Seelische Trümmer (eBook)

Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas. Mit einem Nachwort von Anna Gamma. Überarb. u. erweiterte Neuausgabe
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2019 | 1. Auflage
224 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-25847-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Seelische Trümmer -  Bettina Alberti
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Traumata und seelische Verletzungen der Nachkriegsgeneration verstehen
2020 liegt das Ende des Zweiten Weltkriegs 75 Jahre zurück. Doch noch heute leiden viele Menschen unter vielfältigen Traumata. Selbst bei den längst erwachsenen Kindern der Kriegskinder zeigen sich Gefühle von Einsamkeit, Unsicherheit, Angst und Entwurzelung. Menschen, die in den 1950- und 1960er-Jahren geboren sind, tragen häufig eine kollektiv anmutende seelische Verletzung in sich, die durch die besondere Bindungs- und Erziehungserfahrung der Nachkriegszeit begründet ist.

Bettina Alberti lässt in ihrem Buch viele der heute 50- bis 70-Jährigen zu Wort kommen und zeigt an deren Beispiel, welche Folgen das kollektive deutsche Kriegstrauma auf diese Generation hatte und mit welchen besonderen Aufgaben sie betraut war - erschwert durch die selbst erlebte Phase des Kalten Krieges und der Teilung Deutschlands. Eine 1959 Geborene formuliert diese Aufgabe so: »Unsere Eltern räumten die Trümmer der zerstörten Häuser mit den Händen weg - wir, die nächste Generation, sind mit dem Aufräumen der seelischen Trümmer beschäftigt.«

Die Autorin zeigt darüber hinaus, wie es mit psychotherapeutischer Begleitung möglich ist, die Hintergründe der eigenen seelischen Verletzung zu verstehen, die Familien- und die kollektive Geschichte zu betrauern, die Sprache der Seele wiederzufinden und psychische Weiterentwicklung zu ermöglichen.

In die erweiterte Neuausgabe hat die Autorin Eindrücke und Rückmeldungen aus den vielen Vorträgen der vergangenen Jahre zum Thema dieses Buches aufgenommen, außerdem einen Bezug zur aktuellen Flüchtlingsthematik der vergangenen vier Jahre hergestellt sowie den Aspekt der (neuen) Ost-West-Spaltung im Kapitel über die deutsche Teilung erweitert.

Abgeschlossen wird dieses wichtige Buch durch ein ausführliches und einfühlsames Nachwort von Anna Gamma, der langjährigen Leiterin des Lassalle-Instituts in Bad Schönbrunn in der Schweiz.

  • Überarbeitete und erweiterte Neuauflage: Mit Bezug zur aktuellen Flüchtlingsthematik und Aspekten der neuen Ost-West-Spaltung
  • Über 33.000 verkaufte Exemplare der Originalausgabe
  • 75 Jahre nach Kriegsende beschäftigen die Folgen des Kriegstraumas weiterhin die Nachkriegsgeneration
  • Mit vielen Erfahrungsberichten und einem Nachwort von Anna Gamma
  • Rege Vortragstätigkeit der Autorin


Bettina Alberti, geboren 1960, ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und tiefenpsychologisch orientierte Körpertherapeutin in eigener Praxis in Lübeck. Sie ist außerdem in der Fortbildung und als Supervisorin tätig. Ihr besonderes Interesse gilt der Bedeutung von Kontakt und Bindung für die psychische Entwicklung des Menschen unter der Berücksichtigung traumatischer Erfahrungen.

Einleitung

Warum ein Buch über die in den 50er- und 60er-Jahren Geborenen aus Sicht der Psychotherapie? Menschen dieser Generation tragen häufig eine kollektiv anmutende seelische Verletzung in sich: Sie spiegelt ihre durch die Nachkriegszeit geprägten Bindungs- und Erziehungserfahrungen wider. In der Psychotherapie mit diesen Kindern der – meist – Kriegskinder, manchmal auch ehemaligen Kriegsteilnehmer, zeigt sich eine oft tief empfundene Einsamkeit, ein diffuses, depressives Lebensgrundgefühl, eine Unsicherheit, sich selbst sein zu dürfen, die immer wiederkehrende Frage nach dem eigenen Wert und die Angst vor Gefühlen. Dies ist mir und meinem Mann Heiner Alberti in Gesprächen über unsere seit über 30 Jahren praktizierte psychotherapeutische Begleitung von Menschen deutlich geworden. Und so sind viele Gedanken und Ausführungen zur Thematik dieses Buches in der Zusammenarbeit zwischen uns entstanden.

Die Folgen der elterlichen Kriegsbelastung für die erwachsenen Kinder verbergen sich oft hinter einem gut funktionierenden Pseudoselbst. Denn eine Botschaft in den 50er- und 60erJahren war auf seelischer Ebene eben ihre Verleugnung: Die Kriegstraumatisierung der Familien war unverarbeitet, das Erleben von existenzieller Not, von unfassbarer Zerstörung, von Verlust, von tiefer Schuld, Beschämung und seelischer Entwurzelung wirkte nach. Die zu Eltern gewordenen ehemaligen Kriegskinder hatten es teilweise schwer damit, die Seele ihrer jetzt eigenen Kinder in ihrem Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung anzunehmen. Sie selbst waren in einer Zeit aufgewachsen, die die seelische Dimension des Lebens eingeschränkt oder zerstört hatte. Die nationalsozialistische Doktrin mit ihrer Idee des »unwerten Lebens« beanspruchte für sich das Recht auf Vernichtung auch bezüglich geistigen und seelischen Seins.

Traumatische Erfahrungen können in Menschen lange weiterwirken und das Fühlen, Denken und Handeln beeinflussen. Aus der Traumatherapie wissen wir, wie viel Mut und schmerzvolle Einsicht, aber auch Befreiung es bedeutet, die eigene Seele wieder öffnen zu lernen, wieder lieben zu können und zu dürfen und Entspannung zu finden. Die Kinder der Kriegskindergeneration blieben zwar von den realen Schrecken des Krieges verschont, in der äußeren Welt herrschte wieder Frieden, nicht aber in der inneren, seelischen Welt. In deutschen Familien spielten sich in den 50er- und 60er-Jahren andere Kriege ab. Der Versuch, mühsam aufgebaute seelische Überlebensstrategien aufrechtzuerhalten, hatte seinen Preis. Erfolgreiche Filme wie Das Wunder von Bern1, Teufelsbraten2 und der schon in den 70er-Jahren produzierte und in der Bundesrepublik zunächst abgelehnte, im Ausland jedoch sehr anerkannte Film Deutschland bleiche Mutter3 versuchen, diese Dynamik aufzuzeigen. 2019 beeindruckte die hohe Zahl der Zuschauer des in den 60er-Jahren spielenden autobiografischen Films Der Junge muss an die frische Luft. Die Geschichte des kindlichen Hape Kerkeling zeigt einen Jungen, der vergeblich versucht, seine durch Kriegserfahrungen schwer depressiv gewordene Mutter emotional zu retten und sich als versagend und schuldig erlebt.

Nicht zu fühlen, was ist, ist einer unserer wichtigsten Überlebensmechanismen bei Bedrohung. Funktionieren, verdrängen, verleugnen, sich zurückziehen, nichts mehr zeigen von der inneren Wirklichkeit – ohne diese Fähigkeiten könnten Menschen in einer traumatischen Situation geistig und seelisch nicht überleben. Krieg ist aber eine der traumatischsten Situationen in dieser Welt, und so verschlossen diejenigen, die den Zweiten Weltkriegerlebt hatten, oftmals ihren inneren Seelenraum. Dies wirkte transgenerational auf die nächste Generation. Die Kriegstraumatisierung und die Prägung durch die NS-Paradigmen brachte viele Eltern dieser Zeit dazu, der Seele ihrer Kinder nicht begegnen zu können, was bei diesen Selbstverleugnung, Einsamkeit und Lebensangst bewirkte. Der Bindungssehnsucht Raum zu geben und das eigene Selbst zu besetzen, ohne in Narzissmus abzudriften, ist für die Generation der in den 50er- und 60er-Jahren Geborenen vor dem Hintergrund ihrer kriegsbelasteten Familienbiografie eine kollektive Aufgabe. »Unsere Eltern räumten die Trümmer der zerstörten Häuser mit den Händen weg – wir, die nächste Generation, sind mit dem Aufräumen der seelischen Trümmer beschäftigt«, sagt eine 1959 Geborene. Das braucht Anerkennung.

Ein wichtiger Aspekt dabei ist transgenerational vermittelte Schuld für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Tätergeneration ist bis auf wenige Ausnahmen inzwischen nicht mehr am Leben. Im Juli 2015 wurde einer der wahrscheinlich letzten Prozesse gegen einen 94-jährigen ehemaligen Aufseher in Auschwitz unter Anhörung von noch lebenden ehemaligen Opfern vor dem Landgericht Lüneburg unter großem öffentlichem Interesse verhandelt. Kollektive Schuld wandelt sich langsam zu Verantwortung für das Bewahren von Erinnerung. Joachim Gauck konstatierte zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz 2015: »Auschwitz gehört zur deutschen Identität.« Als Ausdruck einer sich verändernden politischen Landschaft beklagte der AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Jongen 2019 zu diesem Thema: »Unsere Jugend wird systematisch zu Schuld und Scham über ihr Deutschsein erzogen.«

Der Zustand der Außenwelt in Kindheit und Jugend der in den 50er- und 60er-Jahren Geborenen hinterließ seine Spuren. Kein Kriegsgeschehen mehr in Deutschland, zum Glück, aber ein chronischer politischer Spannungszustand. Ein dazu 2008 herausgegebenes Heft »Spiegel Special Geschichte« trug den Titel »Der Kalte Krieg – Wie die Welt das Wettrüsten überlebte«. Wie aber wurde das Wettrüsten seelisch überlebt? Die nukleare Bedrohung war vielen über einen langen Zeitraum hinweg gegenwärtig. Die Friedensbewegung der 80er-Jahre in der Bundesrepublik und der kollektiv vermittelte Wunsch nach Frieden in der DDR boten neben der politischen Zielsetzung die Möglichkeit, der Kriegsangst in einer Gemeinschaft Ausdruck zu verleihen. »Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin« wurde zum geflügelten Wort, das die politische Situation ad absurdum führte.

Im August 1968 war ich durch die berufliche Tätigkeit meines Vaters zufällig in Prag, als die sowjetische Armee die Stadt besetzte. Ein kurzer Geschmack von Krieg, der mich als achtjähriges Mädchen erschütterte. Die plötzlich wieder erlebte Bedrohung durch »die Russen« war für meine 1945 als Kind aus Ostpreußen geflüchtete Mutter und für meinen 1959 aus der DDR geflohenen Vater, ebenfalls Kriegskind, unaussprechlich. Für mich also eine Ahnung von Krieg – und welch ein Glück, kein Kriegskind gewesen zu sein, sondern nur ein Kind kriegstraumatisierter Eltern, nur ein Kind des Kalten Krieges!

Eine weitere unmittelbare Folge des Krieges wirkte weit in die Nachkriegszeit bis 1989: die Teilung Deutschlands. Diejenigen, deren Familien getrennt worden waren, die Eltern oder Geschwister, Freunde und Kollegen im anderen Teil Deutschlands hatten, wurden damit konfrontiert. Kollektiv konnte die Kriegswunde der Spaltung nicht heilen und wird neben aller Freude über die Wiedervereinigung noch einige Zeit des gemeinsamen seelischen Heilungsbemühens brauchen.

Eine neue Ost-West-Spaltung ist im Jahr 2019, 30 Jahre nach der Wende, spürbar. Mangelndes Verständnis füreinander, mangelndes Wissen voneinander und eine Wiedervereinigungspolitik, die für viele DDR-Bürger neben guten neuen Erfahrungsmöglichkeiten auch zu Frustration und Identitätsverlust führte, scheint dazu beizutragen. Die Folgen der noch heute wirkenden politischen Systemtraumatisierung, der viele in der DDR lebende Menschen ausgesetzt waren, werden relativ wenig thematisiert.

Wie erlebt die mittlere Generation die alten Eltern heute, ihre nicht nur altersbedingte Bedürftigkeit? Wie begegnen die heute 50- bis 70-Jährigen der Aufgabe des Generationenvertrages? Geht es hier auch um Versöhnung, um Annäherung, um ein Annehmen des gravierend unterschiedlichen Erfahrungshintergrundes dieser beiden Generationen? Trennt die Kriegserfahrung unwiderruflich die jetzt älteste und durch den Krieg primär traumatisierte Generation von ihren Kindern, die von transgenerationaler Traumatisierung betroffen sind?

Die Folgen für eine seelische Integrität beeinflussen nicht nur das Schicksal eines Menschen vor dem Hintergrund seiner individuellen Biografie. Sie initiieren darüber hinaus ein in die Gesellschaft hineinwirkendes kollektives Geschehen. Das Verstehen von Zusammenhängen, das Betrauern der Familien- und der kollektiven Geschichte, das Erlauben der Sehnsucht und die Wiederermächtigung der Seele können Wege der psychischen Weiterentwicklung ermöglichen. Die Sprache der Seele will wiedergefunden, der innerseelische Krieg beendet werden.

Seit 2014 kommen wir auf neue Weise in Berührung mit Kriegsgeschehen in der uns umgebenden Welt. Angesichts der humanitären Aufgabe, von Krieg und Verfolgung bedrohte Flüchtlinge aufzunehmen und zu unterstützen, stellt sich die Frage nach unseren humanitären Werten. Ein Rückbezug zu Gefühlserbschaften von Fluchterfahrungen in Deutschland im Kontext des Zweiten Weltkriegs ist sinnvoll.

Auch die nächste Generation, die Generation eines wiedervereinigten Deutschlands ohne Kalten Krieg, ist sicherlich noch geprägt von der Suche ihrer Eltern nach seelischer Befreiung, nach Identität und Einbindung und trägt die kollektive Traumaverarbeitung mit. Gemeinsam mit ihrer Eltern- und Großelterngeneration haben die heutigen jungen Erwachsenen darüber hinaus andere Aufgaben durch neue kollektive Bedrohungen. Es gibt jedoch...

Erscheint lt. Verlag 16.12.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2. Weltkrieg • eBooks • Entwurzelung • Generationentraumata • Geschichte • Kalter Krieg • Kindheitstrauma • Kollektives Gedächtnis • Kriegsenkel • Kriegskinder • Kriegskindergeneration • Nachkriegskinder • Nachkriegskindheit • Sabine Bode • Weltkrieg • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-25847-2 / 3641258472
ISBN-13 978-3-641-25847-4 / 9783641258474
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