This is America (eBook)

Reisen durch ein Land im Umbruch
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1997-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

This is America - Daniel C. Schmidt
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Roadtrip durch eine Nation im Wandel. Amerika erfindet sich neu, inmitten von Opiumkrise, Geschlechterkampf und Rassendiskriminierung. Temporeich erzählt Daniel C. Schmidt von Schülern, die zu Aktivisten gegen die Waffenlobby wurden, Amerikanerinnen wie der Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez aus der Bronx, die gegen das Establishment kämpfen, und illegalen Einwanderern, die in den USA ein neues Zuhause suchen. Das flirrende Porträt einer polarisierten Gesellschaft. 'Schmidt schreibt so eindrücklich, selbst Donald Trump könnte mit diesem Buch die USA begreifen.' Sophie Passmann

 Daniel C. Schmidt, Studium in Manchester und London, lebt seit Anfang 2016 in den USA, von wo er als freier Reporter u.a. für FAZ, ZEIT Online, NZZ und SPIEGEL über Politik, Gesellschaft, und Popkultur berichtet hat. Er wohnt in Washington, D.C. und hat bislang 38 US-Bundesstaaten bereist.

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Kapitel 1 – November 2016
Der Trump-Translator


Der Tag der Präsidentschaftswahl.
Raleigh, North Carolina

Als der Tag sich in die Nacht verwandelt hatte, fielen mir plötzlich all die Fragen ein, die ich Stunden vorher hätte stellen sollen.

  • Bekommt man immer den Präsidenten, den man verdient?
  • Ist nur Bill Clinton noch unterhaltsamer als Donald Trump?
  • Warum kleiden sich die meisten wohlhabenden Republikanerinnen wie Statistinnen aus der Serie »Dallas«?
  • Leidet Melania unter dem Stockholm-Syndrom?

Leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt Dennis Berwyn längst aus den Augen verloren. Er hätte Antworten gehabt, da war ich mir sicher. Weit nach Mitternacht – Berwyn hielt sich den Abend über mit Wein und Whiskey über Wasser – hatte er mir die Hand geschüttelt und mir einen letzten Satz mitgegeben, bevor er in der Menge der Feiernden untertauchte: »Erzähl deinen Lesern in Deutschland, was du heute hier gesehen hast.«

Ich hatte binnen 48 Stunden Donald Trump, Hillary Clinton und Lady Gaga im Duett mit Jon Bon Jovi gesehen, falsche Prognosen, konservative Migranten und afroamerikanische Trump-Fans. Anderthalb Tage war ich so etwas wie Dennis Berwyns Schatten gewesen. Wir rasten in seinem in die Jahre gekommenen Chevrolet-Van durch Wake County in North Carolinas Hauptstadt Raleigh, stellten Plakate auf, fuhren Wahllokale ab, trafen zufällig den Gouverneur des Bundesstaates, sprachen mit Wählern, Republikanern, Demokraten und Unentschlossenen. Amerika befand sich in Endspurtstimmung, mit der Siegerin Hillary Clinton im Zieleinlauf – bevor sie von rechts noch jemand überholte.

Zwei Tage vor der Wahl, im Anflug auf Raleigh, dachte ich über die Siegerpartys in New York nach. Da müsste man sein. Großstadt, Nabel der Welt. Manhattan, Glamour, Flair. Freudentränen und auch solche der Trauer. Amerika nach Obama. Da sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Clinton… oder Trump. Schulter an Schulter mit den Gewinnern. Ich hatte stattdessen einer deutschen Redaktion angeboten, den Wahlabend in einem sogenannten swing state zu verbringen. Ich kenne da einen, versprach ich, mit dem kann ich den Tag verbringen, der ist überzeugter Konservativer. Ja, hieß es aus Deutschland, mach das, super. Wir hatten es unausgesprochen gelassen, aber im Grunde war klar: Der Konfettiregen in New York ist abgedeckt, mal gucken, wie die Republikaner mit der Niederlage umgehen. So sehr war das Nervensystem des liberalen Amerikas angekratzt, dass Tage vor der Wahl noch die Rede von Unruhen war, sollte Donald Trump das Ergebnis nicht anerkennen bei einer Niederlage – wovon ja alle ausgingen.

Wenn die Straßen dann brennen, scherzte ein Kollegen in Deutschland, bist du mittendrin. Sie hatten mich ins vermeintliche Krisengebiet geschickt. Dabei, und das wurde spätestens am Ende der Wahlnacht allen klar, die weggesehen hatten, stimmte nicht nur dort, sondern im gesamten Land etwas nicht.

Das Wahlbarometer der Umfragespezialisten der New York Times, auf das Millionen von Amerikanern im Wahlkampf wie einen Fixstern geblickt hatten, versprach am Tag vor der Wahl mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 Prozent, dass Hillary Clinton statt Donald Trump gewinnen würde. Frei nach Andy Warhol: »In the future, everyone will be world-famous for 15 percent.« Wenn sie bei dem Vorsprung jetzt nicht als Siegerin über die Ziellinie gehen würde, dachte man, war sie wohl niemals losgerannt.

Gegen 21 Uhr waren Dennis Berwyn und ich auf die offizielle Wahlparty der Republikaner im Marriott gefahren. Vorher, beim Abendessen, als die ersten Ergebnisse aus den anderen Bundesstaaten vermeldet wurden und es nicht wie ein Durchmarsch für Trump aussah, hatte Berwyn noch gesagt: »Maybe it’s just not gonna be his night.«

Vielleicht reicht es für ihn heute Abend einfach nicht. Der Abend war der 8. November 2016, Amerika hatte gewählt und Donald Trump an seinem Ende gewonnen. Ab morgen früh müsste die große amerikanische Erzählung, das fortwährende Spiel aus Gewinnen und Verlieren, das ewige Nachobenschwimmen, um ein Kapitel erweitert werden. Doch noch wusste keiner (dem Vernehmen nach nicht einmal Trump selbst), was da auf uns zukommen würde.

Eins der hässlichsten Gebäude in Cleveland, Ohio, ist die so genannte Rock & Roll Hall of Fame am Ufer des Lake Erie, eine von Stahlträgern gehaltene schwarze Glaspyramide ohne einen Funken Raffinesse, die man so nur bauen kann, wenn man Florenz und Dresden für exotische Vornamen hält. Im Juli 2016 wehte der Duft von Grillfleisch von der angrenzenden Wiese des Rock-Museums herüber. Die Republikaner feierten den Auftakt ihres Parteitages, drei Tage später würden sie Donald Trump zu ihrem Spitzenkandidaten küren. Es war ein heißer Tag, die Delegierten hatten sich zur Begrüßung zu einem BBQ versammelt. Vielleicht war es reiner Zufall, dass die Parteiführung keine Blues- oder Jazz-Stadt ausgewählt hatte. Vielleicht war es Fügung, dass die Krönungszeremonie des windigen Immobilienunternehmers im Schatten dieser boys clubs für alternde, meist weiße Bands stattfinden sollte.

Unter den Delegierten stand ein Mann in Jeans und T-Shirt, an dem sich mein Blick festhielt. Auf seinem Rücken prustete ein wutschnaubender Elefant, das Wappentier der Republikaner. Darunter standen zwei Worte, die man inmitten der aufgekratzten Stimmung im Sommer 2016 allenfalls als nett gemeinte Warnung deuten konnte: Hardcore Conservative. Ich fragte ihn, ob ich davon ein Foto machen könne. »Aber natürlich«, sagte der Mann. Es war Dennis Berwyn.

In Amerika sind es die klassischen Eisbrecher, die einem die Möglichkeit eröffnen, sich in tiefere Gespräche verwickeln zu lassen. Mit einem Satz wie »Hey, how are you?« oder »Where are you from?« kann man zunächst wunderbar an der Oberfläche entlangsegeln. Doch wenn man ein wenig Neugier mitbringt, kann man anfangen, ein bisschen vorzufühlen – mal gucken, ob das Gegenüber gesprächsbereit ist und man selber gewillt, in den Kaninchenbau aus irren, überraschenden, kaputten Geschichten hinabzusteigen, die dieses Land zuhauf produziert.

»Du kommst aus Deutschland?«, sagte Dennis Berwyn zu mir. »Da bin ich aufgewachsen. Servus, Alter!« Ein leichter Akzent schwang in seinem tiefen Bourbonzigarettengegurgel mit. 1960 kam er in Washington, D. C. zur Welt, im Alter von zwei Monaten zog er mit seinen Eltern nach Frankfurt, ging anschließend auf eine Militärschule der Alliierten. Mit 18 kehrte er in die USA zurück, kam zunächst nach Kalifornien (»ich war ein langhaariger Hippie«) und über Umwege nach North Carolina. Im Studium hatte er sich für Gesellschaftsordnung und Staatswesen interessiert, anschließend eine Familie gegründet und ein Haus gekauft. Im Sommer 2016 arbeitete er als Wahlkampfmanager für den republikanischen Lokalabgeordneten Chris Malone in Raleigh.

Irgendwann hatte Hardcore den Hippie ersetzt.

In Cleveland hielt Berwyn ein Bier in der Hand und erklärte, warum Trump, dessen Kandidatur er anfangs nicht unterstützt hatte, der richtige Mann sei, um Amerika nach Barack Obamas historischer Amtszeit zu führen. Der Politikstratege schien da schon ein Gespür dafür zu haben, womit die Presse im Juli 2016 noch haderte und was das linke Amerika sich zu ignorieren erlaubte: Es würde nicht reichen, auf dem großen Schachbrett, das die amerikanische Politik darstellte, bloß den einen nervigen Bauern runterzuschnipsen, weil die Wut der Trump-Supporter weiter zurückreichte als zu dem Moment, in dem dieser seine Kandidatur bekannt gab. Schönwetterpopulist Newt Gingrich, der Mitte der 90er Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre vor sich hergejagt hatte und später die Tea-Party-Bewegung samt ihres Maskottchens Sarah Palin, all das waren Vorboten des Rechtsrucks gewesen.

Der Kulturwandel, die Hinwendung zur Identitätspolitik unter den Konservativen, hatte den Politikwandel angekündigt. Die Republikaner hatten erkannt, dass man sich die klassischen linken Interessensthemen zum Schutz von Minderheiten aneignen konnte, um auf Stimmenfang zu gehen und unter der eigenen Kernwählerschaft eine white angst zu schüren. Selbst ohne die Figur Trump hatte sich auf dem Spielfeld etwas verschoben, das sich nicht einfach zurückdrehen ließ. Trumps Rhetorik war nur der Katalysator, nicht Initiator für Amerikas neue politische Realität. Politik fand nicht mehr in Ortsvereinen statt; der Stammtisch, an dem die Genug-ist-genug-Amerikaner nun einkehrten, hieß Fox News, Breitbart, The Daily Caller oder, bezeichnenderweise, Info Wars. Ein nicht unerheblicher Teil des Landes reagierte lediglich auf Reizwörter, nicht mehr auf Tatsachen. Wer einmal eine Meinung hatte, ließ sich nicht durch Zahlen, Daten oder Fakten davon abbringen. »Was ihr Reporter nicht versteht«, sagte Berwyn mir später in Raleigh, »ist, dass das, was in Washington passiert, für uns egaler nicht sein könnte.«

Was ja Kalkül war: Dort hatten sich die Konservativen den neuen Fokus aus Verlustangst-Themen ausgedacht, dort hatten sie den Sturm gesät, der über das Land hinwegfegen sollte.

Nach den aufgeheizten Sommertagen in Cleveland, an denen die Anti-Trump-Proteste das Stadtbild prägten, hielten Berwyn und ich Kontakt. Alle paar Wochen schrieb ich ihn an, um mir ein eigenes kleines Stimmungsbarometer zu basteln: Hallo Amerika, wie geht’s? Als ich ihn fragte, ob ich ihn am...

Erscheint lt. Verlag 18.2.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alexandria Ocasio-Cortez • Black lives matter • Donald Trump • Green New Deal • Joe Biden • John Jeremiah Sullivan • Kamela Harris • Mexikanische Grenze • Opioidkrise • parkland • Pete Buttigieg • Politik • Präsidentschaftswahlkampf • Reise • Reportage • Roadtrip • USA • Waffenlobby
ISBN-10 3-8412-1997-7 / 3841219977
ISBN-13 978-3-8412-1997-8 / 9783841219978
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