Blutige Nachrichten (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
576 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-26525-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blutige Nachrichten -  Stephen King
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In der Vorweihnachtszeit richtet eine Paketbombe an einer Schule nahe Pittsburgh ein Massaker an. Kinder sterben. Holly Gibney verfolgt die furchtbaren Nachrichten im Fernsehen. Der Reporter vor Ort erinnert sie an den gestaltwandlerischen Outsider, den sie glaubt vor nicht allzu langer Zeit zur Strecke gebracht zu haben. Ist jene monströse, sich von Furcht nährende Kreatur wiedererwacht?

Die titelgebende Geschichte »Blutige Nachrichten« - eine Stand-alone-Fortsetzung des Bestsellers »Der Outsider« - ist nur einer von vier Kurzromanen in Stephen Kings neuer Kollektion, die uns an so fürchterliche wie faszinierende Orte entführt. Mit einem Nachwort des Autors zur Entstehung jeder einzelnen Geschichte.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

3. Akt: Danke, Chuck!


1


Kurz nach dem Tag, an dem Marty Anderson die Reklametafel sah, brach das Internet schließlich endgültig zusammen. Seit den ersten kurzen Unterbrechungen hatte es da schon acht Monate gewackelt. Alle waren sich einig, dass es nur eine Frage der Zeit war, und alle waren sich einig, dass sie sich irgendwie durchschlagen würden, sobald die vernetzte Welt endgültig erlosch – schließlich waren sie früher auch ohne die ausgekommen, oder etwa nicht? Davon abgesehen gab es noch ganz andere Probleme, wie etwa, dass ganze Vogel- und Fischarten ausstarben, und jetzt musste man sich auch um Kalifornien Sorgen machen: Es schwand und schwand und war vielleicht bald ganz verschwunden.

Marty kam spät aus der Schule, weil es der Tag war, den er und seine Kollegen an der Highschool am wenigsten schätzten, der mit dem Elternnachmittag. Diesmal hatte Marty festgestellt, dass nur wenige Eltern daran interessiert waren, über die Fortschritte von Klein Johnny und Klein Janey (oder deren Mangel) zu sprechen. Hauptsächlich wollten sie sich über den wahrscheinlich endgültigen Zusammenbruch des Internets auslassen, durch den ihre Facebook- und Instagram-Accounts erledigt sein würden. Niemand erwähnte Pornhub, aber Marty hegte den Verdacht, dass viele der erschienenen Eltern – weiblich wie männlich – auch den drohenden Untergang dieser Website betrauerten.

Normalerweise hätte Marty die Umgehungsstraße genommen, zack, zack, im Nu zu Hause, aber das war nicht möglich, weil die Brücke über den Otter Creek eingestürzt war. Das war zwar bereits vier Monate her, doch immer noch gab es keinerlei Anzeichen für bevorstehende Reparaturarbeiten, nur orange gestreifte Sperren aus Holz, die bereits wackelig aussahen und längst mit Graffiti-Tags übersät waren.

Da die Umgehung geschlossen war, sah sich Marty wie alle im Osten der Stadt wohnenden Leute gezwungen, direkt durchs Zentrum zu fahren, um sein Haus am Cedar Court zu erreichen. Dank Elternnachmittag war er erst um fünf statt um drei gestartet, also auf dem Höhepunkt der Rushhour, weshalb er für die Fahrt, die in der guten alten Zeit zwanzig Minuten gedauert hätte, mindestens eine Stunde brauchen würde, wahrscheinlich länger, weil auch manche Verkehrsampeln ausgefallen waren. Auf der gesamten Strecke herrschte Stop-and-go-Verkehr mit viel Gehupe, kreischenden Bremsen, sich berührenden Stoßstangen und gereckten Mittelfingern. An der Kreuzung Main und Market Street hing er volle zehn Minuten fest, weshalb er mehr als genug Zeit hatte, die Reklametafel auf dem Gebäude der Midwest Trust zu studieren.

Bisher war dort für eine Fluggesellschaft geworben worden, für Delta oder Southwest, das wusste Marty nicht mehr. Heute Nachmittag war die fröhliche, Arm in Arm dastehende Flugbegleiter-Crew jedoch durch das Foto eines mondgesichtigen Mannes ersetzt worden, dessen schwarz gerahmte Brille gut zu seinen schwarzen, säuberlich gekämmten Haaren passte. Mit einem Kugelschreiber in der Hand saß er an einem Schreibtisch, ohne Sakko, aber mit einer sorgfältig am Kragen seines weißen Hemdes geknoteten Krawatte. Auf der Hand mit dem Kugelschreiber war eine halbmondförmige Narbe sichtbar, die man aus irgendeinem Grund nicht retuschiert hatte. Marty fand, dass er wie ein Buchhalter aussah. Von seinem Hochsitz über dem Bankgebäude aus blickte er heiter lächelnd auf den Verkehrsstau an der Ampel herab. Über seinem Kopf stand in blauen Lettern CHARLES KRANTZ. Unter dem Schreibtisch stand in Rot: 39 WUNDERBARE JAHRE! DANKE, CHUCK!

Marty hatte noch nie von Charles »Chuck« Krantz gehört, aber der musste ein ziemlich hohes Tier bei Midwest Trust gewesen sein, wenn man ihm zum Abschied ein Foto auf einer beleuchteten Reklametafel widmete, die bestimmt mindestens fünf Meter hoch und fünfzehn Meter breit war. Das Foto wiederum musste ziemlich alt sein, denn wenn der Mann beinahe vierzig Jahre im Geschäft gewesen war, müsste er inzwischen weiße Haare haben.

»Oder gar keine mehr«, sagte Marty und strich sich über das eigene schütter gewordene Haar. Fünf Minuten später, als sich vorübergehend eine Lücke auftat, riskierte er es, die wichtigste Kreuzung im Stadtzentrum zu überqueren. Während er mit seinem Prius hindurchschoss, rechnete er jeden Moment mit einer Kollision und ignorierte die geschüttelte Faust eines Mannes, der eine Vollbremsung hinlegen musste, kurz bevor er ihn gerammt hätte.

Am Ende der Main Street überstand er einen weiteren Verkehrsstau und einen weiteren Beinahezusammenstoß. Als er nach Hause kam, hatte er die Reklametafel völlig vergessen. Er fuhr in die Garage und drückte auf die Taste, um das Tor zu schließen. Dann saß er eine ganze Minute tief atmend da und versuchte, nicht daran zu denken, dass ihn am nächsten Morgen derselbe Spießrutenlauf erwartete. Da die Umgehung geschlossen war, gab es schlicht keine andere Wahl. Jedenfalls nicht, wenn er überhaupt zur Arbeit wollte, und in diesem Augenblick kam es ihm reizvoller vor, zu Hause zu bleiben (er hatte genügend Urlaubstage angesammelt).

»Da wäre ich nicht der Einzige«, erklärte er der leeren Garage. Was er nur zu gut wusste. Laut der New York Times (die er jeden Morgen auf seinem Tablet las, falls das Internet funktionierte) feierten weltweit so viele Leute krank wie noch nie.

Mit einer Hand griff er nach seinem Bücherstapel, mit der anderen nach seiner alten, ramponierten Aktentasche, die von all den Schülerarbeiten, die korrigiert werden mussten, ziemlich ausgebeult war. Derart schwer bepackt, stieg er mühsam aus und drückte dann mit dem Hintern die Tür zu. Dabei vollführte sein Schatten an der Wand eine skurrile Tanzbewegung, die ihn laut zum Lachen brachte. Bei dem Geräusch aus seinem Mund fuhr er zusammen; in dieser schwierigen Zeit hörte man kaum noch jemand lachen. Dann fiel ihm die Hälfte der Bücher auf den Garagenboden und setzte seiner aufkeimenden guten Laune ein jähes Ende.

Er sammelte die Einführung in die amerikanische Literatur und Vier kurze Romane ein (momentan las er mit den Zehntklässlern Die rote Tapferkeitsmedaille) und ging ins Haus. Kaum hatte er alles mit viel Mühe auf der Ablage in der Küche deponiert, läutete das Telefon. Natürlich das Festnetz, Mobilfunkempfang gab es praktisch keinen mehr. Manchmal beglückwünschte er sich dafür, dass er im Gegensatz zu vielen Kollegen seinen Anschluss behalten hatte. Die waren jetzt wirklich aufgeschmissen, denn sich einen legen zu lassen konnte man seit etwa einem Jahr komplett vergessen. Man würde eher die Umfahrung wieder benutzen können, bevor man da auf der Warteliste nach ganz oben rückte. Und selbst das Festnetz fiel inzwischen ja häufig aus.

Die Rufnummernerkennung funktionierte zwar nicht mehr, aber er war sich so sicher, wer anrief, dass er einfach abhob und »Yo, Felicia!« sagte.

»Wo hast du gesteckt?«, fragte seine Exfrau. »Ich versuche schon seit einer geschlagenen Stunde, dich zu erreichen!«

Marty erzählte von dem Elternnachmittag und der langen Fahrt nach Hause.

»Geht’s dir einigermaßen?«

»Wird schon, sobald ich was gegessen habe. Und dir?«

»Geht so, aber wir hatten heute sechs weitere.«

Marty musste nicht fragen, was für sechs weitere das waren. Felicia arbeitete als Krankenschwester am City General, wo das Personal sich seit einiger Zeit als Suizidstaffel bezeichnete.

»Das tut mir leid.«

»Ein Zeichen der Zeit.« In ihrem Ton hörte er ein Achselzucken und dachte, dass sechs Selbstmorde an einem Tag Felicia vor zwei Jahren – als sie noch verheiratet gewesen waren – so erschüttert hätten, dass eine schlaflose Nacht unvermeidbar gewesen wäre. Aber offenbar konnte man sich an alles gewöhnen.

»Nimmst du eigentlich weiter das Zeug gegen Magengeschwüre, Marty?« Noch bevor er antworten konnte, sprach sie eilig weiter. »Ich will dich nicht nerven, mach mir bloß Sorgen um dich. Dass wir geschieden sind, heißt schließlich nicht, dass du mir nichts mehr bedeutest, weißt du?«

»Das weiß ich, und ja, ich nehme das Zeug noch.« Was eine halbe Lüge war, weil das ihm vom Arzt verschriebene Medikament nicht mehr erhältlich war, weshalb er sich mit Omeprazol begnügte. Die Wahrheit verschwieg er, weil auch ihm seine Frau noch etwas bedeutete. Seit die beiden nicht mehr miteinander verheiratet waren, kamen sie besser miteinander aus. Gelegentlich hatten sie sogar Sex, zwar nur sporadisch, aber dafür war er verdammt gut. »Freut mich, dass du dich erkundigst.«

»Ehrlich?«

»Allerdings.« Er öffnete den Kühlschrank. Die Auswahl war beschränkt, aber es gab Würstchen, ein paar Eier und einen Becher Blaubeerjoghurt, den er sich als Betthupferl aufheben würde. Dazu drei Dosen Bier.

»Gut. Wie viele Eltern sind überhaupt aufgetaucht?«

»Mehr als erwartet, aber voll war die Bude bei weitem nicht. Reden wollten sie vor allem über das Internet. Offenbar dachten sie, ich wüsste Genaueres darüber, weshalb es ständig den Geist aufgibt. Ich musste ihnen erklären, dass ich Englischlehrer bin, nicht IT-Fachmann.«

»Von Kalifornien hast du gehört, oder?« Sie hatte die Stimme gesenkt, als würde sie ein Geheimnis verraten.

»Ja.« Am Morgen hatte ein gewaltiges Erdbeben, das dritte im Monat und bei weitem das schlimmste, einen weiteren großen Brocken des Golden State im Pazifik versenkt. Erfreulicherweise war die...

Erscheint lt. Verlag 10.8.2020
Übersetzer Bernhard Kleinschmidt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel If It Bleeds
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bill Hodges • cuco • eBooks • Grippevirus • Horror • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mr Mercedes • New York Times Besteller • New York Times Bestseller • Outsider • Thriller • Weltuntergang
ISBN-10 3-641-26525-8 / 3641265258
ISBN-13 978-3-641-26525-0 / 9783641265250
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