Ungerechtigkeit im Namen des Volkes (eBook)

Deutschlands bekanntester Strafjurist klagt an

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
192 Seiten
Gräfe und Unzer Autorenverlag, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
978-3-8338-6935-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ungerechtigkeit im Namen des Volkes -  Ingo Lenßen
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Wie gerecht ist Deutschland? 'Leben wir in einer ungerechten Gesellschaft, weil Ungerechtigkeit und Verbrechen ungenügend bestraft werden?' 'Wird die Kriminalität in Deutschland (weiter) steigen, weil in deutschen Gerichtssälen Nachsicht und lasche Vorurteile herrschen?' 'Wird Recht in Deutschland eigentlich überall gleich gesprochen? 'Geht es in vielen Urteilen mehr um das Wohl der Täter als das der Opfer? Und: 'Werden viele Urteile aufgrund von Zeit- und Geldmangel einfach abgeurteilt?' Diese und ähnlich unangenehme Fragen stellt Strafverteidiger Ingo Lenßen in seinem Buch. Dabei bezieht er sich auf über 50 Fälle aus seiner eigenen Rechtspraxis, aber auch auf solche, deren Urteil große öffentliche Diskussionen ausgelöst hat. Er bringt genau die Transparenz in viele Entscheidungen, die die Öffentlichkeit, also das Volk, in dessen Namen doch gesprochen wird, oft nicht nachvollziehen kann - auch weil sich Gerichte eben gerne vor dieser Öffentlichkeit abschotten.  

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Leseempfehlungen
Impressum
Vorwort
Kapitel 1: Der Strafverteidiger – alles für den Täter, oder?
Kapitel 2: Gerechtigkeit – ein großes Wort
Kapitel 3: Richter und Gerichte – Im Namen des Volkes
Kapitel 4: Die Generalprävention – wirksame Abschreckung?
Kapitel 5: Resozialisierung und Therapie – alles für den Täter?
Kapitel 6: Der Erziehungsgedanke – gut gemeint, nicht immer zu Ende gedacht
Kapitel 7: Wo bleiben die Opfer?
Kapitel 8: Urteilsfindung – ein langer Prozess
Kapitel 9: Deutsches Recht – nicht überall gleich
Kapitel 10: Blick über deutsche Grenzen
Kapitel 11: Bußgeldkatalog für Gewalttaten?
Kapitel 12: Die Sache mit dem Vorsatz
Kapitel 13: Noch mal anders überlegt – der Rücktritt vom Versuch
Kapitel 14: Geständnis oder Lippenbekenntnis?
Kapitel 15: Haft-empfind-lichkeit – Über-empfind-lichkeit?
Kapitel 16: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Kapitel 17: »Ich hatte eine schreckliche Kindheit …«
Kapitel 18: Justitia hat kein Geld
Nachwort
Der Autor

KAPITEL 1
DER STRAFVERTEIDIGER –
ALLES FÜR DEN TÄTER, ODER?


DER JOB DES STRAFVERTEIDIGERS


Bevor wir hier in die verschiedenen Fälle und Hintergründe der Urteilsfindung einsteigen, will ich natürlich darauf eingehen, wie es kommt, dass ich als Strafverteidiger ein Buch schreibe, in dem es so deutlich auch um die Rechte und die Stärke der Opfer geht.

Seit über 25 Jahren bin ich nun Strafverteidiger und dies mit Leib und Seele. Das Selbstverständnis eines Strafverteidigers – und damit auch meines – bedingt es, dass er für seinen Mandanten das Beste herausholt. Und das Beste für den Mandanten ist natürlich ein Urteil mit einer möglichst geringen Strafe, nur in Ausnahmefällen ist dies ein Freispruch.

Dem Strafverteidiger kann oder muss es zunächst sogar gleich sein, ob der Mandant die Tat begangen hat oder nicht. Gibt es formale Gründe wie ein Beweisverwertungsverbot, eine Aussage, die aufgrund einer falschen Belehrung nicht verwertet werden darf – und kann damit eine Verurteilung verhindert werden – so muss der Verteidiger dies ausnutzen. Die oft von Laien an einen Strafverteidiger gestellte Frage, ob er einen Mandanten auch verteidigen könne, wenn er wisse, dass der Mandant schuldig sei, muss somit mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Ebenso wie die Frage, ob man einen Freispruch für einen Mandanten beantragen könne, bei dem man weiß, dass er die Tat begangen hat. Hier sei allerdings gleich bemerkt, dass die Freispruchquote in Deutschland ohnehin nur bei drei Prozent liegt. Denn die Staatsanwaltschaft bringt Fälle, bei denen sie nicht von einem möglichen Schuldspruch ausgeht oder bei denen das Unrecht der Tat als gering eingestuft wird – ohnehin nicht zur Anklage.

MEIST geht es in Urteilen um das Strafmaß. Welches Maß an Schuld der Mandant für die Straftat zu tragen hat, spielt für das Urteil häufig eine zentrale Rolle, für das Ziel des Verteidigers sollte es allerdings nur zweitrangig Beachtung finden. Für ihn haben daher auch die Belange des Opfers zunächst unberücksichtigt zu bleiben und sind nicht von Interesse.

Dies ändert sich erst dann, wenn man beispielsweise durch einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich zu einem günstigeren Urteil für den eigenen Mandanten kommen kann. Denn durch einen erfolgreichen Täter-Opfer – Ausgleich kann einerseits das Bedürfnis des Opfers nach Entschuldigung und das des Täters auf Verzeihen erreicht werden. Es kann aber auch ein beim Opfer entstandener finanzieller Schaden wiedergutgemacht werden oder die Zahlung eines Schmerzensgeldes erfolgen – und das ist sowohl im Interesse des Angeklagten als auch in dem des Strafverteidigers, weil dadurch das Strafmaß reduziert werden kann.

Die andere Seite


Weil auch das Opfer die Möglichkeit haben soll, seine eigenen Interessen in ein Strafverfahren einzubringen und sich selbst aktiv an einem solchen Strafprozess zu beteiligen, hat der Gesetzgeber das „Instrument“ der Nebenklage eingeführt. Ein Nebenkläger ist das Opfer einer Straftat. Ist dieses Opfer verstorben, können sogar seine nächsten Angehörigen als Nebenkläger in einem Strafprozess gegen den Täter auftreten. Mit den Instrumenten des Nebenklägers hat es die Strafprozessordnung geschafft, dass Opfer einer Straftat ihre eigenen Belange in den Prozess einbringen und diesen sogar partiell mitbestimmen können.

Ein Strafverteidiger kann nicht nur Täter verteidigen, sondern – natürlich nicht im gleichen Fall – auch den Nebenkläger in einem Strafprozess vertreten.

Interessant ist dabei natürlich, dass, tritt ein Strafverteidiger häufiger als Nebenklägervertreter auf, er Fälle aus einem anderen Blickwinkel sieht, und damit natürlich auch die Belange des Opfers durch eine andere Brille betrachtet. Denn nun sind ja nicht mehr die Belange des Straftäters für ihn im Fokus, sondern die besonderen Befindlichkeiten des Opfers einer Straftat.

Ein Gedankenspiel am Rande: Stellen wir uns rein theoretisch den gleichen Strafverteidiger in ein und demselben Verfahren einmal als Verteidiger und einmal als Vertreter der Nebenkläger vor. Würde sich das auf das Urteil auswirken?

Vom Gedankenspiel zur Praxis


Warum ich das so ausführlich schildere? Weil es uns zu zwei Fällen bringt, bei denen ich als Vertreter der Nebenkläger tätig war und die letztendlich mitentscheidend für die Entstehung dieses Buches waren.

Der erste Fall ist schon ein paar Jahre her. Als ich nach über 20 Jahren Tätigkeit als Strafverteidiger zum ersten Mal auf der anderen Seite saß, eben auf der des Nebenklägervertreters, hatte ich plötzlich nicht das geringste Verständnis für den Strafantrag des Verteidigers auch wenn – um das vorwegzunehmen – das Urteil schlussendlich für mich nachvollziehbar und für meinen Mandanten annehmbar war.

FALL 1

Mein Mandant war mit einem befreundeten Pärchen auf einem Volksfest gewesen. Sie hatten keinen Alkohol getrunken. Beim Verlassen des Festes ließ mein Mandant kurz die Gruppe alleine, um einen Bekannten zu begrüßen.

Nach einigen Minuten des Wartens rief die Freundin meines Mandanten ihn mit den Worten „Schatz, kommst du bitte!“ zurück. Da baute sich ein der jungen Frau Unbekannter vor ihr auf und sagte: „Da bin ich.“ Die junge Frau erklärte, dass sie ihn nicht gemeint habe, und bat um Entschuldigung. Der Fremde ließ jedoch nicht locker und fragte sie, ob er nicht gut genug sei. Nun mischte sich der Mann des befreundeten Pärchens ein und bat den aufdringlichen Fremden zu gehen. Ohne weitere Ankündigung versetzte dieser ihm daraufhin einen Kopfstoß, der sein Nasenbein brach. Die Schreie der beiden Frauen machten meinen Mandanten auf die Situation aufmerksam und er eilte seinem Freund zu Hilfe.

Mittlerweile hatten sich allerdings zum ersten Angreifer zwei weitere Herren gesellt, die meinen Mandanten gleich mit Schlägen erwarteten. Der ging zu Boden, rappelte sich aber wieder auf und es gelang ihm, zwei der Angreifer von sich abzuschütteln. Der Dritte sprang ihm jedoch auf die Schulter und biss ihm so ins Ohr, dass er, wie Zeugen später berichteten, meinem Mandanten die Ohrmuschel „aus dem Kopf gerissen“ hatte und sie anschließend auf den Boden gespuckt hatte.

Mein Mandant wurde mit dem Notarzt in die Klinik gebracht. Im Anschluss an eine erste Operation musste er etwa ein Jahr lang über eine Schweinsohrblase am Ohr medikamentiert werden. Erst nach dieser Zeit konnten die ersten plasto-chirurgischen Eingriffe beginnen. Die Ärzte versuchten, die Ohrmuschel in über zehn weiteren Operationen wiederaufzubauen.

Für meinen Mandaten waren nicht nur diese körperlichen Folgen eine Tortur, zudem konnte er, der gerade seine Lehre abgeschlossen und einen ersten Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, über anderthalb Jahre seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen und war vollständig auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen. Aufgrund der Schweinsblase an seinem Kopf wollte er das Haus nicht verlassen, da er sich unendlich schämte. Und selbst nachdem die Schweinsblase entfernt worden war, lief mein Mandant nur noch mit einer Mütze herum. Er fühlte sich entstellt, da auf der verletzten Seite keine Ohrmuschel vorhanden war. Die Scham wegen dieser Entstellung begleitet ihn noch Jahre nach der Tat. Während die Verteidiger auf Freispruch und Bewährung plädierten, erachtete ich eine viereinhalbjährige Freiheitsstrafe für Tat und Schuld angemessen.

 

DAS URTEIL:

Das Gericht sprach eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten aus.

Auch wenn die Strafanträge der Verteidiger unverständlich blieben, war mein Mandant, das Opfer, mit diesem Urteil zufrieden. Das Urteilsmaß war nicht weit entfernt von unseren Vorstellungen und er hatte im Verfahren – gerade durch das Instrument der Nebenklage – die Möglichkeit gehabt und genutzt, sein durch die Tat erlittenes Unrecht darzustellen.

Wer kann das verstehen?


Dies war beim zweiten Fall, den ich Ihnen hier schildern möchte, ganz anders. Und daher war dieser Fall, wie ich schon in meinem Vorwort erwähnt habe, mitentscheidend für die Entstehung dieses Buches. Er wurde als Jugendstrafverfahren vor dem Landgericht verhandelt. Mein Mandant als Nebenkläger war der Vater des Opfers.

FALL 2

Der Sohn meines Mandanten, 19 Jahre alt, war an einem Abend im Februar mit seiner Freundin und einem befreundeten Pärchen gegen Mitternacht in eine Shisha-Bar gegangen. Sie hatten nachweislich keinen Alkohol getrunken.

Nach etwa einer Stunde verließen sie die Bar und wurden plötzlich von jungen Männern angesprochen, die zuvor ebenfalls in der Bar waren. Diese behaupteten, der Freund des Sohnes meines Mandanten habe die Mutter eines der späteren Tatbeteiligten beleidigt. Zweifel an dieser Aussage waren eher gerechtfertigt. Die Täter hatten es offensichtlich auf eine tätliche Auseinandersetzung abgesehen. Während die Freundin des Sohnes meines Mandanten schon in dessen Auto Platz genommen hatte, wurde er selbst von einem der Täter geschubst und stolperte. Sein Freund wurde von einem anderen Täter mit dem Messer bedroht. Nachdem mein Mandant sich wieder gefangen hatte, ging er zu dem das Messer haltenden Täter und bat ihn mit beschwichtigend erhobenen Händen aufzuhören. Er betonte, sie wollten keinen Streit, und bat darum, ihn und seine Freunde einfach nach Hause fahren zu lassen. Daraufhin stach der Haupttäter ihm das Messer unvermittelt in die rechte Brustseite und durchtrennte damit die Aorta des jungen Mannes....

Erscheint lt. Verlag 7.5.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Advokat • Anwalt • Das Ende der Gerechtogkeit • Demokratie • deutsche Gerichtssäle • Die Lücke im Gesetz • Droemer Knaur • Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter • Ein Richter schlägt Alarm • Europa • Fischer Thomas • Freiheitsentzug • Gerechtigkeit • Gericht • Gewaltdelikte und Gewalttaten • Gewaltkriminalität • Gewalttaten • Gleichheit • Haft (Freiheitsentziehung) • Herder Verlag • Im Namen des Volkes • Im Recht • Ingo Lenßen • Jens Gnisa • Jugendkriminalität • Justiz • Kanzlei • Kontrollverlust • Kopp Verlag • lasche Gerichte • lasche Urteile • Lenßen • Lenßen hilft! • Lenßen Live • Lenßen und Partner • Meine juristische Hausapotheke • Menschenrechte • Nationalsozialismus • Opfer • Opfer Stimme geben • Politik • Rechtsexperte • Rechtsprechung • Rechtsstaat • Rechtssystem • Richterin Barbare Salesch • Riva • riva verlag • Staatsanwaltschaft • Strafanzeige • Strafjurist • Strafrecht • Straftat • Straftaten und Strafsachen • Strafverfolgung • Strafverteidiger • Streitschrift • Thorsten Schulte • TV-Jurist • Ungleichheit • Unrecht im namen des Volkes • Verbrecher und Kriminelle • Vergewaltigung • Verteidigungsminister • Weißer Ring • Wer uns bedroht und wie wir uns schützen • Wie man ungestraft davonkommt • Wirtschaft
ISBN-10 3-8338-6935-6 / 3833869356
ISBN-13 978-3-8338-6935-8 / 9783833869358
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