Vom Josty ins Romanische Café (eBook)

Streifzüge durch Berliner Künstlerlokale der Goldenen Zwanziger
eBook Download: EPUB
2020 | 1., Neuausgabe
180 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76429-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vom Josty ins Romanische Café - Jürgen Schebera
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Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich Berlin zur Kunstmetropole von europäischem Rang. Literaten, Dramatiker, bildende Künstler und Musiker ziehen in die Stadt und küren, wie einst die Pariser Boheme, Künstlerlokale zu ihrem geselligen und geistigen Treffpunkt: das Romanische Café, Schwannecke und Mutter Maenz, das Restaurant Schlichter, das Adlon, das Eden, das Kampinski oder die Mampestuben - Else Lasker-Schüler, Bertolt Brecht, Joseph Roth, Stefan Zweig, Erich Kästner, Gustaf Gründgens und viele andere verkehren hier.

Mit zahlreichen Anekdoten und Zeitdokumenten führt Jürgen Schebera unterhaltsam und kurzweilig durch die Berliner Szenetreffs der Goldenen Zwanziger und stellt die Künstler vor, die dort diskutierten und stritten, erste literarische Versuche wagten - oder trickreich versuchten, an Geld für einen Kaffee zu kommen, Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten zu knüpfen oder einfach nur einen Sitzplatz im Lokal zu ergattern.



<p>J&uuml;rgen Schebera, geboren 1940, Literatur- und Musikhistoriker, bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut f&uuml;r Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Zahlreiche Buchver&ouml;ffentlichungen zur Kunst- und Kulturgeschichte der Weimarer Republik und zur Exilliteratur sowie zu den Komponisten Hanns Eisler und Kurt Weill.</p>

Einleitung


»Ich habe einen guten Teil meines Lebens im Kaffeehaus verbracht, und ich bedaure es nicht«, bekennt Hermann Kesten als Sechzigjähriger, rückblickend auf bewegte Jahre. Und weiter: »Bald wird es ein halbes Jahrhundert sein, dass ich in meinen Cafés sitze und schreibe.«1

In den zwanziger Jahren entwickelte sich Berlin zu einer europäischen Metropole. Blick auf die Kreuzung Kurfürstendamm/Ecke Joachimsthaler Straße, Aufnahme von 1930.

Von dem Verleger Bruno Cassirer stammen die Sätze: »Ohne Kaffeehaus kann man überhaupt keine Literatur machen. Jeder Mensch ist im Café ein ganz anderer als an seinem Arbeitsplatz. Dort entwickelt er seine verborgenen Eigenschaften und Wunschträume.«2

An keinem Ort und zu keiner Zeit des 20. Jahrhunderts konnten Literatencafés und Künstlerlokale auf eine solche Galerie klangvoller Namen verweisen wie im Berlin der (gar nicht so) Goldenen Zwanziger, wo Egon Erwin Kisch den Satz prägte: »Das Kaffeehaus erspart uns sozusagen eine Wohnung, die man nicht unbedingt haben muß, wenn man ein Kaffeehaus hat.«3

Längst sind Romanisches Café, Restaurant Schwannecke oder die Destille der Mutter Maenz zu einem Stück Berliner Kulturgeschichte geworden – mit Sicherheit nicht dem wichtigsten, aber dennoch einem unverzichtbaren und vor allem erzählenswerten.

Die Jahre der Weimarer Republik, zwischen 1919 und 1932, waren eine Periode in der damals fast siebenhundertjährigen Geschichte Berlins, in der die Stadt nicht nur die Einwohnerzahl von vier Millionen überschritt, sondern sich zugleich zu einer Kunstmetropole von europäischem Rang entwickelte. Nie zuvor hatte sich in Deutschland eine solche Konzentration nicht nur ökonomischen Potentials, sondern auch geistiger Kräfte an einem Ort vollzogen wie im Berlin der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Die Großstadt übte eine fast magisch zu nennende Anziehungskraft auf Künstler und Geistesschaffende aus. Vor allem junge Schriftsteller, Theaterleute und bildende Künstler kamen von überall her in Deutschland, um nach dem Wegfall vieler Behinderungen während der wilhelminischen Ära nun an der Erneuerung der geistig-kulturellen Werte mitzuarbeiten. »Wer Berlin hatte, dem gehörte die Welt«, erinnerte sich später Carl Zuckmayer an die Jahre ab 1920, als der Vierundzwanzigjährige aus dem Rheinland gleich vielen anderen die neue Kunstmetropole zu erobern versuchte. »Berlin schmeckte nach Zukunft, und dafür nahm man den Dreck und die Kälte gern in Kauf.«4

Für die Entwicklung der Künste wurde die produktive Aufnahme und Verarbeitung ausländischer Einflüsse zum wichtigen Impuls: der avantgardistischen Strömungen aus Frankreich und der jungen Sowjetunion ebenso wie der kommerziellen Massenkultur aus den USA. »Berlin als ein Zentrum europäischer Gesittung war neu«, hielt Heinrich Mann fest. »Berlin empfing, es war zugänglich noch mehr als schöpferisch. Die Schöpfer kamen zu ihm von überall, die große Stadt repräsentierte, das ist Beruf der wahrhaft großen Stadt. Dazu der Einschlag fremder Kulturen.«5

Einhergehend mit der Entwicklung neuer technischer Massenmedien wie Rundfunk, Schallplatte und Film etablierten sich in Berlin zahlreiche neue Produktions- und Verbreitungsinstitutionen für die Künste. Ein solcher Markt für geistige Produkte fand sich vergleichbar in keiner anderen europäischen Metropole. Ein Blick in die Statistik verdeutlicht diese Ausnahmestellung:

»Kudammbummel 1928«, so hat der Scherl-Fotograf damals dieses Bild bezeichnet. Rund um die Gedächtniskirche befanden sich am Kurfürstendamm und in der Tauentzienstraße mehrere große Kinopaläste, bekannte Cafés, Restaurants und elegante Geschäfte.

1927 spielten in Berlin allabendlich 49 Theater, einmalig in der Welt war die Existenz von gleichzeitig drei Opernhäusern. Es gab drei große Varietés sowie 75 Kabaretts, Kleinkunstbühnen und Lokale mit Unterhaltungsprogramm.

1929 gab es in der Stadt 363 Kinos; 37 Filmgesellschaften produzierten jährlich rund 250 abendfüllende Spielfilme.

In Berlin erschienen 1929 allein 45 Morgenzeitungen, zwei Mittagsblätter und 14 Abendzeitungen. Fast 200 Verlagsunternehmen arbeiteten in der Stadt, darunter so namhafte Häuser wie S. Fischer, Ernst Rowohlt, Bruno Cassirer und Gustav Kiepenheuer. Hinzu kamen bedeutende linksorientierte Verlage wie Malik, Die Schmiede, Erich Reiss, der Neue Deutsche Verlag und die Büchergilde Gutenberg. Ullstein und Scherl waren die Großproduzenten von Unterhaltungsliteratur.

Ein solcher Markt verlangte natürlich nach entsprechender Ware – nicht zuletzt war es auch die materielle Seite geistiger Produktion, die Berlin so anziehend machte. Als der dreiundzwanzigjährige Schriftsteller Ödön von Horváth 1928 zum ersten Mal nach Berlin kam, notierte er nach wenigen Wochen: »Und nun das Wichtigste: bekanntlich braucht man zum Denken einen Stuhl, auf dem man sitzt. Es hat sich allmählich herumgesprochen, daß das Materielle unentbehrlich ist. Und das bietet dem jungen Schriftsteller nur Berlin, von allen deutschen Städten. Berlin, das die Jugend liebt und auch etwas für die Jugend tut, im Gegensatz zu den meisten anderen Städten, die nur platonische Liebe kennen. Ich liebe Berlin.«6

Neben den traditionellen Produktions-, Diskussions- und Umschlagplätzen für Kunst und geistige Produktion (Theater, Ateliers, Galerien, Verlage, Redaktionen) erlangte nun ein weiterer zunehmende Bedeutung: das Künstlerlokal. Hier traf man sich, um neue Projekte zu debattieren und vor allem »an den Mann zu bringen«. Ob bei Josty am Potsdamer Platz, bei Schwannecke in der Rankestraße oder im Restaurant Schlicher in der Lutherstraße: Hierher kamen die Künstler nur im Ausnahmefall, um zu arbeiten; viel wichtiger waren solche Treffpunkte, um mit den Dramaturgen der Berliner Bühnen über die Annahme eines neuen Stückes zu verhandeln, von den Feuilletonredakteuren Aufträge für Artikel und Rezensionen zu erhalten oder mit Galeristen Ausstellungen und Ankäufe zu vereinbaren. Nicht zuletzt galt hier auch das Sehen und Gesehenwerden – vor allem im Romanischen Café, das zum Inbegriff des Berliner Künstlerlokals der zwanziger Jahre wurde.

So reizvoll ein Buch über diesen Bereich künstlerischer Kommunikation ist, so muss es doch zwangsläufig vieles aussparen. Weder kann hier eine Berliner Literatur- und Kunstgeschichte der zwanziger Jahre vorgelegt werden, noch spiegeln sich in der Szene der Künstlerlokale die ästhetischen wie politischen Polarisierungen der Jahre bis 1933. Entscheidende Prozesse der gesellschaftlichen Entwicklung wie der künstlerischen Produktion verliefen außerhalb der Kaffeehäuser. Der interessierte Leser findet dazu im Literaturverzeichnis entsprechende Hinweise zu weiterführender Lektüre.

Dessen ungeachtet wird in einem solchen Buch ein wichtiger Impuls für die bis heute faszinierende Vielfalt im geistigen Leben Berlins der zwanziger Jahre unmittelbar nachvollziehbar: die äußerst produktive Rolle von Gespräch und Debatte für die künstlerische Produktion. Natürlich hat Brecht den Text der Dreigroschenoper nicht im Restaurant Schlichter geschrieben, sondern in seinem möblierten Zimmer in der Spichernstraße; Leonhard Franks Romane entstanden nicht im Romanischen Café, sondern an seinem Schreibtisch in Halensee. Und doch verdanken viele Werke die unterschiedlichsten Anregungen den Gesprächsrunden am Tisch des jeweiligen Stammlokals.

Diese Atmosphäre so authentisch wie möglich wiederzugeben, bestimmt die Machart des vorliegenden Bandes. Da der Autor nicht mehr zur Generation der »Augenzeugen« gehört, werden eine große Zahl originaler Texte der zwanziger Jahre in die Darstellung einbezogen, ergänzt um Auszüge aus später veröffentlichten Erinnerungen. Dass auch die überlieferte Anekdote zu ihrem Recht kommt, mag das Vergnügen an der Lektüre noch erhöhen. So fügt sich die Beschreibung der Lokale und ihrer wichtigsten Stammgäste – die ja erst den Nachruhm ausmachen – zusammen zu einer Dokumentation, welche die umfangreiche Berlin-Literatur um ein unterhaltsames Kapitel erweitern möchte.

Freisitze des Café König Unter den Linden. Die Billard-, Schach- und Spielsäle im Innern...

Erscheint lt. Verlag 20.1.2020
Sprache deutsch
Original-Titel Damals im Romanischen Café
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 1929 • 20er • Adlon • Albert Einstein • Alfred Döblin • Anna Seghers • Arthur Schnitzler • Avantgarde • Berlin • Berlin Babylon • Bertolt Brecht • Boheme • Bohème • Café Größenwahn • Café Leon • Carl Einstein • Carl Zuckmayer • Charles Spencer Chaplin • Der Trafikant • Eden • Egon Erwin Kisch • Else Lasker-Schüler • Emil Orlik • Erich Kästner • Ernst Rowohlt • Ernst Toller • Erwin Piscator • Expressionismus • Extravagant • Friedo Lampe • Fritz Kortner • George Bernhard Shaw • George Grosz • Georg Salter • Goldene Zwanziger • Gottfried Benn • Gründgens • Gustaf Gründgens • Hanns Eisler • Helene Weigel • Hermann Göring • insel taschenbuch 4757 • IT 4757 • IT4757 • Jannings • Jazz • Joseph Roth • Karl Kraus • Kästner • Käthe Kollwitz • Kempinski • Künstlerlokal • kunstmetropole • Kurt Tucholsky • Kurt Weill • Literatur • Literaturgeschichte • Mampestuben • Max Liebermann • Max Reinhardt • Moka Efti • Mutter Maenz • Ödön von Horvath • oppenheimer • otto dix • Paul Verlaine • Potsdamer Platz • Rainer Maria Rilke • Restaurant Schlichter • Ricarda Huch • Robert Musil • Romanisches Café • Schwannecke • Siegfried Kracauer • Sigmund Freud • Stefan Zweig • Theater • Theaterkneipe • Underground • Weimarer Republik • Zwanzigerjahre • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-458-76429-1 / 3458764291
ISBN-13 978-3-458-76429-8 / 9783458764298
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