Die Maitresse (eBook)

Aufstieg und Fall der Gräfin Cosel

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1963-3 (ISBN)

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Die Maitresse - Birgit Jasmund
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Sachsen 1705: Anna Constantia von Cosel ist die mächtigste Frau Sachsens. Durch ihre Anmut und Klugheit hat sie das Herz von König August dem Starken erobert. Doch Anna Constantina ist nicht wie andere Frauen am Hofe. Sie ist stolz, unnahbar und hat ihren eigenen Kopf. Zunächst geht König August auf ihre Bedingungen ein, doch dann wird Anna ihre Unabhängigkeit und Klugheit zum Verhängnis. Über 40 Jahre sperrt ihr Geliebter sie auf Burg Stolpen ein, bis eines Tages die junge Julia Tiburti auftaucht und alles daransetzt die Gräfin zu befreien.

Birgit Jasmund, geboren 1967, stammt aus der Nähe von Hamburg. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Kiel hat das Leben sie nach Dresden verschlagen. Wenn einem dort der Wind so richtig um die Nase weht, hält sie nichts im Haus.

Im Aufbau Taschenbuch Verlag sind von ihr bereits die historischen Romane 'Die Tochter von Rungholt', 'Luther und der Pesttote', 'Der Duft des Teufels', 'Das Geheimnis der Porzellanmalerin', 'Das Geheimnis der Zuckerbäckerin', 'Das Erbe der Porzellanmalerin', 'Die Maitresse. Aufstieg und Fall der Gräfin Cosel' und 'Das Geheimnis der Baumeisterin' sowie bei Rütten & Loening die Liebesgeschichte 'Krabbenfang' erschienen.

 


Kapitel I


∙ 1731 ∙

Auf der Burg Stolpen saßen vier Soldaten in der Wachstube und würfelten. In einer Ecke bullerte ein eiserner Ofen. Die Männer hatten ihre Uniformröcke ausgezogen und die Halstücher gelockert. Vor der Tür wehte ein eisiger Februarwind über Bergrücken und Täler, heulte um die Türme der Burg. In den Wäldern knarrten die Tannen, und feine Schneekristalle stachen wie Nadeln in Nasen und Wangen. Binnen Stunden türmten sich mehr als mannshohe Schneewehen auf, anderswo lag der Boden blank. In den Ställen drängte sich das Vieh genauso zusammen wie die Männer in der Wachstube. Das Rauschen des Windes übertönte beinahe das Läuten der Kirchenglocken um sechs Uhr am Abend. Nur einer der Spieler hob den Kopf, die anderen starrten wie gebannt auf die rollenden Würfel.

»Das Abendläuten«, sagte er.

Die anderen horchten nun ebenfalls.

»Was du hast. Ich höre nichts«, widersprach der, der wegen seiner roten Haare Kupferner Hans genannt wurde.

»Sie läuten trotzdem. Zwei von uns müssen gehen.« Der Sprecher schaute sich auffordernd in der Runde um. Er war der Älteste unter den Wachsoldaten und nahm das Privileg für sich in Anspruch, die anderen herumzukommandieren.

Alle schauten beflissen auf den Tisch. Niemand wollte freiwillig vor die Tür gehen, wo die Kälte einem in jeden Knochen fuhr. Egal, ob man einen oder zwei Umhänge trug, einen Schal um Hals und Nase wickelte und sich die Mütze tief ins Gesicht zog, der unbarmherzige Wind fand eine Lücke.

»Nun los!« Der Älteste schaute den Jüngsten in der Runde an. »Wir bekommen Ärger, wenn die Magd mit dem Abendessen vor der Tür der gnädigen Dame warten muss.«

»Ich bin erkältet.« Der Junge, auf dessen Wangen nur wenige Barthaare sprossen, zog demonstrativ die Nase hoch.

Der Blick des Ältesten blieb nun an dem Mann mit dem roten Haar hängen.

»Was interessiert mich das«, murrte der Kupferne Hans. »Ich bin gestern gegangen, und da war das Wetter um keinen Deut besser.«

»Du und der Kupferne Hans gehen«, bestimmte schließlich der Älteste.

»Du bist keiner der vorgesetzten Offiziere und hast gar nichts zu sagen«, widersprach der Bengel und zog erneut die Nase hoch.

»Ich könnte dein Vater sein.«

»Schönen Dank auch. Ein liebender Vater schickt den Sohn nicht in die Kälte hinaus, sondern geht selbst.«

Der Kupferne Hans lachte zu diesen Worten des Milchgesichts. »Was sagst du nun?«, wollte er wissen.

Das Abendläuten war längst verstummt, die Würfel auf dem Tisch vergessen, und der Streit in der Wachstube wurde hitziger. Der Kupferne Hans sprang auf und ballte die Hände zu Fäusten. Er blickte wild um sich, als könne er sich nicht entscheiden, wen sein Schlag zuerst treffen sollte.

»Na, na«, mischte sich der Vierte, der bisher geschwiegen hatte, besänftigend ein. Er kam nicht dazu, mehr zu sagen, denn in diesem Moment flog die Tür auf.

Mit einem Schwall kalter Luft trat Hauptmann Johann Holm ein. Er schüttelte Nässe von Hut und Mantel. Die Soldaten waren aufgesprungen und hatten Haltung angenommen. Holm unterstanden die vierzig Soldaten auf der Festung Stolpen, die für die Bewachung der Gefangenen abgestellt waren. Sein Blick huschte zwischen den Würfeln auf dem Tisch und den Männern hin und her. Er machte keine Anstalten, sie aus ihrer Habachtstellung zu entlassen. Ebenso wenig schloss er die Tür. Schnee wirbelte herein und verwandelte sich in der Wärme in Wassertropfen.

»Was soll das?«, bellte Holm. Sein Blick blieb beim Kupfernen Hans hängen. »Bericht! Warum geht niemand, damit die Frau Gräfin ihr Abendessen erhalten kann? Die Magd steht mit dem Tablett vor der verschlossenen Tür und kann nicht hinein. Wenn ich sie nicht zufällig bemerkt hätte … An wem ist die Reihe, die Tür zu öffnen?«

Keiner antwortete.

»Wer?«

»Wir haben gerade darüber gesprochen«, murmelte der Kupferne Hans.

»Da gibt es nichts zu besprechen. Das Läuten ist längst vorüber. Alle gehen! Sofort!« Holms Stimme war eine stählerne Klinge.

Sie zogen die Röcke ihrer Uniformen an und darüber die Mäntel. Schlugen die Kragen hoch und schoben sich die Mützen tief in die Stirnen. Keiner besaß Handschuhe, wie sie der Hauptmann trug, sie vergruben deshalb die Hände unter den Achseln und stapften hinaus. Holm schmetterte hinter ihnen die Tür zu. Er zog Hut und Mantel aus und ließ sich auf einen der Stühle neben dem Ofen fallen, griff nach den Würfeln auf dem Tisch, wog sie nachdenklich in der Hand. Die Männer waren keine schlechten Kerle, und er hasste es, sie anfahren zu müssen, aber wenn die Disziplin litt …

Er konnte sich gut vorstellen, wie es abgelaufen war. Niemand hatte bei diesem Wetter hinausgehen wollen, um die Räume der Gefangenen aufzuschließen, damit ihr das Abendessen gebracht werden konnte. Hätte er die Magd nicht bemerkt … Er wäre es auch, der das hitzige Temperament der Gefangenen wegen des verspäteten Abendessens aushalten musste.

***

Unermüdlich rüttelte der Sturm an den morschen Fensterrahmen meiner Wohnung im Obergeschoss des Stolpener Zeughauses. Dem Zug und der Kälte konnte ich nur entgehen, indem ich in mehrere Schultertücher gehüllt und mit einer Decke über den Knien dicht neben dem Ofen saß und versuchte zu lesen. Ich hatte mich aber nicht auf das scheußliche Traktat über Gottes Fürsorge für die Pflanzen dieser Welt konzentrieren können. Verfasst hatte es ein Ritter Nathan Leberecht von Scholl gemeinsam mit seinem Sohn, weiland Student der Theologie in Leipzig. Langweilige Passagen über das Aussehen und Wachstum der Pflanzen wechselten ab mit unerträglich schwülstigen über Gottes Gnade, die sich in jedem Grashalm auf wunderbare Weise offenbarte. Ich weiß nicht, wie das unter meine Bücher geraten war.

Das Brausen des Windes übertönte jedes Geräusch. Deshalb schrak ich zusammen, als auf einmal meine Küchenmagd nass und zerzaust im Zimmer stand. Sie knickste mit einem Tablett in den Händen.

»Sie kommt spät«, fuhr ich die Frau an. »Das Abendläuten ist seit einer Weile vorüber.« Die Glocken hatte ich nicht wahrgenommen, aber meine innere Stimme sagte mir, es sei längst über die Zeit für das Abendessen hinaus.

Die Magd knickste ein zweites Mal. »Es tut mir leid, gnädige Frau. Niemand kam, um mir die Tür aufzuschließen. Dann kamen sie endlich – zu viert. Als ich fast erfroren war.«

Sie setzte das Tablett auf dem Tisch ab und begann für mich einzudecken. Derweil inspizierte ich die in Schüsseln und Tiegeln angerichteten Speisen. Was sich meinen Augen darbot …

»Das kann ich nicht essen!«, rief ich aus. Anklagend deutete ich mit dem Finger auf das Tablett.

Alles war kalt! Die Suppe am Rand zu einer Kruste angetrocknet, sie sah nahezu gefroren aus. Statt einen appetitlichen Duft zu verbreiten, waren die Stubenküken von einer Schicht geronnenen Fetts überzogen. Das Gemüse und der Salat sahen aus, als hätte der Koch sie vor drei Tagen zubereitet und seitdem Wind und Wetter ausgesetzt. Einzig die als Dessert gedachten Kuchen und Petits Fours schienen genießbar; vorausgesetzt, der Esser verfügte über starke Zähne.

»Das ist alles gefroren und völlig verdorben! Schaffe Sie das fort und hole Sie mir was anderes. Was noch warm ist.«

Die Magd hielt inne, als hätte sie ein Blitz getroffen. Ihre Finger spielten mit dem Besteck, das sie eben auf den Tisch hatte legen wollen. »Das wird nicht gehen, gnädige Frau. Der Koch hat wegen des Wetters in der Küche das Feuer gelöscht und ist nach Hause gegangen. Ehe er hier auf der Burg einschneit, hat er gesagt.« Zur Bekräftigung ihrer Worte knickste sie und legte das Besteck auf den Tisch.

»Ist dieser Mensch von allen guten Geistern verlassen?«

»Wenn wir die Schüsseln neben den Ofen stellen, wird alles im Nu wieder warm.« Sie beäugte das Tablett über den Tisch hinweg. »Die gnädige Frau müssen mir glauben, dass es nicht meine Schuld war. Es ist die Schuld der Soldaten, die alles pflichtvergessene Kerle sind.«

»Ihre Meinung tut hier nichts zur Sache.« Ich nahm mit spitzen Fingern den Tiegel mit den Stubenküken und stieß ihn in ihre Richtung.

Es war nicht die Schuld dieser Frau, sondern die der nachlässigen Soldaten unter Hauptmann Holms Kommando, aber mein Ärger brauchte ein Ventil, und es war nur sie da. Ich würde ihr bei nächster Gelegenheit einen Taler auf den Tisch legen.

»Das Fett kann ich leicht abkratzen«, gab diese Person zum Besten. »Und auch von der Suppe die Haut abnehmen. Ich werde alles so herrichten, als käme es geradewegs aus der Küche. Die gnädige Frau wird keinen Unterschied merken.« Sie schaute mich mit dem verzweifelten Mut der niederen Stände an. Und knickste.

»Nimm sie das fort.«

Die Magd gehorchte wortlos und zum Glück diesmal knickslos.

»Nein! Den Kuchen soll sie dalassen. Ich will versuchen, mir daran die Zähne auszubeißen.«

Während sie den gedeckten Tisch abräumte, ließ ich unauffällig einen Taler auf das Tablett gleiten. Wieder allein in meiner Wohnung eingeschlossen, zog ich mich mit einem Glas Wein und dem Kuchenteller neben den Ofen zurück.

Gottes Wege sind für die Menschen unbegreiflich, und wir dürfen nicht klagen. Die...

Erscheint lt. Verlag 21.7.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 17. Jahrhundert • 18. Jahrhundert • August der Starke • Burg Stolpen • Das Geheimnis der Porzellanmalerin • Der Duft des Teufels • Deutschland • Frauenschicksal • Gräfin Cosel • Historischer Roman • Luther und der Pesttote • Sachsen • sächsischer Hof • Starke Frau • weibliche Heldin
ISBN-10 3-8412-1963-2 / 3841219632
ISBN-13 978-3-8412-1963-3 / 9783841219633
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