Cheops (eBook)

Roman
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2020 | 1. Auflage
272 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30568-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Cheops -  Nagib Machfus
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Keiner in Ägypten ist mächtiger als der Pharao Cheops, und die große Pyramide, an der seit zehn Jahren Tausende von Arbeitern bauen, wird seine Herrschaft im Reich der Toten fortsetzen. Dennoch findet Cheops an nichts mehr Gefallen, alles langweilt ihn. Um ihn zu zerstreuen, führen seine Höflinge einen berühmten Wahrsager und Zauberer zu ihm. Die Bestürzung ist allerdings groß, als der Zauberer nicht wie erwartet einige amüsante Geschichten zum Besten gibt, sondern prophezeit, dass ein an diesem Tag im Hause des Hohen Priesters geborenes Kind den Thron übernehmen wird. Cheops und seine Söhne setzen alles daran, das Kind aufzuspüren. »Ich bin ein Sohn zweier Zivilisationen, die sich zu einem fruchtbaren Bund vereint haben. Die eine ist die etwa 7000 Jahre alte Pharaonenzeit und die andere die islamische Zivilisation.« Nagib Machfus in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises

Nagib Machfus, geboren 1911 in Kairo, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur. Nagib Machfus starb 2006 im Alter von 94 Jahren in Kairo.

Nagib Machfus, geboren 1911 in Kairo, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur. Nagib Machfus starb 2006 im Alter von 94 Jahren in Kairo.

1


Cheops, der Sohn des Chnum, Herrscher göttlicher Größe, saß auf einem goldenen Ruhebett, das auf der Terrasse seines Schlafgemachs stand. Er ließ den Blick über den weitläufigen und üppig grünenden Garten des Palasts schweifen – ein wahres Paradies in dem ewig ruhmvollen Memphis mit seinen weißen Mauern. Um Cheops scharten sich seine Söhne und einige Männer seines Vertrauens. Der goldene Saum seines Seidengewands glänzte im Licht der sich gen Westen neigenden Sonne. Entspannt lehnte er den Rücken an ein mit Straußenfedern prall gefülltes Kissen und stützte die Ellbogen auf brokatene Polster. Die hohe Stirn und der stolze Blick zeugten von seiner erhabenen Größe, der breite Brustkorb, die muskulösen Arme und die Adlernase von seiner männlichen Kraft. Er strahlte die Würde des Vierzigjährigen aus, den die Aura pharaonischen Ruhms umgab.

Sein Blick streifte kurz die Söhne und Vertrauten, bevor er sich wieder der Sonne zuwandte, die sich hinter den hohen Palmen langsam senkte. Gelegentlich wandte er sich auch nach rechts, um den fernen Hügel zu betrachten, in dessen Erde die Gebeine unzähliger Vorfahren ruhten. Auf dem Hügel wimmelte es von Menschen. Tausende waren damit beschäftigt, Sand abzutragen und Felsblöcke zu spalten, um Platz für das gewaltige Fundament einer Pyramide zu schaffen. Sie sollte, so des Pharaos Wille, ein Wunder an Baukunst werden, das die Menschen für ewige Zeiten in ihren Bann zog.

Der Pharao liebte dieses abendliche Beisammensein in vertrauter Runde. Es war die Stunde, da die Last der zeremoniellen Förmlichkeiten und rituellen Vorschriften von ihm abfiel und er den Söhnen Kamerad und den Gefährten Freund sein konnte. Gelöst nahm er an den Gesprächen teil, bei denen es nicht nur um bedeutende Dinge ging, sondern auch um alltägliche Begebenheiten. Man erfreute sich an heiteren Anekdoten, sprach aber auch über die Widrigkeiten des Lebens und die unabwendbare Macht des Schicksals.

An jenem Tag, der in grauer Vorzeit liegt und von den Göttern als Beginn unserer Geschichte erkoren wurde, kam man auf die Pyramide zu sprechen, die Cheops als Heimstatt ewigen Lebens und Ruhestätte seines Leibes errichten ließ. Mirabu, der als Bauherr großen Anteil am künstlerischen Aufschwung Ägyptens hatte, war gerade dabei, seinem königlichen Gebieter den Entwurf zu erläutern. Er ging ausführlich darauf ein, wie er sich die weitere Arbeit an diesem gewaltigen Bauwerk vorstellte.

Der König hörte eine Weile aufmerksam zu, doch als er sich bewusst machte, dass der Beginn der Bauarbeiten bereits zehn Jahre zurücklag, konnte er seinen Ärger nicht länger unterdrücken. »Mein lieber Mirabu, ich weiß, dass du ein großartiger Künstler bist, aber wie lange willst du mich noch warten lassen? Du wirst nicht müde, von dem riesigen Ausmaß der Pyramide zu schwärmen, doch bislang wird noch immer am Fundament gebaut. Schon zehn Jahre lang stelle ich dir tausende von Menschen, alles kräftige Männer, zur Verfügung, und ich habe dafür gesorgt, dass dich die fähigsten Künstler meines Volks unterstützen. Aber trotzdem ist von dieser Pyramide, die du mir versprochen hast, nichts zu sehen. Allmählich habe ich das Gefühl, dass sich die anderen Grabbauten, die doch auch ihren Zweck erfüllen, über diesen sinnlosen Aufwand lustig machen. Immerhin kosteten sie nicht einmal ein Hundertstel von dem, was wir bereits ausgegeben haben.«

Mirabu machte ein zerknirschtes Gesicht und zog die dunkle Stirn in Falten. »Das mögen die Götter verhüten, mein Hoher Gebieter, dass ich unnötig Zeit verschwende und all die Mühe Spielerei für mich ist«, erwiderte er mit seiner sanften, wohlklingenden Stimme. »Von dem Augenblick an, in dem ich mich entschloss, die Verantwortung zu tragen, tat ich alles dafür, dass diese ewige Heimstatt meines Pharaos die Menschen alles vergessen lässt, was sie bisher für Ägyptens größte Wunder gehalten haben. Nein, wir haben in diesen zehn Jahren keine Zeit vergeudet, sondern Unglaubliches vollbracht. Keine Riesen, keine Dämonen hätten leisten können, was wir erreicht haben. Wir haben in das Felsmassiv einen Kanal geschlagen, damit das Wasser des Nils bis zum Hügel fließt. Wir haben Felsen, die fast schon die Größe eines Bergs hatten, gespalten und geschliffen, sind mit diesen Brocken umgegangen, als kneteten wir Teig. Wir bringen sie aus dem tiefsten Süden in den äußersten Norden. Wenn man sieht, wie sich die Felsblöcke auf den Schiffen zu Bergen türmen, könnte man glauben, mein Gebieter, dass die Sprüche eines mächtigen Zauberers sie über das Wasser gleiten lassen. Und schaut Euch an, wie die Arbeiter geradezu ehrfürchtig am Werk sind, als würde sich gleich die Erde spalten und als würden die Gebeine all jener ans Licht kommen, die seit tausenden von Jahren im Boden ruhen.«

Der König lächelte spöttisch. »Erstaunlich, wirklich erstaunlich. Da haben wir dich beauftragt, eine Pyramide zu bauen, und was machst du? Baust einen Fluss. Meinst du, dass dein Gebieter das Reich der Fische regiert?«

Er lachte schallend los, und auch die anderen schmunzelten. Nur der Kronprinz Rachuf blieb ernst. Trotz seines jugendlichen Alters neigte er dazu, eine besondere Strenge, ja Härte an den Tag zu legen. Er hatte vom Vater zwar die Fähigkeit geerbt, sich Respekt zu verschaffen, aber dessen freundliches Wesen besaß er nicht. »Auch ich kann mich nur wundern über die vielen Jahre, die mit der Vorbereitung des Baus vertan werden«, erklärte er in scharfem Ton. »Ich weiß, dass die heilige Pyramide, die König Snofru errichten ließ, in sehr viel kürzerer Zeit erbaut wurde.«

Mirabu legte die Hand auf die Stirn. Höflich, aber auch niedergeschlagen bemerkte er: »Königliche Hoheit, hier, in diesem Schädel, steckt ein Geist, der auf ungewöhnliche Weise arbeitet. Ständig ist er auf der Suche nach Neuem und drängt auf Vollkommenheit. Er strebt danach, das höchste Ideal in einer sichtbaren Form erstehen zu lassen, und deshalb hat er mir, nach vielen Mühen, eine unerhörte, großartige Idee aufgezwungen, für die ich alles gebe, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. So bitte ich Euch, mein Gebieter, und auch Euch, Prinz Rachuf, habt Geduld!«

Es herrschte Schweigen. Durch die Stille des Abends drang Musik. Es war die Zeit der Ablösung der Palastwache, und die Kapelle begleitete die Soldaten in ihre Unterkunft. Der Pharao dachte über Mirabus Worte nach. Als die Musik nur noch aus der Ferne zu hören war, schaute er Chumini an, den Hohen Priester im Tempel des Gottes Ptah und Wesir des Königs. Mit dem ihm eigenen freundlichen Lächeln fragte er: »Was meinst du, Chumini, sollte Geduld zu den Tugenden eines Pharaos zählen?«

Der Hohe Priester strich sich nachdenklich den Bart und antwortete schließlich: »Der unsterbliche Philosoph Kakumna, der Wesir des Königs Huta, sagte: In Zeiten der Verzweiflung ist die Geduld des Menschen Zuflucht, denn sie schützt ihn vor Elend und Not.«

Der König lachte. »Das sind die Worte des Wesirs von König Huta, aber was sagt Chumini, der Wesir des Königs Cheops?«

Wieder dachte der Hohe Priester nach, doch gerade, als er sich anschickte zu antworten, rief Kronprinz Rachuf mit dem Ungestüm eines Zwanzigjährigen: »Hoher Gebieter, natürlich ist die Geduld eine Tugend, da hat der Philosoph Kakumna Recht. Nur geziemt sie nicht Königen. Den Schwachen mag sie Trost im Unglück bieten, aber Könige sind dazu ausersehen, Widrigkeiten nicht geduldig zu ertragen, sondern sie zu bezwingen. Statt Geduld haben die Götter dem Herrscher Stärke gegeben.«

Die Augen des Königs funkelten; das freundliche Lächeln konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er zu allem entschlossen war. O ja, er konnte sich noch gut daran erinnern, was er mit seiner Stärke im Leben erreicht hatte. Mit einem Feuer, als sei er der Zwanzigjährige, erklärte er: »Das hast du gut gesagt, mein Sohn, ich bin sehr stolz auf dich. Ja, Stärke ist die Tugend der Könige, und sie würde allen Menschen eigen sein, wenn sie wüssten, wie sie sie zur Richtschnur ihres Handelns machen können. Einst regierte ich als Prinz eine kleine Provinz, dann wurde ich der König von Ägypten. Dass ich mich vom Rang eines Prinzen in den des Königs erhob, gelang mir einzig und allein durch Stärke. Machthungrige, Aufsässige und Widersacher, die mich belauerten und darauf warteten, mich aus dem Weg zu schaffen, gab es zur Genüge. Dagegen half nur, sich stark zu zeigen und ihnen die Zungen abzuschneiden, die Hände abzuhacken und ihnen die Luft zum Atmen zu nehmen. Einmal verfielen die Nubier vor lauter Dummheit dem Wahn, den Gehorsam zu verweigern und einen Aufstand zu wagen. Und was brach ihren Widerstand und zwang sie zur Vernunft? Stärke zeigen und hart durchgreifen. Wie habe ich es erreicht, in den Rang eines Gottes aufzusteigen, sodass mein Wort Gesetz ist, aus meinem Mund göttliche Weisheit spricht und mir zu gehorchen, eine heilige Pflicht ist? Einzig und allein dank meiner Stärke.«

Eifrig ergänzte Mirabu: »Und dank Eurem göttlichen Wesen, mein Gebieter.«

Der Pharao schüttelte verächtlich den Kopf. »Göttliches Wesen? Ist das vielleicht etwas anderes als Stärke?«

»Gewiss«, bekannte Mirabu, »nämlich Barmherzigkeit und Liebe.«

Mit dem Finger auf Mirabu weisend, erklärte der Pharao: »So seid ihr Künstler. Ihr schleift die härtesten Felsen, aber eure Herzen sind lauer als die Morgenbrise. Doch statt mit dir herumzustreiten, will ich dir lieber eine Frage stellen. Mit deiner Antwort will ich...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2020
Übersetzer Doris Kilias
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Ägypten • Geschichte • Pharaonen • Pyramiden
ISBN-10 3-293-30568-7 / 3293305687
ISBN-13 978-3-293-30568-7 / 9783293305687
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