Gottfried August Bürger -  Klaus Damert

Gottfried August Bürger (eBook)

Liebeslyrik Balladen

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
128 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-6598-5 (ISBN)
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"Keine Nation der Welt, nicht die feurigen Italiener, nicht die leicht- und heissblütigen Franzosen, haben etwas aufzuweisen, was nur im Entferntesten mit diesen kostbaren Perlen deutscher Lyrik zu vergleichen wäre. [ ... ] Was sind das für Töne! welche Wahrheit, welche Kraft! In dieser Weise hat die Poesie noch nie das innerste Verlangen ausgesprochen, wird sie es nicht weiter aussprechen." Se1igmann Heller vergleicht 1872 die Lyrik Goethes, Schillers und Bürgers und charakterisiert damit dessen Molly-Lieder. In seinen Balladen mit ihren geballten Strophen war Bürger von einer so dröhnenden Genauigkeit, wie es sie noch nie gegeben hatte. Von ihm haben alle gelernt, die je in deutscher Sprache Balladenhaftes schreiben sollten. Seine körperhaft dingnahe Poesie, die sich in dem volkstümlich-derben Genre der Ballade mit einem Behagen verwirklicht, vermag auch nach zweihundert Jahren noch zu berühren (Peter von Matt 1998). Das Verdikt der Klassiker (Schillers infame Kritik) hat dazu beigetragen, dass Bürger nie den Platz in der deutschen Literaturgeschichte erhalten hat, der diesem genialen und zugleich unglücklichen Autor zukommt (Paul Raabe 1997).

Naturwissenschaftler, beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Rezeption Bürgerscher Werke.

Der Volksdichter


Was bleibt von einem Dichter? Wenn er Glück hat, erinnert man sich wenigstens an eins seiner Werke. Wenn er Pech hat – oder es nicht besser verdient – ist dem Publikum sein Namen unbekannt. Es kann aber noch schlimmer kommen. Jedermann kennt etwas von diesem Dichter, kann es diesem jedoch nicht zuordnen. Theodor Fontane, der Wanderer durch die Mark Brandenburg, bewundert 1894 einen solchen Dichter: „ich kann mir nämlich kaum einen ordentlichen Deutschen vorstellen, der nicht Bürger-Schwärmer wäre. Als Balladier steckt er doch den ganzen Rest in die Tasche; der Ruhm Bürger's hat mir immer als ein Ideal vorgeschwebt: ein Gedicht und unsterblich.“ Der Philosoph Arthur Schopenhauer notierte schon 1864 in seinem handschriftlichen Nachlass: „Sie setzen Leuten Monumente, aus denen einst die Nachwelt gar nicht wissen wird was sie machen soll. - Aber Bürgern setzen sie keines.“ Eine weitere Geistesgröße – Ludwig van Beethoven – nutzt die von Fontane angesprochene Ballade Lenore als Vorlage für eine seiner letzten Klaviersonaten: die Klaviersonate op. 101, A-Dur. Nun ist das etwas für Spezialisten der klassischen Musik, aber der Schlußsatz der IX. Sinfonie des Meisters mit der Ode an die Freude ist dagegen fast ein Schlager geworden. Dabei geht die charakteristische Melodie dieses Satzes, die Beethoven schon vorher in seiner Chorphantasie nutzte, auf Bürgers Gedicht Gegenliebe zurück. Daneben hat er Mollys Abschied, Seufzer eine Ungeliebten und Das Blümchen Wunderhold vertont. Auch Goethe und Schiller profitierten von Bürger: dessen Lenore begründete 1773 die Gattung der Kunstballade, lange bevor die beiden Weimaraner dazu eigene Beiträge lieferten, wobei oft das sogenannte Balladenjahr 1797 genannt wird. So mag es den wissenden Leser schon verwundern, dass sich angeblich Bürger mit seiner im Jahre 1773 entstanden Lenore an den erst 1782 entstandenen Goetheschen Erlkönig angelehnt haben soll.

Doch vergessen wir einmal diese berühmten Leute, konstatieren lediglich, dass neben Beethoven noch über 180 Komponisten für die Verbreitung von Bürgers Texten gesorgt haben und befassen uns mit dem gemeinen Leben und der deutschen Sprache, der Umgangssprache. Was sagen uns folgende Wörter: Ackerflur, Adelsbrut, Haremswächter, Lausejunge, querfeldein, sattelfest, tiefbetrübt, Unschuldsdieb oder Volksgewimmel?

Es sind Wörter, die man nicht nur in jedem Wörterbuch findet, sondern die man auch mal selbst verwendet und immer wieder lesen kann. Das Besondere daran ist jedoch, dass diese Wörter nicht schon immer zum Wortschatz des Deutschen gehörten, sondern Wortschöpfungen sind, die wir neben vielen anderen unserem Dichter verdanken. Nicht vergessen sei, dass auch viele Redewendungen aus Bürgers Werken, besonders dem Münchhausen, der Lenore oder Der Kaiser und der Abt in die Umgangssprache Eingang gefunden haben; man denke nur an den Ritt auf der Kanonenkugel oder dem Ziehen am eigenen Schopf aus dem Sumpf.

Eine Bemerkung des Schweizer Autors und Literaturwissenschaftlers Peter von Matt von 1998 zeigt am deutlichsten die Problematik des aktuellen Bürger-Bildes: „Bürger hat das deutsche Gedicht zu einem Ereignis aller fünf Sinne gemacht. Wie das deutsche Theater vom sozialen Scharfblick [Jakob Michael Reinhold] Lenz', lebt der deutsche Vers bis heute von Bürgers melodischem Sensualismus - ob das die Dichterinnen und Dichter nun selber wissen oder nicht.“ Sie wissen es tatsächlich nicht mehr – das breite Publikum erst recht nicht. Die Neue Geschichte der deutschen Literatur von 2004 ignoriert Bürger, lediglich als Mitarbeiter seines Schülers August Wilhelm Schlegel wird er in einem Nebensatz erwähnt. Doch warum ist das so? Paul Raabe, der manchem Leser als Retter der Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale bekannt sein dürfte, formuliert es 1997 so:

„Er hatte noch erleben müssen, wie ihn einer der beiden Klassiker, Friedrich Schiller, in einer Rezension auf eine infame, unverzeihliche Weise wegen des volkstümlichen Stils seiner Gedichte und Balladen nicht nur abkanzelte, sondern zugleich moralisch vernichtete. [...] Das Verdikt der Klassiker hat dazu beigetragen, dass dieser Dichter der Sturm- und Drangperiode, in der die Aufklärung zugleich in literarischer Hinsicht einen Höhepunkt hatte, nie den Platz in der deutschen Literaturgeschichte erhalten hat, der diesem genialen und zugleich unglücklichen Autor zukommt."

Bürger starb 1794, Friedrich Schiller 1805 und Johann Wolfgang Goethe 1832. Bis zu Goethes Tod und noch darüber hinaus war Bürger ohne Zweifel der populärste deutsche Dichter, der mit seinen Werken alle Schichten des Volkes erreichte. Es waren Gedichte, etwas was sich leicht auswendig lernen ließ, was sich deklamieren und singen ließ, was man billigst verbreiten konnte: über Liedflugschriften, die auf Märkten für Pfennigbeträge vertrieben wurden. Doch es war auch die Zeit, in der das Zeitalter der Romane beginnt, die mit größeren Auflagen zu niedrigeren Preisen zu haben waren – allerdings erst größere Verbreiterung fanden, als das Bildungsniveau, die Lesefähigkeit, hoch genug war und es finanzielle Freiräume gab. Mit dem globalen Siegeszug des Romans wurde die Lyrik immer weiter zurückgedrängt und spielt auch heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Noch mehr als diese international zu beobachtende Entwicklung hat dem Ansehen Bürgers ein deutscher Sonderweg geschadet: die deutsche Klassik mit ihrem Schillerschen Idealismus. Demgegenüber steht in Bürgers Werk das Individuum; jeder Mensch ist einzig und nicht nur gut oder nur schlecht. Insbesondere geht es Bürger nicht darum, diesen Menschen zu irgendetwas zu erziehen. Am besten charakterisiert wohl der Philosoph Arthur Schopenhauer, was Bürger antreibt:

„Ist doch überhaupt der Dichter der allgemeine Mensch: alles, was irgend eines Menschen Herz bewegt hat, und was die menschliche Natur, in irgendeiner Lage, aus sich hervortreibt, was irgendwo in einer Menschenbrust wohnt und brütet, - ist sein Thema und sein Stoff, - wie daneben auch die ganze übrige Natur. Daher kann der Dichter so gut die Wollust, wie die Mystik besingen, Anakreon oder Angelus Silesius seyn, Tragödien oder Komödien schreiben, die erhabene oder die gemeine Gesinnung darstellen, - nach Laune und Beruf. Demnach darf Niemand dem Dichter vorschreiben, dass er edel und erhaben, moralisch, fromm, christlich, oder dies oder das sein soll, noch weniger ihm vorwerfen, dass er dies und nicht jenes sei. Er ist der Spiegel der Menschheit, und bringt ihr was sie fühlt und treibt zum Bewusstsein.“

Diese Haltung könnte man als selbstverständlich ansehen – war sie in Deutschland leider nicht. Schiller schwebte eine idealistische Literatur vor, die dazu dienen sollte, den Menschen zu etwas besserem, „höherem“ zu erziehen. Sein Ziel: edle Werke für edle Menschen. Dagegen Bürger: Literatur gleichermaßen für Gebildete und das gemeine Volk. Ausgerechnet in der Rezension von Bürgers Gedichtbänden von 1789 legte Schiller die Grundlagen für diesen Idealismus. Zu Lebzeiten war ihm damit kein Erfolg beschieden, der stellte sich erst ein, als das deutsche Bürgertum aus politischen Gründen seinen Idealismus okkupierte. Ob Schiller damit glücklich geworden wäre, bleibt offen; für diese Instrumentalisierung kann man ihn nicht verantwortlich machen – allerdings hat er eine perfekte Vorlage dafür geliefert, die auch die Nationalsozialisten bestens zu nutzen wussten: nicht von ungefähr sah Joseph Goebbels Schiller als „Fleisch von unserem Fleisch“, „Blut von unserem Blut“ und Hans Fabricius ihn „als Kampfgenosse Hitlers“. Begonnen hatte diese Entwicklung mit Georg Gottfried Gervinus Deutscher Literaturgeschichte von 1835 – 1842. Schiller war der neue Gott, was besonders zu dessen 100. Geburtstag zelebriert wurde. Gervinus ersetzte den populärsten deutschen Dichter – Bürger – durch Schiller. Allerdings war Bürger nicht das einzige Opfer, sondern nur das prominenteste. Es gab ab sofort und auf lange Zeit nur zwei bedeutende Dichter: Goethe und Schiller. Durch die Sakralisierung Schillers trat jedoch Goethe in den Hintergrund. Die Dominanz Schillers zeigen zwei Zitate aus der Literaturgeschichte Eduard Engels von 1928: „Am 10. November 1859 trat das Deutsche Volk in den höchsten Edelstand der Menschheit ein: als es den hundertsten Geburtstag Schillers feierte, wie die Völker noch nie das Fest eines andern Menschensohnes gefeiert hatten.“ Das Irrationale der Sakralisierung zeigt der Satz: „Zum Wertvollsten Deutscher Männer gehört der Höhenschwung der Seele: bei keinem Deutschen Dichter finden wir eine stärkere Beflügelung des überirdischen Empfindens als bei Schiller.“ Der Ausschluss des „schwachen“ Geschlechtes ist dabei wohl noch das kleinste Übel.

Der Charakter der Literatur wurde vaterländisch, von Schillerschem Pathos geprägt und prüde – all das war Bürgers Lyrik nie. Zu welchen Auswüchsen das führte, zeigt 1884 die...

Erscheint lt. Verlag 30.12.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
ISBN-10 3-7504-6598-3 / 3750465983
ISBN-13 978-3-7504-6598-5 / 9783750465985
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