Das Morgen im Gestern -  Gerd Schumann

Das Morgen im Gestern (eBook)

Erkundungen eines Wessis im Osten
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
272 Seiten
Neues Leben (Verlag)
978-3-355-50060-9 (ISBN)
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Eine liebevolle Entdeckungsreise durch Ostdeutschland Wie hat sich das Leben im Osten nach der Wende verändert? Wie sieht es in Ostdeutschland heute aus? Fragen wie diesen widmet sich Gerd Schumann in seinem Buch 'Das Morgen im Gestern - Erkundungen eines Wessis im Osten'. Aber kann da überhaupt etwas Interessantes bei herauskommen, wenn ausgerechnet ein Westler über den Osten schreibt? Und ob! Gerd Schumann, schon als junger Erwachsener DDR-affin, sagt, dass ihn für dieses Buch-Projekt seine eigenen Überzeugungen antrieben. So schnappt sich der bekennende Ost-Fan beispielsweise seinen Drahtesel und radelt damit einmal quer durch den Osten. Neben witzigen Anekdoten und Geschichten sind es Gespräche, die einen stimmungsvollen Einblick in das Leben nach der DDR gewähren. Ob es nun Begegnungen mit den Puhdys in luftiger Höhe über dem Berliner Alexanderplatz, Diskussionen mit Hans-Eckardt Wenzel über das Künstlerleben in der DDR oder Plaudereien mit dem Nachbarn vom Campingplatz sind - Gerd Schumanns Erlebnisse und Beobachtungen lassen den Leser frische Ostluft schnuppern.

Gerd Schumann, geboren 1951 in Wilster/Holstein. Nach Tageszeitungsvolontariat tätig als Redakteur und Autor für Printmedien und Hörfunk (ARD). Reportagen und Features u.a. aus dem südlichen Afrika, der Karibik, vom Balkan (Jugoslawien). Ressortleiter Ausland der Tageszeitung junge Welt bis 2010, Redaktionsleitung Melodie und Rhythmus 2012/2013, freier Autor (u.a. für Hintergrund, taz, jW, M&R). Buchpublikationen u.a. 'Kolonialismus', Köln 2016, 'Baskenland' Berlin 2000 (mit Florence Hervé), 'Hölle Nr. 5' von Mehdi Zana, Göttingen 1997 (Hrsg.), 'Ez Kurdim', München 1992 (mit Alexander Goeb und Güney Ulutuncok, Fotos). Gerd Schumann lebt und arbeitet in Mecklenburg.

Einleitung

Revolution

Ist das Morgen schon im Heute

Ist kein Bett und kein Thron

Für den Arsch zufriedner Leute

Denn sie lebt in dem Sinn

Dass der Mensch dem Menschen wert ist

Dass der Geist der Kommune

Dem Genossen Schild und Schwert ist.

(Gerulf Pannach/Renft, 1973)

Einerseits:

Das Morgen im Gestern

Wären auf dem Boden eines seit 1990 zur Geschichte gewordenen Staates, der das Experiment »Freiheit von Ausbeutung und Krieg« gewagt hatte, tatsächlich die vom Sieger ausgelobten »blühenden Landschaften« entstanden – kaum jemand würde sich noch groß Gedanken über ihn machen. Doch es kam anders – und mittlerweile ist Wolf Biermann weltweit so ziemlich der Einzige, der meint, »die blühenden Landschaften im Osten sind entstanden …« (Der Spiegel 39a/2017)

Kohls Quadratur des Kreises blieb Propaganda, und bald 30 Jahre nach dem Anschluss der DDR an den Kapitalismus, dessen staatliche Verfasstheit »Demokratie« genannt wird, existiert der »große Graben zwischen Ost und West« (FAZ, 2.10.2017) immer noch. Die Arbeitslosenquote im Osten ist höher, die Produktivität niedriger, und die Betroffenen wundern sich, dass sie so viel weniger leisten als ihre Kollegen »drüben« im Westen. Wie konnte das angehen? Inzwischen geben sich die Berufssoldaten-Ost Mühe aufzuholen, indem sie schneller schießen und robben. Na toll …

»Nachwendezeiten« werden die Jahre, die der gesellschaftspolitischen Rolle rückwärts folgten, gerne genannt. Oder es wird gesagt: »zu Ostzeiten«, »in der damaligen DDR«, gar vom »ehemaligen Osten« ist die Rede – es geht jedenfalls um ein »Ex«, ganz so, als müsste betont werden, dass es nicht mehr ex-istiert. Dagegen bezeichnen manche, bei denen sich die Erinnerung zum Lebensgefühl verdichtet, das verschwundene Land in einer Mischung aus Nostalgie, Wissenschaft und Erfahrung als »bisher größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung«. Umfragen indes behaupten, für die übergroße Mehrheit überwiege dreißig Jahre nach dem Mauerfall »das Positive«.

Letztlich wird die Geschichte den Stellenwert des Ex taxieren. Dies ist derzeit nicht möglich, da sie von jenen geschrieben wird, die die DDR als »Unrechtsstaat« dauerhaft etablieren möchten, zu diesem Zwecke immer neue Diskreditierungs-Register ziehen und den Trend zur Subjektivierung des behandelten Gegenstands permanent verstärken – auf dass dieser Grundgedanke in den Köpfen der Noch-­Andersdenkenden sicher platziert werde.

Das alte, durch die Zeiten erprobte Schema, wonach einzelne Personen den Lauf der Dinge bestimmen und Hierarchien den Rest regeln, diente durchweg der Erhaltung aktueller Herrschaftsverhältnisse und der Geschichtsdeutung als Mittel zum Zweck. Dass der Mensch ein gesellschaftliches Wesen und zugleich Denker und »Schöpfer« (Victor Jara) ist, spielt keine Rolle. Und wenn die seit nine-eleven so beliebte Frage auftaucht, über deren scheinbar weltbewegende Dimension schon ganze Romane verfasst wurden, nämlich, wo man am 11. September gewesen sei, weiß jeder: 2001 ist gemeint – und nicht 1973 der Faschistenputsch mit CIA-Logistik in Chile. Nach 1973 wurde Victor Jaras »Te recuerdo, Amanda« in der DDR zum meistgespielten Song, einer der schönsten der Welt, von DT64 rauf und runter gedudelt, aufgeführt auf dem Festival des politischen Liedes. Zwangsverordnete Solidarität. Das Bild von Amanda, wie sie, wartend auf Manuel, vor dem Fabriktor steht – das hatte Symbolkraft.

Oder der 9. November, eleven−nine, der zum Schicksalstag der Deutschen wegen des Mauerfalls stilisiert wird. Nein, nicht etwa der 9. 11., an dem 1938 jüdische Synagogen abgefackelt, Läden geplündert und Menschen gedemütigt wurden.

Das Ganze zudem – bittere Ironie der Geschichte − exakt 20 Jahre nach Karl Liebknechts Proklamierung einer »freien sozialistischen Republik Deutschland«, die blutig niedergehalten worden war. Die vom Sozialdemokraten Philipp Scheidemann eilends ausgerufene »Deutsche Republik« obsiegt und beseitigt zwei Monate später mit Liebknecht und Luxemburg die Hoffnung auf eine Wende zum Guten. Die Frage, was aus einem Deutschland mit Rosa und Karl – vielleicht also in der Konsequenz sogar ohne die Nazi-Herrschaft − geworden wäre, wird nicht aufgeworfen, im neuen Westen erst recht nicht.

Trotzdem saß im März 2005, als Namibia den fünfzehnten Jahrestag seiner Unabhängigkeit von der Apartheid feierte, auf der Ehrentribüne in Windhoek Margot Honecker. Die vormalige DDR-Ministerin, die in Chile Exil gefunden hatte, wurde dann auch nach Managua und Havanna eingeladen, und die Einheimischen erzählten von Solidarität und Internationalismus, die sie durch die DDR erfahren hätten. Weltsichten. Manches davon bleibt – in den Köpfen vor allem.

Vielleicht gilt eines Tages auch hierzulande, dass die in DDR-Schulen gelehrte Sicht auf die Welt richtig war. »Spaniens Himmel« und »Ich war neunzehn«, Ernst Busch und Konrad Wolf – und nicht die Storys von Gernika-Legionären und wie die Kanzlerin sich 2015 dem »Tag der Befreiung« in Moskau verweigerte. Da war Faschismus längst zu Nationalsozialismus gesprachregelt worden, rot zum schlimmeren braun erklärt und vereint per verordneter Gleichmacherei als »Reiche des Bösen«. Von Deutschland war inzwischen wieder Krieg ausgegangen. »Nie wieder Auschwitz« – unter dem Ruf des grünen, dünn gelaufenen Außenministers mit Herrenring machten deutsche Aufklärer Ziele ausfindig, die sie schon 1941 ausfindig gemacht hatten. Diesmal erledigten in Belgrad Tarnkappenbomber den Rest.

Da rieb sich mancher von denen, die ihren Traum vom Reisen endlich verwirklicht hatten, verwundert die Augen. Oder auch nicht. Jedenfalls hatte sich der Weg vom Willkommensgeldempfänger zum unerwünschten Fremden als erschreckend kurz erwiesen. Der Spiegel warnte schon Anfang 1990: »Mindestens 500000 DDR-Bürger werden in diesem Jahr in die Bundesrepublik übersiedeln, Hunderttausende kommen aus den Ostblockstaaten. Wer soll die Einwanderer bezahlen? Der Kampf um Jobs und Wohnungen wird härter; Renten- und Krankenversicherungen sehen sich enormen Zusatzforderungen ausgesetzt.« (Der Spiegel, 4/1990)

Flüchtlinge sind nicht alle gleich, lebendig nicht und nicht als Leich; vor 89 ist nicht nach 89; Fluchthelfer sind keine Flüchtlingshelfer.

Das Kapital indes wird niemals vergessen, geschweige denn vergeben, dass ihm viereinhalb Jahrzehnte hindurch die Verfügungsgewalt über seine Produktionsmittel vorenthalten worden war. Es wird alles, auch ideologisch, dafür tun, damit ihm dieser Schmerz nie wieder zugefügt wird. Ein gefährlicher Gedanke am Rand zum Unfassbaren − und manchmal wird gar suggeriert, das »DDR-Unrecht« käme der kapitalismusimmanenten Holocaust-Variante von Herrschaft nahe.

Umso wichtiger wird es, der Manipulation von Geschichte entgegenzutreten – mit Aufklärung beispielsweise, mit dem Mittel der Information, der Nachricht, aber auch der Macht des Erlebten und Gelebten, der Erfahrung derjenigen, die sich erinnern wollen. Mag dieses auch noch so subjektiv sein, so öffnet es doch einen Blick auf die Folgen des Verlustes und drängt auf ein vielfältiges Bild vom »real existierenden Sozialismus« mit seinen Stärken und Schwächen, und wie es passieren kann, dass die Vernunft auf der Strecke bleibt. Davon handeln die in diesem Buch zusammengesammelten Texte aus drei Jahrzehnten.

Ein Teil davon wurde bereits in verschiedenen Medien veröffentlicht – vor allem in der Tageszeitung junge Welt und im Kulturmagazin Melodie und Rhythmus. Diese boten dem Autoren die Möglichkeit, jenseits des bürgerlichen Mainstreams zu schreiben, sonst wäre manche Story vielleicht nicht zu Papier gebracht worden, manches Gespräch nicht geführt, manches Feature nicht gelebt worden – Vergangenes passiert Revue.

Sich erinnern bedeutet immer auch nachdenken darüber, was war, warum es so war und wie es hätte sein können, wenn … Die Frage nach dem Wenn eröffnete erst die Möglichkeit, Fehler zu erkennen, um es besser zu machen, es gut zu machen – irgendwann einmal oder niemals. Frei nach Renft: zwischen Wehmut, Zorn und Sehnen.

Andererseits:

Ein Wessi im Osten

Die jahrzehntealte Erfahrung lautet: Es kann in der Regel wenig Interessantes herauskommen, wenn ein Wessi über die DDR schreibt; und auch nicht über die Nach-DDR, also das, was die alte BRD aus ihr gemacht hat. Als zu groß haben sich die Vorurteile erwiesen, die in der damaligen Bonner Republik bezüglich des Ostens über die Jahrzehnte angehäuft wurden. Zunächst in den Wirtschaftswunderjahren der Ära des Kalten Krieges, als der Antikommunismus im Vergleich zur faschistischen Herrschaft, leicht modifiziert, zu den ideologischen Säulen der Gesellschaft gehörte. ­Später dann, nachdem sich die irrationale Bananen-Trabbi-­Euphorie im Zuge der Maueröffnung zu legen begann, und die Ossi-Migrationswelle die überkommen−bequeme wie egoistisch-eitle Lebensweise des Westens wegzuspülen drohte.

Da blieb der Wessi doch lieber unter...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-355-50060-7 / 3355500607
ISBN-13 978-3-355-50060-9 / 9783355500609
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