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Gesammelte Schriften in 20 Bänden (eBook)

Band 7: Ästhetische Theorie
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
574 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76623-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
23,99 inkl. MwSt
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Ästhetische Theorie Paralipomena Frühe Einleitung Editorisches Nachwort Namenregister Übersicht

<p>Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über <em>Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie</em>. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.</p>

Daß Kunst im Begriff des Schönen nicht aufgeht sondern, um ihn zu erfüllen, des Häßlichen als seiner Negation bedurfte, ist ein Gemeinplatz. Aber damit ist die Kategorie des Häßlichen als Kanon von Verboten nicht einfach abgeschafft. Er verbietet nicht mehr Verstöße gegen allgemeine Regeln, doch solche gegen die immanente Stimmigkeit. Seine Allgemeinheit ist nur noch der Primat des Besonderen: nichts Unspezifisches soll mehr sein. Das Verbot des Häßlichen ist zu dem des nicht hic et nunc Geformten, nicht Durchgebildeten – des Rohen – geworden. Dissonanz ist der technische Terminus für die Rezeption dessen durch die Kunst, was von der Ästhetik sowohl wie von der Naivetät häßlich genannt wird. Was immer es sei, soll es ein Moment der Kunst bilden oder bilden können; ein Werk des Hegelschülers Rosenkranz trägt den Titel »Ästhetik des Häßlichen«[17]. Die archaische und dann wieder die traditionelle Kunst seit den Faunen und Silenen zumal des Hellenismus abundiert von Darstellungen, deren Stoff für häßlich galt. Das Gewicht dieses Elements wuchs in der Moderne derart an, daß daraus eine neue Qualität entsprang. Nach der herkömmlichen Ästhetik widerstreitet jenes Element dem das Werk beherrschenden Formgesetz, wird von ihm integriert und bestätigt es dadurch samt der Kraft subjek75tiver Freiheit im Kunstwerk gegenüber den Stoffen. Sie würden im höheren Sinn doch schön: durch ihre Funktion in der Bildkomposition etwa oder bei der Herstellung dynamischen Gleichgewichts; denn Schönheit haftet, nach einem Hegelschen Topos, nicht am Gleichgewicht als dem Resultat allein sondern immer zugleich an der Spannung, die das Resultat zeitigt. Harmonie, die als Resultat die Spannung verleugnet, die in ihr einsteht, wird dadurch zum Störenden, Falschen, wenn man will, Dissonanten. Die harmonistische Ansicht vom Häßlichen ist in der Moderne zu Protest gegangen. Ein qualitativ Neues wird daraus. Die Anatomiegreuel bei Rimbaud und Benn, das physisch Widerwärtige und Abstoßende bei Beckett, die skatologischen Züge mancher zeitgenössischer Dramen haben mit der Bauernderbheit holländischer Bilder des siebzehnten Jahrhunderts nichts mehr gemein. Das anale Vergnügen und der Stolz der Kunst, überlegen es sich einzuverleiben, dankt ab; im Häßlichen kapituliert das Formgesetz als ohnmächtig. So durchaus dynamisch ist die Kategorie des Häßlichen und notwendig ebenso ihr Gegenbild, die des Schönen. Beide spotten einer definitorischen Fixierung, wie sie jeglicher Ästhetik vorschwebt, deren Normen, sei’s noch so indirekt, an jenen Kategorien orientiert sind. Das Urteil, irgend etwas, eine von Industrieanlagen verwüstete Landschaft, ein von Malerei deformiertes Gesicht, sei ganz einfach häßlich, mag spontan auf solche Phänomene antworten, enträt aber der Selbstevidenz, mit der es sich vorträgt. Der Eindruck der Häßlichkeit von Technik und Industrielandschaft ist formal nicht zureichend erklärt, dürfte übrigens bei rein durchgebildeten und im Sinn von Adolf Loos ästhetisch integren Zweckformen fortbestehen. Er datiert zurück aufs Prinzip der Gewalt, des Zerstörenden. Unversöhnt sind die gesetzten Zwecke mit dem, was Natur, wie sehr auch vermittelt, von sich aus sagen will. In der Technik ist Gewalt über Natur nicht durch Darstellung reflektiert, sondern tritt unmittelbar in den Blick. Verändert könnte das werden erst von einer Umlenkung der technischen Produktivkräfte, welche diese nicht länger bloß an den gewollten Zwecken sondern ebenso an der Natur mißt, die da technisch geformt wird. Entfesselung der Produktivkräfte könnte, nach Abschaffung des Mangels, in anderer Dimension verlaufen als einzig 76der quantitativer Steigerung der Produktion. Ansätze dazu zeigen sich, wo Zweckbauten an landschaftliche Formen und Linien sich anpassen; wohl bereits wo die Materialien, aus denen Artefakte gebildet wurden, ihrer Umgebung entstammten und dieser sich einfügten wie manche Burgen und Schlösser. Was Kulturlandschaft heißt, ist schön als Schema dieser Möglichkeit. Rationalität, die solche Motive aufgriffe, könnte die Wunden von Rationalität schließen helfen. Noch der vom bürgerlichen Bewußtsein naiv vollzogene Richtspruch über die Häßlichkeit der von Industrie zerwühlten Landschaft trifft eine Relation, die erscheinende Naturbeherrschung dort, wo Natur den Menschen die Fassade des Unbeherrschten zukehrt. Jene Entrüstung fügt darum der Ideologie von Herrschaft sich ein. Solche Häßlichkeit verschwände, wenn einmal das Verhältnis der Menschen zur Natur des repressiven Charakters sich entäußerte, der die Unterdrückung von Menschen fortsetzt, nicht umgekehrt. Das Potential dazu in der von Technik verwüsteten Welt liegt in einer friedlich gewordenen Technik, nicht in eingeplanten Exklaven. Nichts vermeintlich einfach Häßliches gibt es, das nicht durch seinen Stellenwert im Gebilde, emanzipiert vom Kulinarischen, seine Häßlichkeit abwerfen könnte. Was als häßlich figuriert, ist zunächst das historisch Ältere, von der Kunst auf der Bahn ihrer Autonomie Ausgestoßene, dadurch in sich selbst vermittelt. Der Begriff des Häßlichen dürfte allerorten entstanden sein in der Abhebung der Kunst von ihrer archaischen Phase: er markiert deren permanente Wiederkunft, verflochten mit der Dialektik der Aufklärung, an welcher die Kunst teilhat. Archaische Häßlichkeit, die kannibalisch drohenden Kultfratzen waren ein Inhaltliches, Nachahmung von Furcht, die sie als Sühne um sich verbreiteten. Mit der Depotenzierung der mythischen Furcht durchs erwachende Subjekt werden jene Züge von dem Tabu ereilt, dessen Organon sie waren; häßlich erst angesichts der Idee von Versöhnung, die mit dem Subjekt und seiner sich regenden Freiheit in die Welt kommt. Aber die alten Schreckbilder überdauern in der Geschichte, welche Freiheit nicht einlöst, und in der das Subjekt als Agent der Unfreiheit den mythischen Bann fortsetzt, gegen den es sich aufbäumt und unter dem es steht. Nietzsches Satz, alle guten Dinge 77seien einmal arge Dinge gewesen, Schellings Einsicht vom Furchtbaren am Anfang könnten an der Kunst erfahren worden sein. Der gestürzte und wiederkehrende Inhalt wird zur Imagination und zur Form sublimiert. Nicht ist Schönheit der platonisch reine Beginn, sondern geworden in der Absage an das einst Gefürchtete, das erst retrospektiv, von seinem Telos aus, mit jener Absage zum Häßlichen wird, gleichsam entspringt. Schönheit ist der Bann über den Bann, und er vererbt sich an sie. Die Vieldeutigkeit des Häßlichen stammt daher, daß das Subjekt unter seiner abstrakten und formalen Kategorie alles subsumiert, worüber in der Kunst sein Verdikt erging, das sexuell Polymorphe ebenso wie das von Gewalt Verunstaltete und Tödliche. Aus dem Wiederkehrenden wird jenes antithetisch Andere, ohne das Kunst ihrem eigenen Begriff nach gar nicht wäre; durch Negation rezipiert, nagt es korrektiv am Affirmativen der vergeistigenden Kunst, Antithesis zum Schönen, dessen Antithesis es war. In der Geschichte der Kunst saugt die Dialektik des Häßlichen auch die Kategorie des Schönen in sich hinein; Kitsch ist, unter diesem Aspekt, das Schöne als Häßliches, im Namen des gleichen Schönen tabuiert, das es einmal war und dem es nun wegen der Absenz seines Widerparts widerspricht. Daß aber der Begriff des Häßlichen so gut wie sein positives Korrelat nur formal sich bestimmen läßt, steht im innigsten Zusammenhang mit dem immanenten Aufklärungsprozeß der Kunst. Denn je mehr sie von Subjektivität durchherrscht wird, und je unversöhnlicher diese allem ihr Vorgeordneten sich zeigen muß, desto mehr wird subjektive Vernunft, das formale Prinzip schlechthin, zum ästhetischen Kanon[18]. Dies Formale, subjektiven Gesetzmäßigkeiten ohne Rücksicht auf ihr Anderes gehorsam, behält, von keinem solchen Anderen erschüttert, sein Wohlgefälliges: Subjektivität genießt darin unbewußt sich selbst, das Gefühl ihrer Herrschaft. Die Ästhetik des Wohlgefälligen, einmal der kruden Stofflichkeit ledig, koinzidiert mit mathematischen Verhältnissen im künstlerischen Objekt, deren berühmtestes, in der bildenden Kunst, der goldene Schnitt ist und das seinesgleichen hat in den ein78fachen Obertonverhältnissen der musikalischen Konsonanz. Aller Ästhetik des Wohlgefallens gebührt der paradoxe Titel des Don Juan-Stücks von Max Frisch: Liebe zur Geometrie. Den Formalismus im Begriff des Häßlichen und des Schönen, wie ihn die Kantische Ästhetik einbekennt, gegen den künstlerische Form nicht immun ist, hat Kunst als Preis dafür zu zollen, daß sie über die Herrschaft der Naturmächte sich erhebt, nur um sie als Herrschaft über Natur und Menschen fortzusetzen. Formalistischer Klassizismus begeht einen Affront: er befleckt eben die Schönheit, die sein Begriff verherrlicht, durch das Gewaltsame, Arrangierende, ›Komponierende‹, das seinen exemplarischen Werken anhaftet. Was auferlegt, hinzugetan wird, dementiert insgeheim die Harmonie, die ihre Herrschaft herzustellen sich unterfängt: die anbefohlene Verbindlichkeit bleibt unverbindlich. Ohne daß der formale Charakter von häßlich und schön durch Inhaltsästhetik ruckhaft zu annullieren wäre, ist sein Inhalt bestimmbar. Er gerade verleiht ihm die Schwere, die es verwehrt, durch plumpes Übergewicht der Stoffschicht die immanente Abstraktheit des Schönen zu korrigieren. Versöhnung als Gewalttat, ästhetischer Formalismus und unversöhntes Leben bilden eine Trias.

Der latente Inhalt der formalen Dimension häßlich-schön hat seinen sozialen Aspekt. Das Motiv der Zulassung des Häßlichen war antifeudal: die Bauern wurden kunstfähig. Bei Rimbaud dann, dessen Gedichte über entstellte Leichname jene Dimension rückhaltloser verfolgten als selbst Baudelaires »Martyre«, sagt das Weib beim...

Erscheint lt. Verlag 6.4.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Adorno • Ästhetik • Ästhetische Theorie
ISBN-10 3-518-76623-6 / 3518766236
ISBN-13 978-3-518-76623-1 / 9783518766231
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