Sonntag! (eBook)

Alles über den Tag, der aus der Reihe tanzt
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
208 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99353-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sonntag! -  Constanze Kleis
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Erinnern Sie sich an Kirchgang und Braten, an Sonntagsspaziergänge und Tage im Bett, an den Presseclub und an autofreie Sonntage? Seit 100 Jahren ist der Sonntag gesetzlicher Ruhetag. Zu seinem Jubiläum macht Constanze Kleis ihm eine längst fällige Liebeserklärung. Schwungvoll erzählt sie von seinen christlichen Wurzeln, vom Sonntagsblues und vom kollektiven Tatortgucken. Ob Müßiggang oder Freizeitstress, brunchen oder Formel 1 - am Sonntag geht alles. Und ohne ihn geht nichts: Wir brauchen den Sonntag als Auszeit für die Seele, brauchen Zeit für uns, für Freunde und Familie. Auch wer sonntags zuweilen verärgert vor verschlossenen Ladentüren stand, wird nach der Lektüre dieses Buches wissen, worin das wahre Sonntagsglück besteht.

Constanze Kleis arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt unter anderem für die FAZ und Magazine wie Donna, myself, Für Sie und Elle. Gemeinsam mit Susanne Fröhlich schrieb sie mehrere Bestseller, u.a. »Runzel-Ich« und »Diese schrecklich schönen Jahre«. Bei Piper erschienen von ihr die »Gebrauchsanweisung für Frankfurt am Main«, die »Gebrauchsanweisung für Weihnachten« und »Sonntag!«

1 Ein Geschenk des Himmels


»Du sollst den Tag des Herrn heiligen.«

Altes Testament, 2. Mose 20

 

Es ist das dritte Gebot. Gleich nach »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir« und »Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen«. Und noch vor »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren«. Als Kind habe ich mich immer gefragt, ob Moses wohl lange mit Gott diskutiert hat, damals auf dem Berg Sinai. Etwa über die Reihenfolge. Warum ihm zum Beispiel »Du sollst nicht töten« nicht so wichtig war wie »Du sollst den Tag des Herrn heiligen«. Ich fragte mich, wieso man überhaupt den Feiertag noch eigens erwähnen musste, während mir »Du sollst nicht ehebrechen« durchaus einleuchtete. Das konnte man offenbar – wie regelmäßig in den bunten Blättern zu lesen war, die meine Großmutter so mochte – gar nicht oft genug wiederholen. Der Sonntag dagegen schien mir so wenig verhandelbar wie der tägliche Sonnenaufgang. Eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders als »Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen«. Im öden Kindergottesdienst hatte ich ausreichend Gelegenheit, mir über so etwas Gedanken zu machen. Auch darüber, ob es nicht einen besseren Platz als die Kirche gäbe, einen lang ersehnten schulfreien Tag zu verbringen. Einerseits. Andererseits schien es nur fair, Gott für all das zu danken, was er geschaffen hat: die Landschaften, die Elemente, die Kreaturen, auch Tag und Nacht, die Menschen sowieso, und natürlich den Sonntag. Diese Wurzel aller Kultur, wenn man mal annimmt, dass es Muße, Zeit und Gelegenheit sind, denen wir sämtliche kulturellen Errungenschaften verdanken. Aber nein, das dachte ich damals nicht wirklich. Ich war neun oder zehn Jahre alt und nahm einfach an, was die meisten mir bekannten Menschen heute noch annehmen: dass es sich beim Sonntag um diesen legendären siebten Tag handelt, an dem Gott mit allem fertig war. Dass wir eben tun, was unsere Vorfahren seit Jahrtausenden tun: die großartige Idee der wöchentlichen Pausentaste feiern, von deren Ursprüngen es im ersten Buch Mose heißt: »So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.«

Der Tag des Herrn


Wie die Zahnfee oder die Behauptung, man lerne das Gerundium nicht nur für die Schule, sondern es könnte irgendwie auch fürs Leben nützlich sein, entpuppten sich später allerdings so ziemlich all meine Sonntagsannahmen als bloße Gerüchte. Erstens: Der Sonntag war keinesfalls schon immer da. Zweitens: Nicht die Kirche hat ihn erfunden. Drittens: Der erste in der Bibel erwähnte Sonntag war ein Samstag. Im biblischen Buch Exodus heißt es nämlich noch: »Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.« Das hebräische Wort »schabat« bedeutet »aufhören«, und zwar mit allem. Der »regelmäßige Streik gegen alle Arbeitszwänge«, wie der berühmte Alttestamentler Hans Walter Wolff formulierte, wurde im jüdischen Glauben als eine heilsame Unterbrechung des Alltäglichen, der Anstrengungen und der Gewohnheiten betrachtet und gleichzeitig als Erinnerung, dass Arbeit nicht alles sein sollte. Gott zu gedenken und ihm zu danken war die einzig zulässige Aktivität an diesem Tag. Für die frühen Christen hätte dieser heilige Samstag durchaus auch eine Option sein können, zumal er ja längst eingeführt war und man ihn einfach hätte mitbenutzen können: ein Feiertag für beide Religionen. Aber es war nun mal angeblich ein Sonntag gewesen, an dem das leere Grab des »Herrn« Jesu entdeckt worden war und er auferstanden sein soll. »Herrentag« wurde der Sonntag deshalb auch genannt, eine Bezeichnung, die in den romanischen Sprachen überlebt hat. Im französischen »dimanche«, italienischen »domenica«, im spanischen und portugiesischen »domingo« und im rumänischen »duminica«. Außerdem, so verargumentierten die Christen den Produktvorteil des Sonntags gegenüber dem Samstag, feierte man mit diesem ersten Tag der Woche auch den ersten Tag der Schöpfung, an dem der Herr Himmel und Erde gemacht hatte und es Licht wurde. So, wie Justin der Märtyrer im 2. Jahrhundert schrieb: »Am Sonntage aber halten wir alle gemeinsam die Zusammenkunft, weil er der erste Tag ist, an welchem Gott durch Umwandlung der Finsternis und des Urstoffes die Welt schuf.«

Die ersten Christen, eigentlich Juden, die sich zum Glauben an Christus bekannten, begingen nun zuerst den Sabbat und feierten nach Sonnenuntergang – dem offiziellen Beginn des Sonntags – die Eucharistie. Bald wurde das Ritual ganz auf Sonntagmorgen verlegt. Unter konspirativen Bedingungen traf man sich dafür vor seinem Tagwerk in privaten Haushalten. Man sah es nicht als wesentlich an, sich einen ganzen Tag frei und »heilig« zu halten, und keinen Widerspruch darin, dem Herrn zu huldigen, zu dienen und trotzdem seinen Geschäften nachzugehen. Arbeit wurde ohnehin als eine göttliche Pflicht verstanden. Außerdem blieb es eine sehr lange Weile durchaus opportun, keine so öffentliche Sache aus dem neuen Glauben zu machen. Schon im 1. und 2. Jahrhundert waren Christen nicht gut behandelt worden. Aber im 3. Jahrhundert nahm die Verfolgung im gesamten Römischen Reich schließlich so brutal-blutrünstige Formen an, wie man sie aus dem Filmklassiker Quo vadis kennt. Römische Bürger, die sich zum Christentum bekannten, wurden enthauptet, in einigen Fällen gekreuzigt oder in der Arena von wilden Tieren zerrissen. Die Abschreckung war so hochkarätig wie nutzlos. Der christliche Glaube breitete sich immer weiter aus und mit ihm das Sonntagsritual. Die Umstände mögen bisweilen sehr provisorisch gewesen sein, doch das Regelwerk war es nicht. Nicht mal ein Schrebergartenverein setzt heutzutage so viele Gebote fest, wie sie die Christen schon früh für sich formulierten. Begleitet von heftigen Diskussionen darüber, wer wann welches Gebet zu sprechen habe, wie die Lobpreisung erfolgt, wie die Lesung und die Predigt. Oder welche Substanzen und Dinge bei einer Taufe Verwendung finden sollten. Auf eine Leitlinie einigte man sich wohl ziemlich rasch und vermutlich leidlich einstimmig: dass der Tag des Herrn ein Tag der Freude sei, ein Festtag, an dem man keinesfalls fasten, sondern aus dem Vollen schöpfen wollte, einer, der mitten im Leben stattfinden sollte.

Was die Anziehungskraft des christlichen Glaubens und damit auch die Atmosphäre am »Tag des Herrn« sonst noch ausgemacht haben könnte, wird in einer frühen apologetischen Schrift, die vermutlich aus der Zeit um 160 n. Chr. stammt, beschrieben. Ein unbekannter Mann schildert hier einem anderen namens Diognet das für ihn Bemerkenswerte an den Christen: »Sie lieben alle Menschen, und doch werden sie von allen verfolgt. Man kennt sie nicht, und doch verurteilt man sie. Sie werden getötet, aber wieder lebendig gemacht. Sie sind arm, machen aber viele reich. Sie leiden Mangel an allem und haben Überfluss in allem. Sie werden geschmäht und in der Schmähung verherrlicht. Sie werden gelästert, aber gerechtfertigt. Sie werden beschimpft, doch sie segnen. Sie werden verachtet, doch sie erweisen Ehre …« Ob es die verlockende Aussicht war, »wieder lebendig gemacht« zu werden? Jedenfalls gelang es dem Christentum in kürzester Zeit, eine Fanbase aufzubauen, für die selbst Megastars wie Beyoncé heute sämtliche sozialen Medien mobilisieren müsste. Und das trotz dieses Beipackzettels, auf dem im Prinzip stand: »Man wird dich hassen, dich verfolgen, dich und deine Familie mit Folter und Tod bedrohen, und selbstverständlich wirst du in dieser Gesellschaft kein Bein mehr auf den Boden bekommen.«

Nach der Devise »Was sich nicht verbieten lässt, muss man eben großmütig erlauben« veröffentlichte Kaiser Galerius, obwohl selbst lange einer der schlimmsten Christenverfolger, im Jahr 311 das »Toleranzedikt von Nikomedia«. Es macht das Christentum zur »religio licita«, zur erlaubten Religion. Christen waren nun Zusammenkünfte erlaubt, soweit sie die öffentliche Ordnung nicht störten. Vermutlich hatte der Kaiser Sorge, die Sache mit dem Jenseits, dem Paradies und der Hölle könnte doch nicht so abwegig sein. Er soll unter einer »pestartigen« Krankheit gelitten haben und verfügte das Edikt auf dem Sterbebett. Ob Gott mit sich handeln ließ, wird er bald erfahren haben. Die Chancen dürften nicht sonderlich hoch gewesen sein, so ganz ohne die wichtigste Zutat für echte Buße: Schuldbewusstsein. Das Einzige, das Galerius bedauerte, war, dass die Hetzjagd auf die Christen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Er starb nur fünf Tage, nachdem er den Erlass diktiert hatte. Zwei Jahre später, im Jahr 313, wurden durch die Mailänder Vereinbarung die Christen erstmals gewissermaßen gesetzlich anerkannt. Die Kirche erhielt nun unter anderem auch staatliche Gelder. Darüber hinaus genoss der Bischof jetzt einige staatlich wirksame Prozessrechte. Innerhalb weniger Jahrzehnte erlebte der christliche Glaube einen ungeahnten Aufschwung, bis er und das Judentum am Ende einzige offizielle Staatsreligionen waren.

Diese Karriere wäre am Sonntag vermutlich ziemlich spurlos vorbeigegangen,...

Erscheint lt. Verlag 2.5.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Advent • Alleinsein • Ausflug • Ausschlafen • Bonanza • Entspannung • Familie • Familienausflug • Freunde • Fußball • Geschenk für Frauen • Geschenk für Freundin • Kirche • Kuchen • Kulturgeschichte • Ladenöffnungszeiten • Muße • Müßiggang • Ruhetag • Schlafprobleme • Sonntagsarbeit • Sonntagsneurose • Spaziergang • Tatort • Tradition • Wochenende • Wochentag
ISBN-10 3-492-99353-2 / 3492993532
ISBN-13 978-3-492-99353-1 / 9783492993531
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