Die Bibliothekarin von Auschwitz (eBook)

Roman nach einer wahren Geschichte
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2020 | 1. Auflage
464 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99714-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Bibliothekarin von Auschwitz -  Antonio Iturbe
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Ein Ort des Schreckens. Acht Bücher, die alles ändern. Im alles verschlingenden Morast des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau hat der Blockälteste Fredy Hirsch heimlich eine Schule aufgebaut. Ihr wertvollster Besitz sind acht alte, zerfallene Bücher. Fredy ernennt die 14-jährige Dita zur Bibliothekarin, sie soll die verbotenen Bände künftig verstecken und schützen. Dita, die schon früher Trost in Büchern gefunden hat, kümmert sich mit äußerster Hingabe um 'ihre' kleine Bibliothek. Und die Bücher geben zurück: Sie schenken Licht, wo nur noch Dunkelheit zu sein scheint, und bieten einen Anker, wo der Schmerz zu übermannen droht. Die Bücher begleiten Dita und die anderen Häftlinge durch die Zeiten der größten Verzweiflung, bis wieder ein neuer Hoffnungsschimmer zu erkennen ist. Eine ergreifende Auschwitz-Geschichte über die Magie der Bücher, erzählt nach einer wahren Begebenheit.

Antonio Iturbe, geboren 1967, wuchs in Barcelona auf und hat bereits zahlreiche Bücher für Kinder und Erwachsene verfasst. Als Kulturjournalist hat er unter anderem für El Periódico gearbeitet, derzeit leitet er das Literatur- und Kulturmagazin Librújula, schreibt für El País und unterrichtet an der Universitat de Barcelona sowie der Universidad Autónoma de Madrid.

Antonio Iturbe, geboren 1967, wuchs in Barcelona auf und hat bereits zahlreiche Bücher für Kinder und Erwachsene verfasst. Als Kulturjournalist hat er unter anderem für El Periódico gearbeitet, derzeit leitet er das Literatur- und Kulturmagazin Librújula, schreibt für El País und unterrichtet an der Universitat de Barcelona sowie der Universidad Autónoma de Madrid. "Die Bibliothekarin von Auschwitz" war ein international gefeierter Erfolg.

Kapitel 1


Auschwitz-Birkenau, Januar 1944

Die Offiziere tragen Schwarz. Sie begegnen dem Tod mit der Gleichgültigkeit von Totengräbern, und sie haben keine Ahnung, dass Alfred Hirsch über diesem alles verschlingenden Morast eine Schule gegründet hat. Sie wissen es nicht, und sie dürfen es nicht wissen. In Auschwitz gilt ein Menschenleben weniger als nichts, so wenig, dass man die Leute nicht einmal erschießt, denn Kugeln sind wertvoller als Menschen. In Auschwitz hat man Gemeinschaftsräume, in die Zyklon-B geleitet wird, weil das kostengünstig ist und man mit einem einzigen Kanister davon mehrere Hundert Menschen töten kann. Der Tod ist hier zu einer Industrie geworden, die sich nur auszahlt, wenn man sie im großen Maßstab betreibt.

Die Klassenzimmer in dem Bretterverschlag bestehen nur aus einer Ansammlung von Schemeln. Es gibt keine Wände, auch die Tafeln sind unsichtbar, und die Lehrer malen mit ihren Händen gleichschenklige Dreiecke in die Luft, Zirkumflexe und sogar den Verlauf der Flüsse Europas. Etwa zwanzig Grüppchen von Kindern werden hier unterrichtet, jedes von einem eigenen Lehrer. Die einzelnen Gruppen haben so wenig Abstand voneinander, dass die Lehrer flüsternd unterrichten müssen, damit die Erzählung von den zehn ägyptischen Plagen nicht mit dem Rhythmus des Einmaleins durcheinandergerät.

Viele hielten das hier für unmöglich, in ihren Augen war Hirsch ein Verrückter. Wie sollte man Kinder in einem grausamen Vernichtungslager unterrichten, in dem alles verboten war? Aber Hirsch lächelte nur das für ihn so typische, rätselhafte Lächeln, so, als wüsste er etwas, das den anderen verborgen war. Es spielt keine Rolle, wie viele Schulen die Nazis schließen, pflegte er zu antworten. Wann immer jemand in einer Ecke steht und etwas erzählt und dabei ein paar Kinder um ihn herumstehen und ihm zuhören, ist dort eine Schule gegründet worden.

Die Tür zur Baracke fliegt auf, und Jakopek, der Aufpasser, läuft zur Kammer des Blockältesten Hirsch. Seine Holzschuhe hinterlassen eine Spur feuchter Lagererde, und die angenehme Sicherheit in Block 31 ist dahin. Von ihrer Ecke aus starrt Dita Adlerova wie hypnotisiert auf die Erdbröckchen. Sie wirken so unbedeutend, aber sie verunreinigen den Boden genauso, wie ein einziger Tropfen Tinte eine Schüssel Milch ruiniert.

»Sechs, sechs, sechs!«

Es ist das Signal, dass die SS im Anmarsch ist, und ein Raunen geht durch die Baracke. In dieser Vernichtungsmaschinerie namens Auschwitz-Birkenau, wo die Öfen Tag und Nacht Leichen verbrennen, ist Block 31 untypisch, eine Anomalie sogar. Er ist ein Triumph für Fredy Hirsch, der früher einmal als Sportler Kinder trainiert hat und jetzt in Auschwitz einen Hindernislauf gegen die größte Todesfalle der Menschheitsgeschichte absolviert. Er konnte die deutsche Lagerleitung davon überzeugen, dass die Eltern im Lager BIIb besser arbeiten können, wenn man die Kinder in einer Hilfsbaracke unterbringt. Der Abschnitt BIIb heißt auch »Familienlager«, weil Kinder im restlichen Lager so selten wie Vögel sind. In Auschwitz gibt es keine Vögel; sie gehen an den Elektrozäunen zugrunde.

Die Lagerleitung hat dem Bau einer Kinderbaracke zugestimmt, möglicherweise war es auch von Anfang an so geplant. Die Bedingung war, dass nur spielerische Aktivitäten stattfinden; alles Schulische ist ausdrücklich verboten.

Hirsch, der Blockälteste, steckt den Kopf aus der Tür seiner Kammer. Er muss kein Wort sagen, weder zu seinen Gehilfen noch zu den Lehrern, die alle zu ihm hinsehen. Sein Nicken ist kaum wahrnehmbar. Sein Blick ist ein Befehl. Er tut stets das, was nötig ist, und erwartet das Gleiche von allen anderen.

Der Unterricht ist vorbei, banale deutsche Kinderlieder, Spiele und Rätsel ersetzen ihn, damit es so aussieht, als hätte alles seine Ordnung, wenn die arischen Wölfe hier auftauchen. Normalerweise betritt die aus ein paar SS-Männern bestehende Patrouille zwar die Baracke, bleibt jedoch am Eingang stehen und sieht den Kindern zu. Manchmal klatschen die Männer Beifall zu einem Lied oder tätscheln einem kleinen Kind den Kopf. Anschließend setzen sie ihre Runde fort.

Aber Jakopek fügt dem üblichen Alarm noch etwas hinzu: »Inspektion! Inspektion!«

Inspektionen sind etwas völlig anderes. Man muss sich aufstellen, es gibt Durchsuchungen, manchmal werden die Kleinsten ausgefragt, in der Hoffnung, dass sie durch ihre Naivität etwas verraten. Bisher ohne Erfolg. Die Kleinsten begreifen mehr, als man denken würde.

»Der Priester!«, flüstert jemand, und ängstliches Gemurmel geht durch die Baracke. »Der Priester« ist ein Unteroffizier der SS, ein Oberscharführer, der im Gehen die Hände immer in die Ärmelaufschläge seiner Uniformjacke steckt wie ein Geistlicher, auch wenn er nach allem, was man weiß, nur der Religion der Grausamkeit huldigt.

»Los, los, los! Juda, sag ›Ich sehe was, was du nicht siehst …‹!«

»Und was soll ich sehen, Herr Stein?«

»Einfach irgendetwas, Kleiner, ganz egal was!«

Zwei Lehrer heben verängstigt die Köpfe. Sie halten etwas in ihren Händen, das in Auschwitz streng verboten ist und das, wenn man es bei ihnen fände, einem Todesurteil gleichkäme. Mit diesen Gegenständen, die so gefährlich sind, dass ihr Besitz die Höchststrafe nach sich zieht, kann man nicht schießen und genauso wenig hauen, stechen oder schneiden. Was die erbarmungslosen Wachen des Reichs so sehr fürchten, sind nur Bücher – so alt, dass ihr Einband sich schon auflöst, zerfleddert und ramponiert, wie er ist. Aber die Nazis sind hinter ihnen her, sie jagen und verbieten sie obsessiv. In der Geschichte der Menschheit war dieses Merkmal allen Diktatoren, Tyrannen und Unterdrückern gemeinsam, ob sie nun arischer, afrikanischer asiatischer, arabischer, slawischer oder sonstiger Herkunft waren. Ob sie für die Volksrevolution, die Privilegien der herrschenden Klasse, für das Wort Gottes oder die militärische Ordnung kämpften und ganz gleich, welche Ideologie sie vertraten, in diesem Punkt waren sie alle gleich: Immer kämpften sie erbittert gegen das geschriebene Wort. Bücher sind gefährlich, weil sie Menschen zum Denken bringen.

Die einzelnen Gruppen haben ihre Plätze eingenommen, sie singen und spielen und warten auf die Wachen, aber ein Mädchen stört die Harmonie des beschaulichen Zeitvertreibs und rennt wild durch die Kreise aus Schemeln.

»Setz dich hin! Was soll das? Bist du übergeschnappt?«, schreien die anderen sie an. Ein Lehrer will sie am Arm festhalten, aber sie reißt sich los und läuft weiter, anstatt still zu sitzen und keinen Verdacht zu erregen. Dabei wirft sie einen Schemel um, und das Poltern bringt für einen Augenblick alle Aktivitäten zum Erliegen.

»Verflixte Göre! Du wirst uns noch alle verraten!«, schreit Frau Krizková sie an, rot vor Wut. Die Kinder nennen sie unter sich den »Truthahn«. Natürlich weiß sie nicht, dass sich eben das Mädchen, das sie gerade ankeift, diesen Spitznamen ausgedacht hat. »Setz dich zu den anderen Gehilfen, du dummes Ding!«

Aber das Mädchen bleibt nicht stehen, es rennt weiter, ohne auf die bösen Blicke zu achten, die schmächtigen Beine in den gestreiften Kniestrümpfen fliegen durch den Raum. Viele Kinder beobachten sie fasziniert. Sie ist sehr dünn, ohne schwächlich zu sein, und hat halblanges, braunes Haar, das von einer Seite zur anderen fliegt, während sie im Slalom durch die Gruppen läuft. Dita Adlerova bewegt sich inmitten von mehreren Hundert Menschen, aber sie läuft allein. Im Zickzacklauf gelangt sie in die Mitte der Baracke und drängt sich in eine Gruppe.

Verblüfft sieht die Lehrerin aus Brünn, wie die junge, keuchende Bibliothekarin vor ihr stehen bleibt. Dita, die weder Zeit noch Luft genug hat, um etwas zu sagen, reißt ihr das Buch aus der Hand, und die Lehrerin ist unvermittelt erleichtert. Als sie sich einen Moment später bedanken will, ist Dita schon ein paar Schritte weiter. Nur noch ein paar Sekunden, dann werden die Nazis da sein.

Ingenieur Maródi, der das Manöver mitbekommen hat, passt sie am Rand seiner Gruppe ab. Während sie weiterläuft, übergibt er ihr das Algebrabuch, als wäre es der Stab in einem Staffellauf. Dita flitzt zu den Gehilfen, die im hinteren Teil der Baracke so tun, als würden sie den Boden fegen. Noch im Lauf registriert sie, wie das Gemurmel in den Gruppen leiser wird, es flackert wie eine Kerzenflamme, wenn das Fenster geöffnet wird. Sie muss sich nicht umdrehen – sie weiß, dass die Tür aufgegangen ist und die SS-Wachen da sind. Sofort lässt sie sich zu Boden fallen, inmitten einer Gruppe elfjähriger Mädchen. Sie schiebt die Bücher unter ihren Kittel und verschränkt die Arme über der Brust, damit sie nicht herunterfallen. Die Mädchen beobachten sie aus dem Augenwinkel, während die Lehrerin ihnen hektisch zunickt, damit sie weitersingen. Dann sind die SS-Leute da. Ein paar Sekunden nehmen sie alles in Augenschein, dann brüllen sie eines ihrer Lieblingswörter: »Achtung!«

Es wird totenstill. Der Singsang und das »Ich sehe was, was du nicht siehst« brechen ab. Niemand rührt sich. Aber inmitten der Stille hört man, wie jemand deutlich erkennbar die Fünfte Sinfonie von Beethoven pfeift. Der Priester ist ein Furcht einflößender Unteroffizier, aber selbst er wirkt nervös, denn heute wird er von einem noch unheimlicheren Mann begleitet.

»Gott steh uns bei«, hört Dita die Lehrerin flüstern.

Ditas Mutter hatte vor dem Krieg ein Klavier, weshalb sie Beethoven sofort erkennt. Diese Sinfonie hat sie schon einmal jemanden auf diese ganz eigene und präzise Art eines Musikliebhabers pfeifen hören, wird ihr klar. Es war...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2020
Übersetzer Karin Will
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Augenzeugenbericht • Auschwitz • Auschwitz-Birkenau • Auschwitz Buch • Bergen-Belsen • Biografischer Roman • Bücher • Bücher verstecken • Buch über Bücher • Deportation • Der Junge im gestreiften Pyjama • Der Tätowierer von Auschwitz • Dita Kraus • Gefangene • geheime Bibliothek • Geheimnis • Häftling • Heather Morris • Historischer Roman • Hoffnung • Holocaust • Holocaust-Biografie • Jude • Judenverfolgung • Jüdin • Konzentrationslager • KZ • Liebe • Mädchen • Mut • mutige Frauen • Nationalsozialismus • Nazis • Otto Kraus • Polen • Roman nach einer wahren Begebenheit • the librarian of auschwitz • Überlebender • Wahre Begebenheit • Wahre GEschichte • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-492-99714-7 / 3492997147
ISBN-13 978-3-492-99714-0 / 9783492997140
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