Raus aus dem toten Winkel (eBook)

Ein unkonventioneller Blick auf die Kirche von morgen
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2020 | 1. Auflage
208 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-26025-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Raus aus dem toten Winkel -  Hannes Schott
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Kirche soll Freude machen
Mit augenzwinkerndem Blick schaut er auf bestehende Strukturen und geht neue Wege: Gottesdienste in Wohnzimmern, die verlost werden oder Gottesdienste im Bus sind nur ein kleiner Ausschnitt seiner ungewöhnlichen Ideen. Dabei findet er meistens Offenheit und große Neugier am Glauben, sodass er sich einen optimistischen Blick für die Zukunft der Kirche behält.

Seine Auftritte als Kabarettist ermöglichen dem evangelischen Pfarrer Hannes Schott aus Bayreuth manche ungewöhnliche Sicht auf die Kirche und das »göttliche Erdenpersonal«.

Gerade bei seinen Auftritten als Mundart-Dichter und Kabarettist kommt er mit Menschen in Berührung, die sich vermeintlich von der Kirche abgewandt haben oder nie mit ihr in Berührung kamen. Für Hannes Schott liegt vor allem in diesem spürbaren spirituellen Interesse und im Wandel der Tradition eine Chance. Er sagt: »Eine kirchenferne Gesellschaft ist wie ein leeres Blatt, auf das die Kirche neu schreiben und sich neu definieren kann« - ohne Machtstrukturen und bürokratischen Überbau, sondern mit Humor, Demut und nah beim Menschen.

Hannes Schott, geb. 1980, ist seit 2010 als evangelischer Pfarrer tätig, zuächst in seiner Heimatstadt Bayreuth, inzwischen in Nürnberg. Daneben tritt er u. a. für das Pfarrerkabarett »Das weißblaue Beffchen« auf, hält preisgekrönte Radioandachten und erhält große mediale Aufmerksamkeit für seine ungewöhnlichen Gottesdienste (z.B. in Wohnzimmern und Reisebussen).

Vom Wurfzelt in Taizé bis zum Tod im Schaukelstuhl

Bevor wir zur Kirche in Deutschland und deren Zukunft kommen, erzähle ich von meinen Sommerferien 2010 in Frankreich. Nicht dass Sie das Falsche denken: Es gibt hier keine Urlaubsschwänke. Das war kein Entspannungsurlaub mit viel Rotwein, Baden und Brutzeln in der Sonne, sondern ich war eine Woche in Taizé.

Wahrscheinlich haben viele von Ihnen schon mal von diesem kleinen Ort im Osten Frankreichs mit seinen gut 550 Einwohnern gehört. Einige kennen vermutlich die schönen Taizé-Lieder (»Laudate omnes gentes«, »Meine Hoffnung und meine Freude«, »Bleibet hier und wachet mit mir«), die zum Beispiel oft beim Abendmahl gesungen werden. Oder Sie haben von Frère Roger gehört, dem Gründer der ökumenischen Männergemeinschaft von Taizé. Dieser kleine, milde, unscheinbare Pfarrer aus der Schweiz hatte anscheinend so großes Charisma, dass sich ganz viele Menschen von ihm begeistern ließen. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, 2005 ist er verstorben.

Jeden Samstagabend wird in Taizé eine »Nacht der Lichter« gefeiert, und auch in vielen Orten in Deutschland wird diese besondere Gottesdienstform einmal pro Jahr begangen. So viel und vielleicht noch ein bisschen mehr wusste ich von Taizé, als ich Ende August 2010 dort hinfuhr. Mein alter Studienfreund Joe hatte eine einwöchige Reise mit Jugendlichen aus seiner Gemeinde dorthin geplant und mich gefragt, ob ich mitfahren wolle. Neugierig hatte ich damals ja gesagt. Ich war erst seit einem halben Jahr Pfarrer und gespannt auf neue religiöse Eindrücke.

Aber kaum war ich in Taizé angekommen, bereute ich es fast schon. Denn es traf mich erst einmal fast der Schlag: Die hygienischen Verhältnisse waren nicht sonderlich. Das Essen war recht einfach und rationiert. Und ich wurde von Jugendlichen, die dort anscheinend ziemlich viel zu sagen hatten, eingeteilt, bei den Bibelarbeiten mitzumachen und kleine Arbeiten zu übernehmen. Ehrlich gesagt: So hatte ich mir meinen Urlaub nicht unbedingt vorgestellt. Denn ich hatte vor, aufzuatmen, mich zu entspannen und Kräfte zu sammeln. Und danach klang das alles nicht.

Joe hatte eine oberbayrische Mutter, die kein Blatt vor den Mund nahm und noch nie verstanden hatte, warum der Sohn schon zum elften Mal nach Taizé wollte. Die hatte noch vor der Abreise gesagt: »Jetzt fährt der Bub wieder in’ Dreck.« Das hätte mir vielleicht eine Warnung sein sollen. Ich erlitt bei der Ankunft in Taizé jedenfalls erst einmal eine Art Kulturschock.

Vielleicht war auch die lange Busfahrt daran schuld, dass ich am Ankunftsabend doch ein bisschen labil war. Auf jeden Fall vermisste ich mein Bett und meinen Computer mit Internetzugang, meinen gut gefüllten Kühlschrank und alle anderen Errungenschaften der Neuzeit. In meinem gerade hingeworfenen Zelt – in meinem damals noch recht jugendlichem Leichtsinn hatte ich nur ein sehr überschaubares Wurfzelt aus dem Supermarkt dabei, in dem ich mich kaum drehen konnte und daraus hervorlugte wie eine Schildkröte mit Kappe – auf einer tatsächlich recht dreckigen und staubigen Wiese hockte ich und grübelte: Irgendwas muss da ja dran sein an diesem Taizé. Nicht von ungefähr treffen sich hier alljährlich viele Tausend Jugendliche! Die dann dreimal am Tag zu über vierzigminütigen Gottesdiensten gehen und hinterher sogar noch freiwillig länger in der dortigen Kirche bleiben! Die an Bibelarbeiten teilnehmen! Oder für die Gemeinschaft etwas tun! Also alles Dinge, die sie daheim – ich kenne meine Konfis – nur mit Zähneknirschen und höchst widerwillig in Angriff nehmen würden. Und darüber hinaus mussten doch diese Jugendlichen ihre Computer und ihre sonstigen technischen Spielzeuge ganz sicher noch viel mehr vermissen als ich!

An diesem Abend beschloss ich dennoch, mich auf eine Woche Taizé einzulassen – und schon kurz darauf läuteten die Glocken zum Abendgebet. Damit begann eine wirklich herausragende Erfahrung, vielleicht sogar eines meiner prägendsten religiösen Erlebnisse. Denn kaum war der erste Kulturschock überstanden, begann mich die berühmte Frömmigkeit von Taizé ebenfalls zu begeistern.

Einige Jahre später habe ich diesen ersten Kulturschock kabarettistisch verarbeitet und als raubeiniger Dekanatsjugendpfarrer Johnny in einer Nummer des Weißblauen Beffchens, unserer Kabarettgruppe, erzählt:

Und was zu Taizé auch noch dazugehört – eine Woche Zelten. Den Jugendlichen macht des nix aus … aber mir … nach zwei Tagen kannst dein Hals nimmer bewegen, ab dem dritten Tag spürst dein linken Arm nimmer und hast eine Mordserkältung.

Ich weiß schon, warum die früher im Neandertal alle mit Dreißig gestorben sind: Weil sie auf dem blanken Boden

geschlafen haben.

Oder halt auf Fellen, des war denen ihre Isomatte damals.Aber wenn ich des Tag für Tag machen müsste, wär’s mit mir auch bald vorbei!

Mein Rücken – echt eine Katastrophe. Und von überall hörst du die Schnarcherei. Alle schnarchen – außer ich.

Und zum Essen gibt es nur Bohnen-, Erbsen-, Linsengerichte in Taizé – da weht nicht nur der Heilige Geist.

Also echt: Nach einer Woche Taizé-Zelten bist so was von urlaubsreif!

Aber – du kannst da wirklich Theologie treiben. Einsichten ins göttliche Wesen erlangen! Und so habe ich in Taizé eine Theorie entwickelt, warum Gott im Alten Testament so grantig ist. Weil der auch ständig zelten musste. Und der Jüngste ist er ja auch nimmer. Und trotzdem musste er ständig in seinem Zelt, der Stiftshütte, mit den Israeliten in der Wüste rummarschieren. Vierzig Jahre zelten! Ey, da wirst g’scheit grantig. Aber kaum ist es mit dem Zelt vorbei und er hat einen schönen großen Tempel, wird er nett und lieb.

Soweit meine kabarettistische Verarbeitung der ersten Nacht in Taizé, die natürlich amüsieren und keine Predigt über Gottes Wesen oder eine ernsthafte Widergabe der Erfahrungen dort sein soll.

In Taizé gibt es jeden Vormittag eine Bibeleinführung, die von einem der Brüder der Ordensgemeinschaft gehalten wird. Und später am Tag wird dann über diese Bibelstelle und das, was einen dabei angesprochen hat, diskutiert. Zunächst war ich ziemlich skeptisch, schließlich war ich fertiger Pfarrer, hatte dreizehn Semester Theologie studiert und zwei theologische Examina abgelegt. Ich dachte: Was soll ich da noch von einem dieser komischen zölibatären Brüder ohne theologischen Universitätsabschluss lernen? Ich trug – auch wenn ich das heute ungern zugebe – meine Nase wohl ziemlich weit oben.

Schon am zweiten Tag stellte ich fest: Die Bibeleinführungen und meine Diskussionsgruppe waren die Höhepunkte einer auch ansonsten rundum gelungenen Woche. Es war unglaublich spannend, wie die Brüder und auch meine Diskussionspartnerinnen und -partner über ihren Glauben sprachen. Über ihre eigenen Glaubenserfahrungen und ihr Leben mit Gott. Das teilweise so ganz anders aussah als meins. Denn viele Christen völlig unterschiedlicher Couleur und aus aller Herren Länder waren dort versammelt.

Taizé, das habe ich auch gelernt, ist ein Ort der Ökumene. Und so diskutierte ich mit südamerikanischen Katholiken über Engel, mit calvinistischen Dänen über die Theodizee und mit anglikanischen Briten über die Kirche. Denn die Maxime dieser Gemeinschaft lautet: »Jeder Mensch ist auf seine Art und Weise auf der Suche nach Gott. Und jeder hat seine Erfahrungen mit Gott, die er mit anderen teilen kann.« Das hat mich für meine Arbeit in der Gemeinde geprägt.

Weil jeder und jedem so eine Grundtheologie zugetraut wird, gibt es zum Beispiel in den dortigen Gottesdiensten keine Predigt nach der Bibellesung. Sondern eine acht- bis zehnminütige Zeit der Stille, in der jeder und jede über den vorgelesenen Bibeltext nachdenken kann. Deswegen sind womöglich die Lieder so offen und eingängig. Damit man sich nämlich auch im Singen für Gott öffnen kann und nicht – wie manchmal bei uns – von einem unverständlichen Text oder einer schwierigen Melodie abgelenkt wird. Deswegen werden gerade die Jugendlichen dazu ermutigt, in den Gesprächsgruppen mitzudiskutieren. Sie sollen mitreden, weil ihre Glaubenserfahrungen als bedeutend und wertvoll angesehen werden. Weil ihr Glaube als vollwertig anerkannt wird. Weil ihnen zugetraut wird, Wichtiges über Gott sagen zu können. Ich habe versucht, dies in meine Konfirmandenstunden einfließen zu lassen – kein Frontalunterricht, der die Teenies meiner Meinung nach eher aus der Kirche raustreibt, sondern offene Diskussion, wenn möglich auf Augenhöhe. Wobei ich sage, was meine Sicht ist und warum ich das so glaube – aber auch ganz offen für und interessiert an der Sicht meiner Konfis bin. Dabei bin ich übrigens bei Weitem nicht der Einzige – der moderne Konfirmandenunterricht ist bei vielen Kolleginnen und Kollegen kaum mehr ein »Unterricht«, sondern eine kreative, mediale und modern gemeinsam verbrachte Zeit, nah an den Jugendlichen und ihren Bedürfnissen.

Vielleicht ist es das, was viele junge Menschen an Taizé begeistert. Nämlich in ihrem Glauben und in ihren Erfahrungen mit Gott respektiert und akzeptiert zu sein. Ernst genommen zu werden. Und dabei mit den Arbeitsaufträgen große Verantwortung übertragen zu bekommen. Mich hat es auf jeden Fall damals begeistert und gerührt, die Jugendlichen in ihrem Glauben zu sehen und von ihrem Glauben zu hören. Für mich war es eine große Bereicherung, mit Nichttheologen zu debattieren. Mit Menschen, die kirchenfern sind oder die einem komplett anderen Kulturkreis entstammen.

Mich hat diese Woche damals ziemlich auf den Boden der Tatsachen gebracht und meine Nase wieder nach unten geführt. Ich habe danach eine »Nacht...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte eBooks • Evangelischer Kirchentag • Heinrich Bedford-Strom • Kirchenkabarett • Kirchenreform • Kirchenreformprozess • Kirchentag • Margot Käßmann • Martin Luther • Wolfgang Huber • Zukunft der Kirche
ISBN-10 3-641-26025-6 / 3641260256
ISBN-13 978-3-641-26025-5 / 9783641260255
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