Blutiges Brautgeld -  Ursula Walch

Blutiges Brautgeld (eBook)

Afrikas beraubte Frauen - eine Hebamme klagt an

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
258 Seiten
Braumüller Verlag
978-3-99100-290-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ihre Tätigkeit als Hebamme führte Ursula Walch zusammen mit einer spanischen NGO in den Senegal, um dort die Geburtshilfe näher kennenzulernen. Dabei stieß sie auf das Fanado-Ritual, jenes frauenverachtende Phänomen in der facettenreichen senegalesischen Gesellschaft. In diesem Buch berichtet sie von ihrer Reise in die Mangrovenwälder der Casamance, der Tradition der Genitalverstümmelung und dem Abenteuer des Gebärens fernab der westlichen Schulmedizin, wobei weder Sitten und Gebräuche noch der faszinierende Rhythmus Afrikas zu kurz kommen.

Mag. phil. Ursula Walch, Hebamme, Projektleiterin und Schriftstellerin, international für Women's Health tätig, Vorträge an Kongressen und Universitäten in Ländern Lateinamerikas, Engagement bei humanitären Projekten in Afrika, nach 11 Jahren in Spanien Aufbau des FH-Studiengangs für Hebammen in Graz, 2009 bis heute Betreuung eines Gesundheitsprojektes in der Westsahara, ab 2014 Gründung der Non-Profit-Organisation SAAMA gegen weibliche Genitalverstümmelung in Österreich und im Senegal, 2017 des Zentrums in Dakar, 2019 Aufklärungskampagne in der Casamance.

Mag. phil. Ursula Walch, Hebamme, Projektleiterin und Schriftstellerin, international für Women's Health tätig, Vorträge an Kongressen und Universitäten in Ländern Lateinamerikas, Engagement bei humanitären Projekten in Afrika, nach 11 Jahren in Spanien Aufbau des FH-Studiengangs für Hebammen in Graz, 2009 bis heute Betreuung eines Gesundheitsprojektes in der Westsahara, ab 2014 Gründung der Non-Profit-Organisation SAAMA gegen weibliche Genitalverstümmelung in Österreich und im Senegal, 2017 des Zentrums in Dakar, 2019 Aufklärungskampagne in der Casamance.

1. Felik


Ein Schrei zerriss die Nacht. Sofort war ich hellwach und orientierte mich an den wenigen silbern schimmernden Umrissen im Raum. Das kalte Mondlicht flutete durch eine kreisrunde Fensteröffnung und warf scharfe Schatten auf die gegenüberliegende Wand. Riesenhaft huschte mein Schattenbild über die lehmverputzte Mauer. Ich stolperte über Gladis’ Rucksack, fluchte, fand meine Crocs und taumelte nach draußen.

Wie ein Verbündeter wies mir der tief stehende Mond den Weg an den Hütten vorbei bis an den Rand des Dorfes. Zu Adouna, dem Haus des Lebens. Zu Abys Haus. Nur der Wind und der Sand bewegten sich durch den Ort. Sonst war nichts zu hören. Da hallte ein weiterer Schrei durch die Dunkelheit. Ich beschleunigte meine Schritte, das Knirschen im Sand klang irgendwie surreal. Kurz streifte mein Blick das Wasser und die Mangrovenwälder in der Ferne. Der Landschaft haftete etwas Magisches an.

Durch das vergitterte Fenster der Hütte drang das grelle Licht einer Neonröhre nach draußen und warf ein verzerrtes Bild in den Sand. Ein Geräusch sagte mir, dass mein mitternächtlicher Ausgang nicht unbemerkt geblieben war, doch ich beachtete den Schatten nicht. Entschlossen betrat ich Abysarrs Reich.

Auf dem Gebärbett krümmte sich Ouréye, die einzige Hochschwangere des Dorfes. Gespenstisch trat das Weiß ihrer Augäpfel aus den Höhlen, und Schweißperlen glänzten auf ihrer schwarzen Haut. Dann glätteten sich ihre Züge wieder, und sie sank zurück auf die Liege. Bei meinem Anblick weiteten sich ihre Augen erneut. Neben der Qual spiegelte sich Entsetzen in ihrem Blick und noch etwas: Verunsicherung und Hass. Hass gegen mich als Fremde, Andersartige. Eine Fremde hatte hier nichts zu suchen. Mit eisiger Miene griff sie nach dem Knebel, der ihr inzwischen in den Mund geschoben worden war. Ihre schrille Hasstirade traf mich mit ganzer Wucht. Aby schien von meinem Erscheinen ebenfalls irritiert, ließ mich aber näher treten. Souverän stoppte sie eine ältere Frau, die gerade ansetzte, sich aufzublasen wie eine Unke. Ouréyes Gekreische beendete sie ebenfalls mit einem einzigen, sehr autoritär klingenden Laut.

Ich umrundete die nur unwillig zur Seite tretende Angehörige, offensichtlich die Mutter der Gebärenden, und näherte mich dem Fußende der Liege. In der Luft lag eine beunruhigende Spannung, nicht die feierliche Erwartung und Vorfreude, die ich von Geburten auf dem Land kannte. Auch Abys Ausdruck war ernst und unergründlich, beinahe maskenhaft. Dann schweifte mein Blick von der Hebamme zwischen Ouréyes Beine.

Scharf sog ich die Luft ein. Großer Gott! Sofort war klar, warum ich nicht verständigt worden war. Warum ich nicht hier sein sollte. Hier, bei Ouréyes Geburt.

Ich schluckte.

„Du willst es nicht hören“, beteuerte Aby und griff zur Schere.

Nein, eigentlich wollte ich es nicht hören und noch weniger sehen, aber da führte jetzt kein Weg vorbei. Spätestens bei der fünften Verstümmelten würde ich abgestumpft sein, und wusste dennoch, dass ich mich nie an diesen Anblick würde gewöhnen können. Ich nickte tonlos.

Die nächste Wehe rollte an. Ich sah noch keinen Kopf, aber das war bei der pflaumengroßen Öffnung am Scheideneingang auch nicht möglich. Der Rest war zugenäht.

Aby setzte die Schere an und schnitt. Tief. Tiefer. Das vernarbte, harte Gewebe knirschte und knackte zwischen dem blanken Stahl. Ouréye bäumte sich auf, das Gesicht verzerrt vor Wut und Schmerz. Die ältere Frau hatte Mühe, sie auf die Liege zu pressen. Wie Klauen krallten sich Ouréyes Finger in den knochigen Rücken ihrer Mutter.

In mir verkrampfte sich alles. Wie versteinert starrte ich auf die klaffende Wunde, durch die sich quälend langsam der Kopf schob.

Aby legte die blutige Schere weg, mit der sie soeben den Schnitt an einer Stelle gesetzt hatte, die für uns nicht nur die intimste, sondern auch die lustvollste ist. Unspektakulär, wie selbstverständlich. Oder vielleicht doch nicht? Zitterten ihre Hände oder bildete ich mir das nur ein?

„Mach langsam, Ouréye“, mahnte Aby, während sie die Finger einer Hand bremsend auf den feuchten, kahlen Kopf des Kindes legte. Aus der dünnsäumigen, blassrosa Wunde blutete es nur wenig.

Das Kind wurde in derselben Wehe geboren. Die hagere Alte bekreuzigte sich – eine Katholikin in dem muslimischen Dorf? – und brummte erleichtert. Dann streifte sie dem Kind ein Gris-gris, ein kleines Lederamulett, über den Kopf.

Aby legte den Jungen auf den Bauch seiner Mutter, die sich den Knebel aus dem Mund nahm und den Kleinen zur Brust zog. Gurgelnd und Fruchtwasser spuckend kämpfte das Kind darum, genügend Luft zu bekommen. Ich sah mich nach einem Sauger um und entdeckte auf dem sauberen Tuch neben Spritze und Hörrohr für die Herztöne einen Ballonsauger, wie ich ihn aus Südamerika kannte. Als ich damit die Atemwege freimachen wollte, war die Großmutter schneller. Schon hatte sie sich über das Kind gebeugt und ihre dünnen Lippen über den kleinen Mund gestülpt. Was sie geräuschvoll heraussaugte, spuckte sie auf den Boden. Als das Kind lauthals zu schreien begann, wischte sich die Alte zufrieden den Mund an ihrem Kaftan ab.

Während wir auf die Nachgeburt warteten, mied Aby meinen Blick, vermutlich waren mir das Entsetzen und die Verständnislosigkeit allzu deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich beobachtete die Frau mittleren Alters mit der Haut so schwarz wie Ebenholz, deren kurzes Kraushaar wild nach allen Seiten abstand wie die Stacheln eines Morgensterns. Akribisch bereitete sie auf der Ablage neben dem Waschbecken alles zum Nähen vor. Viel war es nicht: eine Schere, eine chirurgische Pinzette, ein Nadelhalter. Die Nadeln hatten Ösen, aber keinen Faden, und ich erinnerte mich an längst vergangene Zeiten, als ich während meiner Ausbildung noch kein atraumatisches Nahtmaterial zur Verwendung hatte, das weniger Schmerzen verursachte.

Als hätte sie meine Gedanken erraten, flüsterte Aby: „Ich habe nicht mehr Anästhesie zur Verfügung.“ Seufzend strich sie sich mit dem behandschuhten Handrücken über das Haar.

Auch das noch. Das durfte nicht wahr sein! Also hatte sie die Frau schon vor dem Schnitt infiltriert, fragte sich nur womit. Im Müllsack fand ich eine kleine Ampulle Lokalanästhetikum, ein Witz angesichts der ausgedehnten Wunde oberhalb und zu beiden Seiten des Scheideneingangs, die nun stärker zu bluten anfing.

„Aber Aby, das ist doch Wahnsinn!“, zischte ich.

„Hast du eine bessere Idee?“, fauchte sie zurück.

Scheiße!, fluchte ich. So eine Scheiße! Fieberhaft arbeiteten meine grauen Zellen, suchten nach Betäubungsmethoden aus früheren Zeiten, aber außer Alkohol, Mohn und Holzhammer fiel mir nichts ein. In welchen Film, nein, in welchen Albtraum war ich da geraten?

„Es ist das fünfte Kind“, meinte Aby und legte den Kopf schief. „Aber ein Mal geht noch.“ Meinen fragenden Blick ignorierend fädelte sie Catgut in eine Nadel. Es war ein langer Faden.

Unterdessen hatte die Großmutter dem Kind ein Tuch übergeworfen und sich auf einem Hocker neben der Liege niedergelassen. Wir alle wussten, dass die Geburt noch nicht vorbei war, bei einer Vielgebärenden lauerte die größte Gefahr gerade danach bei der Plazentalösung. Ich tastete den Bauch ab. Die Gebärmutter stand hoch, war aber nicht schwammig oder weich. Da Ouréye keine Anstalten machte, half ich nach und schob dem Kind eine Brustwarze in den Mund, um durch das Saugen eine schnellere Lösung der Plazenta zu erreichen.

„Hast du kein Oxytocin?“, fragte ich. Es war eine rein rhetorische Frage.

Unglücklich schüttelte Aby den Kopf. „Das alles steht auf meiner Liste“, murmelte sie.

Natürlich. Die Liste. Aber ganz oben auf der Liste sollte stehen: keine Verstümmelungen mehr, dann gebären die Frauen ganz unkompliziert. Ich überlegte mir den Worst Case, wie es ein Arzt tun würde, der in der Geburtshilfe vor allem für Komplikationen trainiert wurde. In einem solchen Fall wäre Eis hilfreich, aber das gab es ebenfalls nicht. Hirtentäschelkraut vermutlich auch nicht. Und in der Botanik der Mangrovenwälder kannte ich mich nicht aus. Falls eine verstärkte Nachblutung einsetzen sollte, blieb uns nur zu beten, aber darin hatten diese Frauen ja Übung.

Ich schielte zu dem Rinnsal, das von den Wundrändern in die unter dem Gebärbett angebrachte Schüssel tropfte. „Hast du sonst irgendetwas Rückbildendes?“ Nur für den Fall. Mit verstärkten Nachblutungen war nicht zu scherzen. Nicht mitten in den Mangroven.

„Einen Sandsack.“

Ah ja. Ich nickte. Immerhin. Im selben Moment richtete Ouréye sich auf und presste die Plazenta heraus. Aby fischte sie aus der Schüssel und breitete sie auf einer Folie am Boden...

Erscheint lt. Verlag 3.2.2020
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Afrika • Anklage • brautgeld • Casablanca • Gebären • Genitalverstümmelung • Hebamme • Kinder • Mangrovenwälder • NGO • Senegal
ISBN-10 3-99100-290-6 / 3991002906
ISBN-13 978-3-99100-290-1 / 9783991002901
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99