Volksaufstand und Katzenjammer (eBook)

Zur Geschichte des Populismus
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2020 | 1. Auflage
160 Seiten
Verlag Klaus Wagenbach
978-3-8031-4278-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Volksaufstand und Katzenjammer -  Kolja Möller
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Die westliche Welt wird gegenwärtig von einer Welle des Populismus ergriffen: Soziale Bewegungen, Parteien bis hin zu Staatspräsidenten beanspruchen für sich, das Volk gegen die 'Eliten' zu vertreten. Schon Niccolò Machiavelli, Friedrich Schiller, Richard Wagner, Friedrich Engels und Karl Marx haben die Probleme von populistischen Bewegungen nachgezeichnet. Kolja Möller nutzt die historischen Erkenntnisse für eine Gegenwartsanalyse, die zeigt, wie der Populismus als Politikform funktioniert: Was ist unter 'Populismus' zu verstehen? Wie schwankt der Appell ans Volk zwischen demokratischer und autoritärer Politik? In welchem Verhältnis steht der Populismus zur Verfassungsordnung, und welche Kommunikationstechniken wenden rechtspopulistische Bewegungen heute an? Das Buch skizziert die Hoffnung, dass ein guter Aufstand, der sich an den Widersprüchen unserer Zeit - wie Klimawandel und Globalisierung - orientiert, die autoritäre Welle noch einholen könnte.

Kolja Möller forscht am Zentrum für europäische Rechtspolitik der Universität Bremen zur Verfassungs- und Staatslehre sowie zur politischen Theorie und Soziologie. Zuvor arbeitete er unter anderem am Exzellenzcluster ??Normative Ordnungen?? der Universität Frankfurt, war Research Fellow an der Universität Brasilia und der University of New South Wales in Sydney. Bei Wagenbach außerdem lieferbar: 'Globale soziale Rechte', gemeinsam mit Andreas Fischer-Lescano.

Kolja Möller forscht am Zentrum für europäische Rechtspolitik der Universität Bremen zur Verfassungs- und Staatslehre sowie zur politischen Theorie und Soziologie. Zuvor arbeitete er unter anderem am Exzellenzcluster ››Normative Ordnungen‹‹ der Universität Frankfurt, war Research Fellow an der Universität Brasilia und der University of New South Wales in Sydney. Bei Wagenbach außerdem lieferbar: "Globale soziale Rechte", gemeinsam mit Andreas Fischer-Lescano.

2ROM, 1347, VOLKSAUFSTAND


Der Volksaufstand in der Stadt Rom war gelungen. Sein Anführer, Cola di Rienzo, hatte lange darauf hingearbeitet, das Gemeinwesen von der Tyrannei der Adelsfamilien der Orsini und Colonna zu befreien, die die Stadt Rom viele Jahre lang in einen Zustand der Unsicherheit versetzt hatten. Sie bekriegten sich auf offener Straße und unterdrückten das Volk, das popolo. Unterstützt von den Mittel- und Unterklassen zog Cola di Rienzo am 20. Mai 1347 zum Kapitol und setzte sich als Volkstribun ein. Er wollte das Gemeinwesen reformieren und den alten Glanz der Stadt wiederherstellen. In den ersten Wochen war seine Volksregierung durchaus erfolgreich. Cola stärkte die Justiz und drängte die Willkür der Adelsfamilien zurück. Euphorie griff um sich. Der Volksaufstand strahlte weit über die italienische Halbinsel hinaus und begeisterte die Menschen bis nach Frankreich. In den ersten beiden Augustwochen feierte die Stadt ein großes Einheitsfest. Mehrere Tage lang gab es Prozessionen und Bankette. Cola inszenierte sich dabei als Kaiser und führte in prunkvollen Gewändern die Umzüge an.

Am 15. Dezember 1347 war die Euphorie allerdings vollständig verflogen. An diesem Wintertag verließ Cola di Rienzo das Kapitol schluchzend. Er, der den Volksaufstand angeführt hatte und sich seitdem Volkstribun nannte, zog aus der Stadt Rom aus. Der Platz vor dem Kapitol war voller Menschen, das Volk hatte sich versammelt. So berichtet es der anonyme Stadtschreiber, der anonimo romano, dem wir die Überlieferungen zum Volksaufstand verdanken:

Weinend und schluchzend hielt der Volkstribun eine Rede an die Leute, die dort versammelt waren, und er sagte, er habe gut regiert und dass aufgrund von Neid die Menschen nicht mehr zufrieden mit ihm seien: »Jetzt, im siebten Monat trete ich von meiner Herrscherposition zurück.« Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, begann er zu weinen, dann stieg er auf sein Pferd. Die silbernen Trompeten erklangen, und mit den Insignien der Herrschaft und begleitet von bewaffneten Männern schritt er triumphierend herab und ritt zur Engelsburg.4

Doch nicht nur Cola, auch die Armen der Stadt, die sich am Wegesrand versammelten, weinten, wie der anonimo romano berichtet. Auf die vielen prunkvollen Volksfeste des Sommers folgte ein letzter, trauriger Zug aus der Stadt. An diesem grauen 15. Dezember zerschlugen sich die Hoffnungen endgültig. Die Volksregierung war isoliert und zermürbt, der Papst exkommunizierte Cola di Rienzo. Der Aufstand, der den Glanz des alten Roms wiederherstellen sollte, war gescheitert.

Schon seit dem Herbst, so berichtet der anonyme Stadtschreiber weiter, hatte sich Colas Amtsführung verändert. Nachdem er mit seinem mutigen, widerständigen Geist und seinen rednerischen Fähigkeiten den Aufstand gegen den Adel der Stadt zunächst erfolgreich angeleitet hatte, fand bald ein Rollenwechsel statt. Der Anführer des Volksaufstands wurde zum Führer der Volksregierung. Cola zeigte sich übermütig. Hatte er sich anfangs in Anlehnung an die römische Republik noch Volkstribun genannt, so inszenierte er sich immer mehr als Kaiser. Damit stellte er die Autorität des Papstes und der Kirche in Frage. Papst Clemens VI., der in Avignon residierte, war empört. Er wandte sich von Cola ab und arbeitete daran, ihn zu stürzen.

Auch die mächtigen Adelsfamilien, die mit viel Geld und Truppen ausgestattet waren, wollten Cola aus dem Weg räumen. Im Sommer begannen sie einen blutigen Bürgerkrieg gegen seine Regierung. Wieder musste Cola die Rolle wechseln. Die Umstände zwangen ihn, der nie mit militärischen Belangen vertraut gewesen war, als Feldherr zu agieren und die städtische Miliz im Bürgerkrieg zu führen. Bei den Entscheidungen, die er vom Sommer an zu treffen hatte, halfen ihm die Gesänge, Massenversammlungen und prunkvollen Kleider nicht mehr weiter, die er auf dem Freiheitsfest im August getragen hatte. Cola wurde in seinem Handeln zusehends unberechenbar, womit er sein öffentliches Ansehen untergrub. Der widerständige Mut des Volkstribuns verkehrte sich in den Übermut eines neuen Herrschers.

Der anonyme Stadtschreiber berichtet, wie sich seit dem Herbst ein erratischer Zug in Colas Verhalten zeigte. Er schien allmählich verrückt zu werden und sah überall nur noch Feinde: »Er sprach schnell und zitterte; er weinte; er wusste nicht, was zu tun ist […]. Er dachte, dass Agenten gegen ihn in der Mitte der Stadt positioniert waren. Das war nicht der Fall, weil kein einziger Rebell aufgetaucht war.«5

Am Tag, an dem er Rom verließ, brach alles endgültig auseinander: ein trauriger Auszug, der so anders war als die befreiende Apokalypse, die Cola in seinen Volksreden herbeigeredet hatte. Aus dem Zusammenbruch und der Offenbarung sollte die Energie für einen Neubeginn gewonnen werden. Cola sprach immer wieder davon, dass Rom verfalle und dem Niedergang geweiht sei. Aus der Rückbesinnung auf die Tradition der Stadt sollte ein neues, heiliges Zeitalter hervorgehen. Träger der Befreiung war das römische Volk, und dessen Anführer war er: Cola, der Volkstribun.

Der Aufstieg zum Anführer des Aufstands war nicht vorgezeichnet. Cola entstammte einfachen Verhältnissen. Sein Vater Lorenzo besaß eine Taverne, die Mutter Matalena arbeitete als Wäscherin. Cola wuchs im Stadtteil Regola auf. Nachdem seine Mutter gestorben war, verbrachte er seine Jugend in Anagni, das im Südosten Roms liegt. In der Wirtschaft seines Vaters, die sich an einem Fluss befand, trafen sich Händler und Arbeiter. Sie waren Teil jener neuen sozialen Gruppen, die in den Städten Ober- und Mittelitaliens von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhundert anwuchsen. Die Wirtschaft entwickelte sich, Textilfabriken entstanden, der Handel florierte. Die Landbevölkerung zog in die Städte und veränderte das dortige Leben. Händler, Textilarbeiter, Kaufleute und Handwerker bildeten eine neue soziale Klasse und organisierten sich in Zünften. Sie wollten den Einfluss des Adels zurückdrängen. Der Name, den sie sich gaben, den ihnen aber auch Beobachter zuschrieben, lautete schlicht »popolo«. Es war ein Kampfbegriff, den sie nutzten, um die Berücksichtigung ihrer Interessen einzufordern.6 Sie schufen sich eigene Organe und Räte, wiesen einen Repräsentanten als capitano del popolo aus und verlangten Reformen der Verfassungsordnung. Tatsächlich kam es damals zu sogenannten gemischten Verfassungen, in denen die Interessen der unterschiedlichen sozialen Gruppen ausbalanciert werden sollten. Auch das popolo wurde schrittweise berücksichtigt. Solche gemischten Verfassungen entstanden um 1250 in Lucca und Florenz, in Siena um 1262 und verbreiteten sich schließlich in der gesamten Region. So erhielt das popolo um 1222 in Piacenza die Hälfte der Ämter in der Regierung. Auch in Lodi (1224), Bergamo (1230), Genua (1257) und vielen anderen Städten erlangte es eine Vertretung im Stadtrat, während es in Bologna ab 1228 sogar die gesamte Regierungsmacht übernahm.

Im 13. und 14. Jahrhundert war ein ganzer Zyklus solcher Volksaufstände zu beobachten: Unten gegen oben, popolo gegen Feudaladel – das war das Grundmuster der Politik. Zwar unterschieden sich die jeweiligen Konfliktlagen wie auch die Familien und sozialen Gruppen, die das »Volk« konstituierten, doch insgesamt lässt sich festhalten, dass das popolo zu einem Machtfaktor wurde. Bald teilte es sich in das »fette Volk«, das popolo grasso der wohlhabenderen Bürger und Händler, und das »kleine Volk«, das popolo minuto der Handwerker und Arbeiter. Neue Konflikte zwischen oben und unten, zwischen Bürgern und Armen betraten die Bühne der Geschichte.

Die Volksaufstände der damaligen Zeit waren von einer neuen Art des politischen Denkens geprägt, das von den Universitäten ausstrahlte. Dort entdeckten die Gelehrten insbesondere römische Rechtsquellen wieder und schulten sich an den antiken Klassikern der politischen Philosophie. Dabei spielte insbesondere der Ausbildungsgang für Notare eine wichtige Rolle.7 Formal war diese Ausbildung der politischen Rhetorik zugeordnet. Doch die angehenden Notare erlernten neben der Redekunst vor allem auch, Briefe, Verträge und Urkunden ordentlich abzufassen und zu besiegeln. Diese Tätigkeit folgte strengen formalen Regeln. Außerdem spielte für die Notare auch die Kenntnis rechtlicher Instrumente und Normen eine herausragende Rolle. Nicht zuletzt kümmerten sie sich auch um Eheschließungen, Leihangelegenheiten und geschäftliche Verträge. Bei diesem Typ der Ausbildung bildete sich eine Gelehrtenkultur aus. Wer sich in der ars dictaminis schulte, der Kunst des Diktierens, erlernte nicht nur das korrekte Verfassen von Schriftstücken. Die Gelehrten diskutierten auch die sozialen Fragen ihrer Zeit. Die Anwendung der Regeln aus der Rhetorik entwickelte sich zum Kommentar. Die Gelehrten schrieben über die Geschichte ihrer Städte oder verfassten Texte darüber, wie die Stadtregierung politisch zu führen sei. Beim Notieren warfen sie die großen Fragen der Politik und Gesellschaft auf: Soll das popolo in der Politik berücksichtigt werden? Was wäre eine gute Ordnung, ein buono stato, der Freiheit und Gleichheit verbürgt? Gerade in Rom besaß die ars dictaminis eine lange Tradition, was vor allem mit der Rolle der Kirche zusammenhing. Denn seit dem 12. Jahrhundert erhielten die Notare ihre Lizenz vom Papst und wurden zuvor von Kardinälen geprüft.

Cola genoss eine Ausbildung, bei der er nicht nur lesen und schreiben lernte, sondern die ihn auch mit klassischen Quellen...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Wirtschaft Betriebswirtschaft / Management
Schlagworte antidemokratisch • Anti-Elitismus • Cola di Rienzo • Demokratie • Demokratietheorie • Friedrich Engels • Friedrich Schiller • Klimaschutz • Niccolò Machiavelli • Politische Ideengeschichte • Politische Kommunikation • Politische Philosophie • politischer Aktivismus • Populismus • populistisch • Rechtspopulismus • rechtspopulistisch • Revolution • Richard Wagner • Soziale Bewegungen • Volksaufstand
ISBN-10 3-8031-4278-4 / 3803142784
ISBN-13 978-3-8031-4278-8 / 9783803142788
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