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Der Kinderzug (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45416-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
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Michaela Küppers aufwühlender Roman über ein Frauen-Schicksal im Dritten Reich vor dem Hintergrund der sogenannten Kinderlandverschickung Das Ruhrgebiet im Sommer 1943. Die junge Lehrerin Barbara soll eine Gruppe Mädchen im Rahmen der sogenannten Kinderlandverschickung begleiten. Angst, aber auch gespannte Unruhe beherrschen die Gedanken der Kinder, denn sie wissen nicht, was sie erwartet. Das Heim, das ihr zeitweiliges Zuhause werden soll, erweist sich zunächst als angenehme Überraschung, doch dann muss dieses geräumt werden. Es beginnt eine Odyssee, die nicht nur die Kinder, sondern auch Barbara an ihre Grenzen führt, denn mehr und mehr wird sie, die sich bisher aus der Politik herauszuhalten versucht hat, mit den grausamen Methoden und Plänen der Nationalsozialisten konfrontiert - und mit Menschen, die für ihre Ideologie vor nichts zurückschrecken. Als schließlich ein Mädchen verschwindet und ein polnischer Zwangsarbeiter verdächtigt wird, kommt für die Lehrerin die Stunde der Entscheidung. Ein Roman über die Frage: Wie konnte man, konnte eine Frau unter dem verbrecherischen System des Nationalsozialismus anständig bleiben?

Michaela Küpper wurde im niederrheinischen Alpen geboren und ist in Bonn aufgewachsen. In Marburg studierte sie Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Dann zog es sie zurück ins Rheinland, wo sie nach einem Volontariat viele Jahre lang als Projektmanagerin in einem Verlag tätig war. Heute arbeitet sie als freie Autorin, Redakteurin und Illustratorin. Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Website: www.michaelakuepper.de

Michaela Küpper wurde im niederrheinischen Alpen geboren und ist in Bonn aufgewachsen. In Marburg studierte sie Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Dann zog es sie zurück ins Rheinland, wo sie nach einem Volontariat viele Jahre lang als Projektmanagerin in einem Verlag tätig war. Heute arbeitet sie als freie Autorin, Redakteurin und Illustratorin. Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Website: www.michaelakuepper.de

3. BARBARA


Diese Hitze war kaum auszuhalten. Eine dumpfe, nach Staub und Ruß schmeckende, enervierende Hitze, die trotz fortgeschrittener Stunde nicht weichen wollte. Dazu die Unruhe der Kinder. Ganz zu schweigen von ihrer eigenen.

Jeden Moment musste der Sonderzug einrollen, und sie wollte die Mädel ihrer Klasse gerade dazu anhalten, weiter aufzurücken, als sich plötzlich eine Hand über ihre Augen legte. Erschrocken fuhr sie herum. Vor ihr stand Johann, und ihr Herz machte einen Satz.

»Was tust du denn hier?« Sie merkte sofort, dass ihre Frage weder besonders intelligent noch charmant war.

»Freust du dich nicht?«

»Doch, natürlich!« Ja, das tat sie, sehr sogar, so sehr, dass es ihr peinlich war, allerdings geschah dieses Zusammentreffen im denkbar ungeeignetsten Moment.

»Ich musste mich doch vergewissern, ob man die Meute auf dich loslassen kann!« Johann grinste frech. Er ließ seinen Blick über die Heerschar von Kindern schweifen, die den Bahnsteig bevölkerten, und pfiff leise durch die Zähne. »Das müssen ja mindestens hundert sein. Und die gehören alle zu dir?«

»Nein, nein, es sind auch noch andere Schulen dabei, und ich bin nur für meine Klasse verantwortlich«, widersprach sie schnell.

»Da bin ich beruhigt.« Er nickte ernst und deutete auf ein kleines blondes Mädchen, das sich an die Hand seiner Mutter krallte. »Aber die da, auf die musst du besonders achtgeben! Die ist gefährlich.«

Barbara konnte nicht anders, sie musste lachen. Ausgerechnet Giselas kleine Schwester hatte er sich herausgepickt! So zart, wie sie war, dazu mit ihrem blonden Wuschelköpfchen wirkte sie nun wirklich, als könnte sie kein Wässerchen trüben.

»Denkst du, ich mache Witze?« Johann spielte den Gekränkten. »Du solltest mir glauben, ich habe einen Blick dafür.«

»Was du nicht sagst!« Sie schrie jetzt fast, um die einrollende Lok zu übertönen. Er erwiderte etwas, doch sie verstand ihn nicht mehr. Mit einem ohrenbetäubenden Schleifgeräusch bremste der Zug und hüllte sie in eine schmutzig graue Dampfwolke. Blitzschnell umfasste Johann mit beiden Händen ihr Gesicht und küsste sie. Sie war so perplex, dass sie es einfach geschehen ließ. Der Qualm verzog sich, er ließ von ihr ab. Die Überraschung hatte sie sprachlos gemacht. Mit einer Hand fuhr sie sich über die Lippen, mit der anderen ergriff sie ihren Koffer, zur Flucht bereit.

»Tja, ich muss dann.« Sie hatte sich bereits halb umgedreht, als sie Dr. Ritters Blick auffing und erneut erschrocken innehielt. Dass er sie mit Johann zusammen sah, war ihr mehr als unangenehm. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps, hätte ihr Großvater das Problem in etwa umrissen beziehungsweise dessen Lösung gleich parat gehabt, wobei er den Schnaps zeitlebens durchaus nicht hintangestellt hatte. Aber das war ein anderes Thema. Herrje! Sie war eine erwachsene Frau und durfte tun und lassen, was sie wollte. Sollte Dr. Ritter doch gucken. Was gab es gegen ein privates Abschiednehmen einzuwenden? Ihm selbst stellte sich dieses Problem erst gar nicht, da seine Familie ja mitfuhr. Tatsächlich wirkte er weder konsterniert noch ungehalten, sondern eher irritiert. Genau wie sie. Schnell wandte sie sich abermals Johann zu und streckte ihm die Hand hin. »Auf Wiedersehen. Und danke, dass du gekommen bist.«

»Du schreibst mir doch?«

»Ja, natürlich.«

»Sofort nach eurer Ankunft, versprochen?«

Sie zögerte einen Moment. »Versprochen.«

Er ließ sie los. Wie nervös sie war! Dabei hatte sie jetzt wirklich anderes im Kopf als romantische Brieffreundschaften. Ein letztes Lächeln, dann ließ sie Johann stehen. Mit übertriebenem Eifer begann sie, die Mädchen zum Zug zu treiben, was sich als gar nicht nötig erwies, da diese bereits anstandslos Frau Ritters energischen Aufforderungen zum Einsteigen folgten.

»Fräulein Salzmann?« Die Mutter einer ihrer Schülerinnen fasste Barbara am Arm. »Sie passen mir gut auf meine Mädel auf, nicht wahr?«

Barbara blieb noch einmal stehen. »Aber natürlich, Frau Spilles! Es besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen. Sie werden sehen, für die Kinder wird die Zeit wie im Flug vergehen.« Sie nickte der Frau aufmunternd zu, schob sich an ihr vorbei und bestieg den Zug. Bereits in der Tür stehend, hielt sie noch einmal nach Johann Ausschau, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Er war wohl bereits gegangen. Du hast es vermasselt, dachte sie, und das Eingeständnis versetzte ihr einen Stich. Wie hatte sie nur so stocksteif dastehen können! Genauso gut hätte er einen Holzklotz umarmen können. Bloß nicht mehr daran denken, es gab anderes zu tun. Barbara arbeitete sich zielstrebig vorwärts, zählte nach, ob ihre Mädel alle an Bord waren, betrat schließlich das letzte Abteil, das sie sich mit der Familie Ritter teilte: Dr. Ritter, dem Rektor der Schule und künftigen Lagerleiter, seiner Gattin und den beiden Töchtern Lydia und Marion.

Der Zug war bereits angerollt, und Barbara musste aufpassen, dass sie das Gleichgewicht hielt, während sie ihren Koffer ins Gepäcknetz wuchtete. Dr. Ritter kam ihr zu Hilfe, doch sein ungeschickter Versuch, ihr die Arbeit abzunehmen, brachte sie für einen Moment ins Straucheln. Sie konnte sich gerade noch fangen und nahm nahe der Tür Platz, gegenüber der kleinen Marion. Geschafft. Fürs Erste zumindest.

Drei Monate lagen nun vor ihr. Drei volle Monate! Eine halbe Ewigkeit, die wohl kaum wie im Fluge verstreichen würde, wie sie Frau Spilles weiszumachen versucht hatte – zumindest nicht, was ihr eigenes Zeitgefühl betraf.

Immerhin war ihr die Lagerleitung erspart geblieben, wofür sie noch immer von Herzen dankbar war. Eigentlich hatte sie die Leitung übernehmen und mit einer kleinen Gruppe von Mädchen in die Verschickung aufbrechen sollen. Zwar war sie nicht die Wunschkandidatin für diese Aufgabe gewesen – dafür hatte sie sich zu wenig engagiert –, aber mit fortschreitender Dauer des Krieges war die Auswahl an Fachpersonal erheblich geschrumpft, weshalb man doch auf sie zurückgekommen war: jung, ledig und, abgesehen von ihrer verwitweten Mutter, ohne Anhang. Angesichts der Überschaubarkeit der geplanten Maßnahme war das Risiko, das man mit ihr eingegangen wäre, wohl kalkulierbar erschienen. Doch dann war alles ganz anders gekommen. Die Bombardements hatten ungeahnte Ausmaße angenommen, und ein nächtlicher Treffer hatte das halbe Schulgebäude zerstört. Nachdem der Unterricht an den städtischen Volksschulen bereits eingestellt worden war, entschied der Reichsverteidigungskommissar, dass auch die Oberschulen geschlossen würden. Unterricht würde nicht mehr stattfinden, die Schulen in sichere Gebiete verlegt. Eine Entscheidung, die noch einmal ganz neue Weichenstellungen notwendig gemacht hatte.

Für eine komplette Schulverlegung hatte Barbaras Reputation natürlich nicht ausgereicht, weshalb man sich genötigt sah, den Rektor zum Dienst zu verpflichten. Auch er war wohl kein Wunschkandidat, wie Barbara vermutete, aber er genoss das Vertrauen der Eltern, und das war in dieser Angelegenheit von entscheidender Bedeutung. Die Mütter und Väter hörten auf den Rat des erfahrenen Pädagogen und waren nun bereit, ihre Kinder aus der Stadt zu schicken, ja, manche bettelten jetzt sogar darum. Endlich hatte das Werben der Partei gefruchtet. Die Folge war gewesen, dass man Barbara und Dr. Ritter eilends zu einem Lehrgang nach Bad Podiebrad beordert hatte, und so hatten sie erst vor Kurzem schon einmal gemeinsam in einem Zug in Richtung Osten gesessen. Dort hatten sie Vorträgen über die Ziele nationalsozialistischer Erziehung, über Wirtschaftsführung und die politischen Verhältnisse im Protektorat gelauscht, wobei Dr. Ritter seinen Blick gern gedankenvoll aus dem Fenster hatte schweifen lassen – genau wie er es in diesem Moment tat. Seine Frau hingegen schien ganz auf das Hier und Jetzt konzentriert. Ihre Handtasche wie einen Abwehrschild auf ihrem Schoß umklammernd, saß sie kerzengerade da, während ihr unsteter Blick die Umgebung permanent auf Unstimmigkeiten zu überprüfen schien.

»Nicht so zappelig, Marion!«, tadelte sie. »Hör bitte auf, dein Haar immerzu um die Finger zu wickeln, und starr das Fräulein Salzmann nicht so an. So etwas tut man nicht.« Dann, an Barbara gewandt: »Sie müssen entschuldigen. Marion ist manchmal etwas ungehobelt.«

Seltsamerweise fühlte sich Barbara von dieser Frau weitaus ungehobelter behandelt als von Marion, einem Kind, das lediglich unverhohlen seiner Neugier frönte, wozu es angesichts der außergewöhnlichen Situation allen Anlass hatte. Hinter Frau Ritters vorgeschobener Freundlichkeit lauerte hingegen etwas anderes, das sie kaum verbergen konnte – oder sich gar nicht erst die Mühe machte. Ob Dr. Ritter das bemerkte? War dies der Grund für seine innere Abkehr?

Barbara dachte an die Heimreise von Bad Podiebrad. Die Verlegenheit hatte geradezu quälend zwischen ihnen gestanden, als hätte schon ihrem bloßen Beisammensein eine gewisse Anrüchigkeit angehaftet. Nur Dr. Ritters gelegentliche, mit unvermittelter Heftigkeit vorgetragene Einlassungen hatten dieses lastende Schweigen durchbrochen. Er müsse sich fragen, ob die Nachhaltigkeit des Erkenntnisgewinns in Bad Podiebrad es rechtfertige, den Unterricht der Schülerinnen noch stärker vernachlässigt zu haben und ihr ohnehin schon im Sinkflug begriffenes Leistungsniveau billigend in Kauf zu nehmen, hatte er beispielsweise eingeworfen, um gleich darauf wieder in echsenhafte Erstarrung zu fallen. Vielleicht hatte er sich ja düpiert gefühlt, weil er mit ihr, einer jungen, unerfahrenen Lehrerin, hatte vorliebnehmen müssen. Vielleicht war es auch seiner Frau nicht recht, dass man ihren Mann in Begleitung einer jungen...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2. Weltkrieg • Befreiung durch die Amerikaner • Böhmen • Drittes Reich Romane/Erzählungen • Flucht • Frauenschicksal • frauenschicksale bücher • historische romane 20. jahrhundert • historische Romane 2. Weltkrieg • Historische Romane Deutschland • Historischer Roman • Kinderlandverschickung • Lager • letzte Kriegstage • Mut • Nationalsozialismus • Nationalsozialismus Roman • Nazis • Zeitgeschichte • zweiter weltkrieg roman
ISBN-10 3-426-45416-5 / 3426454165
ISBN-13 978-3-426-45416-9 / 9783426454169
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