Vermisst (eBook)

Ein Spreewald-Krimi
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1999-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vermisst -  Christiane Dieckerhoff
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Die Tote im Spreewald.

Als ihr nachts in der Nähe von Lübbenau ein unbeleuchtetes Auto die Vorfahrt nimmt, kann Kriminalobermeisterin Klaudia Wagner im letzten Moment ausweichen. Doch dabei überfährt sie eine Frau. Klaudia ist am Boden zerstört. Dann die Überraschung: Die Frau galt bereits als tot. In einem Indizienprozess wurde ein Mann als ihr Mörder schuldig gesprochen. Wo aber ist Jennifer Böseke in den letzten zwei Jahren gewesen? Klaudia beginnt zu ermitteln und gerät an eine Frau, die als Spreewaldhexe gilt und die seit der Unglücksnacht einen jungen Mann vermisst, der in ihrem Haus gewohnt hat ...

Ein rätselhafter Kriminalroman vor der eindrucksvollen Kulisse des scheinbar idyllischen Spreewalds.



Christiane Dieckerhoff lebt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Nach über dreißig Berufsjahren als Kinderkrankenschwester und ersten erfolgreichen Veröffentlichungen wagte sie 2016 den Sprung in die Freiberuflichkeit. Sie hat bisher vier Spreewaldkrimis veröffentlicht. Mehr zur Autorin unter www.krimiane.de

1. Kapitel


… und ich sehe auf der Straße nach Norden,
dieser Teil der Welt ist anders geworden 

Klaudia summte die etwas rockige und gleichzeitig melancholische Melodie mit, die aus den Lautsprechern dröhnte. Die Kollegen hatten ihr diese CD mit Liedern von Gerhard Gundermann zu ihrer Beförderung zur Kriminalhauptmeisterin geschenkt. Sie fanden, es sei an der Zeit, etwas anderes als Celine Dion zu hören. Klaudia war nicht unbedingt der gleichen Meinung, doch nach annähernd sechs Stunden Fahrt konnte sie eine Pause von ihrer Lieblingssängerin gebrauchen.

und ich frag mich, was ich bin, was ich war,
in der Suppe das Salz oder das Haar …

Regen trommelte auf das Wagendach. Die Scheibenwischer schafften es kaum, der Wassermassen Herr zu werden, die über die Windschutzscheibe flossen.

… ich schwimme mittendrin in meinem alten Hemd,
gehöre noch dazu und bin schon ziemlich fremd.

Der Schmerz kam überraschend. Klaudia realisierte erst, dass sie weinte, als Tränen von ihrem Kinn tropften.

Sie beugte sich vor, um das Radio einzuschalten. Was sie jetzt brauchte, war etwas Seichtes. Kein Liedermacher, nicht Celine Dion, deren Texte auch so oft mitten ins Schwarze trafen, sondern einfach nur Trallala. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Offensichtlich steckte ihr die letzte Woche wesentlich übler in den Knochen, als sie sich selbst eingestehen wollte. Conny hatte ins Krankenhaus gemusst. Nichts Ernstes, hatte ihre Stiefmutter gesagt, nur eine Untersuchung. Außerdem hatte sie gesagt, und es klang wie eine Entschuldigung, dass die Zwillinge nicht einspringen konnten. Weil sie doch Familie hatten, kleine Kinder. Also hatte Conny sie angerufen, die älteste Tochter ihres Mannes. Es sei auch nur für eine Woche, hatte sie hinzugefügt, ansonsten müsse Papa – sie hatte tatsächlich Papa gesagt – in eine Kurzzeitpflege. Kurzzeitpflege! Das Wort hatte den Ausschlag gegeben. Außerdem war nicht viel los, wie meistens im Sommer, wenn die Touristen wie Mückenschwärme über den Spreewald hereinbrachen. Klaudia hatte mit ihrem Chef gesprochen, den alle nur Pi Äitsch nannten. Natürlich hatte er ihr frei gegeben. Er war froh, dass sie auf diese Weise Überstunden abbauen konnte. Also war sie am letzten Samstag, statt mit ihren Kollegen zum Spreewaldfest in Lübbenau zu gehen, nach Essen gefahren, wo ihr Vater lebte und wo sie die längste Zeit ihres Lebens gewohnt hatte. Sie kannte sich aus in Essen, im Haus ihres Vaters, doch noch nie hatte sie sich so fremd gefühlt wie in dieser Woche, allein mit ihrem Vater. Sie hatte ihm seine Medikamente gegeben und die Krusten vom Brot geschnitten, weil er sich jetzt immer so schnell verschluckte. Sie war mit ihm in einem Spielzeuggeschäft gewesen, um ein Holzauto für Tim zu kaufen. Uwes Sohn wurde drei, und als seine Patentante war sie natürlich eingeladen. Ihr Vater hatte das Auto ausgesucht, obwohl er fand, dass ein Auto nicht das richtige Geschenk für die Zwillinge sei. Klaudia hatte seinen Irrtum nicht aufgeklärt. Warum auch. In seiner Welt existierten Uwe und Tim nicht.

Ansonsten waren sie jeden Tag in den Grugapark gegangen, hatten auf einer Bank gesessen und dem Leben dabei zugesehen, wie es vorbeirauschte: in Kinderwagen, auf Inlineskatern, auf leisen Sohlen. Und sie hatte ihren Vater in den Arm genommen, wenn er nachts, verschreckt von einer Angst, die er nicht benennen konnte, durch das Haus irrte. Das alles hatte sie getan, und trotzdem lächelte er sie nur verwirrt an, wenn sie ihn morgens weckte. Er ahnte wohl, dass er sie kennen müsste, rief sie abwechselnd mit den Namen ihrer Schwestern oder sagte auch Mutter zu ihr, doch nie Klaudia. Und wenn sie ihm sagte, wer sie war, ihm von ihrem gemeinsamen Leben erzählte, nickte er und vergaß es sofort wieder. Das Hirnareal mit ihrem Namen und dem Namen ihrer Mutter war nur noch ein mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum.

Als ihre Stiefmutter aus dem Krankenhaus zurückkehrte, hatte Klaudia ihr erzählt, dass ihr Vater sie vergessen hatte. Sie hatte versucht, es so klingen zu lassen, als würde es ihr nichts ausmachen. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob ihr das wirklich gelungen war. Diese irrationale Eifersucht, von der sie geglaubt hatte, sie überwunden zu haben, nagte an ihr.

Conny hatte sie in den Arm genommen und gesagt, er würde sie nur nicht erkennen, weil sie so selten zu Besuch kommen konnte. Und auch wenn sie es als Trost meinte, hörte Klaudia vor allem den Vorwurf. Sie warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel, sah ihr schmales Gesicht, die mittelblonden Haare, die dringend nachgeschnitten werden mussten, die zarten Falten in den Mundwinkeln, die ihr noch fremd waren. Nein, dachte sie, so sehr hatte sie sich nicht verändert und außerdem: Die Zwillinge lebten auch schon lange nicht mehr bei ihm und Conny. Trotzdem hatte er sie nicht aus seiner Erinnerung radiert. Er hatte ihr von ihnen erzählt, sie hatten in alten Alben geblättert. Immer hatte er auf die Mädchen mit dem glatten dunklen Haar gezeigt, die sich bis auf die Sommersprossen glichen, nie auf das Mädchen im Hintergrund mit dem pinkfarbenen Irokesen. Es tat weh. Egal, was Conny sagte. Trotzdem hatte sie das Bild abfotografiert, es war das einzige, auf dem sie zusammen mit ihrem Vater zu sehen war. In den Jahren nachdem dieses Foto entstanden war, hatte sie sich immer geweigert, für das obligatorische Familienbild zu posieren. Nun nutzte sie es als Startbildschirm. Es sollte sie daran erinnern, was sie verloren hatte. Ein Nachrichtensprecher verlas mit unbeteiligter Stimme, dass die NATO Abschreckungsmaßnahmen gegen Russland beschlossen habe. Klaudia kramte nach ihrem Handy, dann doch lieber Celine Dion. Sie tastete nach dem Verbindungskabel, war für einen Moment abgelenkt. Als sie wieder aufblickte, schoss ein unbeleuchteter Wagen aus einer Seitenstraße hervor.

Instinktiv riss Klaudia das Lenkrad herum. Ihr Peugeot brach aus, sie bremste, sah den vor Nässe glänzenden Asphalt, dann schlugen Zweige gegen ihre Windschutzscheibe. Der Wagen rumpelte in einen Acker. Klaudia klammerte sich an das Lenkrad. Etwas krachte, der Wagen holperte über Bodenrillen und setzte schließlich hart auf. Der Motor erstarb. Die Stille dröhnte in ihren Ohren und vereinigte sich mit dem Sirren, das sie der Trennung von ihrem Ex verdankte. Die Arme weit von sich gestreckt, klammerte Klaudia sich an das Lenkrad. Die erste Bodenwelle hatte den Gurt arretiert. Das grelle Licht der Scheinwerfer beleuchtete einen Gurkenflieger, der wie ein überdimensionales Segelflugzeug mitten auf dem Feld stand. Scheiße, dachte sie. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Mit fliegenden Fingern löste Klaudia den Gurt. Bevor sie die Fahrertür aufstieß, schloss sie für einen Moment die Augen. Jetzt eine Zigarette. Der Gedanke war absurd. Seit dem Hörsturz nach der Trennung von Arno – und das war immerhin bald vier Jahre her – hatte sie keine Zigaretten mehr angefasst, doch jetzt flatterte ihre Lunge vor Begierde.

Klaudia stieg aus. Der Regen prasselte auf sie nieder, doch die kalte Dusche half ihr, die Fassung wiederzugewinnen. Trotzdem zitterten ihre Knie, als sie vorsichtig ihren Wagen umrundete. Die Räder hatten sich tief in den Boden gegraben, der so weich und nass war, dass er bei jedem Schritt quatschte. Auch das noch! Frustriert trat Klaudia gegen einen Reifen, dann stieg sie wieder ein, wischte sich die Nässe aus dem Gesicht und schaltete die Zündung ein. Der Wagen sprang an, doch beim Versuch, rückwärts zu fahren, drehten die Räder durch.

Bitte, bitte, bitte … Klaudia richtete ihr Stoßgebet an niemanden im Besonderen. Ihre mehr als zwanzig Dienstjahre bei der Polizei hatten nicht gerade dazu beigetragen, ihren Glauben an einen Gott oder das Universum zu festigen. Sie schaltete in den ersten Gang und versuchte, den Wagen etwas vorrollen zu lassen. Nach einigen Versuchen gab sie auf und kramte nach ihrem Handy, das natürlich verschwunden war. Schlimmer geht immer! Seufzend stieg Klaudia wieder aus und öffnete die Heckklappe. Obwohl sie bei ihrem Vater gewesen war, stand dort ihr Einsatzrucksack. Sie kramte ihre Stablampe und ein Regencape heraus, streifte es über und leuchtete den Fußraum ihres Wagens aus. Das Handy war unter den Beifahrersitz gerutscht. Klaudia holte es heraus und wählte die Nummer der Leitstelle. Mittlerweile war ihr so kalt, dass ihre Zähne klapperten.

»Hast du nicht frei?«, fragte der diensthabende Kollege, bevor Klaudia ihren Namen nennen konnte. Sie schilderte ihm ihre Situation und bat ihn, ihr einen Streifenwagen mit einem Abschleppseil zu schicken.

»Das ist ja wohl eher ein Fall für die Feuerwehr«, meinte der Kollege. »Wo bist du genau?«

»Mitten auf dem Acker.« Klaudia blickte sich um. »Weißt du was«, sagte sie. »Vergiss das mit der Feuerwehr, ich lasse meinen Wagen morgen vom Bauern rausziehen. Ich rufe mir ein Taxi.«

»Warte mal.« Klaudia hörte gedämpfte Stimmen, dann meldete sich ihr Kollege Demel.

»Ich kann dich abholen«, sagte er.

»Wieso bist du im Revier?«

»Kriminalbereitschaft«, sagte er. »Sag mir, wo du bist, dann hole ich dich ab. Hast du das Nummernschild des Wagens gesehen, der dir die Vorfahrt genommen hat?«

»Nein, sorry.« Klaudia hatte das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. »Der Wagen war nicht beleuchtet, und es ging alles so schnell.« Das war nur die halbe Wahrheit: Hätte sie nicht nach dem Kabel gesucht, hätte sie den Wagen wahrscheinlich den entscheidenden Bruchteil einer Sekunde eher gesehen.

»Okay«, sagte Demel. »Wo...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2020
Reihe/Serie Ermittlungen im Spreewald
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Brandenburg • Cottbus • Entführung • Ermittlerin • Lübben • Spreewald • Spreewaldkrimi • Vermisstenfall
ISBN-10 3-8412-1999-3 / 3841219993
ISBN-13 978-3-8412-1999-2 / 9783841219992
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