Das Juliusspital. Ärztin aus Leidenschaft (eBook)
576 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45403-9 (ISBN)
Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Würzburg und Leipzig. Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause. Besuchen Sie die Autorinnen unter: www.beinertschwestern.de www.facebook.com/beinertschwestern
Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Würzburg und Leipzig. Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause. Besuchen Sie die Autorinnen unter: www.beinertschwestern.de www.facebook.com/beinertschwestern Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Leipzig. Dr. Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause. Besuchen Sie die Autorinnen unter: www.beinertschwestern.de www.facebook.com/beinertschwestern
3
Oktober 1850
Es gibt diesen einzigartigen Schrei, den eine Frau von Tausenden von anderen unterscheiden kann: den Schrei ihres Kindes. Sie vergisst ihn selbst dann nicht, wenn sie ihr Kind nach der Niederkunft kein einziges Mal anschauen, geschweige denn im Arm halten durfte.
Gestern hatte Viviana diesen einzigartigen Schrei von ganz hinten aus dem Klausurtrakt gehört. Über den zugigen Klostergang hinweg war er bis in ihre Zelle gedrungen. Ihr Kind war also noch nicht an Adoptiveltern gegeben worden. Seit dem Schrei wollte sie ihr Kind wenigstens ein einziges Mal sehen.
Beim Geläut der Kirchenglocken richtete Viviana sich unter Schmerzen auf der Holzpritsche auf. Ihr Körper war noch von der Geburt geschwächt. Sie horchte auf die Geräusche draußen im Flur. Schritte entfernten sich. Die Schwestern des Ordens, die Gäste und Schülerinnen begaben sich zum Abendgebet in die Klosterkirche. Als bettlägerige Wöchnerin war Viviana von dieser Pflicht befreit.
Sie schob die Wolldecke beiseite und setzte die Füße auf den kalten Steinboden. Eine Schmerzwelle durchflutete ihren Körper. Seit der Geburt vor vier Tagen litt sie unter Nachwehen. Man hatte ihr, der Nummer fünfzehn, gesagt, dass die Krämpfe bald nachlassen würden. Viviana versuchte, regelmäßig zu atmen, damit der Schmerz verging. Ein und aus. Ein und aus.
Keines der Fräuleins, die mit ihr hier waren, wurde mit seinem Namen angeredet. Wer hier entband, legte seine Identität beim Überschreiten der Pforte ab und nahm sie erst wieder an, wenn der Bauch der Sünde nicht mehr zu sehen war und die Familie das Mädchen nach der Geburt zurücknahm wie eine reparierte, aufpolierte Gerätschaft. Für Viviana war geplant, dass sie nach der Geburt für einige Wochen nach Italien reisen sollte, damit man auf diese Weise ihre lange Abwesenheit von zu Hause erklären konnte.
Viviana stützte sich an der Pritsche ab und atmete weiter tief ein und aus. Allmählich ließ sich der Schmerz besser ertragen. Ihre Gedanken klärten sich. Die Abendmesse dauerte selten länger als eine Stunde. Das wusste sie mit Sicherheit, weil sie, seitdem sich ihr Bauch unübersehbar wölbte, die Messen täglich mitgefeiert hatte. Bis das Fruchtwasser abgegangen war. Viviana trat von der Pritsche weg. Sie versuchte, sich auf ihre Gedanken und nicht auf die Nachwehen zu konzentrieren. Oberin Ignatia, die Ordensvorsteherin, würde erst nach dem Abendgebet ihren nächsten Rundgang durch die Zellen der gefallenen Mädchen machen. Die Frau in Zelle siebzehn litt unter schlimmen Schmerzen. Sie mussten von Krämpfen oder Anfällen ausgelöst werden, die von herzzerreißenden Schreien begleitet wurden, welche sogar die heilkundige Schwester aus der Messe herbeizurufen vermochten.
Der Schrei ihres Kindes erklang erneut und schmerzte Viviana schlimmer als die Nachwehen. Mit steifen Bewegungen legte sie ihren Krankenkittel ab, stieg in einen Rock und zog ein zartes Unterhemd über ihre prallen, mit Milch gefüllten Brüste. Mit zitternden Händen band sie ihre Schnürstiefeletten und steckte das widerspenstige, gelockte Haar zu einem losen Knoten am Hinterkopf zusammen. Mama würde sie für diese Liederlichkeit tadeln.
»Es gab nie und wird nie einen Bastard in der Familie Winkelmann geben!«, waren Mamas letzte Worte gewesen, bevor sie ihr Vater ins Kloster gebracht hatte. Während der Kutschfahrt hatte er kein Wort mit ihr gesprochen, sondern stumm in irgendwelchen Unterlagen aus dem Bankkontor geblättert. Viviana spürte, wie ihr die Tränen kamen. So viele Monate war sie nun schon von ihrer Familie getrennt. So viele Monate fühlte sie sich schon wie eine Ausgestoßene. Das viele Alleinsein hatte sie ganz lethargisch werden lassen. Allein der Gedanke an ihr Kind hatte sie aufrechterhalten.
Viviana öffnete die Zellentür und spähte in alle Richtungen. Niemand war zu sehen. So gut es mit dem noch nicht verheilten Dammriss möglich war, ging sie zum Ende des Ganges und bog um die Ecke. Dort nahm sie den Schlüssel zur Klausur, der in der Nische mit der Statuette der heiligen Angela lag, heraus.
Etwas zögerlich, weil es strengstens untersagt war, öffnete sie die Tür zum Gebäudetrakt, der allein den Ordensfrauen vorbehalten war. Verzeihen Sie mir!, bat sie Oberin Ignatia gedanklich und sprach dann ein Gebet: »Herrin des Frankenlandes, heilige Maria, leuchte hinab allen, die verzweifelt sind und deine Unterstützung brauchen.«
Eine erneute Schmerzwelle ging durch ihren Körper, sodass sie stehen bleiben musste. Ein Warnung Mariens, ihre Familie kein zweites Mal zu enttäuschen? Sie lehnte sich gegen die Klausurwand und holte tief Luft. Sie konzentrierte sich ganz auf ihre Atmung und blendete den Schmerz aus. Nach einigen Atemzügen ging es wieder. Und wieder schrie ihr Kind, als spürte es ihre Nähe.
Mit zusammengebissenen Zähnen schaffte Viviana es bis ans Ende des Klausurganges. Das Blut pochte ihr in den Schläfen, und sie wollte losweinen vor Erschöpfung und Sehnsucht. Nun war der eine einzigartige Schrei ganz nah. Hinter der linken Tür lag ihr und Pauls Kind, welches sie nun gleich sehen und berühren würde.
Sie trat ein. Vier Körbe standen in der dunklen Zelle. Ohne zu zögern, ging sie auf den hintersten unter dem rechten Zellenfenster zu. Die Schreie des Kindes im Korb verstummten, als sie sich näherte. Viviana beugte sich über den Korb und betrachtete den Säugling, der bis zum Hals in eine Decke eingeschlagen dalag. In den Augen des Kindes glitzerten nach dem vielen Schreien noch die Tränen. Es schien die tiefblauen Augen der Winkelmann-Frauen geerbt zu haben, sofern sich die Farbe nicht noch änderte. Ihre Mutter, Tante Constanze, Großmama Ernestine und sie selbst hatten allesamt tiefblaue Augen.
Viviana war überwältigt. »Ich habe ein Mädchen geboren«, flüsterte sie. Aller Schmerz und alle Verzweiflung waren in diesem Moment vergessen. Sie schlug die Decke beiseite. Im Vergleich zum restlichen Körper schien ihr das Köpfchen ihres Mädchens mit den dunklen Haaren sehr groß, ebenso die Augen mit den langen schwarzen Wimpern. »Du bist wunderschön, kleiner Schmetterling.« Die Säuglingshaut schimmerte porzellanweiß, fast durchsichtig. Die Kleine war zwei Wochen zu früh gekommen.
Viviana lächelte traurig und wickelte das Kind wieder in die Decke ein, im Kloster war es überall zugig. Ganz vorsichtig, als berühre sie einen zerbrechlichen Gegenstand, streichelte sie die Wange ihres Kindes. »Du bist eine echte Winkelmann.« Die Kleine strampelte vor Begeisterung unter der Decke mit den Beinchen. Vivianas Wunsch, ihr Kind einmal in den Armen zu halten, wurde übermächtig. Der Kontakt zwischen Mutter und Kind war streng verboten!
Das kleine Mädchen lächelte, als Viviana es aus dem Korb hob. Zwar war es dunkel in der Zelle, aber Viviana meinte, jede Regung genau zu erkennen. »Meine Tochter«, sagte sie leise, aber voller Stolz. Die Kleine lächelte nur weiter.
Viviana drückte den zarten Körper ihrer Tochter vorsichtig an sich. Wie klein und verwundbar er doch war. Ein bisher ungekanntes Gefühl überkam sie. Noch nie zuvor hatte sie sich einem Menschen derart verbunden gefühlt, noch nie den Wunsch gehabt, jemanden beschützen und immer für ihn da sein zu wollen. Um jeden Preis.
Ein Schmerzschrei aus der Zelle Nummer siebzehn riss Viviana aus ihrer Versunkenheit. Plötzlich war sie unsicher, ob sie ihre Zellentür hinter sich zugezogen hatte. Sie presste sich ihr Kind vor die Brust und ging zum Korb zurück. Sie musste zurück in ihre Zelle, bevor die Oberin ihren abendlichen Rundgang machte. Noch einmal betrachtete sie ihre Tochter. Die schrie wieder, als sie sie zurück in den Korb legte. Es zerriss Viviana das Herz. Sie wollte sie auch nicht hergeben.
Aufgeregt hob sie ihre Tochter wieder aus dem Korb heraus. Viviana wiegte sie, woraufhin das Schreien sofort aufhörte. Unruhig schaute Viviana zur Zellentür, und auf einmal war alles ganz klar und ihre Entscheidung getroffen: Jeden Tag, den die Kleine länger im Kloster blieb, könnte sie von neuen Eltern abgeholt werden. Dann würde Viviana sie nie wiedersehen. Kurz entschlossen wickelte Viviana ihre Tochter in die Decke aus dem Korb, öffnete die Tür und schaute in den Klausurgang. Noch immer war niemand zu sehen und nichts zu hören, selbst die Schreie aus der Zelle mit der Nummer siebzehn waren verstummt.
Mit ihrer Tochter im Arm verließ Viviana die Säuglingszelle. Sie überschlug die ihr noch verbleibende Zeit bis zum Ende des Abendgebets. Mehr als fünf Minuten würden ihr wohl nicht mehr bleiben.
Am Ende des Ganges angekommen, legte sie den Schlüssel für die Klausur wieder in die Nische mit der Statuette der heiligen Angela zurück. Im selben Moment drang auch schon das Orgelstück »Post benedictionem«, das Abschlusslied der Messe, an ihr Ohr.
In der Zelle mit der Nummer fünfzehn zurück, legte sie ihr Kind auf ihr Bett, das überraschenderweise keinen Laut mehr von sich gab. Dann zog sie sich ihre Miederjacke über, stieg in einen zweiten Rock und zerrte ihren Schutenhut aus dem Schrank. Ihre restliche Kleidung, die sie mit ins Kloster gebracht hatte, würde sie zurücklassen müssen. Lediglich die mit Nutria verbrämte Pelerine, den kurzen Umhang, legte sie sich noch hastig um die Schultern und barg ihr Kind darunter. Leise zog sie die Zellentür hinter sich ins Schloss und eilte auf den Ausgang zu.
Im Klosterhof umfing sie eisige Kälte. Sie spürte den Wochenfluss an den Innenseiten ihrer Oberschenkel, während sie auf das Portal des Klosters zuhielt. Zu den Gebetszeiten war das daneben gebaute Wachhäuschen unbesetzt. Gerade wurde die hölzerne Kirchentür geöffnet, die Abendmesse war vorüber. Die Schwestern begaben sich für die abendliche Einkehr in die Klausur...
Erscheint lt. Verlag | 28.4.2020 |
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Reihe/Serie | Die Juliusspital-Reihe |
Die Juliusspital-Reihe | |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Apotheke • Ärztinnen • Ärztin-Roman • Bankiersfamilie • Charité • Familiensaga • Familiensaga Deutschland • Familie Winkelmann • Frauen • Frauenrechte • Frauenrechtlerinnen • Frauenromane • Frauenstudium • Generationensaga • heimlich • historische Romane 19. Jahrhundert • Historische Romane Deutschland • Historische Romane Medizin • Historische Romane Serie • Historischer Roman • Immatrikulationsverbot • Juliusspital • Liebe • Medizingeschichte • Medizinstudium • Rechte der Frau • Revolution • Selbstbestimmung • Starke Frauen • Steinmetz • Uneheliches Kind • Verbotene Liebe • verstoßen • Viviana Winkelmann • Würzburg • Zulassung |
ISBN-10 | 3-426-45403-3 / 3426454033 |
ISBN-13 | 978-3-426-45403-9 / 9783426454039 |
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