Um unsere Webseiten für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch Bestätigen des Buttons »Akzeptieren« stimmen Sie der Verwendung zu. Über den Button »Einstellungen« können Sie auswählen, welche Cookies Sie zulassen wollen.

AkzeptierenEinstellungen

Die schönste und die traurigste aller Nächte (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
384 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00320-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Eine Liebe stärker als die Zeit «Mein Name ist Victor. Vermutlich haben Sie schon jede Menge Liebesgeschichten wie diese gelesen, aber ich versichere Ihnen, es waren alles Geschichten. In meinem Fall, so unglaublich es klingt, ist alles wahr. Ich habe ein Geheimnis, das ich mit niemandem teilen kann: Starke Gefühle bringen meine Zeit manchmal durcheinander. Wenn ich glücklich bin, springe ich zurück in die Vergangenheit. Wenn ich traurig bin, geht es in die Zukunft. Das kann Sekunden oder Minuten dauern, höchstens ein paar Stunden. Ich kann keinen Einfluss nehmen auf den Verlauf der Geschichte. Aber es hat mir schon so viel Ärger eingebracht, dass ich mich ans Ende der Welt zurückgezogen habe und versuche, nie wieder glücklich oder traurig zu sein. Die Ursache für all das? Amanda. Warum? Weil unsere Liebe unerfüllt bleiben musste. Wird es eines Tages enden? Keine Ahnung. Doch heute Morgen kam eine Einladung. Und ich denke, ich kann endlich herausfinden, ob das, was mir passiert, ein Fluch oder ein Geschenk ist ...»

Maurício Gomyde wurde 1971 in São Paulo geboren und lebt heute in Brasília. Er ist Musiker, Kolumnist und Schriftsteller und hat bereits vier Romane veröffentlicht.

Maurício Gomyde wurde 1971 in São Paulo geboren und lebt heute in Brasília. Er ist Musiker, Kolumnist und Schriftsteller und hat bereits vier Romane veröffentlicht.

2. Amanda


Nairobi (Kenia), 7. August 1998
Acht Monate später

Es war bereits spät in der Nacht, und ich konnte noch immer nicht einschlafen. Das Kissen fühlte sich härter an als sonst, die Bettdecke schien kürzer zu sein, und der Deckenventilator bewegte sich gefühlt tausendmal langsamer als gewöhnlich. Mit trockenem Mund und unruhigen Beinen lag ich da, in meinem Kopf der immer wiederkehrende Refrain eines Songs, den ich lange nicht gehört hatte. Ich drehte mich zur Seite und starrte den digitalen Radiowecker an. Er brauchte ungewöhnlich lange, um die Minutenanzeige zu ändern. Ich versuchte die Sekunden mitzuzählen, von 1 bis 59, und war jedes Mal früher fertig. Schon zweimal in dieser Nacht war ich ins Schlafzimmer meiner Eltern geschlichen und hatte bewegungslos in die Dunkelheit gestarrt und beobachtet, wie die beiden wie immer Arm in Arm schliefen. Keine Frage, alles war in Ordnung. Sie waren unbesiegbar, meine Superhelden.

Gegen halb sechs, als der Morgen bereits durch die Fensterläden in den Raum sickerte, kam mir endlich eine Titelidee für mein Buch – die Erlösung aus der nächtlichen Unruhe. Ich schrieb den Titel auf den Rand eines vollgekritzelten Blattes. Dann griff ich nach meinem Tagebuch, mit dem Lesezeichen in Form eines roten Blumenorigamis und den Initialen V&A auf dem Deckblatt, und schrieb: «Ich bin ein Mensch ohne bestimmte Richtung, eine Weltenreisende. Heute hier. Morgen wo immer das Schicksal mich hinführt. Möge dies der erste Tag eines perfekten Lebens sein.» Die Sätze kamen einfach so, ohne Warnung, aus mir heraus.

Eine Weltenreisende, Weltreisende … auf einer Reise zu dir … Diese sich wiederholende Idee ließ mich schließlich in einen tiefen Schlaf fallen.

 

Ich hatte den Eindruck, dass nur der Bruchteil einer Sekunde vergangen war, als mein Vater den Raum betrat. Er öffnete die Fensterläden und rief: «Wach auf, BB! Schau dir das Vitamin D an, das hier reinkommt.»

«Ey!», protestierte ich mit heiserer Stimme. «Ich bin grad erst eingeschlafen.»

«Du musst raus in die Sonne, Amanda, denn ohne Vitamin D werden …»

«… die Knochen schwach, ja, ja.»

«Habe ich das schon mal erwähnt?»

«Mehrfach.»

Er streichelte mir über den Kopf. «Willst du nachher mitfahren oder nicht?»

«Hm. Ja, schon. Ich bin mit Niara verabredet, wir wollen ein Abschiedsgeschenk für unsere Lehrerin kaufen.»

Er nickte. «Deine Mutter und ich haben um elf einen Termin in der amerikanischen Botschaft und lassen dich unterwegs raus.»

«Danke.» Ich vergrub meinen Kopf unter dem Kissen und schloss die Augen wieder.

«Vitamin D!» Er zog am Laken und verließ dann lachend das Zimmer.

Der Gedanke an den Botschaftstermin meiner Eltern ließ mich unruhig werden. Ich würde wohl für immer eine Weltenreisende bleiben, dachte ich seufzend und stand auf.

Weltreisende war das Wort, das mein Leben am besten beschrieb und gerade wieder einmal, mit voller Wucht, einschlug. Die Leitung der brasilianischen Botschaft in Österreich war während seiner gesamten diplomatischen Karriere der Traum meines Vaters gewesen. Die unerwartete Berufung kam als Belohnung für seine exzellente diplomatische Arbeit. In weniger als einer Woche würde ein neuer Botschafter nach Nairobi kommen und seinen Platz hier übernehmen. Und wir würden nach Wien abreisen. Nach nur acht Monaten in Kenia hieß es also schon wieder Abschied nehmen. Was meine Eltern weitaus mehr erfreute als mich.

Wir frühstückten zwischen Umzugskartons und einer Menge Luftpolsterfolie, die auf dem Fußboden verteilt herumlag. Während mein Vater die internationalen Nachrichten las, kümmerte sich meine Mutter um den Toast.

Ich betrachtete das Gebirge, das auf dem Titelblatt der New York Times abgebildet war.

«Was machst du denn für ein Gesicht, Amanda?», fragte meine Mutter. Wir sprachen Portugiesisch in der Familie, und obwohl meine Mutter schon ewig nicht mehr in ihrem Heimatland Argentinien lebte, war ihr Akzent immer noch unüberhörbar.

Ich sah sie an. «Wahrscheinlich das Gesicht von jemandem, der keine abgebrochenen Projekte mag.»

«Von welchem Projekt sprichst du?»

«Na, vom Kilimandscharo.»

«Das Thema schon wieder? Wir haben es doch besprochen: Wir werden die Reise machen, wir müssen sie lediglich verschieben.»

«Aber das war unser Familienprojekt! Wozu haben wir denn das alles geplant?» Sie sollte meine Enttäuschung ruhig zu spüren bekommen. «Ich wette, wir werden nie wieder nach Afrika zurückkehren.»

Ihr Ausdruck wurde weicher. «Du solltest dich bereits an die Umzüge gewöhnt haben.»

«Ich werde mich nie daran gewöhnen, Mama. Jedes Mal, wenn ich anfange, mich an einen Ort oder an die Menschen dort zu gewöhnen, ziehen wir schon wieder um. Ich bin siebzehn Jahre alt und habe schon in drei Ländern gelebt. Findest du nicht, dass das ein bisschen zu viel des Guten ist?»

«Die nächste Station wird ganz bestimmt länger sein.» Sie kam mit den Toasts und setzte sich zu uns.

«Na toll. Ich kann es gar nicht erwarten, endlich die ganzen Burgen und Schlösser zu sehen. Wien ist bestimmt grottenlangweilig und noch dazu arschkalt.»

«Darauf kannst du wetten», lachte meine Mutter. «Der Winter dauert sechs Monate und lässt den von Buenos Aires wie einen Sommer aussehen.»

Mein Vater sah mich über den Rand seiner Zeitung hinweg an. «Österreich ist das Land Mozarts, Amanda. Das allein sollte jedes Opfer wert sein.»

«Vergiss es. Ich habe in der Schulbibliothek nach österreichischen Musikern gesucht und bin zu dem Schluss gekommen, dass seit Mozart nicht mehr viel Interessantes entstanden ist.»

«Ich weiß nicht, ob ich es dir je gesagt habe, aber Mozart …»

«… schrieb seine erste Symphonie im Alter von acht Jahren», vervollständigte ich seinen Satz und lachte laut auf. «Erzähl mir mal was Neues!»

Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf einen Karton. «Du bist dran mit Erzählen. Was macht dein Buch über das Mädchen, das um die Welt reist?»

Ich richtete mich auf. «Heute Morgen hatte ich eine Idee für den Titel: Verschwende deine Träume nicht. Und ich habe auch darüber nachgedacht, dass meine Heldin die symbolträchtigen Bäume jedes von ihr besuchten Landes erforschen könnte. Das Mädchen pflanzt und bewässert sie mit den Tränen ihrer Sehnsucht, so wachsen die Bäume wie von Zauberhand.»

«Ich frage mich, wie so viele Ideen in einen so kleinen Kopf passen.» Mein Vater hob amüsiert die Augenbrauen. «Wie wäre es mit einer Literaturstunde heute nach dem Abendessen?»

«Abgemacht.» Ich lächelte.

 

Der schwarze Mercedes mit dem blauen Nummernschild des brasilianischen diplomatischen Korps fuhr durch die Stadt. Ich saß auf dem Beifahrersitz, neben dem Fahrer der Botschaft, meine Eltern auf der Rückbank.

«Es ist immer gut, den Tag mit dem großen Mozart zu beginnen. Symphonie Nummer …» Mein Vater las die Rückseite der CD. «… Nummer 40. Drittes Stück. Drück auf Play, Liebes.»

Bald kamen wir auf die belebte Haile Selassie Avenue, in der sich die US-amerikanische Botschaft befand. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte bereits halb elf an. Wie vereinbart, wartete Niara an der Bushaltestelle auf mich. Neben ihr stand ihre ältere Schwester Isabel.

Mein Vater ließ die Fensterscheibe herunter und grüßte auf Englisch: «Hallo, Mädels. Alle unterwegs zum Einkaufen heute?»

«Nur ich», antwortete Niara. «Isabel hat mich hergebracht und nimmt den Bus zurück.»

Ich drehte mich nach hinten. «Papa, kannst du Isabel nicht bis zum Ende der Straße mitnehmen?», fragte ich, auch auf Englisch. «Von dort aus fahren mehrere Buslinien.»

«Das ist doch nicht nötig», sagte Isabel.

«Aber das ist doch kein Problem», sagte ich. «Oder, Dad?»

«Kein bisschen. Steig ein, Isabel.»

«Danke.»

«Sehen wir uns zu Hause, Liebes?», fragte er, als ich aus dem Wagen kletterte. «Vergiss unseren Literaturabend nicht. Lasagne?»

«Oh ja. Mit extraviel Käse. Ich hab euch lieb.»

«Wir dich auch», antworteten meine Eltern fast gleichzeitig, und der Wagen fuhr los.

Niara und ich gingen in die andere Richtung und blieben stehen, um ein paar Schaufenster anzusehen. Dann bogen wir um die Ecke zu den Läden mit den traditionellen Kleidern und schlenderten an ihnen vorbei.

«Hey, Ni, ich habe überlegt, Miss Bertha ein …»

Plötzlich gab es eine mächtige Detonation, und meine Worte verhallten unter einem ohrenbetäubenden Knall. Eine Explosion, als ob die Erde selbst vor Schmerzen aufschrie. Es fühlte sich an, als verschluckte ein Monster alles um sich herum. Dann bebte plötzlich der Boden. Wir wurden zu Boden geschmissen und von umherfliegenden Gesteinsbrocken und Glassplittern getroffen. Zahlreiche Sirenen und Alarmanlagen kreischten los. Und mit einem Mal befanden wir uns in einer riesigen Staubwolke, die fast alles verdeckte. Innerhalb von Sekunden zog ein Film in Schwarz-Weiß vor meinem inneren Auge vorbei: Argentinien, Brasilien, Kenia und Österreich – Buenos Aires, Brasília, Nairobi und Wien – Kälte, Trockenheit, Hölle und Winter – Tango, Rock, Benga und Symphonie – Familie, Freunde, Chaos und Unsicherheit.

Ich rappelte mich auf, suchte Niara und fand sie ein paar Meter von mir entfernt. «Was war das, Ni?», schluchzte ich.

Sie sah mich panisch an. «Ich weiß es nicht, ich weiß es...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2019
Übersetzer Johanna Schwering, Viktoria Wenker
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Argentinien • Brasília • Brasilien • Bücher • Buchhändlerin • Buenos Aires • Drama • El Ateneo • Erste Liebe • Frauenbuch • Leidenschaft • Liebe • Liebesroman • Literatur • Schicksal • Sehnsucht • Wein • Weingut • Winzer • Zeitreise • Zeitsprung
ISBN-10 3-644-00320-3 / 3644003203
ISBN-13 978-3-644-00320-0 / 9783644003200
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 8,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Wolf Haas

eBook Download (2025)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
18,99
Roman

von Percival Everett

eBook Download (2024)
Carl Hanser Verlag München
19,99
Roman

von Chimamanda Ngozi Adichie

eBook Download (2025)
S. Fischer Verlag GmbH
19,99