Ole Bienkopp (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
404 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1882-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ole Bienkopp - Erwin Strittmatter
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Ein eigensinniger Träumer. Der eigenwillige Held machte den Roman berühmt .Ole Bienkopp glaubt an Gerechtigkeit. Für ihn ist vernünftig, was Menschen nutzt. Voll Trotz und Zorn tritt er gegen den allmächtigen Parteiapparat an, der ihn im Stich gelassen und tödlich enttäuscht hat. Allein versucht er, einen Plan umzusetzen, der ihm gut, den anderen aber schädlich erscheint. »Renaissancehafte Lebenslust und scharfe politische Aktualität« Lew Kopelew

Erwin Strittmatter wurde 1912 in Spremberg als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren. Mit 17 Jahren verließ er das Realgymnasium, begann eine Bäckerlehre und arbeitete danach in verschiedenen Berufen. Von 1941 bis 1945 gehörte er der Ordnungspolizei an. Nach dem Kriegsende arbeitete er als Bäcker, Volkskorrespondent und Amtsvorsteher, später als Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1951 lebte er als freier Autor zunächst in Spremberg, später in Berlin, bis er seinen Hauptwohnsitz nach Schulzenhof bei Gransee verlegte. Dort starb er am 31. Januar 1994. Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein Debüt 'Ochsenkutscher' (1950), der Roman 'Tinko' (1954), für den er den Nationalpreis erhielt, sowie die Trilogie 'Der Laden' (1983/1987/1992).

58


In der kleinen Waldarbeiterkate der Dürrs hat die Holzschwelle eine Mulde. Vier oder fünf Waldarbeitergenerationen wuchsen in diesem Holzhaus auf. Harte Holzhauerstiefel, Holzpantinen und nackte Kinderfüße traten die Schwellenmulde aus. Die Dielen in der Stube sind weiß wie die Platte eines Esstisches; selbst die Dielennägel glänzen, als ob sie mit Scheuersand geputzt wären.

Emma Dürr kann nicht trauern und trauern, Genossen; denn wahre Trauer sitzt nicht im Gesicht. Seit Antons Tod arbeitet sie in der Waldfrauenbrigade. Harte Arbeit, ungeschützt unter den mürbenden Wettern des Jahres.

Daheim kochen sich die Kinder ihr Mittagbrot, so gut es gehen will. Es kommt vor, dass Anton II, der geschickte Junge, die Kartoffeln zu salzen oder die Suppe zu zuckern vergisst. Emma II verzieht den Mund. »Es schmeckt nicht nach Himmel, es schmeckt nicht nach Erde.«

Anton II tut großmächtig und wer weiß wie erwachsen. »Denk an neunzehnhundertfünfundvierzig!«

Emma II denkt an diese Jahreszahl, aber die Kartoffeln und die Suppe werden nicht schmackhafter. Die Kinder streiten, bis der Suppentopf umkippt und jedes auf einem anderen Weg in den Wald zur Mutter rennt, um sich zu beklagen.

»Wart, wart, wenn ich heimkomm«, sagt Emma. »Ich koch euch Knüppelsuppe mit Rutenpfeffer!«

Die Kinder lachen. Die Einigkeit der kleinen Welt ist wiederhergestellt.

Jetzt kommt der Frühling, und der große Gemüsegarten hinter der Kate muss bestellt werden; denn auf die Gemüselieferungen des Dorfkonsums kann man sich nicht verlassen. Anton fehlt Emma nicht nur im Garten: niemand da, mit dem man auf den Abend ein bisschen streiten oder schöntun kann.

Und was war das für ein Leben in der Kate, als Anton noch da war! Die Genossen gaben sich die Türklinke in die Hand. »Wie machen wir das, und wie siehst du die Lage, Anton?«

Anton suchte nach Rat und gab davon, soviel er hatte.

Jetzt würde Emma hin und her ein Prischen Rat benötigen, doch die Türklinke bleibt an den Abenden starr; keiner der Genossen kommt.

Und doch! An diesem Abend wird die Klinke der Katentür heruntergedrückt, und ein Stäubchen der alten Zeit weht herein: Bienkopp steht bleich, immer noch halb krank, nach Atem haschend, in der niedrigen Stube. Er setzt sich, und der wurmstichige Stuhl knarrt.

Emma: »Das ist wohl nicht wahr!«

Was nun? Bienkopp schaut Emma, und Emma schaut Bienkopp an. Die Frau erinnert sich der Zeiten, als Anton hier am Tische saß und sagte, was zu sagen war. Zwei Tränen rinnen über ihre blauroten Bäckchen. Bienkopp kratzt sich verlegen den Nacken.

Wasser kommt in dieser Welt überall vor, aber wenn es aus den Augen eines schmerzgeplagten Mitmenschen tropft, ist's stärker als beim Turbinentreiben, denn es erzeugt den Strom des Mitleids. Und das Mitleid, dieses Kind des Leids, hat zwei Hände. Mit der Streichelhand richtet's nichts aus, und mit der Tathand beseitigt es Leidursachen.

Zwei Minuten vergehn, und man hört die Kinder nebenan in der Schlafkammer flüstern. Es ist Bienkopp, der sich zuerst fasst. Donnerwetter, er kommt nicht mit leeren Taschen! Er hat keine Zeit zu verlieren. »Könntest du ein wenig nachlassen mit dem Weinen, Emma, es wird gleich Versammlung sein.«

»Versammlung? Wo?«

Hier in der Kate wie in alten Zeiten, wenn verhandelt wurde, was nicht alle Welt gleich wissen musste.

»Parteiversammlung?«

Auch das ein bisschen, vielleicht ganz und gar. Wo ist überhaupt die Parteigruppe seit Antons Tod? Nichts zu sehn weit und breit. Könnte nicht Emma Sekretär sein und Antons Werk fortsetzen? Jedenfalls wird eine Versammlung sein, nicht die schlechteste, und Bienkopp wird anderthalb abgekehrte Stubenbesen verschlingen, wenn Emma nicht ihre Freude dabei haben wird. »Kein Wort mehr jetzt!«

Emma hat kaum Zeit, ein rotes Fahnentuch über den Stubentisch zu breiten, ihre Sonntagsjacke anzuziehn und ihren Haarknoten ein wenig zu schnatzen, denn pünktlich wie der Schlag der Kirchturmuhr erscheint Hermann Weichelt im schwarzen Kirchanzug. »Gott segne euch!«

»Summ, summ«, sagt Emma. »Versammlung der Heiligen der letzten Tage, wie? Sehr gemütlich. Hast du ihn bestellt?«

Bienkopp bleibt die Antwort erspart. Wieder geht die Tür auf: Wilm Holten, kinderäugig und rotblond, tritt ein und setzt sich auf den Holzkasten am Herd.

Franz Bummel schiebt seine Sophie in die Katenstube. Seine Leibkutscherlivree ist frisch entfleckt, und Frau Sophie mit der Zahnlücke steckt in ihrem über die Jahre geretteten Brautkleid.

All die feinen Leute werden von Bienkopp mit Achtung empfangen, und er sitzt in der grünen Lodenjoppe unter der Hängelampe. Seine Haut ist noch stubenblass, doch seine Augen glänzen wie in verrückten Jugendjahren.

Alle zusammen sind die NEUE BAUERNGEMEINSCHAFT mit Ole, ihrem Anstifter, und der ahnungslosen Emma als Gastgeberin.

Bienkopp klopft mit der Klinge seines Taschenmessers an eine kleine Vase. In der Vase sind Schneeglöckchen aus Emma Dürrs Vorgarten. Die Tagesordnung ist eröffnet. Wilm Holten soll aus Russland erzählen.

»Ich?«

»Ja, bist du nun Mitglied oder nicht?«

Wilm springt auf und stottert. Er hascht vor Verlegenheit nach dem Feuerhaken und fuchtelt damit herum. Emma nimmt ihm den Haken weg. »Willst du mir die Lampe zertrümmern?«

»Nein, niemals!« Aber Wilm muss etwas in der Hand haben, wenn er redet. Emma gibt ihm ein Holzscheit.

Wilm erzählt aus Russland, spricht von Riesenäckern und wimmelnden Viehherden, zahllos, wie Wolken am Himmel. Dort hat Wilm als Kriegsgefangener gelebt und gearbeitet wie ein Heimischer. Er führt seine Zuhörer auch in die Häuser der Kolchosbauern. Die Frauen recken die Hälse. »Haben sie dort Wasserleitung in der Küche?«

»Nein, Ziehbrunnen auf dem Hofe.«

»Wasser ist Wasser! Keinen Aufenthalt, bitte!« Bienkopp ist ein strenger Versammlungsleiter.

Wilm berichtet vom Dorfchor, von Tänzen und Gesängen an Abenden unter Linden, die sich vom Kriege erholt hatten und wieder grünten. »O Abendklang!« und »Leise läutet das Glöckchen …«

Franz Bummel fährt dazwischen. »Bei dieser Arbeit müsste ich ausfallen. Ich war immer Brummer.«

Ole klopft an die Vase. Anton II huscht in die Versammlungsstube und tauscht die Vase gegen ein Weihnachtsbaumglöckchen aus.

Hermann Weichelt hebt die Hand. »Wie halten sie es mit Gott im weißen russischen Land?«

Wilm sucht nach einer Antwort. »Ja, wie halten sie es mit dem Herrn über den Wolken? Sie gehn in die Kirche wie du, oder sie bleiben zu Hause wie ich! Ihr Gott ist ein freiwilliger Gott.«

Hermann: »Aber ihre Pastoren tragen langes Haar wie Frauen, hört man. Das öffnet der Sünde Tür und Tor.«

Ole schüttelt das Tannenbaumglöckchen. »Zur Sache!«

In diesem Augenblick geht die Tür auf: Bürgermeister Nietnagel erscheint. Die Enden seines Schnurrbarts stehn steif, als ob sie mit Riemenwachs gezwirbelt wären.

Kleine Verlegenheit. Bürgermeister Nietnagel, dieses Teilstück von einer Obrigkeit, ist nicht geladen.

Nietnagel sucht nach einer Sitzgelegenheit. »Es wird wohl erlaubt sein oder was?«

»Du kannst hier unser Gast sein oder nicht; es fällt nicht ins Gewicht. Was zu tun ist, wird getan!«

Nietnagel setzt sich auf Emmas Fußbank. Nun schaut er nach oben auf den Tisch und spricht wie aus einem Keller: »Die Wege der Abweichungen sind wunderlich!« Die hier zusammengekommene Gesellschaft soll nichts befürchten und es geradezu begrüßen, wenn er hier sitzt, zuhört und teilnimmt, um alles Gerede von aufglimmender Parteifeindlichkeit mit sozusagen seinen Füßen zu ersticken.

Jetzt wird Emma, die Gastgeberin, wild. »Parteifeindlichkeit? Da wärst gerade du mit der Schnupfennase der Richtige!« Was hier geschieht, geschieht im Geiste Antons, soviel sie bis jetzt herausgehört hat. Und wenn Anton parteifeindlich gewesen sein soll, dann sollte wohl auch mit Lenin nicht alles in Ordnung sein, von dem sich Anton allerlei abgelernt hat!

Nietnagel sinkt in seinen Fußbankkeller. Er ist fast nicht mehr vorhanden. Wieder einmal wird er verkannt. Es war Frieda Simson, seine Sekretärin, die ihn als Aufpasser in die unerlaubte Versammlung delegierte. »Adam, alter Trottel, sei wachsam!«

Jetzt tritt Ole, der Einfädler, aus den Kulissen. Da steht er, stattlich und lodengrün. Kein Aufenthalt mit Nebensachen wie Dorfchor, Kirche und Popen. In Blumenau wird etwas geschehn, und das wird nicht von schlechten Eltern sein. Ole spart nicht mit Farben und Zahlen. Volle Erntewagen fahren durch die kleine Katenstube und drohen die Holzdecke herunterzureißen. Rinderherden drohen die Dielen zu zertrampeln.

Aber da hebt Hermann Weichelt, der Gottesmann, die Hand und springt furchtlos zwischen die Zukunftsrinder. »Vergiss nicht, dass ich zwei Betten haben soll. Ich hätte sie am liebsten übereinander!«

Dann wieder ist es Franz Bummel, der Ole unterbricht. »Ich bemängele, dass Ole hier nicht verlautbart: Pferdehandel und Kartenspiel werden in diesem neuen Verein erlaubt sein!«

Immer wieder und immer häufiger muss zur Freude der wispernden Kinder in der Schlafkammer das Tannenbaumglöckchen mit seinem glasdünnen Geläut die Erwachsenen in der Stube ermahnen, bei der Sache zu bleiben.

Endlich kommen die Versammelten dazu, sich der Wirklichkeit zuzuwenden. Sie ermitteln, wie groß die...

Erscheint lt. Verlag 17.5.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bauernleben • Blumenau • DDR • Kader • Klassenfeinde • LPG • Ole Hansen • Partei • Politik • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-8412-1882-2 / 3841218822
ISBN-13 978-3-8412-1882-7 / 9783841218827
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