Am Himmel drei Sterne (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 3. Auflage
464 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2540-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Himmel drei Sterne -  Maya Freiberger
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Der Traum von Freiheit.

1942, Siebenbürgen: Selma verliebt sich in den jungen Soldaten Johann, doch dann wird er nach Russland an die Front beordert. Als der Krieg endet, werden Selma und ihre Schwester Irma nach Russland in ein Arbeitslager transportiert. Irma erkrankt während der langen und kräftezehrenden Reise schwer. Selma begreift: Sie müssen fliehen, und ihnen bleibt nicht viel Zeit. Nur so kann sie ihre Schwester retten - und hoffentlich Johann wiederfinden. Unerwartet erhält sie Hilfe von dem Russen Efrem ...

Die ergreifende und wahre Überlebensgeschichte zweier junger Schwestern.



Maya Freiberger ist das Pseudonym des Autors Christian Zeitmann. Als Maya Freiberger schreibt er gemeinsam mit seiner Frau zeitgenössische Romane. Er wurde 1975 im Rheinland geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet. Er glaubt daran, dass Geschichten nicht erfunden werden, sondern Realität sind und man sie nur entdecken muss.

Prolog


Hamburg
2001

Die Schatten an der Decke hatten keine festen Konturen. Jede Form war wie eine vorsintflutliche Amöbe. Sie zerfloss und bildete etwas Neues. Aus dunklen Linien formten sich Gesichter. Gesichter, die ihr einen Schauder über den Rücken jagten und ihr einen Seufzer entlockten. Irgendwann wurden die Gesichter und die Erinnerungen, die mit ihnen einhergingen, so drängend, dass Selma König die Bettdecke zur Seite schlug und all ihren Mut zusammennahm. Die Kälte der Bodendielen nahm sie nur beiläufig wahr. Ihre nackten Füße suchten sich trittsicher ihren Weg durch das Halbdunkel ihres Schlafzimmers. Die Rollläden waren zur Hälfte heruntergelassen. Selma mochte es nicht, in absoluter Finsternis zu schlafen. Von ihrem Bett aus musste stets der Himmel zu sehen sein. Das Fenster war gekippt, und durch den offenen Spalt drang eine empfindliche Kälte herein, die sich in jedem Winkel des Raumes ausgebreitet hatte. Das dünne Nachthemd schützte ihre alten Knochen nur bedingt, aber sie war ganz andere Kälte gewohnt. Was ihr dagegen Unbehagen verursachte, war das leise Pfeifen des Herbstwindes, der durch den Spalt drang. Es war lediglich ein Geräusch, aber es versetzte ihren schlaftrunkenen Verstand viele Jahre in die Vergangenheit zurück.

Längst stand sie nicht mehr im Nachthemd in ihrem Schlafzimmer und starrte auf den großen Ahorn vor dem Fenster, der seine letzten Blätter verlor. Sie war an einem anderen Ort, in einem jungen Körper.

Sie spürte die wachsende Angst in ihrem Herzen, das Gefühl von Verlust und unbändiger Sehnsucht. Sie sah sich um in dem Raum, der kein Schlafzimmer mehr war. Er war zu einem dunklen Ort geworden, der ihre Ängste und Sorgen schürte.

Da waren sie wieder, die Gesichter. Bekannte wie fremde. Alle blickten Hilfe suchend und verzweifelt in ihre Richtung. Sie musste handeln.

Das Pfeifen des Windes dröhnte in ihren Ohren. Die Kälte kroch ihr unter den dünnen Stoff des Nachthemdes, und ein weiterer unliebsamer Begleiter gesellte sich zu ihren Empfindungen: Hunger.

Ihre Decke. Sie sah sie auf der Pritsche liegen und griff danach. Es bereitete ihr einige Mühe, sie in den Spalt zwischen Fensterrahmen und Wand zu schieben, doch sie war wieder jung und ihr Wille zu überleben stark.

Da begann der Boden unter ihren Füßen zu wanken, und sie musste sich an der Wand abstützen. Das Pfeifen des Windes war abgelöst worden von einem fürchterlichen Fauchen und Quietschen. Sie schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich auf ihr Gleichgewicht, bis es vorbei war. Die Geräusche, das Ziehen und Zerren an ihrem Körper. Für Augenblicke herrschte Stille. Ihre Hand löste sich zögerlich von der Wand. Das raue Holz rieb wie Schmirgelpapier über ihre Haut. Ein kleiner Splitter bohrte sich in ihren Handballen.

Schwer atmend blickte sie nach rechts. Die Tür stand offen! Jemand musste sie geöffnet haben. Sie sah zurück in die Gesichter, in die Verzweiflung darin. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte.

Sie musste fort. Die Tür stand offen, und niemand konnte sagen, wie lang noch. Sie würde die Gelegenheit nutzen. Sie war jung und wollte leben. Also lief sie los.

Es ging nicht so schnell wie erhofft. Die Kälte hatte ihre Knochen bereits erreicht, und sie spürte die Müdigkeit darin. Hinter der Tür umfing sie eine Dunkelheit, die sich mit nichts vergleichen ließ. Mit ausgebreiteten Armen tastete sie sich vorwärts, bis sie auf eine weitere Tür stieß. Sie drückte die Klinke und öffnete sie.

Ein kalter, feuchter Luftstrom erfasste ihr erhitztes Gesicht und zerzauste ihr Haar. Regen peitschte ihr entgegen, und die Kälte ließ sie zurücktaumeln. Sie sah auf ihre blassen, weißen Beine hinab und das bisschen Stoff, das ihren dünnen Leib umfing.

Dann lief sie los. Ihre Fußsohlen erzeugten matschende Geräusche auf dem durchnässten Rasen. Der Wind blies ihr entgegen und ließ sie zittern, aber sie stemmte sich dagegen und entfernte sich langsam von dem Ort der Angst und Hoffnungslosigkeit. Sie hatte keinen Plan, wohin sie lief, aber sie musste fort von diesem Ort. Irgendwohin, wo das Leben noch einen Platz für sie hatte.

Ihre Zähne schlugen aufeinander, und ihre Waden krampften. Ihre Füße waren bereits taub vor Kälte. Ihre Tränen vermischten sich mit dem Regen. Kurz hielt sie inne, um zu Luft zu kommen. Ihr Atem ging rasselnd. Da sah sie ihn. Ihren Verfolger. Natürlich war er da. Niemand würde sie einfach entkommen lassen. Sie ballte beide Fäuste und lief weiter durch die triste graue Kältewand, die der Regen vor ihr errichtet hatte. Rufe wurden in ihrem Rücken laut. Neuerliche Schwärze umfing sie und schränkte ihr Sichtfeld stetig ein.

Sie hatte keine Kraft mehr. Ein Ziehen, ein Reißen, dann gaben ihre Beine einfach nach. Die Knie gruben sich in den aufgeweichten Boden. Feiner Nebel hüllte sie ein und nahm ihr das letzte bisschen Sicht.

Und da waren sie wieder, die Rufe. Schritte. Schwere Schritte. Sie wollte sich wieder aufrichten, aber sie war am Ende ihrer Kräfte. Sie schluchzte aufgrund ihrer Machtlosigkeit. Sie hatte es versucht.

Jemand fasste sie unter beiden Achseln. »Selma, du meine Güte!« Es war eine männliche Stimme. Eine vertraute Stimme. Aber wie war das möglich? »Was um Gottes Willen tust du hier draußen? Du wirst dir eine Lungenentzündung holen.«

»Ich muss …«, stammelte sie. »Bitte lassen Sie mich. Ich kann nicht dorthin zurück. Bitte …« Sie spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging. »Helfen Sie mir! Bitte.«

»Ich helfe dir«, war die Antwort.

Ein Mantel wurde über ihre durchnässten Schultern gelegt. Sie zitterte und machte sich in den Armen ihres Verfolgers so klein wie möglich. Das Gefühl der Schwäche übermannte sie, und sie weinte haltlos.

»Komm, ich bringe dich ins Haus, und dann setzen wir dich in eine warme Badewanne.«

Eine Badewanne? Selma traute ihren Ohren kaum.

Aber ihr Helfer, den sie die ganze Zeit über nicht einmal gewagt hatte anzusehen, hielt Wort. Sie verspürte keinerlei Scham, als er ihr das Nachthemd vom Leib streifte und ihr half, sich in das warme Wasser zu setzen. Zuerst schmerzte die Wärme, dann erfüllte sie sie mit Behaglichkeit und Dankbarkeit. Langsam klärte sich ihr Blick, und sie konnte ihrem Retter in die Augen sehen.

»Bernhard, was tust du hier?«, fragte sie.

»Ich konnte nicht schlafen und sah von meinem Schlafzimmerfenster aus, wie du hinausgelaufen bist.«

»Ich … ich glaube, ich habe geträumt. Es war so real.« Selma besah sich ihre faltigen Hände, die sie langsam aus dem Wasser hob. Altersfleckige Hände. Ein Ring funkelte im faden Licht der Neonröhre über dem Frisierspiegel.

»Soll ich Karoline benachrichtigen?«

Karoline. Natürlich. »Nein, das würde sie nur beunruhigen.«

»Bist du sicher?« Bernhard war groß und kräftig. Der Hocker, auf dem er saß, sah verloren unter ihm aus. Sein dunkelblondes Haar war nass und sein Oberhemd ebenfalls. Er war Rettungssanitäter und einer der wenigen Nachbarn, mit denen sie einen guten Kontakt pflegte.

»Nein, das bin ich in der Tat nicht.«

»Das dachte ich mir.« Bernhard nickte. »Ich versuche, sie zu erreichen.«

Kurze Zeit später kam er zurück. »Sie macht sich gleich auf den Weg.« Er holte ein Handtuch und legte es auf den Hocker. »Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich …«

»Auf keinen Fall.« Selma schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Scham hielt sie in diesem Moment für unangebracht.

»Du solltest vielleicht mit Karoline in ein Krankenhaus fahren. Wegen einer möglichen Unterkühlung.«

»Vielleicht.« Sie senkte den Kopf. »Gute Nacht, Bernhard. Und danke noch einmal.« Plötzlich wollte sie ihn schnell wieder loswerden. Allein sein. Mit sich und den Dämonen ihrer drängenden Erinnerung.

Bernhard sah sie besorgt an, dann verließ er wortlos den Raum.

Keine zehn Minuten später stand eine Frau in den frühen Fünfzigern vor ihrer Badewanne. Ihr Haar war notdürftig zusammengesteckt, und sie machte einen müden und vor allem sorgenvollen Eindruck. »Mama, was ist hier los? Bernhard hat …«

»Setz dich. Mir geht es gut.«

»Was ist nur passiert?« Karoline setzte sich auf den Hocker. Sie war unübersehbar die jüngere Ausgabe von Selma. Die gleichen hohen Wangenknochen, das Grübchen am Kinn, die markanten Lachfalten und die großen haselnussbraunen Augen.

»Ich habe geträumt oder besser gesagt geschlafwandelt.« Selma zeigte auf das Handtuch, das Karoline jetzt auf ihrem Schoß liegen hatte. »Hilfst du mir?«

Karoline wickelte sie in das Handbuch ein, nachdem sie etwas ungelenk aus der Wanne gestiegen war.

Zehn Minuten später saß Selma im Wohnzimmer, eine Wolldecke um den Körper geschlungen, einen heißen Tee in der Hand. Karoline hatte ihr gegenüber Platz genommen.

»Deine Bettdecke war zwischen das gekippte Schlafzimmerfenster geschoben. Ich nehme an, das warst du?«

»Muss wohl so sein.« Selma zuckte die Schultern.

»Magst du mir von deinem Traum erzählen? Du warst wieder in diesem Zug, nicht wahr?«

»Ich nehme es an. Aber so intensiv habe ich es noch nie durchlebt. Es war so real.«

»So real, dass du im Nachthemd bei drei Grad und strömendem Regen hinausgerannt bist. Gott sei Dank war Bernhard zur Stelle.«

»Gott sei Dank.« Selma nahm einen Schluck...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Besatzung • Die Nachtigall • Familiengeschichte • Kristin Hannah • Nachkriegsjahre • Nachkriegszeit • Rumänien • Schwestern • Siebenbürgen • Starke Frauen • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-2540-3 / 3841225403
ISBN-13 978-3-8412-2540-5 / 9783841225405
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