Der Sommer, in dem Einstein verschwand (eBook)

Historischer Kriminalroman | Albert Einstein gerät ins Visier rechter Kreise

***** 2 Bewertungen

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2020 | 1. Auflage
371 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76577-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Sommer, in dem Einstein verschwand -  Marie Hermanson
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Göteborg im Sommer 1923: Zum 300. Gründungsjubiläum findet eine große Ausstellung statt, und über der gesamten Stadt hängt eine magische Atmosphäre der Euphorie und des Umbruchs.
Die junge Journalistin Ellen ergattert ihren ersten Job bei einer Zeitung und kann ihr Glück kaum fassen: Sie wird als Reporterin die Aufregung der Ausstellung einfangen. Als sie eines Nachts eine alarmierende Entdeckung macht, bittet sie den Polizisten Nils Gunnarsson um Hilfe.
Zur gleichen Zeit sitzt Albert Einstein in seinem Berliner Arbeitszimmer. Sein Privatleben steht Kopf, seine Finanzen sind miserabel und er erhält Morddrohungen aus rechten Kreisen. Und ausgerechnet jetzt muss er nach Göteborg reisen, um seine Nobelpreisrede zu halten. Doch es gibt ungeahnte Kräfte, die diese Rede um jeden Preis verhindern wollen ...

Vor der stimmungsvollen Kulisse der Göteborger Jubiläumsausstellung lässt Marie Hermanson in Der Sommer, in dem Einstein verschwand die Goldenen Zwanziger auferstehen und schafft einen turbulenten Roman, spannend und zeitgeschichtlich zugleich.



<p>Marie Hermanson, 1956 geboren, lebt in G&ouml;teborg und hat etliche Jahre ihres Lebens als Journalistin gearbeitet. Sie deb&uuml;tierte mit einer Sammlung von Erz&auml;hlungen, die, so ein schwedischer Kritiker, Zeichen sind &raquo;einer gro&szlig;en, sich entwickelnden Autorin, welche die altnordische Saga mit den besten Exempeln angloamerikanischer Fantasy und Science-Fiction zu vereinen versteht und deren Wurzeln bis hin zu Poe reichen&laquo;. Sie erhielt f&uuml;r ihren Roman <em>Die Schmetterlingsfrau</em> (1995) den renommierten schwedischen August-Preis. Mit ihrem Roman <em>Muschelstrand</em> (1998) gelang ihr der internationale Durchbruch.</p>

Otto


Mai 2002

Mir ist etwas Eigenartiges passiert.

Meine Erinnerung, die lange Zeit dunkel und stellenweise ganz leer war, ist auf einmal glasklar. Allerdings nicht in Bezug auf die jüngste Vergangenheit; ich suche immer noch ständig meine Brille und schaue auf dem Speiseplan nach, was es zum Mittagessen gibt, obwohl ich es vor drei Minuten schon einmal gelesen habe. Nein, die glasklare Schärfe beschränkt sich auf einen lange zurückliegenden Zeitabschnitt: einen Sommer, als ich dreizehn war und in Göteborg die große Jubiläumsausstellung stattfand.

Einstein sagt, die Zeit ist nicht das, was wir glauben, sie ist etwas ganz anderes. Sie ist nichts Absolutes. Sie ist eine Illusion, ein Zaubertrick für unseren gutgläubigen Blick.

Das habe ich schon immer gewusst. Bella wusste das auch. Alle Tiere wissen das. Sie leben nicht im Gefängnis der Zeit, so wie wir Menschen.

Und das Vergessen ist auch nicht das, was wir glauben: eine ätzende Flüssigkeit, die alles auflöst und vernichtet. Es ist reine Dunkelheit. Alles Geschehene ist noch da, wenn auch unsichtbar, wie Möbel in einem Zimmer in der Nacht.

Diese Dunkelheit hat sich nun aufgelöst und ein Teil meines Lebens ist hell erleuchtet. Das als Erinnerung zu bezeichnen, ist nicht ganz richtig, da denkt man vielleicht an eine verblasste Fotografie. Was ich erlebe, ist so viel mehr. Es hat nichts Plattes oder Steifes, sondern eine lebendige Welt, mit Tiefe und Bewegung, Farben und Schatten, Stimmen und Gerüchen.

Ich stehe im Menschengetümmel der Ausstellung, spüre den warmen Atem von Bellas Schnauze und höre entfernte Musik. Ich kann den Blick zu Boden richten und bemerke eine Bananenschale im weißen Sand. Sehe die bräunlichen Fasern, die Sandkörner und all die Füße, die vorbeilaufen, frisch geputzte Stiefel und Riemchenschuhe. Ich kann mich frei durch die Ausstellung bewegen, nirgends ist es dunkel oder leer. Es ist alles da. Und deutlicher als je zuvor. Ich erinnere mich sogar an Situationen, in denen ich physisch nicht präsent gewesen sein kann. Ich sehe, wie alles zusammenhängt.

Warum sehe ich das alles erst jetzt? Es war schließlich die ganze Zeit da. Vielleicht liegt es daran, dass mein Dasein in letzter Zeit zu einem blinden Fleck geworden ist. Meine Gegenwart hat nichts zu bieten.

Ich vermute, das Gehirn kann normalerweise nicht alle Eindrücke der Vergangenheit verarbeiten, es muss sich aufs Heute konzentrieren. Große Teile des Lebens müssen einfach ausgeblendet werden. So funktioniert die Zeit. Wie der Strahl einer Taschenlampe, der umherschweift und nur die nächste Umgebung erleuchtet.

Genau, so muss es sein. Alles ist eine Frage des Lichts.

Viele haben sich gefragt, wie ich, ein armer Junge vom Land, zu der berühmten Ausstellung reisen und von Mai bis Oktober meine ganze Zeit dort verbringen konnte. Dass ich, der bisher nur Kartoffeläcker, Meerrettichfelder und Misthaufen gesehen hatte, auf einmal Luftakrobaten, elegante Restaurants, Seiltänzer und gewaltige Maschinen zu sehen bekam, dass ich den König treffen und hören würde, wie der große Albert Einstein über den gekrümmten Raum sprach. Wie konnte es dazu kommen?

Beginnen wir am Anfang.

Ich wurde 1910 auf einem Gutshof in Halland geboren, der sich im Besitz eines Grafen und seiner Familie befand. Meine Mutter war in Deutschland geboren worden und als Kindermädchen für die Kinder des Grafen auf das Gut gekommen. Sie war in Leonie Hartmanns Schule für fortschrittliche Kindererziehung in Frankfurt ausgebildet worden, einer angesehenen Institution, von der reiche schwedische Familien oft Kindermädchen holten, damit die Kinder schon frühzeitig die deutsche Sprache sprechen und verstehen lernten.

Ich besitze ein Foto von meiner Mutter und den vier gräflichen Kindern. Zum ersten Mal sah ich es in den 1970er Jahren in einer Zeitung. Es war ein Artikel über den Gutshof und die Familie des Grafen. Ich rief in der Redaktion an und sagte, die junge Frau auf dem Foto sei meine Mutter, und sie besorgten mir eine Kopie.

Meine Mutter und die Kinder stehen in einer Reihe nebeneinander auf dem Gartenweg. Das Kleinste sitzt in einem Kinderwagen. Mutter trägt eine Bluse mit Halskrause unter der Schwesternschürze, sie ist schlank und sehr hübsch. Sie lächelt selbstbewusst, als sei sie die Herrscherin des Guts und nicht eine der Dienstboten.

Das ist das einzige Foto, das ich von ihr besitze. Zusammen mit den Grafenkindern. Von ihr und mir habe ich kein Foto.

Im zweiten Jahr als Kindermädchen wurde sie schwanger und musste ihren Dienst quittieren. Meine Mutter wurde gut behandelt und durfte auf dem Gut bleiben. Sie wohnte nicht mehr in einer Kammer neben dem Kinderzimmer, sondern bekam eine kleine Dienstwohnung auf dem Gutsgelände für sich und ihren Sohn (das war ich). Die feinen Salons durfte sie jedoch nicht mehr betreten, wurde zum Küchenmädchen degradiert, mit sehr viel härteren Aufgaben als zuvor. Während der langen Arbeitstage wurde ich von zwei älteren Frauen betreut, ausrangierten Dienstboten, die die schwere Arbeit in der Küche und in den Ställen nicht mehr schafften und die zusammen in einer kleinen Hütte wohnten.

Meine arme Mutter. Sie war ausgebildete Erzieherin und wusste deshalb genau, wie ein empfindlicher Säugling gehoben und getragen werden musste, welche Temperatur das Badewasser haben sollte, wie die Schleifen der kleinen Schürzen gebunden wurden, damit sie nicht rieben, und wie man die Kissen arrangierte, wenn ein Kind sitzen lernte. Ihr eigenes Kind musste sie halb dementen, schmutzigen alten Frauen überlassen. Abends holte sie mich nach Hause, wusch mich und legte mich ins Bett, dabei flüsterte sie liebevoll und sang leise kleine Lieder in ihrer Muttersprache. Als ich größer wurde, las sie mir aus einer illustrierten Ausgabe der Märchen der Gebrüder Grimm und aus anderen deutschen Kinderbüchern vor. Sie versuchte, so gut es ging, mir eine gute Erziehung angedeihen zu lassen, sie sprach ausschließlich deutsch mit mir, sie lernte nie richtig Schwedisch.

Ich habe nie erfahren, wer mein Vater war. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es der Graf selbst war. Seine Ehe mit der Gräfin war nicht glücklich, und sie ließen sich später scheiden. Mutters Gesicht auf dem Foto – das Kinn nach oben gereckt, damit der schmale Hals hervorgehoben wurde, das Lächeln keck in die Kamera gerichtet. Man sieht deutlich, dass sie sich geschätzt und schön fühlte. Hat der Graf selbst das Bild gemacht?

Meine Mutter starb in dem Jahr, als ich neun Jahre alt wurde, an der spanischen Grippe. An einem Dienstag bekam sie Fieber, am Montag darauf war sie tot. Es ging so schnell, dass ich es überhaupt nicht begreifen konnte. Ich dachte die ganze Zeit, dass sie gleich aus dem Bett aufstehen würde und wieder gesund wäre. Als ich an diesem Montag aus der Schule nach Hause kam, war die Tür zum Schlafzimmer verschlossen und die Nachbarin stand mit dem Doktor in der Küche. Sie sagte, ich solle mit ihr nach Hause kommen. Ihr Sohn war ungewöhnlich nett zu mir, ich durfte mit seinem Holzpferd, das einen Wagen zog, spielen und er schaute mir mitleidig zu. Ich zog das Pferd und den Wagen über den Boden und schnalzte wie zu einem richtigen Pferd, die Nachbarin flüsterte mit einer anderen Frau, die gekommen war: »Der arme Junge, jetzt ist er allein.«

Ich konnte bei der Nachbarsfamilie bleiben. Der Mann war Stallbursche und ich ging oft mit ihm in den Stall. Eigentlich wollte man mich dort nicht haben, aber ich schlich dennoch hin. Die eleganten Rassepferde faszinierten und erstaunten mich. Wie konnten diese großen, starken Geschöpfe sich den viel schwächeren Menschen unterordnen? Warum warfen sie die Menschen nicht ab, zermalmten sie unter ihren Hufen und galoppierten in die Freiheit? Kannten sie die eigene Stärke nicht? Den kleinen Esel dagegen fand ich viel klüger.

Der Esel Bella war, genau wie meine Mutter, aus Deutschland geholt worden, um den Kindern des Grafen Gesellschaft zu leisten. Aber, im Gegensatz zu Mutter, wollte Bella kein folgsames Streicheltier für die Oberschicht sein. Sie verschaffte sich sofort Respekt, indem sie biss.

Der Graf hatte hübsch geschmücktes Geschirr mit Troddeln und einen kleinen Einspänner für die Ausfahrten der Kinder gekauft. Der Esel wollte sich jedoch vor keinen Wagen ...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2020
Übersetzer Regine Elsässer
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920er • Albert Einstein • Antisemitismus • Ausstellung • Babylon Berlin • Berlin • Bohr • Caroline Bernard • Einstein • Entführung • Expo • Goldene Zwanziger • goldene Zwanziger Jahre • Göteborg • Historischer Roman • insel taschenbuch 4829 • IT 4829 • IT4829 • Jahrhundertausstellung • jessie burton • Jubiläumsausstellung • Karussel • Karussell • Komplott • Liebesroman • Liseberg • Muschelstrand • Neue Frau • Niels Bohr • Nobelpreis • Nobelpreisrede • Paul Weyland • Relativitätstheorie • Roaring Twenties • Schweden • Skandinavien • Sommerroman • Verschwinden • Volker Kutscher • Weimarer Republik • Weltausstellung • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-458-76577-8 / 3458765778
ISBN-13 978-3-458-76577-6 / 9783458765776
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5 Interessant und spannend!

von (Düsseldorf), am 11.03.2020

Zum Inhalt: Albert Einstein soll in Göteburg eine Nobelpreisrede halten. Das passt ihm garnicht, da sein Privatleben momentan Kopf steht. Finanzielle Probleme und Morddrohungen beherrschen seine Gedanken. Und dann gibt es noch ungeahnte Kräfte, von denen Einstein nichts ahnt, die verhindern wollen, dass er diese Rede hält. Und dann verschwindet Einstein auf einmal....
Zur gleichen Zeit in Göteborg wird das dreihundertjährige Gründungsjubiläum gefeiert. Ellen, eine junge Journalistin, soll als Reporterin, den Trubel und die Aufregung einfangen. Dabei begegnen Ihr der liebenswerte Eselsjunge Otto und ein Polizist namens Nils Gunnarsson. Als Ellen eines Nachts eine alarmierende Entdeckung macht, bittet Sie den Polizisten um Hilfe.
Meine Meinung: Anfangs bin ich mir nicht sicher gewesen, in welches Genre der Roman passt. Da die Handlung aber sehr spannend ist, kann man ihn schon fast als Krimi bezeichnen. Mir gefällt die Schreibweise der Autorin gut. Die Protagonisten sind gut beschrieben und kommen sympathisch rüber. Das Privatleben von Einstein kommt auch nicht zu kurz. Kurz gesagt, ein gelungener Roman, den ich mit besten Gewissen weiterempfehlen kann.

5 absolutes Highlight

von , am 10.03.2020

Das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Der Autorin gelingt es wunderbar eine herzerwärmende Geschichte zu erzählen, über einen kleinen Waisenjungen, der mit einem Esel zur Jubiläumsausstellung geschickt wird, über Ellen, die sich als Journalistin verwirklichen will und zum ersten Mal eigenständig lebt, über Nils, den Polizisten, der versucht im Göteborg der 20er Jahre für Recht und Ordnung zu sorgen. Und natürlich über Einstein, der so charismatisch und witzig beschrieben wird, das man ihm am liebsten nach Göteborg folgen und ihm bei seiner Rede zuhören möchte.
Die Sprache des Romans ist facettenreich, es werden unglaublich schöne Bilder beschrieben, von der Ausstellung und von Einstein, wie er am Strand spazieren geht, von der Rotunde, wo Ellen als Flapper tanzt etc. Der Autorin gelingt es unglaublich gut, den Zeitgeist einzufangen. Die Geschichte ist spannend und mit vielen liebevollen Details ausgearbeitet. Ein absolutes Highlight! Eine außergewöhnliche Geschichte mit sympathischen und authentischen Figuren und sehr spannenden Momenten!
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