Schwestern im Tod (eBook)
432 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45834-1 (ISBN)
Bernard Minier, Jahrgang 1960, ist im Südwesten Frankreichs, in den Ausläufern der Pyrenäen, aufgewachsen. Für seine Thriller wurde er mit zahlreichen renommierten Spannungsliteraturpreisen ausgezeichnet. Bernard Minier ist der bisher einzige Autor, dem der Prix Polar bereits zum zweiten Mal verliehen wurde. Monatelang standen 'Schwarzer Schmetterling', 'Wolfsbeute' oder 'Nacht' auf den französischen wie deutschen Bestsellerlisten. 'Schwestern im Tod' war in Frankreich Nummer 1 der Bestsellerliste. Der Autor lebt in der Nähe von Paris.www.bernard-minier.com
Bernard Minier, Jahrgang 1960, ist im Südwesten Frankreichs, in den Ausläufern der Pyrenäen, aufgewachsen. Für seine Thriller wurde er mit zahlreichen renommierten Spannungsliteraturpreisen ausgezeichnet. Bernard Minier ist der bisher einzige Autor, dem der Prix Polar bereits zum zweiten Mal verliehen wurde. Monatelang standen "Schwarzer Schmetterling", "Wolfsbeute" oder "Nacht" auf den französischen wie deutschen Bestsellerlisten. "Schwestern im Tod" war in Frankreich Nummer 1 der Bestsellerliste. Der Autor lebt in der Nähe von Paris.www.bernard-minier.com Nach mehreren Jahren in Frankreich lebt und arbeitet Alexandra Baisch inzwischen in München. Sie übersetzt Romane und Sachbücher aus dem Französischen, Englischen und Spanischen und unterrichtet darüber hinaus im Masterstudiengang für literarisches Übersetzen.
Schwestern
Gewaltig, ungeheuerlich erstreckte sich der Wald vor ihnen …
Halb elf Uhr abends, ein lauer Juniabend, der sich weigerte, in die Nacht überzugehen. Diese war inzwischen fast vollständig hereingebrochen, aber eben noch nicht ganz. Noch nicht ganz. Es wurde immer dunkler, war dabei aber gerade noch hell genug, um – gleich einer Tapete mit verblichenen Farben – das feingliedrige Mosaik der Blätter im Halbdunkel auszumachen, die weißen, abstrakten Tupfen der kleinen Blumen, die sich wie Popcorn über die Wiese erstreckten, ihre bleichen Hände in den hellen, weiten, fließenden Kleidern, die sie wie Geister schweben ließen. Unter den Bäumen hingegen war es zu dunkel, um auch nur irgendetwas erkennen zu können. Sie schauten sich an, lächelten einander zu, aber ihre Herzen, ihre ausgehungerten und entflammten jugendlichen Herzen schlugen viel zu schnell, viel zu heftig. Langsam gingen sie zwischen den Baumstämmen der Eichen und Kastanien hindurch, inmitten der Farne den Abhang hinunter zum Talweg. Sie hielten sich an der Hand. Kein Windhauch, kein Lüftchen, die Nacht zwischen den Stämmen völlig reglos, nicht einmal die Blätter säuselten. Der Wald schien tot zu sein. Fernab des Waldrands bellte ein Hund in einem Hof, dann knatterte ein Motorrad über die Straße, wurde vor einer Kurve kurz langsamer, ehe es wieder beschleunigte. Eine der beiden war fünfzehn, die andere sechzehn Jahre alt – aber man hätte sie für Zwillingsschwestern halten können. Dieselbe Haarfarbe, ein nasses Heubraun, dasselbe schmale Gesicht, dieselben großen Augen, die das Gesicht dominierten, dieselbe hochgeschossene Silhouette … Sie waren hübsch, unumstritten; sogar schön – auf ihre bizarre Weise. Ja, bizarr. In ihren Blicken, in ihren Stimmen lag etwas, das Unbehagen bereitete. Eine Fledermaus streifte die Haare derjenigen, die Alice hieß, und sie stieß einen leisen Schrei aus.
»Psst!«, sagte Ambre, ihre ältere Schwester.
»Ich habe nichts gesagt!«
»Du hast geschrien.«
»Ich habe nicht geschrien!«
»Doch, du hast geschrien! Hast du Angst?«
»Nein!«
»Du lügst … natürlich hast du Angst, kleine Schwester.«
»Hab ich nicht!«, wandte die Jüngere mit einer der Kindheit noch nicht entwachsenen Stimme ein, die fest klingen sollte. »Ich war einfach nur überrascht.«
»Tja, das solltest du auch sein«, meinte Ambre, »dieser Wald ist gefährlich, alle Wälder sind gefährlich.«
»Was machen wir dann hier?«, fragte Alice prompt leicht provozierend und sah sich um.
»Willst du ihn denn nicht treffen?«
»Doch, natürlich. Aber glaubst du wirklich, dass er kommt?«
»Er hat es versprochen«, sagte Ambre mit ernstem Gesichtsausdruck.
»Männer machen Versprechen und vergessen dann, sie zu halten.«
Ambre gluckste.
»Was weißt du in deinem Alter schon von Männern?«
»Ich weiß genug.«
»Ach ja?«
»Ich weiß, dass Papa mit seiner Sekretärin schläft.«
»Das habe ich dir gesagt!«
»Ich weiß, dass Thomas masturbiert.«
»Thomas ist kein Mann, er ist ein Kind.«
»Er ist achtzehn!«
»Na und?«
So schritten sie weiter in den schweigenden Wald hinein, lieferten sich einen jener verbalen Schlagabtausche, deren Geheimnis sie so lange schon, bereits seit frühester Kindheit, beherrschten. Am helllichten Tag hätte man besser sehen können, was sie unterschied: Alices gewölbte Stirn, ihr bockiger Ausdruck, die Gesichtszüge, die dem Kokon der Kindheit erst noch entschlüpfen mussten, im Gegenzug zu Ambres überwältigender Schönheit, ihrem bereits weiblicheren Körper, der sich entfaltet hatte und nach dem man sich umdrehte, ihren definierteren, markanteren Gesichtszügen.
»Warum sollte er kommen?«, fragte die Jüngere. »Für ihn sind wir nur zwei junge Idiotinnen.«
»Da täuschst du dich«, antwortete Ambre wie von der Tarantel gestochen, während sie um eine alte Eiche herumgingen, die zwischen den Geißblättern lag.
Ihre mit schwarzer Erde bedeckten Wurzeln reckten sich Fingern gleich zu den Sternen. Ein starker Baum, der von etwas Schwächerem niedergestreckt worden war – dem Wind oder einem Parasiten –, aber so war es immer: Stets wurden die Starken von den Schwächeren besiegt.
»Für ihn sind wir etwas anderes«, erklärte sie.
Gern hätte sie hinzugefügt: Ich zumindest, du bist natürlich nichts weiter als ein Kind – doch sie hielt sich zurück.
»Ach ja? Und was genau sind wir?«, fragte Alice, deren Stimme vor Neugier höher klang.
»Zwei sehr intelligente Mädchen, die intelligentesten, die er jemals kennengelernt hat.«
»Ist das alles?«
»Oh nein …«
»Was sind wir dann noch?«, fragte Alice erwartungsvoll.
Ambre blieb stehen und drehte sich mit wachem, dunklem Blick und geweiteten Pupillen zu ihrer Schwester um.
»Sieh mich an, kleine Schwester.«
Alice starrte sie an.
»Ich sehe dich an«, sagte sie. »Und hör auf, mich kleine Schwester zu nennen: Ich bin nur ein Jahr jünger.«
»Was siehst du?«
»Einen sechzehnjährigen Teenager in einem altmodischen weißen Kleid«, spottete sie.
»Sieh mich an, habe ich gesagt.«
»Aber ich sehe dich doch an!«
»Nein, du siehst rein gar nichts!«
Ambre öffnete einen Knopf ihres Kleides.
»Brüste«, sagte Alice langsamer.
»Ja.«
»Den Körper einer Frau …«
»Ja.«
»Ein geiles Mädchen …«
»Ja. Was noch?«
»Ich weiß nicht …«
»Denk nach!«
»Ich weiß nicht!«
»Was sind wir für ihn?«, half Ambre ihr auf die Sprünge und zeigte auf das Buch, das sie in der rechten Hand hielt.
»Fans«, antwortete Alice sofort, und ihr Tonfall verriet, wie aufgeregt sie war.
»Ganz genau, Fans. Darauf steht er, auf seine Fans. Vor allen Dingen, wenn sie Brüste und eine Möse haben.«
Sie liefen wieder weiter, traten auf einen morschen Zweig.
»Sind wir nicht ein bisschen zu jung für ihn?«, fragte Alice besorgt. »Er ist immerhin schon dreißig.«
»Genau darum geht es doch.«
Sie schlichen weiter durch das Dickicht. Jetzt entdeckten sie den Umriss des Taubenschlags, seinen Schatten zwischen den Blättern, der mitten auf der Lichtung aufragte. Der Mond beschien die runden Dachziegel und die blassen Steine, die an einen Wachturm erinnerten.
»Zwei sehr hübsche junge Mädchen. Allein in der Nacht mit ihm. Die ihn anhimmeln, ihn verehren. Genau das sieht er. Und genau deshalb wird er kommen.«
»Er denkt, er wäre stark, schön, intelligent und cool«, entgegnete Alice postwendend.
Ambre schob einen letzten Zweig zur Seite; der Taubenschlag wurde ganz sichtbar.
»Ja. Aber wir sind intelligenter als er, nicht wahr, kleine Schwester?«
Er beobachtete sie durch das Gebüsch. Versteckt. Sie liefen hin und her, wurden langsam nervös. Fingen an, sich zu streiten. Nicht mehr lange, dann würden sie Angst bekommen und wieder gehen. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, dann in die Kuhle des Backenzahns rechts oben, der ihn nachts quälte, wenn er in seinem Bett lag, und er verzog das Gesicht. Karies … Aber der Anblick der beiden Kommunikantinnen brachte ihn wieder zum Lächeln. Er verjagte die Lindenschwärmer, die um ihn herumschwirrten, und richtete sich auf.
»Ambre, lass uns gehen. Er kommt nicht. Wir sind allein hier … in diesem Wald.«
Alice wirkte ziemlich besorgt, nachdem sie diesen Satz laut ausgesprochen hatte. Es war eine jener Gegebenheiten, die sich besser nicht bewahrheiteten. Eines jener Dinge, an die man besser nicht dachte.
»Du hast Angst«, sagte Ambre.
»Ja, ich habe Angst. Und wenn schon?«
Am liebsten hätte sie ihrer Schwester ihre geheimsten Gedanken anvertraut: Was, wenn sich ein anderer hier in diesem Wald versteckte? Was, wenn er wirklich vergessen hatte zu kommen? Was, wenn hier gefährliche Tiere herumstreiften? Sie wusste, dass die größten Tiere in diesem Wald Wildschweine, Füchse und Rehe waren. Ein paar Sperber raschelten durchs Laub, Mittelspechte und eine Waldohreule. Letztere stieß ganz in der Nähe ein tiefes Ouhh, Ouhh aus – ein Männchen, mit der feierlichen Intonation vom Notar des Waldes, vielleicht versteckt im Taubenschlag. Ein Waldkauz antwortete mit dreierlei Tönen, schien sich über das würdevolle Gebaren der Eule lustig zu machen.
Der Wald war auch ein Mosaik aus Wasserflecken, Bächen und Seen, und in der sanften Dunkelheit des Junis vergnügten sich Froschlurche und Laubfrösche darin.
»Hast du wirklich gedacht, er würde kommen?«, fragte Alice drängend.
»Er kommt noch.«
Ungeduld machte sich in der Stimme der Älteren bemerkbar, ebenso Zweifel. Das entging der Jüngeren nicht.
»Fünf Minuten, dann gehe ich heim«, bestimmte sie.
»Wie du willst.«
»Dann bleibst du ganz allein hier.«
Dieses Mal kam keine Antwort.
Plötzlich erzitterte das Dickicht ganz in der Nähe – wie durch einen Windstoß, nur dass es nicht windete –, beide zuckten zusammen und drehten sich zu dem Geräusch um.
Seine Silhouette erschien, tauchte aus dem Dickicht auf. Mit einem Rascheln schob er einen Ast zur Seite und kam langsam weiter auf sie zu in seinem weißen Leinenanzug, der so wenig dafür geschaffen war, durchs Gebüsch zu streunen.
»Hast du uns ausspioniert?«, fragte Ambre.
»Ich habe euch beobachtet … ihr seid gekommen … das ist gut.«
Er musterte eine nach der anderen.
»Das sind keine Kommunionkleider«, sagte er...
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2020 |
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Reihe/Serie | Ein Commandant Martin Servaz-Thriller |
Ein Commandant Martin Servaz-Thriller | |
Übersetzer | Alexandra Baisch |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | alter Fall • Bernard Minier deutsch • Bestseller • Bestseller-Autor • blutiger Thriller • Commandant Martin Servaz • Commandant Martin Servaz Band 5 • Doppelmord • ersterFall • Frankreich • Französischer Thriller • Geschenkbücher für Männer • Giftschlange • Julian Hirtmann • Kommissar Servaz • Kommunion • Kommunionkleid • Kriminalschriftsteller • Mann ohne Gnade • Manuskript • Martin Servaz • Minier • Minier Bernard deutsch • Polizei Krimis/Thriller • Psychothriller bücher • Psychothriller Romane • Psychothriller Serie • Pyrenäen • Rache • Rache-Engel • Schlange • Schriftsteller • Schwestern • Serienkiller • Serienmörder • Studentinnen • Thriller • Thriller Frankreich • thriller für männer • Thriller Rache • thriller reihe • thriller serie • Thriller Serienkiller • Thriller und Psychothriller • Toulouse |
ISBN-10 | 3-426-45834-9 / 3426458349 |
ISBN-13 | 978-3-426-45834-1 / 9783426458341 |
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