Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe 'Onkel Emil' im Nationalsozialismus -  Wolfgang Benz

Protest und Menschlichkeit. Die Widerstandsgruppe 'Onkel Emil' im Nationalsozialismus (eBook)

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2020 | 1. Auflage
220 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961670-4 (ISBN)
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1938 beschlossen die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich und der Dirigent Leo Borchard, gemeinsam mit Gleichgesinnten Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten. Ihre geheime 'Clique' existierte in Berlin bis zu Borchards Tod 1945 und wurde später unter dem Namen 'Onkel Emil' bekannt. Die Gruppe versorgte politisch Verfolgte und insbesondere untergetauchte Juden mit Lebensmitteln, Quartier und Papieren. Der Historiker Wolfgang Benz beschreibt vor dem Hintergrund der Judenverfolgung im 'Dritten Reich', welche Möglichkeiten es gab, Verfolgten und Bedrohten zu helfen. Vor allem aber erzählt er die bewegende Geschichte einer kleinen Gruppe von Menschen, die sich unter Lebensgefahr für andere einsetzte.

Wolfgang Benz, geb. 1941, ist Zeithistoriker und Professor em. der Technischen Universität Berlin. Er leitete bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. 2019 veröffentlichte er die Gesamtdarstellung 'Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler'. Bei Reclam erschien zuletzt 'Die Weiße Rose. 100 Seiten'.

Wolfgang Benz, geb. 1941, ist Zeithistoriker und Professor em. der Technischen Universität Berlin. Er leitete bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin. 2019 veröffentlichte er die Gesamtdarstellung "Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler". Bei Reclam erschien zuletzt "Die Weiße Rose. 100 Seiten".

Vorwort
Solidarität und Hilfe im November 1938
Diskriminierung und Entrechtung. Die Verfolgung der Juden im Dritten Reich
Warum sind sie nicht ausgewandert? Über die Schwierigkeiten, der NS-Herrschaft zu entkommen
Juden im Untergrund und ihre Helfer
Hilfe für Juden als Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Ein Freundeskreis auf dem Weg zum Widerstand
Judenretter und Widerstandskämpfer
Katastrophe am Kriegsende
Weiter auf getrennten Wegen
Der späte Ruhm der "Stillen Helden"
Lichtgestalt und Schattenfrau: Die Schriftstellerin Ruth Andreas-Friedrich
Die Einzigartigkeit der Widerstandsgruppe "Onkel Emil"

Anhang
Tätigkeitsbericht der Gruppe "ONKEL EMIL"
aus den letzten Monaten der Kampfjahre
Abbildungsnachweis
Anmerkungen
Literaturhinweise
Register

Diskriminierung und Entrechtung. Die Verfolgung der Juden im Dritten Reich


Seit dem Erhalt der Macht am 30. Januar 1933, die sich die Nationalsozialisten freilich noch mit ihren konservativen Steigbügelhaltern teilen mussten, nahm die »Lösung der Judenfrage«, das hieß Rücknahme der Emanzipation durch Ausgrenzung aus der deutschen Gesellschaft, Gestalt an. Die Gewaltakte und Pöbeleien gegen Juden nach dem 30. Januar 1933, die vor allem von der SA zu verantworten waren, erkannten die meisten Deutschen aber nicht als Beginn einer systematischen Judenverfolgung. Man hielt den Radau im Frühjahr 1933 für Siegestaumel und Überschwang der »nationalen Revolution« und war sicher, dass sich das bald legen werde.

Wie ernst der Antisemitismus der Nationalsozialisten tatsächlich gemeint war, zeigte sich allerdings rasch. Es erwies sich auch bald, dass die Sympathien der Mehrheit der Deutschen nicht auf der Seite der Juden waren, auch wenn ihnen der judenfeindliche Krawall der Hitlergefolgschaft missfiel. Dass eine »Judenfrage« existiere, die gelöst werden müsse, und zwar durch Berufsverbote für Juden in Bereichen, in denen sie überproportional vertreten waren, durch ihre Verdrängung aus dem öffentlichen Dienst und Wirtschaftsleben sowie durch die Beseitigung des Einflusses, den die Juden vermeintlich im öffentlichen Leben, in der Kultur und in der Finanzwelt besaßen – diese Überzeugung teilten viele Deutsche mit den neuen Machthabern.

Ausländische Presseberichte über Ausschreitungen gegen Juden in Deutschland wurden als »Greuelhetze« des »internationalen Judentums« dargestellt und boten Anlass zu einer Aktion, die von der NSDAP am 28. März 1933 angeordnet wurde: Ab dem 1. April sollten jüdische Geschäfte, Ärzte und Anwälte boykottiert werden. Das war vom »Zentralkomitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze« unter Leitung des notorischen Antisemiten Julius Streicher als defensive Maßnahme deklariert worden. Der Jude habe »es gewagt, dem deutschen Volk den Krieg zu erklären. Er betreibt in der ganzen Welt mit Hilfe der in seinen Händen befindlichen Presse einen groß angelegten Lügenfeldzug gegen das wieder national gewordene Deutschland«, hieß es im Aufruf zur Massenkundgebung, der Auftaktveranstaltung am Vorabend der Boykottaktion auf dem Münchener Königsplatz.

Der Boykott erwies sich nicht nur wegen der verheerenden Resonanz im Ausland als Fehlschlag, sondern auch, weil es (neben den tätlichen Übergriffen von Nationalsozialisten) zu individuellen Solidaritätsbekundungen mit den Juden gekommen war. Zudem mussten angesichts der scharfen Reaktionen des Auslands unangenehme Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft befürchtet werden. Die Aktion wurde abgebrochen; mit dem Ende der spontanen Gewalt gegen einzelne Angehörige der Minderheit begann aber nun eine organisierte Verfolgung. In der ersten Stufe wurden Gesetzgebungsakte zur Entrechtung der Juden mit diskriminierender Propaganda verbunden.

Amtshandlungen und Verfügungen, die sich gegen Juden richteten, erfolgten seit März 1933 auf vielen Ebenen. Das Reichsministerium des Innern teilte den Landesregierungen per Runderlass am 15. März mit, dass die Zuwanderung von Ostjuden künftig abgewehrt werden müsse. Länderregierungen und städtische Magistrate zeigten sich erfindungsreich, wenn es um Maßnahmen gegen Juden ging. In Sachsen wurde das Schächten von Schlachttieren verboten, und am gleichen Tag, dem 22. März 1933, hob Thüringen die Geschwisterermäßigung beim Schulgeld für jüdische Schüler auf. Die Stadt Köln untersagte die Berücksichtigung jüdischer Firmen bei öffentlichen Aufträgen am 27. März, im Land Hessen erschien eine Richtlinie für die Presse, die als »Ehrensache« forderte, dass »fremdrassige internationale jüdische Einflüsse« aus dem Nachrichten-, Unterhaltungs- und Anzeigenteil der Zeitungen auszuschalten seien. Die Reichshauptstadt Berlin warf am 31. März die jüdischen Wohlfahrtsärzte aus dem Dienst, am gleichen Tag ordnete das bayerische Innenministerium die Kündigung aller Schulärzte »jüdischer Rasse« an. In Köln durften jüdische Sportler die städtischen Sportplätze nicht mehr benutzen, Frankfurt am Main verfügte die Überprüfung der deutschen Reisepässe aller Personen »semitischer Abstammung«, in München durften jüdische Ärzte in Krankenhäusern nur noch jüdische Patienten behandeln. Am gleichen Tag (dem 4. April 1933) ließ der Deutsche Boxerverband verlautbaren, dass jüdische Faustkämpfer von der Beteiligung an Wettkämpfen von nun an ausgeschlossen seien.

Bis zur ersten und nachhaltig folgenreichen Diskriminierung von Juden durch ein Reichsgesetz dauerte es nach dem Machterhalt der Hitlerregierung nur zwei Monate und eine Woche. Das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 war ein Berufsverbot für Juden im öffentlichen Dienst und zugleich eine erste praktische Konsequenz aus dem Parteiprogramm der NSDAP. Vorläufig verschonte es noch diejenigen, die entweder schon vor dem 1. August 1914 Beamte oder im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen waren oder ihre Väter oder Söhne im Weltkrieg verloren hatten. Zum Ärger der Nationalsozialisten, die das Klischee von der »jüdischen Feigheit« nicht nur verbreiteten, sondern sogar daran glaubten, war dieser Personenkreis aber sehr groß. Das zeigte sich auch bei dem anderen Ausschlussgesetz, das am 7. April verkündet wurde und die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft regelte: Anwälten »nicht-arischer Abstammung«, wie die offizielle Formulierung lautete, die von nun an das Verhängnis für viele Existenzen bedeutete, konnte zum 30. September die Zulassung entzogen werden.

Die Ausnahmebestimmung des Frontkämpferprivilegs ging auf eine Intervention des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg beim Reichskanzler Hitler zurück, nachdem jüdische Kriegsveteranen den greisen Feldmarschall des Ersten Weltkriegs um Hilfe angerufen hatten. Für die vielen jüdischen Soldaten, die 1918 mit Orden und Ehrenzeichen heimgekehrt waren, bedeutete das »Frontkämpferprivileg« allerdings nur einen kurzen Aufschub der Entrechtung und Verfolgung.

Nach einer Schätzung der »Zentralstelle für jüdische Wirtschaftshilfe« verloren 1933 etwa 2000 jüdische Beamte des höheren Dienstes ihren Arbeitsplatz und Beruf, außerdem wurden 700 jüdische Hochschullehrer aus den Universitäten verjagt. Im April 1933 begrenzte das »Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen« die Zahl der Juden in den Bildungsanstalten; der vollständige Ausschluss wurde 1938 vollzogen. Im Januar 1937 erging das Berufsverbot für »nichtdeutschstämmige« Viehhändler.

Der »Arierparagraph« diente in Analogie zum »Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in allen Lebensbereichen als Begründung, um die Juden auszuschließen. Dabei handelte es sich um eine freiwillige Übernahme nationalsozialistischer Ideologie, denn kein Turnverein oder Sängerbund, kein Wanderklub musste Juden ausschließen – aber alle taten es. Seit September 1933 wurden vom Deutschen Automobil Club keine Juden mehr aufgenommen, ab Januar 1934 durften die Freiwilligen Feuerwehren in Preußen keine jüdischen Mitglieder mehr haben, im Februar wurden Juden aus der Wehrmacht verjagt. Schon im September 1933 hatte die Generalsynode der Preußischen Union der Evangelischen Kirche beschlossen, dass »Nicht-Arier« weder als Geistliche noch als Beamte der kirchlichen Verwaltung berufen werden durften. Das gleiche galt, wenn sie mit Jüdinnen verheiratet waren. »Arische« Beamte, die eine Person »nicht-arischer« Abstammung heirateten, wurden ebenfalls aus dem Kirchendienst entlassen. Das Schriftleitergesetz verbannte jüdische Journalisten im Oktober 1933 aus den Redaktionen, eine Verfügung des preußischen Innenministers richtete sich gegen jüdische Herrenreiter und Jockeys, ein Auftrittsverbot machte im März 1935 jüdische Schauspieler brotlos. Diese Aufzählung der Berufsverbote ist nicht vollständig.

Im September 1935 wurden auf dem »Reichsparteitag der Freiheit« die Nürnberger Gesetze verabschiedet, mit denen die deutschen Juden zu Einwohnern minderen Rechts degradiert wurden. Das »Reichsbürgergesetz« unterschied jetzt »arische« Vollbürger des Deutschen Reiches mit politischen Rechten von »Nicht-Ariern« als »Staatsangehörigen« ohne politische Rechte. Das »Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«, das Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden verbot, stellte sexuelle Beziehungen zwischen »Deutschblütigen« und Juden nach dem neu ins Strafgesetzbuch eingeführten Delikt »Rassenschande« unter drakonische Strafe. Mit diesen beiden Nürnberger Gesetzen war die im 19. Jahrhundert spät erwirkte Emanzipation der Juden definitiv rückgängig gemacht und gleichzeitig der Weg zur physischen Vernichtung dieser Minderheit bereitet.

Die mörderische Konsequenz war freilich noch nicht zu erkennen – auch nicht von den...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2020
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Schlagworte Fred Denger • Gerechter unter den Völkern • Geschichte Zweiter Weltkrieg • Karin Friedrich • Leo Borchard • Ruth Andreas-Friedrich • Weiße Rose • Widerstandsgruppen • Yad-Vashem-Medaille
ISBN-10 3-15-961670-3 / 3159616703
ISBN-13 978-3-15-961670-4 / 9783159616704
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