Die Schule am Meer (eBook)

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2020 | 1. Auflage
576 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-30052-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schule am Meer -  Sandra Lüpkes
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Eine Schule auf Juist, ein Traum von Gemeinschaft und Freiheit - doch die Welt steuert auf den Abgrund zu Juist, 1925: Tatkräftig und voller Ideale gründet eine Gruppe von Lehrern am äußersten Rand der Weimarer Republik ein ganz besonderes Internat. Mit eigenen Gärten, Seewasseraquarien und Theaterhalle. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft: die jüdische Lehrerin Anni Reiner, der Musikpädagoge Eduard Zuckmayer, der zehnjährige Maximilian, der sich mit dem Gruppenzwang manchmal schwer tut, sowie die resolute Insulanerin Kea, die in der Küche das Sagen hat. Doch das Klima an der Küste ist hart in jeder Hinsicht, und schon bald nehmen die Spannungen zu zwischen den Lehrkräften und mit den Insulanern, bei denen die Schule als Hort für Juden und Kommunisten verschrien ist. Im katastrophalen Eiswinter von 1929 ist die Insel wochenlang von der Außenwelt abgeschlossen. Man rückt ein wenig näher zusammen. Aber kann es Hoffnung geben, wenn der Rest der Welt auf den Abgrund zusteuert? Ein Roman u?ber Wagemut und Scheitern, Leidenschaft und Missgunst, Freundschaft und Verrat. Eine große Geschichte - hervorragend recherchiert und packend erzählt.

Sandra Lüpkes wurde 1971 in Göttingen geboren und lebte viele Jahre auf der Nordseeinsel Juist. Sie ist Autorin zahlreicher Romane, Sachbücher, Erzählungen und Drehbücher. Heute wohnt sie gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen Kehrer in Berlin.

Sandra Lüpkes ist Autorin zahlreicher Romane, Sachbücher, Drehbücher und Erzählungen. Mit «Die Schule am Meer» hat sie einen groß angelegten Gesellschaftsroman geschrieben über ein reformpädagogisches Internat auf Juist. Die ausgiebigen Recherchen zu den historischen Begebenheiten und realen Personen im Umfeld der Schule führten sie ins Tessin, nach Berlin und natürlich auch nach Juist, wo sie aufgewachsen ist und wo sie lange Jahre gelebt hat. Der Roman stand wochenlang auf der Bestsellerliste und begeisterte Presse und Leser.

Sexta


Juli 1925

Ein heftiger Ruck durchfuhr das Schiff, als es gegen die Dalben des Anlegers stieß. Anni hörte die Holzpfähle stöhnen. Durch die salzverkrusteten Bullaugen des Salons waren Matrosen zu erkennen, die raue Seile um die Poller legten, sie festzurrten und den Steg an Bord schoben. Das schmale Brett, über das die Passagiere gleich balancieren mussten, war immerhin mit einem Geländer versehen, doch mit hochhackigen Schuhen war es kaum zu bewältigen, denn es regnete und windete ohne Unterlass, der Steg war glatt und schwankte.

Anni trug flache Schnürer mit rutschfester Sohle und eine Hose. Das war wenig elegant und hatte ihr schon missbilligende Blicke der Mitreisenden eingebracht, burschikose Frauen waren im mondänen Nordseebad vermutlich eine Seltenheit. Dafür würde sie garantiert gleich auf dem nassen Steg eine bessere Figur machen als beispielsweise die junge Frau da vorn mit ihren sandelholzfarbenen Stöckelschuhen (deren Absätze vermutlich in den Spalten zwischen den Brettern stecken bleiben würden), einem sandelholzfarbenen Plisseerock (unter den der Wind mit Vorliebe griff) und einem ebenso sandelholzfarbenen Hut (der gewiss schon bei der ersten Böe abhob).

«Renate? Aufwachen.» Anni strich ihrer ältesten Tochter über den Arm. Die Reise war anstrengend gewesen. Gestern Vormittag waren sie in Frankfurt gestartet, am Nachmittag hatten sie in Köln umsteigen müssen, außerdem lag eine wenig bequeme Nacht im kleinen Gasthaus Neptun in Norddeich hinter ihnen. Weil in der Hochsaison die Zimmer knapp waren, hatten Anni, ihre Mutter und die beiden großen Mädchen sich zu viert ein Doppelbett teilen müssen, der kleinen Ruth war von der Neptun-Wirtin netterweise ein Kinderbettchen zur Verfügung gestellt worden. Geschlafen hatten sie alle kaum, weil es laut gewesen war in der Pension, in deren Erdgeschoss sich ein gutbesuchtes Restaurant befand. Dazu die Aufregung, weil früh am nächsten Morgen das Schiff zu der Insel fuhr, auf der sie fortan leben würden. Die Mädchen hatten Anni mit Fragen gelöchert: Wie groß wird unser Kinderzimmer sein? Gibt es auf Juist Tiere? Und wie oft gehen eigentlich Schiffe unter? Auch Annis Mutter, die sie auf der Reise begleitete und tatkräftig unterstützte, war neugierig, ihr ging es allerdings eher um die finanzielle Situation ihrer Tochter. Schon in Wickersdorf hatten Paul und Anni ein kleines Vermögen in den Sand gesetzt, auf Juist durfte das nicht noch einmal passieren. «Bei aller Liebe zur Pädagogik», hatte Annis Mutter gesagt, «es wäre keine Schande, wenn etwas Geld dabei herumkäme.» Darüber hatten sie erst gestern wieder gestritten, leise flüsternd auf dem Flur der Pension, damit die Mädchen nichts mitbekamen: «Es ist unser Traum, Mutter! Und ich brauche den ganzen Luxus nicht, keine Villa in der Stadt, keine Sommerresidenz auf dem Land. Wenn Paul, ich und die anderen nur unser großes Ziel erlangen, werden wir reicher beschenkt sein als durch Vaters Vermögen!»

«Du weißt, dass ich euch unterstütze», hatte die Mutter erwidert. «Auch ideell. Dass ich euch sogar bewundere für euren Mut, eine eigene Schule zu gründen. Aber ich habe auch Angst, dass du dich selbst ausbeutest. Ich vermute, Vater hat seinen Hilfsarbeitern mehr gezahlt als das, was für Paul und dich bestenfalls übrig bleibt.»

Die Argumente waren hin und her gegangen. Und am Ende hatte Philippine Hochschild ihrer Tochter einen größeren Scheck zugesteckt mit der Anweisung, den Mädchen dafür etwas Hübsches zum Anziehen zu kaufen, sobald sich die Gelegenheit böte. Anni hatte es ihrer Mutter versprechen müssen – und im selben Moment ausgerechnet, dass, wenn sie die Kleider selbst schneiderte, am Ende vielleicht etwas übrig blieb, wovon sie Tafelkreide, Schwamm und Zeigestock bezahlen könnte.

Irgendwann war Renate auf den Flur gekommen, weil sie Mutter und Großmutter im Bett vermisst und das inzwischen nicht mehr so leise Gespräch belauscht hatte. Annis Älteste bekam viel mit von dem, was den Eltern Sorgen bereitete. Entsprechend übermüdet wirkte sie heute, war halb dösend an Bord geschlichen, hatte keine heiße Schokolade gewollt und verschlief die gesamte Schiffsreise, auf die sie sich eigentlich so gefreut hatte.

Es tat Anni in der Seele weh, Renate wecken zu müssen. «Wir sind da, Natischatz. Kannst du bitte Ruth mit der Jacke helfen?»

«Warum immer ich?», jammerte Renate und richtete sich bleich und mit zerzaustem Haar auf.

Da wegen des schlechten Wetters kaum ein Mensch freiwillig an Deck ging, war die Luft im Salon schnell verbraucht und vom Qualm zahlreicher Zigaretten geschwängert gewesen. Zudem war es laut, weil alle durcheinanderredeten und einige Gäste den Urlaub mit Bier oder Sekt einläuteten, was für aufgekratzte Stimmung sorgte. Renate hatte dennoch beneidenswert tief und fest geschlafen.

«Na komm!» Anni half ihrer Tochter in die Senkrechte und gab ihr einen Kuss auf die warme Wange.

«Und warum muss Eva sich nie um Ruth kümmern?»

«Sie ist erst sechs. Außerdem ist ihr schlecht.» Tatsächlich war Eva nach wie vor ganz grün im Gesicht. Das sensible Kind hatte einen launischen Magen, und im Seegatt zwischen Juist und Norderney schaukelte es bei Windstärke fünf ganz ordentlich. Bei der Sekt-und-Bier-Fraktion hatte das für Heiterkeit gesorgt, bei Eva für Brechreiz. Eine halbe Ewigkeit mussten sie die Bordtoilette okkupieren, und zwischen den Würgeattacken hatte die kleine Eva traurig gefragt, warum denn das Meer so böse sei, so wild und überhaupt nicht blau.

Sie hatte nicht unrecht. Sie alle kannten nur den sommerlich glitzernden Lago Maggiore, an dem die Kinder gemeinsam mit der Großmutter wunderbare Ferientage verlebt hatten, in einem schneeweißen Hotel mit federweichen Betten, türkisfarbenem Schwimmbecken und einem Pagen, der ihnen Limonade servierte. Die Nordsee zeigte sich hingegen grau wie Beton, und wenn die Wellen gegen das Schiff schlugen, schien sie auch genauso hart und unnachgiebig zu sein.

«Nun aber aufstehen, Kinder. Großmutter ist längst draußen an Deck und kümmert sich um das Gepäck. Wir wollen doch zu unserer neuen Schule.»

Vier Koffer hatten sie dabei, in denen gerade das Allernötigste steckte: Sommerkleider, Wäsche, Spielsachen, dann noch ein paar Jacken, Socken und Mützen, schließlich war es an der Nordsee stets ein paar Grad kälter. Dafür, dass dies ein kompletter Umzug war, fiel das Gepäck spartanisch aus.

Paul war schon seit März auf Juist; er hatte dafür gesorgt, dass die Möbel in Wickersdorf abgeholt und zur Insel gebracht worden waren: der heißgeliebte Samowar, der alte Kirschbaumsekretär, die Truhe von Onkel Salomon, das schlichte Bücherregal, das Paul im Werkunterricht mit den Wickersdorfer Schülern gezimmert hatte, sogar Annis Cello. Alles habe inzwischen seinen Platz gefunden, und es sehe recht hübsch aus, hatte er am Telefon versichert, doch Anni blieb skeptisch. Ihr liebster Paul las Bücher, schrieb Briefe, beschäftigte sich mit der Zeitung und diskutierte gern bis in die späten Abendstunden über Politik. Aber ihr liebster Paul hatte kein Auge für Hübsches. Sonst hätte er sich eine andere Frau ausgesucht. So eine wie die Sandelholzfarbene da hinten. Blond und blauäugig. Und vielleicht auch dünn und dümmlich wie die Zeitung, die Anni gestern während der Fahrt gelesen hatte, weil ein Exemplar im Zug liegen geblieben war. Der Aufmacher auf dem Titelblatt der Rheinisch-Westfälischen hatte Anni neugierig gemacht: Erziehung muss sich auf Weltanschauung gründen, die nur dem rein arischen Blute gegeben ist. Wären die Behauptungen des Bunds völkischer Lehrer, der sich inzwischen in nahezu allen deutschen Großstädten gegründet hatte, nicht so lächerlich, Anni würde sich glatt fürchten. Mit Genuss hatte sie das Blatt dazu benutzt, das Dutzend geräucherter Aale darin einzurollen, das sie nach ihrer Ankunft am Hafen gekauft hatte.

Die Sandelholz-Frau sah zu ihr her, musterte erst Anni von oben bis unten, danach die Kinder. Ruth quengelte, als Renate, deren Zöpfe sich nun ganz aufgelöst hatten, ihr ins Jäckchen half. Eva verkündete lautstark, ihr sei schon wieder schlecht. Die Frau zog eine ihrer gezupften Augenbrauen nach oben.

Hektisch schob Anni ihrer Tochter den Wollpullover über den Kopf. «Keine Sorge, dein Bauch ist leer, da kommt bestimmt nichts mehr raus. Außerdem haben wir es gleich geschafft.» Anni zeigte aus dem kreisrunden Fenster. «Schau, da gehen schon die Ersten von Bord. Wir müssen nur noch in das Züglein steigen …»

«Ich will nicht schon wieder Zug fahren!», beschwerte sich Renate und stampfte mit dem Fuß auf.

«Es ist ein ganz besonderer Zug. Eine Inselbahn. Sie fährt über das Wasser, weil das Schiff im flachen Watt nicht nahe genug ans Ufer gelangt. Also tuckern wir den Rest der Strecke über einen hölzernen Damm bis zum Bahnhof. Dort wartet euer Vater, der freut sich riesig, seine Mädchen endlich wieder in die Arme zu schließen.» Und mich, fügte Anni in Gedanken hinzu. So lange waren sie noch nie voneinander getrennt gewesen, abgesehen vom Krieg, aber das war eine andere Geschichte.

Nun würde endlich alles gut werden, nach allem, was sie in Wickersdorf durchgemacht hatten. Der schreckliche Streit mit der Schulleitung. Die Angst in den...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2020
Zusatzinfo Mit 1 s/w Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920er • 1920er Jahre • 1930er Jahre • 20er Jahre • 30er Jahre • Bestseller • Carl Zuckmayer • Carmen Korn • Deutsche Geschichte • Eiswinter • Familiensaga • Frauenroman • Frauenschicksal • Frauenschicksale • Freundschaft • Gemeinschaft • Geschenke für Frauen • Gesellschaftsroman • Historischer Roman • Insel • Internat • Juist • Lehrer • Liebe • Martin Luserke • Muttertagsgeschenk • Nationalsozialismus • Nordsee • Ostfriesische Insel • Ostfriesische Inseln • Reformpädagogik • Schicksal • Schüler • Sehnsucht • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Sturmflut • Zusammenhalt
ISBN-10 3-644-30052-6 / 3644300526
ISBN-13 978-3-644-30052-1 / 9783644300521
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