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Buk Gan Do -  Su-Kil An

Buk Gan Do (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
640 Seiten
konkursbuch (Verlag)
978-3-88769-492-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
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Über vier Generationen hinweg erzählt An Su-Kil von einer Familie in der chinesisch-koreanischen Grenzregion Buk Gan Do, das Wanderleben der politisch und wirtschaftlich unterdrückten Menschen. Dabei entsteht zugleich ein hintergründiges Porträt der wechselvollen koreanischen Geschichte zwischen 1870 und 1945; vom Niedergang der Choson-Dynastie bis zum Ende der japanischen Kolonialherrschaft. Eine literarische Verdichtung individueller Lebensläufe und weltgeschichtlicher Entwicklungslinien. Mit einigen historischen Fotos, die PRintausgabe enthält mehr Bilder. Yi Zang Jun und seine Frau Ssang Ga Mae, Vertreter der dritten Generation, sind Schlüsselfiguren des Romans. Viele wichtigen Ereignisse sind mit ihnen verknüpft. Der Roman zeichnet sich durch die regelmäßige Wiederkehr bestimmter Motive und Handlungselemente aus, die gleichsam von Generation zu Generation neu erlebt werden. Die meisten leben von der Landwirtschaft, sie bietet darüber hinaus durch die zyklische Wiederkehr auch eine Lesart für die Geschichte selbst, die sich durch die stete Abfolge von Fortschritten und Rückschlägen, Gesundheit und Krankheit, Freiheit und Gefängnis, Aufbau und Zerstörung, Kämpfen, Schlachten, Souveränität und Fremdbestimmung, Leben und Tod auszeichnet.

An Su-Kil (1911-1977) wurde in Nordkorea geboren. Als er 11 Jahre alt war, wurde seine Familie in die Mandschurei umgesiedelt, später wieder zurück. Sein Leben und seine Literatur sind von einer Atmosphäre wechselnder Diktaturen und äußerem wie innerem Exil geprägt.

1. Der Ackerbau auf der Insel Sa I Som


 


(1)

Vorm Ostfenster wurde es hell. Schon krähte der Hahn, und traurig erscholl das Geheul von Füchsen und Wölfen in der Dämmerung des neuen Tages. Am Ufer bellten die Hunde.

Der sechste Monat des Mondkalenders hatte begonnen, das Fest des fünften Mai mit seinen traditionellen Ringkämpfen lag schon einige Wochen zurück.

Schlaflos wälzte sich Due Bang Je in dieser kurzen Frühsommernacht hin und her, die Angst um ihren Mann ließ ihr keine Ruhe. Und nun auch noch das Hundegebell am Fluss … »Ach, warum ist er denn noch nicht zurück?« Seufzend stand sie auf, öffnete die niedrige Tür des großen Schlafzimmers und trat langsam nach draußen. Einen Moment lang war es völlig still. Totenstill. Dann hob das Bellen wieder an, und Due Bang Je krümmte sich vor Schmerz. Es gab keinen Zweifel: Das Bellen kam eindeutig vom Ufer des Du Man Gangs. Es war eine ungewöhnlich klare Nacht, so klar, wie sonst nur Herbstnächte waren; und ungewöhnlich hell, so schien es ihr, funkelten die Sterne.

Keine Wolken, keine Spur von Wind. »Auch heute wird es noch nicht regnen«, dachte sie. Seit Monaten schon herrschte völlige Trockenheit. Nur an den allerhellsten Tagen, zu Beginn des vierten Monats, hatte es etwas Regen gegeben. Doch seitdem waren nicht einmal mehr Wolken aufgezogen, und selbst im Winter hatte ihnen nur die klirrende Kälte zu schaffen gemacht, Schnee jedoch war kaum gefallen. Unter diesen Vorzeichen war der Gerstenanbau aussichtslos. Wozu sollte man überhaupt säen? Schwerer Staub bedeckte die Reisfelder, die Beete lagen brach. Zwei Jahre ging das nun schon so. Solch eine Dürre, pflegten die Alten zu sagen, gebe es höchstens alle dreißig Jahre. Ach, was hatten sie nicht schon versucht! Wie inbrünstig, verzweifelt und vergeblich hatten sie den Schutzgott um Regen angefleht! Und auch der große General Gwan U, der doch als Kaiser im Jenseits noch immer die Geschicke der irdischen Welt lenkte; auch er hatte ihre Gebete nicht erhört. Kein Tropfen fiel vom Himmel. Die Trockenzeit, die doch schon so lange dauerte, hielt weiter an.

Schließlich verstummte das Bellen, doch als Due Bang Je, zitternd vor Furcht und vor Kälte, gerade ins Schlafzimmer zurückgehen wollte, setzte es wieder ein. Flüsternd versuchte sie, sich zu beruhigen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Beklommen sah sie Zang Son, ihren fünfjährigen Sohn, an der Brust der Großmutter schlummern. Er redete im Schlaf, nannte die Großmutter »Mutter« und seine Mutter »Tante«.

Frau Han jedoch fuhr, aufgeschreckt von dem Gebell, jäh in die Höhe. Die schnelle Bewegung löste einen langen Hustenanfall bei ihr aus. Schlaftrunken tastete sie nach ihrem Enkelsohn. »Was ist das für ein merkwürdiges Gebell?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme und fuhr sich durch die Haare.

»Ja, das ist sehr merkwürdig«, sagte Due Bang Je, erleichtert, dass sie nun wenigstens nicht mehr alleine wach war. Doch die Sorgen waren zu groß und zu schrecklich, um zu reden, und der Husten der Schwiegermutter hörte und hörte nicht auf. Stumm nahm Due Bang Je sie in den Arm und rieb ihren Rücken. Im trüben Licht der Petroleumlampe sahen die müden, hungergeplagten Gesichter der Frauen gelblich und geschwollen aus.

»Du hättest heute doch zu Hause bleiben sollen«, sagte Due Bang Je. Trotz ihres Asthmaleidens war die Schwiegermutter zum Berg gegangen, um Pflanzenwurzeln auszugraben.

»Wie könnte ich denn ruhig im Haus liegen, wenn nichts zu essen da ist? Von irgendetwas müssen die Kinder doch leben. Wenigstens ein paar Wurzeln …« Die letzten Worte verloren sich schon halb im Husten. »Glaubst du, sie haben ihn erwischt?«

»Vielleicht.«

»Weißt du, ich hatte einen bösen Traum …«

»Ja. Du hast ihn mir erzählt. Auch mit Han Bok habe ich darüber gesprochen. Ich wollte nicht, dass er geht. Aber der Eigensinnige hat nicht auf mich gehört.«

Vorgestern Nacht nämlich hatte Frau Han von der Rückkehr des Sohnes geträumt. Doch es war ein unheimlicher Traum gewesen: Han Bok kam als Soldat zurück; in Uniform, mit Helm und Säbel, um die Hüfte einen kleinen Kasten mit Briefen an den König. Dieser Traum, da waren sich die beiden Frauen einig, bedeutete Schlimmes. Und Due Bang Je, ängstlich wie sie war, hatte ihn natürlich nicht für sich behalten können und ihren Mann bekniet, angesichts dieses Traumes doch lieber nicht über den Fluss zu gehen.

Han Bok jedoch hatte sich davon nicht beirren lassen: »Es ist doch nur ein Traum. Kein Grund zur Beunruhigung.«

»Deine Mutter hält ihn aber für ein böses Zeichen.«

»Na und? Sollen wir etwa verhungern? Ich muss heute Nacht rübergehen und die Kartoffeln holen.«

»Es wäre besser, wenn du bei uns bleibst!«

»Macht euch keine Sorgen.«

»Musst du unbedingt gehen?«

»Natürlich.«

Da hatte sie begriffen, dass an seinem Entschluss nicht mehr zu rütteln war. »Aber sei bloß vorsichtig!«

»Sicher! Ich bin immer vorsichtig. Außerdem kommt auch dein Bruder mit.«

Zang Zi Dok, ein stattlicher und kräftiger Mann, war nicht nur Han Boks Schwager, sondern auch sein Freund. Dass er ihn auf die Zwischeninsel Sa I Som begleiten würde, hatte sie immerhin ein wenig beruhigen können. Dennoch war ihr schon beim Abschied mulmig zumute gewesen.

»Ach, dieser Sturkopf!« Sie fühlte, wie ihr die eigenen Worte einen Stich versetzten.

»Er ist schon stur, aber …« Auch Frau Han litt unter der Dickköpfigkeit des Sohnes. Doch sollte die Schwiegertochter nicht so schlecht über ihn reden.

Das kurze Gespräch brach ab, als vom Ufer wieder die Hunde zu hören waren. Du Bang Jes Miene verfinsterte sich. Atemlos rieb sie den Rücken der Schwiegermutter, die schon wieder hustete. Doch es schien, als setzten die lärmenden Hunde ihr noch stärker zu als der Asthma-Anfall. Erschöpft schloss sie die glanzlosen Augen, und ihre Gedanken schweiften zum Fluss. Ob sie ihn erwischt hatten?

 

(2)

Der Boden in dieser Region war nicht sehr fruchtbar. Selbst bei einer verhältnismäßig guten Ernte musste man streng haushalten, um zu überleben. Was sollte man da erst bei zwei Dürrejahren nacheinander tun? In ihrer Not aßen die Menschen, egal aus welcher Schicht sie stammten, alles, was sich in und auf der Erde fand: Kräuter, Wurzeln, Spross und Stängel; sie schnitten selbst die Rinde von den Bäumen. Es gab viele Hungertote. Viele Menschen litten zudem an chronischen Lungenkrankheiten, wie die alte Frau Han. Wer überleben wollte, hatte keine andere Wahl, als fortzugehen. Viele Familien lebten weit verstreut als Bettler. Auch für die Klügsten und Tüchtigsten gab es nichts anderes als Wurzeln, Kräutern und Baumrinde. Und den dürftigen Ackerbau auf der Insel Sa I Som.

Die Insel Sa I Som war eine Sandbank inmitten des Flusses Du Man Gang, etwa vier Kilometer östlich von der Gemeinde Zong Song Bu gelegen. Sie sah aus wie eine große Süßkartoffel aus Sand. Auf der anderen Seite des Flusses, dem chinesischen Ufer, war der Erdboden schwarz und reich an Humus, doch auf der sandigen Insel wuchs beinahe nichts. Am Ufer gab es zwar einige Stellen mit Schilf und Ried, aus denen man jedoch nicht einmal Sitzkissen flechten konnte. Trotzdem schnitten fleißige Bauern das Schilf, um es zu trocknen und als Brennstoff oder Dünger zu verwenden.

Der Du Man Gang entsprang im nahegelegenen Berg Baek Du San und bildete die Grenze zwischen China und Korea. Sa I Som – »die Insel zwischen zwei Staaten« – lag genau in seiner Mitte, gehörte aber zu Korea. Denn nicht alle Inseln in den Grenzflüssen Ap Rok Gang und Du Man Gang gehörten zu China. Von der Insel Ue Ha Do an der Mündung des Ap Rok Gang bis zu dieser kleinen Insel der Gemeinde Zong Song Bu – wie es schien, hatte der großzügige Riesenstaat gar kein Interesse an diesen winzigen Landflächen. Ackerbau werde auf Sa I Som betrieben, hieß es. Wie aber sollte das auf einer Sandbank möglich sein? Tatsächlich war die Nennung der Insel nur ein Vorwand. Wenn einer sagte, er gehe auf die Zwischeninsel, dann meinte er in Wahrheit das – verbotene – chinesische Ufer; dessen außergewöhnliche Fruchtbarkeit der Qing- oder Mandschu-Dynastie zu verdanken war.

Der Gründerkönig der Dynastie, Nurhaci (1559–1626), stammte aus der Mandschurei, dem Gebiet nördlich des Du Man Gangs. Er stellte eine Elitetruppe auf, deren Angehörige er ausschließlich aus der Mandschurei rekrutierte, da er niemandem außer seinen Landsleuten vertraute. Der siegreiche Nurhaci schien in der Lage, die ganze Welt zu erobern. Darum galt es als große Ehre, sein Soldat zu sein. Unter seiner Führung zogen die von ihm Auserwählten gen Norden, wo ihnen eine bessere Zukunft winkte. Alle träumten sie von einem ruhmreichen Leben, wenn auch nicht ganz so glorreich wie das Leben des großen Nurhaci. Im Jahr 1644 zog sein Sohn mit hunderttausend Mann in Peking ein und stürzte die Ming-Dynastie.

Jedenfalls wollten diejenigen, die einmal nach Norden marschiert waren, nicht wieder in die Mandschurei zurück. Ihre Familien konnten aber nicht ewig auf ihre Söhne und Brüder warten, die sowieso nicht wiederkehren würden. So machten sich früher oder später auch die Soldatenfamilien auf den Weg, in der Hoffnung auf eine neue Heimat mit guter Luft und...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2019
Übersetzer In-Kil An, Florian Rogge
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-88769-492-9 / 3887694929
ISBN-13 978-3-88769-492-0 / 9783887694920
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