entgegenstellt, der auf Rache sinnt, der in der Gewalt sein Mittel sieht und Konflikte aus dem Impuls heraus löst. Rücksichtnahme auf andere und Sorge um die eigene Sicherheit spielen eine untergeordnete Rolle. Damit wurde Hermann Ehrhardt zu einem Repräsentanten seiner Generation der Übergangszeit.

Weil ihm der Schwarzwald zu eng geworden war, entschied sich Ehrhardt für die kaiserliche Marine. Ende des 19. Jahrhunderts rückte diese ins Zentrum der deutschen Außenpolitik, in der sich die Überzeugung durchgesetzt hatte, der Kampf um Weltgeltung werde auf See entschieden. Die Deutschen mit Kaiser Wilhelm II. an der Spitze, die weder eine Hochseeflotte noch ein Kolonialimperium von Rang besaßen, wollten nicht weiter abseitsstehen. Das Flottengesetz von 1898 brachte ein Schiffsbauprogramm auf den Weg, das die kaiserliche Marine der ersten Seemacht Großbritannien ebenbürtig machen sollte. Dieser Traum von Größe bot für eine kämpferisch eingestellte Jugend die Aussicht auf Bedeutung und Glanz, und Hermann Ehrhardt wollte teilhaben an diesem Aufbruch. »Der Kaiser brauchte Seekadetten. In allen Zeitungen standen Aufforderungen zur Meldung. Drei oder vier Tage waren noch Frist bis zur Aufnahme für die Marineschule. Kurz entschlossen fuhr ich nach Kiel und bestand unter Aufbietung all meines Trotzes die Prüfung glücklich. Meine gute Mutter aber weinte sehr und sagte: ›Jetzt habe ich meinen Sohn verloren.‹«

Deutschlands Zukunft, hatte der Kaiser gesagt, liegt auf dem Meer. 1899 schlug Ehrhardt seine Laufbahn als Marineoffizier ein, die ihn mit den preußischen Werten imprägnierte: Wille zur Selbstbehauptung, Bewusstsein der Stärke, Verachtung des Todes und Verleugnung der eigenen Bedürfnisse. Sein erster Krieg, der Vernichtungsfeldzug gegen die aufständischen Herero in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1904, infizierte ihn mit dem Virus der Gewalt »wie ein elektrischer Schlag«. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war Ehrhardt aufgestiegen zum Kapitänleutnant, umgeben von Gleichgesinnten, mit einem gepflegten Privatleben in einem Villenviertel bei Wilhelmshaven. Der Schulversager hatte seine Heimat in der Marine gefunden, und diese konnte sich keinen besseren Gefolgsmann wünschen. Der Vater seiner Frau, die aus Hamburg stammte, war vermögend genug, dem jungen Paar in einem Villenvorort der Marinestadt Wilhelmshaven ein Häuschen zu bauen. Später zogen sie mit ihren Kindern weiter nach Kiel, wo es der Familie besser gefiel als im diesigen Wilhelmshaven. Ehrhardt war in der besten seiner Welten angekommen, und der Kaiser war ihm ein wunderbarer Herrscher.

Hermann Ehrhardt, um 1916

 

Männer wie er sahen im Krieg keine Bedrohung, sondern die Chance, sich auszuzeichnen und mit Deutschland zur Weltmacht aufzurücken. Ehrhardts Biograf schildert, wie er sich aus langweiligen Schreibtischpflichten heraus direkt auf ein Torpedoboot trickste. In der Seeschlacht am Skagerrak zwischen der britischen und der deutschen Flotte stieg er von seinem sinkenden Schiff auf ein anderes um und führte von dort umstandslos das Kommando weiter. Seinen eigenen Schilderungen zufolge ging Ehrhardt aus allen Gefechten als Sieger hervor. Ehrhardt der Entschlossene, der Eisenharte. Sein Ruf verbreitete sich über den Kreis seiner Männer hinaus, unter denen er höchsten Respekt genoss.

Auf einer zeitgenössischen Porträtaufnahme sieht man den zum Korvettenkapitän beförderten Ehrhardt im dramatischen Helldunkel, das an schmauchenden Pulverdampf denken lässt. Kerzengerade steht er da, die Uniform mit Ornat und drei goldenen Ärmeltressen, die Mütze mit Kokarde, Eichenlaub und Kaiserkrone wie aufs Haupt geschraubt. Senkrecht, fingerbreit der Kinnbart, ein waagerechter Strich der Schnurrbart, den Blick fest in die Linse. Für Kapitän Ehrhardt verlief alles nach Plan. Mit einer Niederlage rechnete er nicht. Verlierer sein, diese Möglichkeit hatte in seinen Vorstellungen keinen Platz.

Die meisten Deutschen hatten seit dem Sommer 1918, gebannt von den Schlagzeilen über eine Großoffensive, den Sieg vor Augen geglaubt, als die Nachrichten der ersten Novembertage sie aus ihren Illusionen rissen. Alles ging sehr schnell. In Kiel meuterten Matrosen, in München siegte die Revolution, in Berlin wurde gleich zweimal die Republik ausgerufen. In einem Wald in Nordfrankreich diktierten die Feinde den deutschen Unterhändlern den Waffenstillstand, während Kaiser Wilhelm II. in einem Sonderzug ins niederländische Exil davonrollte. Mit dem Monarchen verschwand ein System von Hierarchien aus Deutschland, das alle verinnerlicht hatten, vom Adligen und Offizier bis zum Angestellten, Arbeiter und Dienstboten. Millionen hatten sich für diese Ordnung in den Schützengräben und der Heimat aufgeopfert, um sie nun in ein paar novemberklammen Tagen zergehen zu sehen.

Das hatte etwas Unwirkliches, Unannehmbares an sich. Viele wähnten sich in einem nicht endenden Albtraum und, hinter dem Schleier der November-Ereignisse, einer Verschwörung finsterer Kräfte. Der Sohn eines kaiserlichen Beamten aus dem Berliner Villenvorort Zehlendorf schildert diese Stimmung: »Wir waren besiegt; aber das in seiner Existenz bedrohte Bürgertum und erst recht die in ihrer soldatischen Ehre gekränkten Offiziere sowie die ihrer Privilegien beraubte Aristokratie, sie alle weigerten sich, die Niederlage zu akzeptieren. Man fand sich mit der Tatsache, besiegt zu sein, nicht ab: Es grassierte die betrügerische Parole: ›Im Felde unbesiegt …‹ Man wähnte sich, durch die Machenschaften von Sozialisten und Juden, um den Endsieg betrogen. Man richtete sich in der Lebenslüge ein.«

Tief saß der Schock bei der kaiserlichen Marine. Das strategische Patt der Seemächte Deutschland und Großbritannien hatte sie im Krieg zu einer Nebenrolle degradiert. Während in den Feldern die Materialschlachten hin und her wogten, dümpelten ihre Großkampfschiffe die meiste Zeit vor Anker. Tatenlos zusehen zu müssen, wie die anderen ihren Krieg führten, hatte am Stolz der Offiziere genagt. Als wären sie damit nicht geschlagen genug, erhoben sich aus ihrer Mitte die Aufrührer, die die herrschende Klasse vom Sockel stürzten.

Mehr als tausend Matrosen der Hochseeflotte sahen allen Grund zu meutern. Obwohl der Waffenstillstand abzusehen war, hatte sich die deutsche Seekriegsleitung Ende Oktober 1918 zu einem Showdown gegen die britischen Verbände entschlossen, ein letztes Gefecht um der gekränkten Ehre willen, wodurch die Marine den Makel der Untätigkeit abstreifen konnte. Eine sinnlose Todesfahrt im Namen einer verlorenen Sache, so sahen es die Matrosen und verweigerten den Befehl. Zuerst in Wilhelmshaven und kurz darauf in Kiel, den wichtigsten Marinehäfen, erhoben sich Tausende gegen ihre Führung, was im preußisch gedrillten Militär ein Vorgang ohne Beispiel war. Bald griffen die Unruhen auf andere Städte über und führten zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten. Die Revolution war ausgebrochen in Deutschland, und die Marine war ihr Ausgangspunkt.

Hermann Ehrhardt erlebte in wenigen Tagen den Untergang seines Weltbilds. Er konnte...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 1913 • Anders Breivik • Ausgrenzung • Bestseller • Bestsellerautor • Bewaffneter Kampf • Breivik • Brenton Tarrant • Christchurch • Demokratiefeinde • deutsche Heimat • Diktatur • Faschismus • Geheimbund • Geheimbünde • Gewalt von rechts • Hanau • Hate speech • Heimat • Heinrich Schulz • Heinrich Tillessen • Kalte Heimat • Lügenpresse • Mordserie • Mythos der Tat • Nationalismus • Nationalsozialismus • Neonazis • NSU • Organisation Konsul • politischer Aktivismus • politischer Anschlag • Politischer Mord • rechte Gewalt • rechter Rand • Rechter Terror • Rechtsextreme • Rechtsradikale • rechtsterror • Rechtsterrorismus • Rechtsterrorist • Revolution • System • Terror • Terrorismus • Totalitarismus • Verschwörung • Verschwörungstheorie • Verschwörungstheorien • Volksverhetzung • Volksverräter • Walter Lübcke • Walther Rathenau • Weimarer Republik
ISBN-10 3-8270-8017-7 / 3827080177
ISBN-13 978-3-8270-8017-2 / 9783827080172
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