Neue unheimliche Geschichten (eBook)

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2020 | 1. Auflage
430 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43726-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neue unheimliche Geschichten -  Edgar Allan Poe
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Zum Sterben schön - die Poe-Werkausgabe für das 21. Jahrhundert Die Abgründe der menschlichen Seele, die Schattenwelt zwischen Leben und Tod - niemand hat sie so genau beschrieben wie Edgar Allan Poe. Elektrisiert von den Umbrüchen seiner Zeit und den kühnen Experimenten der Wissenschaft hat Poe der Angst alles Schauerlich-Beschauliche genommen - der Beginn der literarischen Moderne. Sein Werk war von Anfang an eine Provokation im puritanischen Amerika. Erst in Frankreich fand er posthum geistiges Exil: Kein Geringerer als Charles Baudelaire übersetzte Poes Werk in fünf Bänden und legte damit den Grundstein für seinen weltweiten Ruhm.

Edgar Allan Poe, geboren 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern, gilt als eigenwilligste und faszinierendste Dichterpersönlichkeit im Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein kurzes, aber bewegtes Leben, das 1849 in Baltimore unter geheimnisvollen Umständen ein Ende fand, wurde schon bald zur Legende.

Edgar Allan Poe, geboren 1809 in Boston als Sohn von Schauspielern, gilt als eigenwilligste und faszinierendste Dichterpersönlichkeit im Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein kurzes, aber bewegtes Leben, das 1849 in Baltimore unter geheimnisvollen Umständen ein Ende fand, wurde schon bald zur Legende.

Die schwarze Katze


Weder erwarte noch beanspruche ich, dass man der äußerst abseitigen, doch zugleich auf den häuslichen Kreis beschränkten Geschichte, die ich zu Papier bringen will, Glauben schenkt. Es grenzte auch an Irrsinn, dies in einem Fall zu erwarten, da meine eigenen Sinne ihrer Wahrnehmung misstrauen. Doch irrsinnig bin ich nicht – und ebenso gewiss träume ich nicht. Aber morgen sterbe ich, und heute möchte ich mein Gewissen erleichtern. Mein vorrangiges Ziel ist es, der Welt in schlichten, knappen Worten und ohne weiteren Kommentar eine Reihe häuslicher Vorkommnisse vor Augen zu stellen. In ihrer Konsequenz waren diese Vorkommnisse für mich Entsetzen, Folter und Vernichtung. Doch habe ich nicht vor, sie zu erläutern. Für mich selbst bedeuteten sie zunächst kaum etwas anderes als Grauen – vielen werden sie weniger grauenhaft als vielmehr grotesk erscheinen. Vielleicht findet sich hiernach ein Verstand, der mein Phantasma auf das Alltägliche zurechtstutzt – ein Verstand, der ruhiger, logischer und weniger erregbar als der meine ist und der in den Umständen, die ich hier voller Abscheu schildere, nicht mehr als eine gewöhnliche Abfolge vollkommen natürlicher Ursachen und Wirkungen sieht.

Von Kindesbeinen an fiel ich durch Fügsamkeit und Freundlichkeit auf. Meine Sanftmut war so hervorstechend, dass meine Kameraden sich sogar darüber mokierten. Besonders mochte ich Tiere, und meine Eltern in ihrer Nachsicht erlaubten mir das Halten vieler solcher Lieblinge. Mit ihnen verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit, und nichts machte mich glücklicher, als sie zu füttern und zu streicheln. Dieser Wesenszug verstärkte sich noch mit dem Älterwerden, und in den Mannesjahren waren sie für mich eine der Hauptquellen des Vergnügens. Wer sich der Zuneigung eines treuen und klugen Hundes erfreut hat, dem brauche ich nicht zu erklären, welch intensive Befriedigung damit verbunden sein kann. Es liegt etwas in der selbstlosen und opferbereiten Liebe eines Tieres, das jedem unmittelbar zu Herzen geht, der reichlich Gelegenheit hatte, die armselige Freundschaft und die fadenscheinige Treue eines Menschen zu erproben.

Ich heiratete früh und hatte das Glück, eine Frau zu finden, deren Neigungen mit den meinen durchaus harmonierten. Da sie meine Vorliebe für Haustiere bemerkte, versäumte sie keine Gelegenheit, uns solche der liebenswürdigsten Art anzuschaffen. Wir hatten Vögel, Goldfische, einen edlen Hund, Kaninchen, ein Äffchen und eine Katze.

Diese war ein auffallend großes und schönes Tier, vollkommen schwarz und erstaunlich schlau. Wenn von ihrer Intelligenz die Rede war, machte meine Frau, die im Grunde ihres Herzens dem Aberglauben zuneigte, oft Anspielungen auf die alte volkstümliche Vorstellung, nach der alle schwarzen Katzen verkappte Hexen sind. Nicht, dass sie das je ernst gemeint hätte – und ich erwähne die Sache nur deswegen, weil sie mir zufällig gerade einfällt.

Pluto – so nannten wir den Kater – war mein Lieblingstier und -spielgefährte. Ich war es, der ihn fütterte, und er wich im Haus nicht von meiner Seite. Und nur mit Mühe konnte ich ihn davon abhalten, mir durch die Straßen zu folgen.

Auf diese Weise dauerte unsere Freundschaft mehrere Jahre, während derer sich meine Laune und mein Charakter – befördert durch die verteufelte Alkoholsucht (ich schäme mich, es zu gestehen) – radikal verschlechterten. Von Tag zu Tag wurde ich übellauniger, reizbarer, rücksichtsloser gegenüber den Gefühlen anderer. Selbst meiner Frau setzte ich zu. Schließlich wurde ich sogar handgreiflich gegen sie. Auch die Tiere bekamen natürlich die Veränderung in meinem Wesen zu spüren. Nicht dass ich sie einfach vernachlässigte, vielmehr malträtierte ich sie. Pluto gegenüber behielt ich jedoch genügend Achtung, um ihn von meinen Quälereien zu verschonen, während ich keine Skrupel hatte, die Kaninchen, den Affen oder auch den Hund zu misshandeln, wenn sie mir aus Zufall oder aus Anhänglichkeit über den Weg liefen. Aber meine Krankheit gewann allmählich die Oberhand – und welche Krankheit lässt sich mit dem Hang zum Alkohol vergleichen! –, und schließlich bekam selbst Pluto, der inzwischen alt und infolgedessen etwas mürrisch zu werden begann – selbst Pluto bekam die Auswirkungen meiner Übellaunigkeit zu spüren.

Eines Nachts, als ich stark angetrunken aus einer meiner Stammkneipen in der Stadt nach Hause kam, bildete ich mir ein, dass die Katze meine Anwesenheit scheute. Ich packte sie, sie erschrak vor meiner Gewaltsamkeit und brachte mir mit ihren Zähnen einen leichten Kratzer auf der Hand bei. Augenblicklich ergriff mich eine dämonische Raserei. Ich war nicht mehr ich selbst. Meine Seele schien auf einmal aus meinem Körper zu fliehen – und eine mehr als teuflische, vom Gin genährte Bösartigkeit durchzuckte jede Faser meines Leibes. Ich zog ein Klappmesser aus meiner Westentasche, öffnete es, packte das arme Tier an der Gurgel und schnitt ihm mit voller Absicht ein Auge aus der Höhle! Ich erröte vor Scham, ich brenne, ich schaudere, da ich die verdammenswerte Gräueltat niederschreibe.

Als mit dem Morgen die Vernunft zurückkehrte – nachdem ich meinen nächtlichen Rausch ausgeschlafen hatte –, verspürte ich einerseits Abscheu, andererseits Reue angesichts des Verbrechens, dessen ich mich schuldig gemacht hatte. Aber das war nur ein schwaches, unbestimmtes Gefühl, und meine Seele blieb davon unberührt. Erneut überließ ich mich dem Exzess und ertränkte jede Erinnerung an die Tat im Wein.

Unterdessen erholte sich die Katze allmählich. Die leere Augenhöhle bot zwar einen schrecklichen Anblick, doch das Tier schien keine Schmerzen mehr zu leiden. Es strich wie früher im Haus umher, floh aber verständlicherweise voll Entsetzen, wenn ich mich näherte. Ich hatte mir so viel von meinem alten Herzen bewahrt, dass mich anfangs die offenbare Abneigung eines Tieres, das mich ehedem so geliebt hatte, tief betrübte. Doch diese Empfindung wich bald dem Ärger. Und dann kam, wie um meinen endgültigen und unwiderruflichen Absturz zu besiegeln, der Geist der Perversität über mich. Mit diesem Geist hat sich die Philosophie noch nicht befasst. Aber so sicher ich mir bin, dass meine Seele lebt, so sicher weiß ich, dass die Perversität einer der Urantriebe des menschlichen Herzens ist – eine der unteilbaren primären Veranlagungen oder Empfindungen, die dem Charakter des Menschen eine Richtung vorgeben. Wer hat nicht hundertmal sich selbst bei einer bösen oder dummen Tat ertappt, die er einzig und allein deswegen beging, weil er wusste, dass er sie nicht hätte begehen sollen? Haben wir nicht eine ständige Neigung, wider besseres Wissen das Gesetz zu übertreten, einfach weil es das Gesetz ist? Dieser Geist der Perversität, ich wiederhole es, war mein Verderben. Es war dieses unerfindliche Verlangen der Seele, sich selbst zu demütigen – ihre wahre Natur zu vergewaltigen – Unrecht nur um des Unrechts willen zu tun –, das mich antrieb, die Quälerei der harmlosen Katze fortzusetzen und schließlich zu vollenden. Eines Morgens streifte ich kaltblütig eine Schlinge um ihren Hals und hängte sie an einem Baum auf; – hängte sie auf, während mir Tränen aus den Augen rannen und bitterste Gewissensbisse mein Herz peinigten; – hängte sie auf, weil ich wusste, dass sie mich geliebt und mir keinen Grund zur Verärgerung gegeben hatte; – hängte sie auf, weil ich wusste, dass ich damit eine Sünde beging – eine solche Todsünde, dass ich damit meine unsterbliche Seele gefährdete und sie – wenn so etwas möglich ist – unerreichbar machte für die Gnade des Allerbarmenden und Allzürnenden Gottes.

In der Nacht, die auf diese grausame Tat folgte, wurde ich durch Feueralarm aus dem Schlaf gerissen. Meine Bettvorhänge standen in Flammen. Das ganze Haus brannte lichterloh. Nur mit knapper Not gelang es meiner Frau, dem Dienstmädchen und mir, der Feuersbrunst zu entkommen. Alles war zerstört – mein gesamter Besitz –, und von da an überließ ich mich der Verzweiflung.

Es liegt mir fern, zwischen der Gräueltat und der Katastrophe einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung herstellen zu wollen. Aber ich beschreibe eine Kette von Ereignissen – und will dabei kein mögliches Glied auslassen. Am Tag nach dem Brand besichtigte ich die Ruine. Die Mauern waren, mit einer Ausnahme, eingestürzt. Diese Ausnahme war eine nicht sehr dicke Trennwand in der Mitte des Hauses, wo sich das Kopfende meines Bettes befunden hatte. Der Verputz hatte hier großenteils dem Feuer widerstanden – was ich dem Umstand zuschrieb, dass er erst kürzlich aufgebracht worden war. Um diese Mauer stand eine dichte Menschenmenge versammelt, und viele Leute schienen einen ganz bestimmten Teil davon mit höchster Aufmerksamkeit zu untersuchen. Worte wie »komisch!«, »seltsam!« und ähnliche Ausrufe weckten meine Neugier. Ich trat näher und sah auf der weißen Oberfläche die Gestalt einer riesigen Katze wie im Basrelief abgebildet. Der Abdruck war bewunderungswürdig genau. Um den Hals des Tieres lag ein Strick.

Als ich diese Gespenstererscheinung sah – denn für weniger konnte ich sie kaum erachten –, war mein Erstaunen und Entsetzen grenzenlos. Doch schließlich kam mir eine Überlegung zu Hilfe. Die Katze, fiel mir ein, war in einem an das Haus angrenzenden Garten erhängt worden. Nach dem Feueralarm hatte sich dieser Garten flugs mit...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2020
Übersetzer Andreas Nohl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Arthur Conan Doyle • Charles Baudelaire • Das verräterische Herz • Der Fall des Hauses Usher • Detektiv • Detektivgeschichten • Die Grube und das Pendel • Erzählungen • E.T.A. Hoffmann • Europa • Fjodor Dostojewskij • Gothic • Gothic fiction • Gothic novel • Grusel • Horror • Horrorgeschichten • Klassiker • Kurzgeschichten • Literatur • Neuübersetzung • Sammlung • Schauergeschichten • Schauerroman • Schauerromantik • Short Storys • Unheimlich • USA • Usher
ISBN-10 3-423-43726-X / 342343726X
ISBN-13 978-3-423-43726-4 / 9783423437264
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