Die Eisheilige (eBook)
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98602-1 (ISBN)
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der »Sisters in Crime« und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch »Wer nicht hören will, muß fühlen« erhielt sie die »Agathe«, den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
Susanne Mischke wurde 1960 in Kempten geboren und lebt heute in Wertach. Sie war mehrere Jahre Präsidentin der "Sisters in Crime" und erschrieb sich mit ihren fesselnden Kriminalromanen eine große Fangemeinde. Für das Buch "Wer nicht hören will, muß fühlen" erhielt sie die "Agathe", den Frauen-Krimi-Preis der Stadt Wiesbaden. Ihre Hannover-Krimis haben über die Grenzen Niedersachsens hinaus großen Erfolg.
2
KARIN MOHR BETRITT Axels Büro mit einem Stapel Akten unter dem Arm und einer Tasse in der Hand. Axel kennt inzwischen ihre Marotte, sich mit einem doppelten Espresso in Arbeitsstimmung zu bringen, aber normalerweise tut sie das in ihrem eigenen Büro. Sie trägt den Kaschmirpullover, den er auch schon kennt, und – einen Rock.
»Guten Morgen. Hier ist schon mal ein Teil ihrer Kandidaten.« Sie haben vor ein paar Tagen besprochen, welche Mandanten in Zukunft von ihm betreut werden sollen.
»Guten Morgen.« Axel wuchtet Pallandts BGB-Kommentar zur Seite, damit sie den Stapel ablegen kann. Er kann es kaum erwarten, ihre Beine anzusehen. Es gelingt ihm, ohne dass sie es merkt, zumindest glaubt er das. Sie trägt schwarze, undurchsichtige Strumpfhosen.
Oder Strümpfe?
Der Rock ist nicht geeignet, in diesem Punkt Klarheit zu schaffen. Das steife Bein sieht der Form nach ganz normal aus. Es ist ziemlich schlank, vielmehr dünn, aber das ist das andere Bein auch. Drahtig, findet Axel und entscheidet sich im geheimen für die Strumpf-Variante.
Sie stellt ihre Tasse ab und mustert ihn stirnrunzelnd. »Axel, von mir aus müssen Sie hier nicht jeden Tag im Nadelgestreiften antanzen. Jackett und Krawatte genügen.« Sie tritt so nahe an ihn heran, dass ihm ihr pudriges Parfum in die Nase steigt und den Kopf benebelt, und flüstert: »Brauchen Sie etwa einen Vorschuss?«
Die Frage stößt Axel, der seinen Kopf gerade zwischen ihren Schenkeln hatte um mit seinen Lippen der Fährte eines ihrer schwarzen Strumpfhalter zu folgen, rau ins Hier und Jetzt zurück. Noch nicht ganz bei Sinnen, weiß er nicht, was er darauf antworten soll.
»Tut mir leid, dass ich nicht von selber darauf gekommen bin. Dabei müsste ich es doch noch wissen! Als ich anfing, hatte ich jeden Tag den selben grässlichen Hosenanzug an, bis mir eine Sekretärin ein paar Sachen von sich geliehen hat.«
Sie rückt von ihm ab, und Axel kommt wieder zu Atem und Verstand.
»Da liegt mein Problem: Frau Konradi will das Senfgelbe partout nicht rausrücken.«
Karin lacht. Axel mag es, wenn sie lacht.
»Frau Konradi wird Ihnen einen himmelblauen Scheck geben.«
Offenbar ist sie heute in Plauderstimmung, denn sie erkundigt sich leutselig: »Haben Sie sich in Ihrer Wohnung gut eingelebt?«
»Ja, es ist sehr schön, nur …«
»Nur was? Fehlen Ihnen ein paar Topfpflanzen?«
»Es wohnen überwiegend ältere Leute in der Nachbarschaft. Ich meine, verheiratete Paare, Sie wissen schon.«
»Wie trist«, stimmt sie ihm zu. Inzwischen weiß er, dass es keinen Herrn Mohr gibt. »Das ist nun mal so, in den respektablen Vierteln. Wo haben Sie denn bisher gehaust, in einer verlotterten Studenten-WG?«
Axel feilt noch an einer Antwort, da ist sie schon beim nächsten Punkt: »Sagen Sie, wohnt in Ihrer Straße ein gewisser Kamprath?«
»Es wohnt jemand schräg gegenüber, der so heißt. Aber den Mann habe ich noch nie gesehen. Nur die Frau, die stand neulich mal auf dem Balkon.«
»Die Frau?«
»Ja, seine Frau. Er ist Lehrer.«
»Sie wissen aber schon recht gut Bescheid. Sind Sie etwa ein Klatschmaul?«
»Himmel, nein! Den ganzen Tratsch musste ich mir von meiner Vermieterin anhören, als ich sie neulich um zwei Eier gebeten habe. Daraufhin hatte sie mich zum Abendessen eingeladen.«
»Der alte Trick. Funktioniert bei älteren Damen immer, darauf müssen Sie sich nichts einbilden.«
»Und ich dachte schon, es liegt an meinen sanften braunen Augen.«
»Unsere Frau Konradi ist übrigens auch sehr angetan von Ihnen. Obwohl sie weiß, dass Sie hinterrücks Kohlrabi zu ihr sagen. Und was macht sie?«
»Was macht wer?« fragt Axel verwirrt.
»Die Frau vom Kamprath. Was macht sie beruflich?«
»Nichts – äh, ich meine … Hausfrau. Sie näht Kleider für die Damen der Nachbarschaft. Sind das Mandanten von uns?«
»Nein«, antwortet Karin Mohr knapp und im fliegenden Wechsel ist sie schon beim nächsten Thema: »Wollen wir die nächsten Tage mal ein Bier trinken gehen? Damit Sie das Nachtleben unserer südhessischen Metropole kennenlernen.«
Mann, denkt Axel, legt die heute ein Tempo vor.
»Ja, sehr gerne.« Er traut sich nicht zu fragen, was genau mit »die nächsten Tage« gemeint ist.
»Aber ziehen Sie sich dann bitte was Legeres an. Eine Jeans haben Sie doch, oder?«
»Ich werde aussehen wie ein Streetworker«, verspricht er.
Sie ist schon halb aus der Tür, da dreht sie sich nochmals um.
»Aber erwarten Sie nicht zu viel.«
Während er dem Stakkato ihrer Schritte auf dem Flur lauscht, grübelt er, was mit ihrem letzten Satz wohl gemeint war.
Der Kaffeetisch ist adrett, beinahe liebevoll gedeckt. Nur schade, dass Frau Behnke beim Eingießen das persilweiße Tischtuch bekleckert hat. Sophie fragt sich, warum sie so nervös ist.
Die Wohnungseinrichtung der Behnkes ähnelt der der Kampraths, doch hier spielen die düsteren Möbel die Rolle würdiger Antiquitäten. Die Villa hat einen großen Wintergarten, der das graue Novemberlicht einfängt, und dort sitzen Sophie und Ingrid Behnke unter einem Feigenbaum, der winzige Früchte trägt, während ein Regenschauer auf die Glasfläche trommelt.
Frau Behnke ist groß und hager. Schlaffe Tränensäcke verleihen ihrem Blick etwas Trübsinniges, ihr Haar ist nicht gefärbt. Das Grau ist dabei, das ursprüngliche Mausbraun zu überdecken, und Sophie fällt ein, dass man das bei Rauhhaardackeln »saufarben« nennt.
»Das ist schön«, sagt Sophie, »bei Regen doch irgendwie im Freien zu sitzen.«
Frau Behnke lächelt stolz. »Wir haben das Haus umgebaut, als unsere Tochter erwachsen wurde und die obere Wohnung für sich haben wollte.«
»Wo lebt Ihre Tochter jetzt?«
»In der Innenstadt.« Unvermittelt legt Frau Behnke ihre Hand mit den kurzen, klarlackierten Fingernägeln auf Sophies Arm und neigt sich ihr entgegen. »Ach, Frau Kamprath, ich sage Ihnen, was ich mit diesem Mädchen schon für Sorgen hatte …« Sie geht nicht näher auf diese Sorgen ein, sondern setzt sich wieder gerade hin und tupft sich mit der Stoffserviette unter den Augen herum.
Sophie nippt an ihrem Kaffee. »Sie können mich ruhig Sophie nennen.«
»Danke.« Der Altersunterschied von knapp zwanzig Jahren rechtfertigt es, dass Frau Behnke das Angebot nicht erwidert. Sophie ist froh darüber, es wäre ihr peinlich, Frau Behnke »Ingrid« nennen zu müssen. Sie nennt auch Frau Weinzierl nicht Dorothea und kann nicht verstehen, warum eine gestandene Frau wie sie es zulässt, »Dotti« gerufen zu werden. Sophie dagegen ist gewohnt, sich unterzuordnen. Wo sie hinkam, war sie immer bloß »die Sophie« oder »die Näherin«. Bei »Frau Kamprath« muss sie immer zuerst an Rudolfs Mutter denken. Der Name ist wie ein schlechtsitzender Mantel, auch jetzt noch, da sie ihn schon zwei Jahre lang trägt.
Frau Behnke revanchiert sich für Sophies Entgegenkommen mit einem Beweis ihres Vertrauens: »Was ich Ihnen jetzt erzähle, muss unter uns bleiben, versprechen Sie mir das?«
»Natürlich«, antwortet Sophie. Soeben wird ihre Ahnung bestätigt, dass es nicht nur die Maße für ein neues Kleid waren, die ihr diese Einladung eingebracht haben.
»Sie kennen doch den Schwalbe…«
»Nein.«
»Schmuck und Uhren-Schwalbe?« hakt Frau Behnke ungläubig nach. »Das erste Haus, vorne an der Ecke. Hat doch ein riesiges Schild neben der Tür hängen. Obwohl seine Läden in der Stadt sind.«
»Ach so, den Schwalbe meinen Sie.« Sophie hat schon oft im Vorübergehen gerätselt, was auf dem Schild steht, aber es ist ihr nie wichtig genug gewesen, um Rudolf danach zu fragen. Schwalbe also. In ihrem Hirn gespeichert als dunkelhaariger Männerkopf auf einem gedrungenen Rumpf in einem silbergrauen Mercedes. »Nur vom Sehen.«
»Meine Tochter hat Goldschmiedin gelernt und in seinem Geschäft in der Fußgängerzone gearbeitet. Damals war der Schwalbe noch ein ansehnlicher Mann, nicht so aufgeschwemmt vom Saufen wie jetzt …«
Sophie möchte ihre Nachbarinnen nicht bloßstellen, deshalb hört sie sich die Geschichte noch einmal an, angereichert durch einige Details: »Er macht sie vor den Kolleginnen runter und kürzlich hat er sogar behauptet, sie hätte eine Perlenkette aus dem Laden gestohlen. Er ruft nachts an und steht vor ihrer Tür, wann es ihm passt. Einen netten jungen Mann ihres Alters, den meine Tochter kennengelernt hat, hat er bereits vergrault. Keine Überstunde hat er ihr je bezahlt, und das dumme Ding hat sich das gefallen lassen. Zuerst aus Liebe, dann aus schlechtem Gewissen.« Frau Behnke seufzt. »Ist es nicht manchmal erschreckend, was wir Frauen uns alles gefallen lassen?«
»Ja«, sagt Sophie, und für einen Moment schauen beide nachdenklich in den Regen. »Kann sie nicht wegziehen?«
Frau Behnke räuspert sich und blinzelt mit den Augen, als ob sie ein Traumbild verscheuchen wollte. Ihre rissigen Putzhände sind ineinander verschlungen. »Das ist nicht so einfach. Wegen ihrer Kleinen.« Frau Behnke greift sich verlegen an den Kragen ihrer Bluse, als sie das sagt. »Gudrun will sie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung und vor allem nicht aus der Schule rausreißen. Das verstehen Sie doch?«
»Sicher.« Anscheinend liegt Frau Behnke viel an ihrem Verständnis.
»Die Kleine tut sich ein wenig schwer. Gudrun ist froh, dass sie eine verständnisvolle Lehrerin hat. Sie ist nämlich Legasthenikerin, unsere Anna-Lena.«
»Was?«
»Sie hat eine Schreib- und Leseschwäche. Sie verdreht Buchstaben oder kann die einzelnen Laute nicht zusammenziehen. Das ist angeboren, eine Störung der Wahrnehmung.« Ihre Erklärung klingt...
Erscheint lt. Verlag | 2.7.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Analphabetin • Darmstadt • Frauenkrimi • Gesellschaftsroman • Ingrid Noll • lustige Krimis • Satire • Schwarzer Humor • Sophie Kamprath • Vorstadtidylle |
ISBN-10 | 3-492-98602-1 / 3492986021 |
ISBN-13 | 978-3-492-98602-1 / 9783492986021 |
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