Das Landleben (eBook)

Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
302 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-74826-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Landleben - Werner Bätzing
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In einer Zeit zunehmender Verstädterung brauchen wir eine neue Sicht auf das Landleben. Es ist keineswegs Ausdruck überholter Verhältnisse, es ist vielmehr Grundlage für die Dynamik und Spezialisierung in den Städten und Zentren. Der bekannte Geograph und Alpenforscher Werner Bätzing hält das Land mit seinen Traditionen und Kulturlandschaften für unverzichtbar. Daher mündet sein so fundiertes wie nachdenkliches Buch in Leitideen für die Zukunft des Landlebens.

Gibt es heute noch ein Leben auf dem Land, das nicht städtisch geprägt ist? Und brauchen wir in der modernen Welt überhaupt ein Landleben? Oder ist es nur noch ein romantisches Relikt aus der vergangenen Zeit? Wer das Landleben verstehen will, so der bekannte Geograph und Alpenforscher Werner Bätzing, muss Landwirtschaft, bäuerliche Kulturlandschaften, Dorfleben, Traditionen sowie die engen Verflechtungen zischen Ihnen kennen. Da das Land aber stets in einem engen Austausch mit der Stadt steht, muss er auch verstehen, welche Auswirkungen die Industrielle Revolution, die Entdeckung des Landes als 'schöne Landschaft', der wirtschaftliche und demographische Wandel, die Entstehung der Konsumgesellschaft und das Erstarken des Neoliberalismus auf das Landleben besitzen - andernfalls besteht die Gefahr, das Land zu stark als Idylle wahrzunehmen. Bätzings breit angelegte und historisch fundierte Darstellung steht quer zu den üblichen Sichtweisen und lässt das Landleben in einem völlig neuem Licht erscheinen.

Werner Bätzing, Prof. em. für Kulturgeographie, ist als Alpenforscher in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit bekannt geworden. Für seine Arbeiten zum Alpenraum erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Seit 1995 beschäftigt er sich auch vertieft mit dem ländlichen Raum in Bayern und engagiert sich für seine Aufwertung.

2. Die Entstehung des Landlebens und die Veränderung der Natur


2.1 Der Beginn des Landlebens


Wann entsteht das Landleben in der Geschichte der Menschheit? Oder ist es vielleicht schon immer vorhanden, seit es Menschen gibt?

Die europäische Antwort auf diese Frage ist sehr eindeutig: Da das Land hier untrennbar mit Dörfern, Bauern und landwirtschaftlich genutzten Flächen identifiziert ist (siehe Seite 13), entsteht das Land erst mit der Entstehung von Landwirtschaft und Sesshaftigkeit. Anders ausgedrückt: Ein Raum, der von Wildbeutern, also Jägern und Sammlern genutzt wird, gilt nicht als Land, weil feste Siedlungen, Bauern und Kulturlandschaften fehlen.

Aber dies ist die europäische Sichtweise. In Staaten wie USA, Kanada oder Australien kann unter Land der gesamte Raum jenseits der Städte verstanden werden, egal ob er von Bauern, von Wildbeutern oder gar nicht vom Menschen genutzt wird – eine weltweit einheitliche Sichtweise gibt es nicht.

Da dieses Buch der europäischen Sichtweise verpflichtet ist, beginnt das Landleben mit der Entstehung der Landwirtschaft. Daher ist zuerst zu klären, wann und wo Landwirtschaft und Sesshaftigkeit auf der Erde entstehen. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass beides in der Zeit zwischen 10.000 und 5000 v. Chr. mehrfach in verschiedenen Teilen der Welt geschieht (siehe Karte 2):[1]

Fruchtbarer Halbmond (Vorderasien): Kultivierung Getreide (Einkorn, Emmer, Gerste) und Hülsenfrüchte; Domestizierung Ziege und Schaf, etwas später Rind und Schwein.

Südostasien (China): Kultivierung Hirse (im Norden), Reis (im Süden) und Sojabohne; Domestizierung Huhn und Schwein.

Mittelamerika (Mexiko): Kultivierung Mais, Kürbis, Paprika.

Südamerika (Bolivien, Peru): Kultivierung Kartoffel, Bohne; Domestizierung Lama, Alpaca, Meerschweinchen.

Hochland von Neuguinea: Kultivierung Banane, Zuckerrohr, Taro (als Gartenkulturen).

Bei zwei weiteren Regionen, nämlich den östlichen USA (Kultivierung Kürbis und Sonnenblume) und der Sahelzone (Kultivierung Hirse, Sorghum, Hülsenfrüchte, Domestikation Rind) ist noch nicht geklärt, ob diese Innovationen hier entwickelt oder ob sie aus anderen Regionen importiert werden.

Auffällig ist dabei, dass die Landwirtschaft mehrfach auf der Erde unabhängig voneinander entsteht und dass in Abhängigkeit von den verschiedenen ökologischen Voraussetzungen jeweils sehr unterschiedliche Pflanzen und Tiere kultiviert und domestiziert werden. Dabei ist auch das Verhältnis von Ackerbau und Viehwirtschaft unterschiedlich ausgeprägt: Es gibt Regionen, in denen Ackerbau und Viehwirtschaft gleichwertig nebeneinanderstehen (Fruchtbarer Halbmond), in denen die Viehwirtschaft weniger Bedeutung als der Ackerbau hat (Südostasien) oder in denen die Viehwirtschaft völlig fehlt (Mittelamerika, Neuguinea).

In der Regel gibt es in einer Region eher wenige Pflanzenarten und Tierrassen, auf die sich die Landwirtschaft jeweils stützen kann, aber insgesamt ist das landwirtschaftliche Spektrum ziemlich groß. In weltweiter Perspektive steht deshalb am Anfang der Landwirtschaft – im Gegensatz zu heute – eine große Vielfalt an Nutzpflanzen und Haustieren, während in regionaler Perspektive dieses Spektrum begrenzt ist. Dies führt dazu, dass die jeweiligen bäuerlichen Kulturlandschaften unterschiedlich geprägt sind und verschiedenartige Landschaftsformen ausbilden und dass sich auch die bäuerlichen Gesellschaften in ihren materiellen Sachkulturen und in ihren immateriellen Vorstellungen – die wichtigste Nutzpflanze und das zentrale Haustier gelten überall als eine Gottheit oder als ihre Gabe – deutlich voneinander unterscheiden.

Nachdem sich die Landwirtschaft in den nicht besonders großen Entstehungsgebieten konsolidiert hat, breitet sie sich wenig später auf weitere Flächen aus. Diese Ausbreitung wird dadurch beschränkt, dass die zentralen Nutzpflanzen ganz bestimmte Anforderungen an Feuchtigkeit und Wärme stellen.[2] Daher können sie in einem ersten Schritt nur innerhalb solcher Regionen verbreitet werden, die ähnliche ökologische Rahmenbedingungen wie die Ursprungsgebiete besitzen. In einem zweiten Schritt werden die Nutzpflanzen allmählich an andere Umweltbedingungen angepasst, wodurch immer weitere Regionen landwirtschaftlich erschlossen werden können. Am Schluss jedoch verhindern vier Klimafaktoren, dass sich die Landwirtschaft über die gesamte Erde ausbreitet, und es bleiben große Gebiete übrig, die sich einer landwirtschaftlichen Nutzung sperren. Dies sind Wüsten (zu große Trockenheit), polnahe Gebiete (zu große Kälte), Gebirge (zu große Kälte) und tropische Regenwälder (zu große Schwüle, sehr ungünstig für die meisten Nutzpflanzen und Haustiere).[3]

Am Rande dieser vier Gebiete gibt es aber Teilräume, die zu gewissen Jahreszeiten etwas günstigere klimatische Bedingungen aufweisen, nämlich geringe Niederschläge in den Wüsten, etwas wärmere Temperaturen in den polnahen Gebieten sowie in den Gebirgen und etwas geringere Schwüle im tropischen Regenwald. Diese Schwankungen sind zwar nicht so groß, dass sie einen Ackerbau ermöglichen, sie reichen jedoch für eine saisonale Viehweide aus, wenn das Vieh dabei längere Wanderwege zurücklegt. Deshalb bilden sich in diesen Randgebieten im Laufe der Zeit spezielle Viehwirtschaftssysteme heraus – Nomadismus, Transhumanz, Alpwirtschaft, Rentiernomadismus –, die die Ursache dafür sind, dass die Viehwirtschaft deutlich weiter in die Ungunsträume vordringen kann als der Ackerbau.

Die größte flächenhafte Ausbreitung besitzt die Landwirtschaft des Fruchtbaren Halbmondes: Aufgrund der zufälligen Lage der Kontinente, der Gebirge und der Wüsten kann sie sich besonders weit nach Nordwesten (große Teile Europas), nach Südosten (Teile Vorderasiens und Indiens) und nach Südwesten (Ägypten, Äthiopien) ausbreiten. Die Wildbeuter, die früher in allen diesen Regionen lebten, werden dadurch immer stärker in die Randregionen der Erde verdrängt, die für die Landwirtschaft ungeeignet sind.

Diese Ausbreitung der Landwirtschaft ist bereits in prähistorischen, also vorrömischen Zeiten abgeschlossen, und bereits sehr früh werden einige Nutzpflanzen und Haustiere zwischen den einzelnen Regionen (z.B. zwischen China, dem Nahen Osten und Afrika) ausgetauscht. Der Ausbreitungsprozess läuft lediglich im subsaharischen Afrika (Ausbreitung von Norden nach Süden) und in der pazifischen Inselwelt (Ausbreitung von West nach Ost) erst in historischen Zeiten ab. Und die moderne Entwicklung verschiebt ab dem Ende des 18. Jahrhunderts die Grenzen der Landwirtschaft noch ein letztes Mal, indem größere Gebiete in Nord- und Südamerika, in Zentral- und Nordasien und in Australien erstmals landwirtschaftlich genutzt werden.

2.2 Neue Raumstrukturen durch Landwirtschaft


Die erste Phase der Bauerngesellschaften, die einige Tausend Jahre dauert, ist weltweit dadurch geprägt, dass überall kleine Siedlungen entstehen, die sich auf dezentral-flächenhafte Weise im landwirtschaftlich genutzten Raum verteilen. Woher kommt diese dezentrale Struktur, die bis heute ein zentrales Charakteristikum des Landes ist?

Die Landwirtschaft basiert auf dem biologischen Wachstum der Nutzpflanzen und der Haustiere, das sich der Sonnenenergie verdankt. Da die Sonnenenergie flächenhaft auf die Erde auftrifft und vom Menschen nicht konzentriert werden kann, ist das Pflanzenwachstum – die Grundlage des Ackerbaus und der Viehwirtschaft – ebenfalls ein flächenhaftes Phänomen. Alle landwirtschaftlichen Nutzungen spielen sich deshalb auf großen Flächen ab, um möglichst viel Sonnenenergie aufzufangen, und diese Energie wird im Laufe der Nutzungszeit dezentral in den angebauten Pflanzen und in den weidenden Tieren gespeichert. Nach der Ernte werden daraus im Dorf Lebensmittel gewonnen, die eine gewisse Haltbarkeit besitzen müssen, weil die Pflanzen Zeit zum Wachsen brauchen und man nur ein- oder zweimal im Jahr ernten kann und weil das Wachstum der Pflanzen und der Haustiere durch Kälte- oder Trockenzeiten unterbrochen wird. Auf diese Weise wird die dezentral gewonnene Sonnenenergie räumlich konzentriert und zeitlich haltbar gemacht.

Die landwirtschaftlichen Tätigkeiten sind deshalb zum einen flächenhaft ausgerichtete Tätigkeiten (Saat und Ernte, Hüten der Tiere), zum anderen räumlich konzentrierte Tätigkeiten (Dreschen und Mahlen des Getreides, Brotbacken, Fleischverarbeitung, Vorratshaltung). Dabei erfordern die flächenhaften Tätigkeiten...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2020
Zusatzinfo mit 27 Abbildungen, 3 Karten und 3 Tabellen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Altertum • Aufwertung • Bäuerliche Kulturlandschaft • Dorfleben • Erhaltung • gefährdet • Gegenwart • Geographie • Geschichte • Landleben • Landwirtschaft • Mittelalter • Neuzeit • Rettung • Traditionen • Verflechtungen
ISBN-10 3-406-74826-0 / 3406748260
ISBN-13 978-3-406-74826-4 / 9783406748264
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