Theorien des Fremden (eBook)

Eine Einführung
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2017 | 1. Auflage
300 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-4569-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Theorien des Fremden -  Wolfgang Müller-Funk
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Was heißt es, fremd zu sein, sich fremd zu fühlen, als Fremder gesehen zu werden? Dieser Band beschreibt, diskutiert und reflektiert die wichtigsten Ansätze von Fremdheit und Fremdsein. Über mehrere transdisziplinäre Zugänge wird sowohl die Figur des und der Fremden als auch die Erfahrung von Fremdheit betrachtet. Das Buch führt umfassend in ein hochaktuelles Thema ein.

Prof. Dr. Wolfgang Müller-Funk war Professor an der Universität Wien. Seit 2018 hält er eine internationale Lehr- und Forschungstätigkeit, zuletzt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Wien sowie an der Universität Sapienza in Rom.

Prof. Dr. Wolfgang Müller-Funk war Professor an der Universität Wien. Seit 2018 hält er eine internationale Lehr- und Forschungstätigkeit, zuletzt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), Wien sowie an der Universität Sapienza in Rom.

1. Begriffsklärungen: Fremd, anders, ausländisch 15
1.1. Die Relationalität des Fremden 15
1.2. Formen des Alteritären 17
1.3. Alterität und Raum 24
1.4. Fremdheit als transdisziplinäres Paradigma 29
2. Die Konstruktion des Anderen in der französischen Nachkriegsphilosophie 35
2.1. Der "gespenstische Schatten" Hegels 35
2.2. Die Entdeckung des Anderen im postkolonialen Frankreich 37
2.3. Hegels Phänomenologie des Geistes. Lektüre des Abschnitts über Herr und Knecht 42
2.4. Kojèves 'Re-Vision' von Hegels Konzeption von Herr und Knecht 48
2.5. Kommentar und Kritik an Kojèves Konzept von Alterität 59
2.6. Die Hölle, das ist der Andere: Sartre 66
3. Freuds Hoffmann-Lektüre und ihre Spuren in Julia Kristevas Theorie der Fremdheit 73
3.1. Romantik und Psychoanalyse: Das Andere der Vernunft 73
3.2. Das Unheimliche als Fremdes und Vertrautes. Freuds Lektüre von E. T. A. Hoffmann 75
3.3. Fremde sind wir uns selbst: Julia Kristeva 88
3.4. Exkurs: Adelbert von Chamisso 92
4. Emmanuel Lévinas: Die Vorgängigkeit des / der Anderen 100
4.1. Zeitlichkeit und Alterität 100
4.2. Die Genese der Theorie von Lévinas und ihr Widerhall im Werk von Jacques Derrida 101
4.3. Lévinas erster programmatischer Text Die Zeit und der Andere 105
4.4. Die Erotik des geschlechtlichen Paares als Modell von Alterität 107
4.5. Die Vorgängigkeit des Anderen 111
4.6. Von der Intimität zur Allgemeinheit des Anderen 114
5. Bernhard Waldenfels: Fremdheit in der Moderne 121
5.1. Überblick und Einführung 121
5.2. Der Stachel des Fremden. Frage und Antwort 123
5.3. Die Figur der Verflechtung 126
5.4. Das Fremde als Springpunkt von Erfahrung 129
5.5. Aneignung und Enteignung 130
6. Georg Simmel und Alfred Schütz: Fremdheit in soziokulturellen Bezügen und in der Lebenswelt. Mit einem Exkurs zu Carl Schmitt und Werner Sombart sowie zu gegenwärtigen Ansätzen in der Soziologie 134
6.1. Vorbemerkung 134
6.2. Einschluss im Ausschluss: Die Figur des Fremden bei Georg Simmel 134
6.3. Der Fremde als Feind: Carl Schmitt 147
6.4. Die Funktion des Fremden im Eigenen: Werner Sombart 149
6.5. Der Fremde als Ankommender: Alfred Schütz 153
6.6. Beiträge zur sozialen Konstruktion des Fremden in der gegenwärtigen Soziologie
6.7. Beiträge zur sozialen Konstruktion des Fremden in der gegenwärtigen Soziologie
7. Ich ist ein Anderer (Rimbaud). Das gespaltene Ich: Jacques Lacans Theorie des 174
7.1. Vorbemerkung 174
7.2. Vom doppelten Ich zum Spiegelstadium 175
8. Imagologie: Von der Aachener Schule zu Edward Said und Homi K. Bhabha 189
8.1. Imagologie als Methode und Teildisziplin der Vergleichenden 189
8.2. Edward Said: Orientalism 195
8.3. Homi Bhabha: 'Hybridität' und Dritter Raum 206
8.4. Die Frage des Anderen. Homi Bhabhas Konzept von Fetisch und Mimikry 212
9. Dekonstruktion: Derrida und Nancy 221
9.1. Jacques Derrida: Das fremde Tier, der Mensch 221
9.2. Jean-Luc Nancy: Der Fremde als Eindringling 240
10. Differenz und Fremdheit der Geschlechter 248
10.1. Das andere Geschlecht. Diskurslinien nach Beauvoir 248
10.2. Luce Irigaray: Das Geschlecht, das nicht eins ist 253
10.3. Das weibliche Gefäß als Gestaltungsprinzip: Der Ort, der Zwischenraum 260
10.4. Weiblichkeit als Maskerade: Joan Riviere 265
11. Das Fremdwerden des Eigenen. Theorien der Entfremdung 273
11.1. Karl Marx, Die Pariser Manuskripte 273
11.2. Nach Heidegger und Marx: Günther Anders' Diagnose der Weltfremdheit des Menschen 287
12. Die Übersteigerung des Fremden: Das Phantastische, das Wunderbare, das Unheimliche 295
12.1. Diskursbegründung: Tzvetan Todorov 295
12.2. Liminalität des Fremden: Das Phantastische 303
13. Übersetzung als Agentur von Fremdheit und Differenz: Benjamin, Steiner, Buden 311

1.3. Alterität und Raum


Wie an mehreren Stellen deutlich wird, gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen dem Thema der Alterität und einem anderen Themenkomplex, der mit dem „spatial turn“, der Hinwendung zu Phänomenen des Räumlichen, in Zusammenhang steht. Die Rede ist von der Liminalität, ohne die die Diskussion über räumliche oder auch raum-zeitliche Phänomene nur schwer denkbar ist. Alle Formen von Grenzen und Rahmungen implizieren eine Teilung des realen, symbolischen und imaginären Raumes, wobei das deutsche Wort ‚teilen‘ einen doppelten Sinn in sich trägt. Etwas zu teilen, bedeutet einerseits eine Grenze zu ziehen (in unserem Falle also zwischen zwei Individuen), es meint aber andererseits auch, mit jemand anderem etwas gemeinsam zu haben. Das deutsche Wort teilen umfasst also die Bedeutung der beiden englischen Wörter separate und share. Interessanterweise ist das Individuum etymologisch als eine existentielle Entität zu begreifen, die, wie das Präfix ‚in‘ anzeigt, kein Teilbares (dividuum) ist. Im heutigen Verständnis ist aber dieses unteilbare Selbst indes fragmentiert und diese ‚Teilung‘ verbindet es wiederum mit einem Anderen. Das Gemeinsame in dieser reziproken Andersheit ist eben der Grenzverlauf oder der trennende Rahmen. Massimo Cacciari hat deshalb das Doppel-Phänomen der Grenze – Trennung und Verbindung – mit den Begriffen limes und limen beschrieben, wobei ersteres das Hindernis und die Trennung darstellt, zweiteres die Öffnung und den Übergang.

Das klassische Gemälde ist von seiner Umgebung durch einen Bilderrahmen getrennt und zugleich mit ihm als seinem Kontext verbunden. Bekanntlich ist der Rahmen, Simmel folgend, jenes Strukturelement, das dem, was es umrahmt, Bedeutung verleiht, indem es ihm einen Kontext zuweist, ohne den das so Gerahmte keine Bedeutung hat. Das gilt auch für jene vielschichtigen Dispositionen, die hier im Überbegriff des Alteritären, der Andersheit, versammelt sind.

Wir sprechen über Andersheit, weil wir in einer Welt leben, in der sich das Denken darüber nachhaltig verändert hat. Nimmt man die Globalisierung nämlich nicht als einen Effekt, der sich vornehmlich auf die Zeit nach 1989 bezieht, sondern im Sinne einer longue durée, eines sich über Jahrhunderte erstreckenden Prozesses, so wird sichtbar, dass diese Globalisierung, die in der Neuzeit mit den außereuropäischen Entdeckungsreisen beginnt, gegenläufige Tendenzen in sich birgt, die den Vereinheitlichungstendenzen zuwiderlaufen und neue Partikularitäten begründen. Globalisierung bedeutet eine Weitung und Expansion in den Raum. Sie nimmt insofern von europäischem Boden ihren Ausgang, indem sie den Raum um Dimensionen, die zuvor undenkbar waren, öffnet und die zu Beginn dieser Ausfahrt mit phantastischen Welten und Völkern assoziiert worden sind. Diese unbekannten Populationen sind es nun, die als ‚Andere‘ konstruiert werden und somit die neuen peripheren Ränder der Erde bevölkern. Mit der Ausweitung des Raumes beginnen indessen die kollektiven Anstrengungen, diesen Raum zu komprimieren, einerseits durch die Überführung europäischer Kultur in die neu entdeckten Räume, andererseits durch die Entwicklung von Medien, die eben diesen Transfer von Menschen, Gütern und Ideen forcieren. Beispiele dafür sind die Beschleunigung des Schiffsverkehrs und die Erfindung der ‚Luftschiffe‘, der Buchdruck (Zeitung, technisch produzierte Bücher) und die sich daran anschließenden medialen Revolutionen im Bereich von Information und Kommunikation (Radio, Telefon, Computer). Von entscheidender Bedeutung ist außerdem der kulturgeschichtliche Triumph der wohl wichtigsten Neuerung der Neuzeit, der Tauschwährung Geld, die sich in diesem Langzeitprozess als entscheidendes Movens erweist, um das asymmetrische Zusammenwachsen der Welt voranzutreiben. Der unübersehbare Effekt all dieser Weiterentwicklung ist nämlich, dass sich, zumindest oberflächlich, Entferntes näher kommt. Dass der Globus, auf dem wir leben, eine runde Gestalt besitzt und sich nicht unendlich linear erstreckt, trägt real wie symbolisch zu diesem Zusammengehörigkeitsgefühl bei. Letzteres manifestiert sich darin, dass wir eine globale Katastrophengemeinschaft geworden sind: Jeder Unfall, jedwede Umweltkatastrophe sowie die Kriege und Bürgerkriege dieser Welt werden in unterschiedlichen narrativen Versionen, von allen Menschen auf diesem Erdball wahrgenommen.

Die Öffnung der Räume mit der damit einhergehenden Erfahrung des kulturell Fremden und die Schließung der Räume, die eine Verbindung mit jenen neuen Alteritäten mit sich bringt, sind zwei einander bedingende Effekte. Sie sind Teil desselben kulturellen Prozesses, der keineswegs linear verläuft sondern Gegenreaktionen dadurch erfährt, dass neue Grenzen gesetzt werden, die Räume strukturieren und zugleich trennen. Ein Beispiel dafür ist der klassische Nationalstaat, der nach innen Homogenisierung forciert und sich – die europäische Flüchtlingskrise der Jahre 2015/2016 ist ein besonders illustratives Beispiel – gegen den Einfluss von außen abschotten möchte bzw. diesen zumindest streng reglementieren und kanalisieren möchte. Mittels einseitiger territorialer und symbolischer Abgrenzung wird Heterogenität produziert. Wie gegenläufig diese Prozesse verlaufen, lässt sich an den zentral-, ost- und südosteuropäischen Metropolen erkennen: Keine von ihnen, weder Wien noch Budapest, weder Prag noch Belgrad, weder Zagreb noch Triest, weder Thessaloniki noch Wilna waren sprachlich, ethnisch oder religiös homogen, sie sind es erst infolge des Ersten und Zweiten Weltkrieges bzw. durch die Ereignisse um und nach 1989 geworden. Umgekehrt strömen heute Menschen aus ärmeren Teilen der Welt in viele wohlhabende europäische und nicht-europäische Städte und generieren so neue Fremden und auch neue Heimaten.

Der marxistische Sozialismus hat sich zunächst als eine globale Alternative zur kapitalistischen Globalisierung verstanden und hat so dem kapitalistischen Weltmarkt und der medialen Globalisierung markante Grenzen gesetzt. Dazu gehören sichtbare Beschränkungen wie der Eiserne Vorhang sowie unsichtbare wie beispielsweise die Kontrolle von Medien und Binnenmärkten.

Wie ich in einem anderen Buch (Niemand zu Hause) dargelegt habe, wird das Fremde in einem exotischen Sinn infolge dieser Doppelbewegung von Öffnung und Schließung zum raren Gut. Wer in den vielen Städten dieser Welt mit dem Flugzeug landet, der ist nicht nur von der Fremdheit des anderen Landes überrascht, sondern auch davon, dass sich bestimmte Infrastrukturen ähneln und dass er dort neben Flughäfen und breiten Fahrstraßen all jene globalen...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2017
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Alterität • Fremde • Fremdheit • Kultur • Kulturwissenschaft • Psychologie • Soziologie
ISBN-10 3-8463-4569-5 / 3846345695
ISBN-13 978-3-8463-4569-6 / 9783846345696
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