«Ich möchte mir Flügel wünschen» (eBook)

Das Leben der Dorothea Schlegel

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
334 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-688-11849-6 (ISBN)

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«Ich möchte mir Flügel wünschen» -  Carola Stern
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Dorothea Schlegel war die Tochter des berühmten Aufklärers Moses Mendelssohn und wurde die Ehefrau des Philosophen Friedrich Schlegel. Sie war Jüdin und Intellektuelle, skandalumwitterte Außenseiterin und geschiedene Person, romantisch-sinnliche «Lucinde» und Frau Biedermeier, aufgeklärte Salondame und militante Gottesstreiterin. Die namhafte Publizistin Carola Stern porträtiert eine außergewöhnliche Frau, die den Mut hatte, so zu leben, wie sie es für richtig hielt.

Carola Stern lebte bis 1951 als Lehrerin in der DDR. In den fünfziger Jahren studierte sie an der Freien Universität und arbeitete als wissenschaftliche Assistentin am Institut für politische Wissenschaft in West-Berlin. 1960 bis 1970 Leiterin des Politischen Lektorats im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Daneben journalistische Tätigkeit für Zeitungen und Rundfunkanstalten. 1970 bis 1985 Redakteurin und Kommentatorin in der Hauptabteilung Politik des Westdeutschen Rundfunks. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 1970 Jacob-Kaiser-Preis, 1972 Carl-von-Ossietzky-Medaille für ihre Tätigkeit bei amnesty international, 1988 Wilhelm-Heinse-Medaille. Ab 1987 Vizepräsidentin, ab 1995 Ehrenpräsidentin des deutschen P.E.N.-Zentrums. Carola Stern starb 2006 in Berlin.Zahlreiche Buchveröffentlichungen, darunter eine Ulbricht-Biographie, ein Essayband über Menschenrechte und die Autobiographien «In den Netzen der Erinnerung» und «Doppelleben». Bei Rowohlt erschienen die Biographien über Dorothea Schlegel, «Ich möchte mir Flügel wünschen» (1991), und über Rahel Varnhagen, «Der Text meines Herzens» (1994); bei Rowohlt ? Berlin «Isadora Duncan und Sergej Jessenin. Der Dichter und die Tänzerin» (1996), «Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary» (1998) und «Männer lieben anders. Helene Weigel und Bertolt Brecht» (2000).Im Jahr 2004 wurde Thomas Schadts Film «Carola Stern - Doppelleben» ausgestrahlt.

Carola Stern lebte bis 1951 als Lehrerin in der DDR. In den fünfziger Jahren studierte sie an der Freien Universität und arbeitete als wissenschaftliche Assistentin am Institut für politische Wissenschaft in West-Berlin. 1960 bis 1970 Leiterin des Politischen Lektorats im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Daneben journalistische Tätigkeit für Zeitungen und Rundfunkanstalten. 1970 bis 1985 Redakteurin und Kommentatorin in der Hauptabteilung Politik des Westdeutschen Rundfunks. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 1970 Jacob-Kaiser-Preis, 1972 Carl-von-Ossietzky-Medaille für ihre Tätigkeit bei amnesty international, 1988 Wilhelm-Heinse-Medaille. Ab 1987 Vizepräsidentin, ab 1995 Ehrenpräsidentin des deutschen P.E.N.-Zentrums. Carola Stern starb 2006 in Berlin. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, darunter eine Ulbricht-Biographie, ein Essayband über Menschenrechte und die Autobiographien «In den Netzen der Erinnerung» und «Doppelleben». Bei Rowohlt erschienen die Biographien über Dorothea Schlegel, «Ich möchte mir Flügel wünschen» (1991), und über Rahel Varnhagen, «Der Text meines Herzens» (1994); bei Rowohlt ∙ Berlin «Isadora Duncan und Sergej Jessenin. Der Dichter und die Tänzerin» (1996), «Die Sache, die man Liebe nennt. Das Leben der Fritzi Massary» (1998) und «Männer lieben anders. Helene Weigel und Bertolt Brecht» (2000). Im Jahr 2004 wurde Thomas Schadts Film «Carola Stern - Doppelleben» ausgestrahlt.

Haltet Euch standhaft bei der Religion Eurer Väter


Die Tochter des Moses Mendelssohn

Bestimmung des Menschen:
Wahrheit erkennen, Schönheit lieben,
Gutes wollen, das Beste tun.

Stammbuchblatt von
Moses Mendelssohn

Auf den Schlachtfeldern von Kunersdorf und Kolin, Roßbach und Leuthen wächst wieder das Getreide, und in den Wiesenmulden, die die Kugeln der Kanonen gruben, stehen Büschel der Sumpfdotterblume. Sieben Jahre dauerte der letzte Krieg, nun ist endlich Friede.

Feine Damen in Roben aus tugendweißem Musselin schmücken ihre gen Himmel ragenden Perücken mit bizarren Federbüschen, pistaziengrün, auch zeisiggelb gefärbt, und lustwandeln, aufmerksam des Kopfschmucks achtend, auf Promenaden und in Parks. Nur im Frieden macht Sichputzen richtig Spaß.

Die Hausfrauen atmen auf. Vorbei die Furcht, daß ihre Männer oder Söhne totgeschossen oder als Krüppel heimkehren werden. Vorbei die Angst vor Einquartierung, Brandschatzen und Plündern. Und gewiß läßt nun die Teuerung nach. Wichtig wird wieder Kerzenziehen und Seifekochen, die Apfelhürden im Keller aufzufüllen und feingeschnittenes Obst zum Dörren auszubreiten. Abends, wenn die Kinder schlafen, holen die Mütter ihre Filetkästen hervor und handarbeiten Geldbeutel aus feinem Netzwerk für die neuen preußischen Münzen: den goldenen Friedrichsdor, den silbernen Reichstaler, die Groschenstücke und Achtzehner. Nur im Frieden lohnt das Sparen. Und nur im Frieden können Frauen gewinnen.

Im Herbst des Jahres 1764 erwartet Fromet Mendelssohn ihr zweites Kind. Das erste, eine Tochter, ist gestorben. Wird dieses überleben? Das allein sei wichtig, sagen wohl die Eltern. Doch insgeheim hofft Fromet Mendelssohn sicherlich auf einen Sohn; alle Schwangeren hoffen, Söhne zu gebären. Denn Söhne gelten mehr als Töchter. Allein auf Söhne werden Zukunftshoffnungen projiziert; nur durch Söhne lebt der Name, lebt das Werk des Vaters fort. Doch zum zweitenmal schenkt Fromet einem Töchterchen das Leben: Am 24. Oktober 1764 wird Brendel Mendelssohn geboren.

Drei Kriege haben seine Eltern miterlebt, und vor dem Kind liegen fünfundzwanzig Friedensjahre, in denen die Amerikaner ihre Unabhängigkeit erklären und die Menschenrechte proklamieren, und nicht viel später stürmen die Franzosen die Bastille. Brendel wird den Aufstieg und Fall Napoleons miterleben, und selten nur sehen Menschen so wie sie in ihrer Zeit gleich mehrere Epochen aufeinanderfolgen. Als das Mädchen auf die Welt kommt, steht Voltaire auf der Höhe seines Ruhmes, und als die fast Fünfundsiebzigjährige stirbt, leben schon Karl Marx und Friedrich Engels.

Brendels Mutter stammt aus Hamburg; der Vater ist aus Dessau zugezogen. Die Tochter kommt in Preußen auf die Welt. Das bedeutet etwas, auf Preußen bilden Preußen sich was ein! Ihr Staat ist durch seine Kriege zu einer der ersten europäischen Mächte aufgestiegen. Ihre Armee gilt als die beste ganz Europas, ihre Verwaltung als das Vorbild aller absoluten Monarchien. Und ihr König, obgleich erst Anfang Fünfzig, liebevoll der Alte Fritz genannt, ist der Abgott vieler Landeskinder. Gewiß, alle Pfründe sind dem Adel vorbehalten. Er zahlt keine Steuern, nur ihm stehen Offiziers- und höhere Beamtenstellen zu, und ihm allein gebührt das Recht, Rittergüter zu besitzen. Doch vielen Preußen ist die Adelsmacht so selbstverständlich wie die Männermacht. «Der Kern der Nazion besteht … aus Männern», schreibt Friederike Unger in ihren «Briefen einer reisenden Dame» aus Berlin. «Ein Mann sitzt auf dem Thron. Männer sind seine Räthe, und Männer die, welche seine Befehle ausrichten.» Das, so glauben die Preußen, sei Naturgesetz.

Brendels Geburtsort ist Berlin. Eine Weltstadt kann man dieses Berlin, die Hauptstadt Preußens, noch nicht nennen, doch eine aufstrebende und zukunftsträchtige Großstadt ist sie gewiß. Von überall her kommen Fremde: Diplomaten, Kaufleute und Künstler, Bildungsreisende; Casanova beispielsweise. Mit Erfolg bemüht er sich, dem König vorgestellt zu werden, und der will sogleich wissen, wieviel Soldaten und Schlachtschiffe die Heimatstadt des Kavaliers besitzt.

Kam der Venezianer vom Westen her, durch das Potsdamer oder Brandenburger Tor 1764 in die Stadt? Dann sah er sie von ihrer schönsten Seite, sah großzügig angelegte Plätze, breite Straßen, von stattlichen Wohnhäusern begrenzt, das Schloß, Paläste, Oper und Königliche Bibliothek. Wer Berlin hingegen durch das Kottbusser oder Schlesische Tor von Osten her betritt, dem stellt es sich eher als ein Provinznest dar, als ein Landstädtchen im Brandenburgischen, bestimmt durch seine Bauernhöfe mit Misthaufen vor den Türen, durchzogen von engen Gassen mit kleinen Läden und Handwerksbetrieben, bewohnt von Ackerbauern, kleinen Händlern und vielen armen Leuten. Sieht der Venezianer die Kontraste? Hat er unter den hohen Bäumen auf dem Dönhoffplatz eine der großen Militärparaden, friderizianisches Tschingderassabum, erlebt? Und hat er vielleicht tags darauf im Tiergarten das Exerzieren der Garnison verfolgt? Wer nicht gleich pariert, wird durchgeprügelt, und wer desertieren wollte, muß Spießruten laufen. Zuschauer erwünscht.

Im Tiergarten war Casanova ganz gewiß. Nicht weit von den Geschundenen entfernt verlustieren sich Berliner aller Stände bei Gauklern, Komödianten, Taschenspielern, in Rosengärten und schattigen Alleen. Wer es sich leisten kann, kehrt im Richardschen Café-Garten ein. Dort erzählt man sich, was es so Neues gibt, und saugt begierig Stadtklatsch ein.

Hat sich schon herumgesprochen, daß General Seydlitz sich scheiden läßt? Ja, es mußte sein, sagen seine Freunde. Hat ihn doch seine neunzehnjährige Frau «mit einem ganz gewöhnlichen Lakaien so schändlich hintergangen», daß ihm gar nichts anderes übrigblieb. Vierzigtausend Taler muß sie ihm als Schmerzensgeld zahlen und fortan in Pommern als Verbannte leben. So können Generäle, die keine Zeit für ihre Frauen haben, weil sie Krieg führen müssen, auch zu Vermögen kommen.

In den Stadtpalästen Unter den Linden, ausgestattet mit ausgesuchtem Rokoko-Mobiliar, gibt die höfische Gesellschaft ihre Bälle. In Wirtshäusern mit Tanzdielen und Billardtischen vergnügen sich Reitknechte und Kammerjungfern, Köchinnen und Lakaien. Ganz unten, in den Elendsvierteln, ist für Vergnügungen kein Platz. Hier hausen Familien mit mehreren Kindern in einer Stube, die sie im Winter nicht zu lüften wagen, weil Brennholz viel zu teuer ist. Handwerkerwitwen müssen ihre Kinder, damit sie nicht verhungern, zu Wollwebern und Spinnern schicken, und der Verdienst, den sie nach Hause bringen, reicht nur zu Wassersuppe und Kartoffeln oder einem Heringsbrot. Am 25. August 1769 schreibt Lessing an Friedrich Nicolai: «… lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es itzt sogar in Frankreich und in Dänemark geschieht: und sie werden bald in Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist.»

Von den über hunderttausend Berlinern sind ungefähr dreitausend Juden; die meisten arme Schlucker, einige wenige sehr reich. Einer der ganz Reichen, Veitel Ephraim – er vor allem finanzierte Friedrichs Kriege –, hat sich am Molkenmarkt ein prächtiges Palais gebaut. Jüdische Familien wie die Itzigs, Gumpertz, Meyers haben durch Armeelieferungen im Krieg beträchtliche Vermögen gesammelt und genießen als «Generalprivilegierte» ungefähr die gleichen Rechte wie die übrigen Bürger. Doch den anderen Juden hat das General-Juden-Reglement von 1750 unzählige Beschränkungen und besondere Abgaben auferlegt.

Ein Jude darf nicht beliebig eine Stadt betreten, sondern nur durch ein bestimmtes Tor. Dort hat er, gleich dem Viehzoll für die Rinder, den Leibzoll für die Juden zu entrichten.

Ein Jude darf nicht wohnen, wo er will. Kann er in einer Stadt keine ordentliche Arbeit, und zwar bei einem sogenannten Schutzjuden, finden, soll er wieder abgeschoben werden, und zwar von den Juden selbst.

Ein Jude darf nicht einen Hof bewirtschaften, ein Zunfthandwerk ausüben oder mit zunftgebundenen Waren handeln, Militärdienst leisten und schon gar nicht ein öffentliches Amt bekleiden.

Juden sind in den Augen der Christen – in Preußen wie auch anderswo – minderwertige und betrügerische Menschen, Spitzbuben, Schacherer und Mauscheljuden, die man nicht zu gleichgestellten Bürgern, womöglich gar zu Konkurrenten, wohl aber kühl berechnend seinen Zwecken dienstbar machen kann.

Ein Jude darf Manufakturen gründen, um die preußische Armee mit Uniformtuch zu beliefern und dem Staat Devisen einzusparen. Auch darf er verfälschte Münzen prägen, um Kriege finanzieren zu helfen. Juden dürfen, nein sie müssen Schulden, Strafen, Steuern aller nicht zahlungsfähigen Juden begleichen. Sie dürfen Jüdinnen heiraten, manches erwerben, manches vererben, wenn sie dafür kräftig zahlen. Wer nichts besitzt und nichts bezahlen kann, soll möglichst schnell verschwinden.

Die Christen verachteten die Juden, weil sie keine Christen waren, und darauf führten sie es zurück, daß die Juden aus ihrem Land vertrieben und in alle Welt zerstreut worden waren. Manche sahen darin die göttliche Vergeltung für den Christusmord.

Die Juden verachteten die Christen, weil sie keine Juden waren, und sahen sich als Angehörige des auserwählten Volkes Israel. Sie fühlten sich überall nur als vorübergehende Gäste, die nach der Ankunft des Messias ins Gelobte Land zurückkehren würden, und redeten und beteten nur in ihrer eigenen Sprache und lebten außerhalb der ständischen Gesellschaft abgeschlossen unter sich. Ihre...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografischer Roman • Dorothea Schlegel • Emanzipation der Frau
ISBN-10 3-688-11849-9 / 3688118499
ISBN-13 978-3-688-11849-6 / 9783688118496
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