Frieda von Richthofen (eBook)

Eine Frau sprengt die Fesseln ihrer Zeit

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
464 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-25167-3 (ISBN)

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Frieda von Richthofen -  Annabel Abbs
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Die spektakuläre Geschichte der Frieda von Richthofen: »Eine kühne und starke Frau.« (Stylist).
Deutschland, 1907: Frieda von Richthofen, in Nottingham mit dem britischen Professor Ernest Weekley verheiratet und Mutter dreier Kinder, besucht ihre Schwestern in München. Sie taucht ein in die Schwabinger Bohème, in die Welt der Künstler, Freigeister und freien Liebe. Sie beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit dem Psychoanalytiker Otto Gross und entdeckt, dass sie mehr sein will als Mutter und Ehefrau.

England, 1912: Gefangen in ihrer Ehe, trifft Frieda den mittellosen, aber ehrgeizigen jungen Schriftsteller D. H. Lawrence. Ihre stürmische Liebe ist ein gesellschaftlicher Skandal. Und Frieda muss für ihren Mut, die Fesseln ihrer Zeit zu sprengen, einen hohen Preis zahlen.

Annabel Abbs ist Schriftstellerin und Journalistin. Nach einem Unfall entdeckt sie ihre Liebe zu langen Wanderungen in der einsamen Natur wieder. Annabel Abbs wurde für ihre historischen Frauenstoffe bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Romanbiografie »Frieda«, in der sie das spektakuläre Leben der Frieda von Richthofen nachzeichnet, war u.a. »Times Book of the Year«. Annabel Abbs lebt mit ihrer Familie in London und Sussex.

1


Frieda

Später, als der Skandal schon da war und die Zeitungen sie zum Paria gemacht hatten, konnte sie alles auf einen bestimmten Tag zurückführen. Einen bestimmten Augenblick. Manchmal trat ihr dieser Augenblick wie ein schwindelerregender Wirbel vor Augen, so, dass alles in einen Rahmen gepresst schien. Dreizehn Ehejahre und drei vollkommene Kinder verschmolzen zu einem einzigen Bild. Und sie staunte, wie etwas so Gewaltiges einem so ereignislosen Augenblick entspringen konnte.

Der Tag hatte aufregend begonnen. Ein rosa überhauchter Himmel, hellgrün austreibende Silberbirken, Gras und Blätter von schwerem Tau benetzt, ein gelber Schimmer, wo das erste Schöllkraut durch die schwarze Erde brach. Die Kinder waren ums Haus gerannt und hatten geschrien: »Tante Nusch kommt extra aus Berlin.« Monty war auf dem Sofa herumgesprungen, Elsa hatte sich Schnüre mit violetten Perlen über die Schultern drapiert, und selbst Barby hatte mit dem Löffel auf den Frühstückstisch gehauen und »Nusch kommt« gebrüllt.

Mrs Babbit brachte den ganzen Morgen mit Schrubben, Polieren und Abstauben zu. Monty und Barby pflückten Schlüsselblumen und Glockenblumen, die Elsa in Marmeladengläser stellte. Frieda hatte einen Apfelkuchen gebacken und stäubte üppig Zimt und Puderzucker auf das von Kratern überzogene Backwerk. Selbst Ernest, der selten sein Arbeitszimmer verließ, strich durchs Haus, stupste den Finger in den Kohlenstaub, der sich auf den Simsen abgesetzt hatte, und betastete die Wandfarbe, die von den Sockelleisten blätterte.

Am frühen Nachmittag, als Nusch ankommen sollte, schlug das Wetter um. Ein schräger Regen begann laut gegen die Scheiben zu spucken, und der Himmel war wie in zwei Hälften geteilt; in der einen hingen schwere Wolken, die andere war von einem blassen, milchigen Blau. Ernest brach auf, um Nusch vom Bahnhof abzuholen, winkte im Gehen mit seinem straff gewickelten Regenschirm und rief: »Ich warne euch, ihre Juwelen werden euch blenden!« Theatralisch hob er die Hand und legte sie sich schützend über die Augen, woraufhin alle lachten und Frieda einen leisen Stolz empfand.

Die Szene eine Stunde später sollte sich ihr für alle Zeiten einprägen. Die Röcke hoch genug gerafft, um den feinen Spitzensaum ihres Unterkleids sowie die teuren Lederstiefeletten mit den geschwungenen Absätzen und den Perlmuttknöpfen zu zeigen, stieg Nusch vom Tritt. Nachdem sie Staub und Schmutz von ihrem Reisekostüm geklopft hatte, hob sie den Blick zu dem kleinen schlichten Backsteinhaus, der engen Eingangstür, dem schmalen Garten und sagte: »Ach, du armer, armer Schatz!« Frieda machte den Mund auf, um zu protestieren, besann sich aber eines Besseren, führte sie in den Flur und plauderte fröhlich über die Pläne, die sie für Nuschs Besuch gemacht hatte: einen Spaziergang durch Sherwood Forest, eine Tour durch Newstead Abbey, einen Abstecher nach Wollaton Hall.

Während sie sich an die Wand presste, um Ernest mit Nuschs Schrankkoffer vorbeizulassen, vernahm sie etwas, das sie stutzen ließ. Es war Nusch, die mit hoch erhobener Nase übertrieben zu schnüffeln begann. Als habe sie einen Schnupfen oder eine leichte Erkältung. Dann ließ sie ein schwaches Räuspern vernehmen, griff mit behandschuhter Hand in ihren Pompadour, zog ein Taschentuch heraus und presste es sich fest auf den Mund.

»Die Kinder haben Wildblumen für dich gepflückt«, sagte Frieda. Und schon während sie es sagte, wusste sie, dass ihr Zuhause Nusch nicht gefiel, dass alle Schlüsselblumen von Nottingham den hartnäckigen Gestank von ausgekochten Knochen und Küchengas nicht vertreiben konnten. Sie führte sie ins Gesellschaftszimmer, und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie es mit Nuschs Augen an: die mit nicht passendem Stoff verlängerten Baumwollvorhänge, die von der Wand abblätternde Farbe, den schmutzgesprenkelten matten Lampenschirm. Selbst ihre bestickten Kissendeckchen – Rosen und Lilien, zinnoberrot und elfenbeinfarben – wirkten dilettantisch und plump.

Nusch inspizierte das Zimmer, die Oberlippe zuckte, die Brauen gingen in die Höhe. Sie hob die Röcke und tastete sich durch den Raum, als könnten aus dem fadenscheinigen Teppich Nagetiere oder Flöhe gekrochen kommen. Dann nahm sie das Sofa in Augenschein und staubte es mit ihrem Taschentuch ab, bevor sie sich vorsichtig auf der Kante niederließ. Wieder irrte ihr Blick durch den Raum, fiel auf den aufsteigenden Dunst, den kargen Kamin, Ernests Diplome, die in stolzen Reihen an der Wand hingen.

»Du hättest niemals jemanden heiraten dürfen, der so tief unter uns steht. Dieser Mann ist so unverfroren …«

Frieda wollte Ernest schon verteidigen, als sie plötzlich über dem Kamin ihr Spiegelbild erblickte: das Haar straff zu einem Dutt frisiert, ein Zimtfleck auf der Stirn, ungeschminkte Wangen, die ihre jugendlichen Konturen verloren hatten, der Mund zu einem angespannten Lächeln verzogen. Warum nur hatte sie sich nicht noch einmal das Gesicht abgewischt? Warum hatte sie sich das Haar nicht elegant hochgesteckt, mit den kleinen bemalten Kämmen, die Ernest ihr zur Hochzeit gekauft hatte? Und das karierte Kleid mit dem Kragen, der wie eine Schlinge um ihren Hals lag – zu eng nach drei Kindern, zu altmodisch, der formlose Rock ohne jeden Schwung. Sie hätte weniger Zeit aufs Backen und mehr auf ihre Erscheinung verwenden sollen.

Erleichtert wandte sie sich zur Tür um, als die Kinder hereinstürmten und Regentropfen von den Hüten und aus den vollgesogenen Säumen ihrer Kleider schüttelten.

»Zieht eure Mäntel aus und trocknet euch die Haare. Tante Nusch will nicht von euch nassgespritzt werden«, sagte sie leichthin und scheuchte sie mit einer nachlässigen Bewegung aus dem Handgelenk fort. »Sie sind so aufgeregt, dass du uns endlich besuchen kommst, liebste Nusch. Sie haben hundert Fragen zu ihrer kleinen Cousine. Hättest du sie doch nur mitgebracht.«

Nusch lachte kurz auf. »Reisen und Kinder sind eine fatale Kombination. Man sollte sie immer auseinanderhalten.« Sie lehnte sich vor und sprach ein wenig leiser. »Seit ich von Bord gegangen bin, habe ich keinen einzigen bewundernden Blick auf mich gezogen. Was stimmt nicht mit den Engländern?«

»Sie sind zurückhaltend, und du bist viel zu sehr an Militärs gewöhnt. Aber ich habe etwas viel Schöneres für dich: einen selbst gebackenen Kuchen.« Frieda wünschte, Mrs Babbit würde sich ein wenig mit dem Tee beeilen. Ein schönes, großes Stück Kuchen würde ihr die nötige Kraft geben, die Sticheleien ihrer Schwester zu überhören, hoffte sie, während ihr das Wasser im Mund zusammenlief.

»Die Kinder sehen reizend aus, auch mit den nassen Haaren. Viel zu reizend, um Sprösslinge von Ernest zu sein.« Nusch stand auf und strich sich über die Röcke, und es störte Frieda, dass die Röcke ihrer Schwester so rüschig waren und so gut passten. Das makellose Reisekleid war viel zu neu, die Knöpfe viel zu glänzend, die Silberreiherfedern viel zu prächtig. Nichts davon passte so recht in ihr schäbiges kleines Haus.

Später dann, als Ida die Kinder fortgebracht und Mrs Babbit den Tee serviert und den Raum verlassen hatte, räusperte sich Nusch. »Alle modernen Damen in Berlin und München haben Affären.« Sie senkte den Blick geheimnistuerisch in ihre Teetasse. »Ich weiß, wir sind Freiinnen, aber wir müssen verführerisch aussehen, sonst sind wir ein Nichts. Und ich habe nicht die Absicht, ein Nichts zu sein.«

»Aber du bist nicht nichts. Und du hast alles«, erwiderte Frieda verdutzt.

»Ach, ich denke doch nicht an mich. Wie dem auch sei, wir Richthofens sind für ein langweiliges Leben nicht geschaffen. Es passt einfach nicht zu uns.«

Frieda spürte inwendig einen Schmerz, als schnüre ein metallener Ring ihr die Brust zusammen. »Mein Leben ist nicht langweilig«, sagte sie mit einer ausholenden Geste zum Fenster hin, wobei sich ihr Arm plötzlich steif und schwer anfühlte. Die Kinder spielten im Garten, und sie wollte Nusch wissen lassen, wie glücklich sie sie machten, aber ein dünnes kleines Stimmchen war in ihren Kopf gekrochen und das ungeduldige Brummen lenkte sie ab: langweilig, langweilig, langweilig. Ein Nichts, ein Nichts, ein Nichts.

»Du solltest einmal Elisabeth in München besuchen. Die Cafés sind voller Anarchisten und Künstler, die über die freie Liebe reden, und sie ist mitten im Geschehen. Ich umgebe mich lieber mit Militärs, aber dir könnte es dort gefallen. Du warst doch schon immer eine kleine Radikale.« Nusch machte eine Pause und sah angelegentlich auf die vielen Ringe an ihren Fingern. »Erinnerst du dich, wie du damals die Birnbäume in Vaters Obstgarten angepinkelt hast? Du hast wie ein Hund das Bein gehoben. Schamlos!«

Frieda schob sich mit der Gabel eine große Portion Kuchen in den Mund und dachte über eine passende Erwiderung nach. Aber Nusch hatte es sich in den Kissen bequem gemacht und blieb bei der Vergangenheit. »Ich habe nie verstanden, warum du nicht gestorben bist, als Vater dich in diesen See geworfen hat. Erinnerst du dich? Er ist immer mit dir von dieser wackligen Brücke gesprungen, und du hast dich wie ein Äffchen an ihn geklammert … Wenn ich an all die nackten Soldaten denke, die dort gebadet haben!« Ihre gemalten Brauen hüpften auf und nieder. »Mutter hat es ihm immer wieder verboten, aber das hat ihn nicht gekümmert. Mochtest du das eigentlich? Oder hast du es nur dem alten Schlawiner zuliebe gemacht?«

»Ach, hör doch auf! Ich war noch ein Kind.«

»Er war so unglücklich, dass du kein Junge warst. Ich bin mir sicher, er dachte, er könnte dich in einen verwandeln, der alte Narr!« Nusch griff nach der Serviette...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2021
Übersetzer Michaela Meßner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Frieda - A Novel of the real Lady Chatterley
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Kunst / Musik / Theater
Schlagworte Biografie • Biographien • David Foenkinos • D. H. Lawrence • eBooks • England • Franziska zu Reventlow • Künstlerin • Liebe • München • Muse • Mutter • Otto Gross • Paula Modernson-Becker • Romanbiographie • Schwabinger Bohème • Skandal • Starke Frau
ISBN-10 3-641-25167-2 / 3641251672
ISBN-13 978-3-641-25167-3 / 9783641251673
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