Meine Liebe ist jetzt (eBook)
384 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-5179-4 (ISBN)
Als Liz Kessler im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte, hatte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt werden würde. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen ?Emily Windsnap? und die Feenfreundin ?Philippa? sind internationale Bestseller und haben sich weit über sechs Millionen Mal verkauft. Für ihren Roman ?Als die Welt uns gehörte? wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet.
Als Liz Kessler im Alter von neun Jahren ihr erstes Gedicht veröffentlichte, hatte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt werden würde. Ihre Kinderbücher über das Meermädchen ›Emily Windsnap‹ und die Feenfreundin ›Philippa‹ sind internationale Bestseller und haben sich weit über sechs Millionen Mal verkauft. Für ihren Roman ›Als die Welt uns gehörte‹ wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet. Eva Riekert ist nach längerer Verlagstätigkeit als freischaffende Übersetzerin und Lektorin, vor allem in den Bereichen Kinder- und Jugendliteratur und Junge Erwachsene, tätig. Sie lebt in der Nähe von Husum. Für ihre Übersetzung von »Als die Welt uns gehörte« von Liz Kessler wurde sie mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 (Jugendjury) ausgezeichnet.
1
Joe
»Was zum Teufel –«
Ein Laut wie ein Pistolenknall durchdringt meinen Traum, und ich schnelle hoch, zitternd, hellwach.
Ich taste meinen Körper ab. Scheint alles in Ordnung zu sein. Kein Blut.
Ein rascher Blick durch das Zimmer. Es ist dunkel. Die Zimmertür ist geschlossen. Habe ich sie gestern Abend zugemacht? Vielleicht habe ich es vergessen. Das wird es wohl gewesen sein. Der Knall. Nur die Tür, die im Wind zugefallen ist. Vielleicht habe ich außerdem das Fenster offen gelassen.
Ich schiele hin. Es ist zu, die Vorhänge bewegen sich nicht. Kein Wind, kein Luftzug. Um genau zu sein, ist hier rein gar nichts, stelle ich fest, als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Also wirklich nichts. Nada.
Ich liege auf dem Boden.
Wo ist mein Bett? Wo ist mein Schrank? Mein Schreibtisch? Meine Kleider, die auf dem Boden verstreut lagen, hingeworfen, als ich gestern Abend ins Bett gegangen bin?
Ich versuche, mich an den Moment zu erinnern. Geht nicht. Muss wohl verpeilt gewesen sein.
Mir tut alles weh. Kein Wunder, nach einer Nacht auf dem Boden.
Ich strecke die Glieder. Das wird mein Bruder mir büßen. Es gibt solche und solche Scherze. Also wirklich, mein gesamtes Inventar zu klauen, nur so aus Spaß oder um mir was zu beweisen. Ich find’s gar nicht witzig – und was genau will er mir eigentlich beweisen? Dass ich zu viel schlafe?
Dad sagt immer, dass mich wach zu bekommen so ist, als müsse man einen Toten erwecken. Aber trotzdem, alle Möbel rauszuschaffen, ohne dass ich etwas gemerkt habe, ist ganz schön krass.
Ich stehe mühsam auf. Meine Beine sind wie aus Blei. Mein Körper schlaff wie eine Stoffpuppe. Keine Kraft. Ich kann kaum stehen. Ich lehne mich an die Wand und grüble, was passiert sein könnte.
Was ist mit mir los? Habe ich einen Kater? Ich versuche, mich an gestern Abend zu erinnern. Habe ich gefeiert? War ich aus, war ich betrunken?
Ich kann mich an nichts erinnern. Nichts, gar nichts, null. Wortwörtlich alles gelöscht.
Es durchrieselt mich eiskalt, kreist wie ein düsterer Wirbel in meinem Bauch, wird immer stärker.
Was zum Teufel passiert hier?
Ich stolpere zur Tür und greife nach der Klinke. Aber ich kriege sie nicht zu fassen. Meine Hände zittern. Ich greife immer daneben, rutsche ab – kann sie nicht mal spüren. Die Anstrengung ist zu viel für mich.
Das macht mir jetzt echt Angst. Ich kann nicht mal die Tür aufmachen? Ich bin ja noch übler dran, als ich dachte. Vielleicht bin ich immer noch betrunken.
Wie auch immer. Ich muss hier raus. Ich lehne mich an die Tür und rufe. »Olly!«
Keine Antwort.
Ich trommle dagegen, dann versuche ich es noch mal.
»OLLY! Mum! Dad!«
Als Antwort ein schwaches Echo. Dann wieder nichts. Stille. Keiner ist da. Keiner.
Wo sind sie denn nur alle? Warum bin ich nicht bei ihnen? Welcher Tag ist heute? Wochenende?
Alle Fragen bleiben offen, Panik steigt in mir hoch und versengt mich innerlich wie ein verästelter Blitz, der durch den Nachthimmel fährt.
Ich schleppe mich zum Fenster und lasse mich auf die Fensterbank sinken, um mich von diesem Kraftakt zu erholen.
Einen Moment lang schließe ich die Augen, um zu mir zu kommen. Während ich dasitze, kommt mir die vage Erinnerung, schon öfter so dagesessen zu haben. Ein Bild zuckt mir durch den Kopf: wie ich mich anlehne, mit angezogenen Knien, und mit tintenbefleckten Händen Gedichte oder Lieder in ein zerfleddertes Notizbuch kritzle.
Dann erlischt das Bild wieder.
Der kurze Erinnerungsblitz hilft mir nicht weiter. Eher vergrößert er den Sturm der Verwirrung, der in mir tobt.
Ich blicke aus dem Fenster. Die Sonne scheint. Der Garten steht voller blühender Narzissen, an den Bäumen hängen blassrosa Blüten.
Jetzt sehe ich sie endlich, sie stehen zusammengedrängt neben dem Baum. Olly, Mum, Dad. Sie reden miteinander.
Ihr Anblick gibt mir etwas Kraft, ich stehe auf und will das Fenster öffnen. Wie bei der Türklinke scheinen meine Hände ins Leere zu greifen. Meine Finger gehorchen mir nicht.
Warum bekomme ich den Griff nicht zu fassen? Ich muss doch das Fenster aufmachen. Muss nach ihnen rufen.
Ich starre hinaus auf die eng zusammenstehende Gruppe, meinen Bruder, meine Eltern. Sie sehen unglücklich aus. Was haben sie nur?
»Kopf hoch, Leute, der Tag ist herrlich, die Sonne scheint«, murmle ich düster vor mich hin.
Wieso kommt mir das bekannt vor?
Wieder ein Erinnerungsblitz: Dad sagt das zu uns – ist das einer seiner typischen Sprüche?
Dad, was hat denn der Wetterbericht mit meiner Stimmung zu tun?, denke ich unwillkürlich. Ach, genau. Das sagt Olly immer. Und Dad zuckt dazu nur die Schultern und lächelt. Mein Vater lächelt immer.
Jetzt allerdings lächelt er nicht.
Jetzt flüstere ich es ihm durch die blinde Scheibe zu.
Kopf hoch, Leute, der Tag ist herrlich, die Sonne scheint.
Ich versuche, an die Fensterscheibe zu klopfen, mit den Fäusten gegen das Glas zu hämmern.
Kein Geräusch. Meine Fäuste berühren das Fenster kaum. Ich spüre das Glas nicht mal.
Keiner schaut herauf.
Ich lasse mich wieder auf die Fensterbank sinken, hilflos, ohne etwas tun zu können außer hinauszublicken.
Mum hat einen Arm um Olly gelegt. Er schmiegt sich an sie, als wäre er noch klein. Es ist seltsam, meinen coolen großen Bruder so verletzlich zu sehen. Dad redet mit Mum. Sie nickt.
Worüber reden sie?
Dad löst sich von der traurigen kleinen Gruppe und geht über die Einfahrt auf einen großen Van zu. Er öffnet die hintere Tür und klettert hinein.
Mein Blick fällt auf das Logo auf der Seitenwand, und jetzt dreht sich mir der Magen um.
R&J Umzüge.
Umzüge?
Mein Kopf bemüht sich, die Aufschrift zu begreifen.
Sie ergibt aber keinen Sinn. Es ist, als ob jemand zehn verschiedene Puzzlespiele zusammengeschmissen und vermischt hätte. Die Teile passen nicht zueinander. Aus ihnen wird einfach nicht das Bild, das auf der Schachtel ist. Auf der Schachtel ist gar kein Bild.
Olly löst sich von Mum. Er lässt den Kopf so tief hängen, dass es aussieht, als ob sein Kinn an der Brust angewachsen wäre. Er kommt auf das Haus zu.
Endlich kommen sie mich holen! Alles wird gut. Ich hatte wohl einfach vergessen, dass …
Vergessen, dass wir umziehen?
Also echt, ja, so was zu vergessen ist ganz schön heftig. Aber immerhin haben sie mich nicht vergessen.
Kurz darauf geht die Tür zu meinem Zimmer auf, und da ist er. Ich fühle mich wie ein Mann, dem man kurz vor dem Verdursten einen Krug Wasser reicht.
»Olly!«
»Joe«, sagt Olly.
»Mann, Alter, einen Augenblick habe ich mir echt Sorgen gemacht«, sage ich, stehe vom Fensterbrett auf und lächle, während ich den Raum durchquere. Meine Beine gehorchen mir jetzt schon besser. »Ich dachte schon, ihr alle hättet mich –«
»Jetzt heißt es wohl Abschied nehmen.« Olly geht an mir vorbei. Seine Worte sind wie ein Schlag in die Magengrube, lassen mich rückwärtstaumeln. Wenn es noch da wäre, würde ich auf mein Bett fallen. Stattdessen bleibe ich mitten im Zimmer stehen, mit hängenden Armen und mit einem völlig verwirrten Kopf.
»Olly, was meinst du? Warum sagst du denn –«
»Ich kann es nicht fassen«, sagt er. Seine Stimme ist wie Metall. »Nichts von alldem. Ich kann nicht glauben, was ich getan habe, was du getan hast. Kann nicht glauben, dass ich dich nie wiedersehen werde.«
Mein Blut gefriert zu Eis.
»Olly.« Ich mache einen Schritt auf ihn zu. »Olly, Kumpel, warum solltest du mich nie wieder –«
»Wir haben aber viel Spaß zusammen gehabt, hier in diesem Zimmer, nicht? Bevor …« Er bricht ab. Sein Gesicht verschließt sich. Ich habe noch nie erlebt, dass er mich so ansieht. Als würde ich überhaupt nicht existieren.
»Ja. Klar doch. Natürlich«, erwidere ich. Dabei kann ich mich im Moment eigentlich an nichts erinnern. Abgesehen von Momentaufnahmen, die so schnell verschwinden, wie sie auftauchen, habe ich gar keine Erinnerungen – aber ich möchte ihm gerne zustimmen. Ich will, dass er mich ansieht. »Echt viel Spaß«, pflichte ich ihm bei. »Was hast du –«
Ollys Gesicht ist verschlossen wie eine zugeschlagene Tür. »Ich kann einfach nicht glauben, dass das alles vorbei ist«, flüstert er. »Also, weit weg werde ich ja nicht sein. Ich bleibe in derselben Stadt. Aber ich komme nie mehr in dieses Haus zurück. Das kann ich einfach nicht. Keiner von uns kann das.« Er redet wieder durch mich hindurch. Als ob er mich nicht sehen wollte. Nein – schlimmer als das. Als ob ich gar nicht da wäre.
»Olly, kannst du mich sehen?«, frage ich. »Kannst du mich hören?«
»Olly!« Das ist Dad, der von unten ruft.
Er wendet sich ab und ruft zurück. »Komme gleich.«
Dann, ehe ich ihn noch etwas fragen oder auf ihn zugehen kann, ehe ich irgendetwas tun kann, nickt er stumm. Ein trauriges Lächeln umspielt seine Lippen. Dann flüstert er: »Leb wohl, Joe«, wendet sich...
Erscheint lt. Verlag | 25.9.2019 |
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Übersetzer | Eva Riekert |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Bestseller-Autorin • Brüder • Coming of Age • Dreiecksliebesgeschichte • Emily Windsnap • England • Entscheidungen • Erin • Erste Liebe • Fantasy • Geister • Ghostfantasy • Ghost-Fantasy • Jugendbuch ab 12 • Küstenort • Magischer Realismus • Mobbing • Paranormal • Paranormalität • Plötzlich unsichtbar • Pubertät • Romantasy • Romantic Fantasy • Schuldgefühle • verliebt |
ISBN-10 | 3-7336-5179-0 / 3733651790 |
ISBN-13 | 978-3-7336-5179-4 / 9783733651794 |
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