Mehr Wahrheit wagen (eBook)

Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
208 Seiten
Duden (Verlag)
978-3-411-91306-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mehr Wahrheit wagen -  Alexandra Borchardt
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Die Krise des Journalismus geht uns alle an. Ausgerechnet in einer Welt der Überinformation herrscht Verständnislosigkeit zwischen denen, die Orientierung suchen, und denen, die sie von Berufs wegen bieten sollen. Das Wort 'Lügenpresse' ist der in Wut gekleidete Ausdruck davon. Wenn sich aber Bürger und Journalisten als Gegner betrachten, nutzt das vor allem denjenigen, die ihre Machtinteressen durchsetzen wollen. Populistische Politiker, autokratische Regierungschefs, selbstherrliche Firmenlenker und selbst ernannte Experten profitieren davon, wenn Kontrollinstanzen wie die Medien diskreditiert werden. Den Schaden hat die Gesellschaft. Dabei ist gerade dann, wenn Demokratien unter Druck geraten, starker Journalismus existenziell. Alexandra Borchardt, seit mehr als 25 Jahren Journalistin und Medienbeobachterin, erläutert, wie es so weit kommen konnte. Sie zeigt auf, wie die Digitalisierung die gesellschaftliche Kommunikation und den Journalismus verändert hat. Und sie beleuchtet, was passieren muss, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und neues aufzubauen. Denn sie ist überzeugt: Menschen und Medien müssen Verbündete sein, um die Gesellschaft zu gestalten.

Alexandra Borchardt ist Autorin, Dozentin und Keynote-Speakerin und war mehr als zwei Jahrzehnte lang im tagesaktuellen Journalismus tätig, zuletzt als Chefin vom Dienst der Süddeutschen Zeitung. Sie ist Senior Research Associate am renommierten Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford, wo sie Fortbildungsprogramme für leitende Journalisten und Medienmanager entwickelt hat. Zuletzt erschien von ihr das Buch Mensch 4.0 - Frei bleiben in einer digitalen Welt (2018). Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

Alexandra Borchardt ist Autorin, Dozentin und Keynote-Speakerin und war mehr als zwei Jahrzehnte lang im tagesaktuellen Journalismus tätig, zuletzt als Chefin vom Dienst der Süddeutschen Zeitung. Sie ist Senior Research Associate am renommierten Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford, wo sie Fortbildungsprogramme für leitende Journalisten und Medienmanager entwickelt hat. Zuletzt erschien von ihr das Buch Mensch 4.0 - Frei bleiben in einer digitalen Welt (2018). Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

»ICH BIN JOHN DOE.«
WARUM JOURNALISMUS UND DEMOKRATIE ZUSAMMENGEHÖREN

Die Gesellschaft besser machen: auf dem Marktplatz der Information

Bastian Obermayer war gerade dabei, die Betten frisch zu beziehen – ein Virus hatte seine Frau und seine Kinder niedergestreckt –, da meldete sich die Quelle: »Hello, this is John Doe. Interested in data?« Ob dies per Mail, Textnachricht oder Telefon geschah, ob Mann oder Frau, all das verrät der Investigativjournalist der Süddeutschen Zeitung bis heute nicht. Denn die Quelle verdient höchsten Schutz.1 An jenem Abend Anfang 2015 konnte Obermayer nicht ahnen, dass diese Kontaktaufnahme in die bislang größte investigative Recherche weltweit münden würde, die »Panama Papers«.2

Es begann ein Jahr der Recherche, die selbst innerhalb der SZ-Redaktion geheim gehalten wurde. »Manche Kollegen hatten uns schon gefragt: Was macht ihr eigentlich so beruflich?«, erzählt Obermayer später in einem Imagefilm für die SZ. Denn zum Tagesgeschäft trugen er und sein Kollege Frederik Obermaier in dieser Zeit kaum etwas bei. Unter dem Dach des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten werteten sie stattdessen zusammen mit 400 Journalisten aus 80 Ländern insgesamt 11,5 Millionen Dokumente mit 2,6 Terrabyte Daten aus. Am 3. April 2016 wurden schließlich die ersten Erkenntnisse zu dem gigantischen Netzwerk der Steuerhinterziehung rund um die Kanzlei Mossack Fonseca parallel in namhaften Medien weltweit veröffentlicht.

Daten alleine machen allerdings noch keinen Journalismus. Es ging also auch darum, die Geschichten dahinter zu recherchieren. Für die Reporter und Redakteure galt es beispielsweise herauszufinden, was von all den Aktivitäten als Verbrechen zählen könnte, was »nur« moralisch verwerflich und was Privatsache und deshalb keine Berichterstattung wert war. Bevor man jemanden zum Täter erklärt, ist schließlich höchste Sorgfalt geboten. Falsche Anschuldigungen sind nicht nur desaströs für die Betroffenen. Haben diese ausreichend Einfluss und entsprechende Anwälte, können Verleumdungsklagen schon mal ganze Medienunternehmen in den Ruin treiben. Daneben und als womöglich schlimmerer Effekt schaden sie der Glaubwürdigkeit der gesamten Branche. Was im Fall der Panama Papers im Nachhinein als Glanzstück des Journalismus gefeiert wurde, war deshalb für wohl alle Beteiligten psychisch enorm belastend. Für Reporter aus bestimmten Ländern konnte ihr Mitwirken an der Großrecherche sogar Lebensgefahr bedeuten.

Die Bürgerinnen und Bürger haben von dem hohen Einsatz profitiert. 1,2 Milliarden Dollar wurden weltweit in Staatskassen zurückgeholt. Es gab Hunderte Verfahren, Dutzende Gesetzesänderungen, die Premierminister von Island und Pakistan mussten zurücktreten. Die Kanzlei Mossack Fonseca, die im Zentrum der Geldschiebereien stand, machte dicht. »Die ganze Offshore-Industrie lebt jetzt im Post-Panama-Papers-Zeitalter, in dem alles wesentlich strenger ist«, resümiert Obermayer. »In den Köpfen der Menschen ist verankert: Offshore ist ein Problem.«3

Die Großrecherche hat so ziemlich alles abgeräumt, was an internationalen Journalistenpreisen verliehen wird, darunter den Pulitzerpreis, für jeden Reporter die höchste aller Ehren. Der Sinn von Journalismus ist es gleichwohl nicht, Egos zu streicheln und Leistungsschau zu betreiben. In der Demokratie fällt ihm vielmehr die Rolle zu, die Gesellschaft zu verbessern – im umfassendsten Sinne. Er ist den Bürgern verpflichtet, nicht dem Staat oder mächtigen Privatinteressen. In einer entsprechenden Richtlinie des Europarats heißt es daher: »Qualitätsjournalismus mit seiner Verpflichtung, nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Präzision, Unabhängigkeit, Transparenz und Menschlichkeit zu streben und als öffentliches Gut Verantwortlichkeit in allen Bereichen der Gesellschaft zu fördern, ist wie eh und je existenziell für die Funktionsfähigkeit von Demokratien.«4

Während Medien in autoritären Regimen vor allem dazu eingesetzt werden, Macht zu legitimieren und zu stabilisieren, ist es ihre Aufgabe in der Demokratie, die vielfältigen Machtgefälle auszugleichen. Unabhängiger Journalismus verleiht also denjenigen eine Stimme, die wenig Einfluss haben, und denjenigen, die viel davon haben, schaut er auf die Finger. Journalismus belebt außerdem die öffentliche Debatte und sorgt für Gesprächsstoff auch in kleineren Gemeinschaften: in der Familie, unter Freunden, im Sportverein und in der Kneipe. Dazu dienen nicht zuletzt die Klatsch- und Tratschinhalte, die manch einer als banal empfindet und bei denen Puristen sagen, es handele sich nicht wirklich um Journalismus.

In der liberalen Gesellschaft liegt alldem die Idee des Marktplatzes zugrunde. Ein freier Austausch von Ideen und Meinungen führt demnach zu einem Wettbewerb, bei dem sich am Ende diejenigen mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis durchsetzen. Und das Bild des altmodischen Wochenmarktes passt gut, denn er funktioniert nach Regeln. Es gibt Öffnungszeiten, man braucht einen Stand, es müssen Steuern entrichtet und zum Schutz der Kunden Gesundheits- und andere Vorschriften eingehalten werden. All diese Regeln sind verhandelbar und werden bei Bedarf angepasst. Und mag der eine oder andere Akteur sie weiter interpretieren oder enger auslegen, so sorgt neben der Gewerbeaufsicht doch auch die soziale Kontrolle dafür, dass sich die Anbieter an die Regeln halten. Man beobachtet sich gegenseitig.

Der Journalismus folgt ebenfalls Regeln. Redaktionen dürfen nicht zu jeder Zeit das machen, was ihnen in den Sinn kommt. In weiten Teilen ist das eine Selbstverpflichtung, wie sie zum Beispiel im deutschen Pressekodex mit seinen 16 Ziffern formuliert ist.5 Da geht es um große Dinge wie die Achtung der Menschenwürde und um nicht ganz so große, aber nicht minder wichtige wie die Trennung von Werbung und Redaktion.6 Keine Journalismus-Polizei kontrolliert, ob alles mit rechten Dingen zugeht, so wie auch auf dem Wochenmarkt nicht jedes Pfund Kirschen unter die Lupe genommen wird. Man geht davon aus, dass sich die Verkäufer anständig benehmen. Hält sich einer doch nicht daran, wird das, wie es so schön heißt, der Markt schon regeln.

Lange war der örtliche Markt alltäglicher Treffpunkt, einer der Orte, an denen das gesellschaftliche Leben stattfand. Käufer und Verkäufer kannten einander und tauschten sich aus. Nach und nach wurden Märkte mit ihrem Wettbewerb der Händler durch zentral bestückte Supermärkte und Kaufhäuser verdrängt. Das persönliche Feedback zwischen Käufer und Verkäufer ist abgerissen und wird nur noch in Umsätzen gemessen.

Die Internetplattformen haben das Einkaufen noch weiter in diese Richtung verändert, und die Produzenten haben sich angepasst. Anders als auf dem alten Marktplatz, wo es vor allem um Produkte des täglichen Bedarfs ging, haben in den virtuellen Kaufhäusern auch hoch spezialisierte Produkte eine Chance. Was zum Kassenschlager wird, lässt sich durch Algorithmen beeinflussen, die auf die Kunden zugeschnitten sind.

Ähnlich wie das Einkaufen hat sich auch das Konsumieren von Informationen entwickelt. Bezog man früher seine Information vom Markthändler des Vertrauens, der örtlichen Tageszeitung oder dem Radiosender, laufen heute über sogenannte Aggregatoren auf dem Smartphone Nachrichten ein, die zentral vorsortiert wurden. Nach welchen Kriterien das geschieht, bleibt dem Kunden verborgen und ist ihm in der Regel egal. Die Auswahl ist deutlich größer als auf dem alten Marktplatz, was verwirren, aber auch zu Entdeckungen verhelfen kann.

Journalistische Angebote werden zunehmend ebenso personalisiert ausgespielt wie die Buchempfehlungen im Online-Kaufhaus Amazon. Der Kunde findet nicht nur genau das, was er sucht, er bekommt auch Inhalte zu sehen, die zu ihm passen könnten. Auf den Plattformen, den sozialen Netzwerken, kann er sich mit anderen darüber austauschen. Die Erlebnisse werden jedenfalls differenzierter, und die Öffentlichkeit splittert sich auf. Während man in der alten Welt von Tagesschau und Tageszeitung noch ungefähr das Gleiche wie die Nachbarn als Neuigkeit wahrnahm, bewegt man sich heute je nach Themengebiet in virtuellen Bekanntenkreisen, die über die Welt verteilt sein können. Wer die Ideen seiner Nachbarn nicht ertragen kann, geht ihren Informationsquellen aus dem Weg. Die neue Kommunikationswelt ist vielfältiger, aber auch deutlich komplizierter geworden.

Im Zweifel Risiko: Die Suche nach der »bestmöglichen Version der Wahrheit«

In der Welt vor Google bestand die wichtigste Aufgabe von Journalismus schlicht darin, zu informieren. Welcher Politiker hat was gesagt? Welche Firma baut wo Jobs ab? Was ist los in meiner Gemeinde oder in meinem Stadtteil? Welche Rechte und Möglichkeiten habe ich als Bürger? Was muss ich wissen, um gut durch den Alltag zu kommen? Der Wetterbericht, der Straßenverkehr, die Ratschläge zur Steuererklärung, das Angebot an Kindergartenplätzen oder die Entwicklung der Grundstückspreise: Tatsächlich sind es diese und andere Dinge des Alltags, die viele Menschen noch immer am meisten interessieren. In Umfragen bekommen lokale Medien regelmäßig die besten Noten, wenn es um Vertrauen geht – nur die öffentlich-rechtlichen Anstalten schneiden zuweilen noch besser ab.

Journalisten werden allerdings heute zunehmend weniger dafür gebraucht, diese Grundversorgung zu liefern: Informationen zu filtern oder als eine Art Lautsprecher weiterzugeben. Künstliche Intelligenz kann ihnen diese Arbeit teilweise schon abnehmen. Einige Medienhäuser lassen bereits ihre Homepage, die Seite 1 des Online-Auftritts, von Algorithmen bestücken, und simple Nachrichten werden von Robotern...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Reihe/Serie Duden - Sachbuch
Duden-Sachbuch
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Berichterstattung • Bürger • Demokratie • Fake News • Gesellschaft • Information • Journalismus • Lügenpresse • Medien • Medienkompetenz • Medienkrise • Meinungsfreiheit • Öffentlichkeit • Pressefreiheit • Qualitätsmedien • Vertrauenskrise • Vierte Gewalt • Zeitung
ISBN-10 3-411-91306-1 / 3411913061
ISBN-13 978-3-411-91306-0 / 9783411913060
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