Wo das Glück auf Wellen tanzt (eBook)
352 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44176-3 (ISBN)
Diana Hillebrand (geb. 1971) ist Autorin und Dozentin und lebt mit ihrer Familie in ihrer Wahlheimat München. Seit 2006 gibt sie Kurse im Kreativen Schreiben an der 'WortWerkstatt SCHREIBundWEISE'. Sie hat mehrere Bücher, Kurzgeschichten und Fachartikel veröffentlicht. 2018 wurde eines ihrer Jugendbücher mit einem 'LesePeter' ausgezeichnet.
Diana Hillebrand (geb. 1971) ist Autorin und Dozentin und lebt mit ihrer Familie in ihrer Wahlheimat München. Seit 2006 gibt sie Kurse im Kreativen Schreiben an der "WortWerkstatt SCHREIBundWEISE". Sie hat mehrere Bücher, Kurzgeschichten und Fachartikel veröffentlicht. 2018 wurde eines ihrer Jugendbücher mit einem "LesePeter" ausgezeichnet.
1. Kapitel
Frisch gewaschener Morgen. Der Tau setzt sich in feinen Tropfen auf die Giebel der braven Stadt. Ziegelrote, spitze Dächer, die am Horizont kratzen, und ein blassblauer Himmel, in dem schon das Versprechen eines milden Maitages liegt. Vereinzelt schimmert hier und da Licht hinter den Fenstern auf. Familienfrieden. Kaffeeduft. Barfuß durch die Wohnung laufen. Wach werden. Glück.
Anna klappte ihr Notizbuch zu und steckte es in ihre Umhängetasche auf dem Beifahrersitz. Sie blieb noch ein paar Sekunden im Auto sitzen und sah hinaus. In einem beleuchteten Schaukasten kündigte die Johanniskirche ihre Gottesdienste an. Die Laternen rund um die Kirche spendeten schwaches Licht. Langsam, ganz langsam verabschiedete sich die Nacht, um einem neuen Tag Platz zu machen. Diese Zeit zwischen Dunkelheit und Licht mochte Anna ganz besonders. Wenn sich die Silhouetten der Gebäude aus dem Schlaf schälten und das Gezwitscher der Vögel das lauteste Geräusch war. Anna zog den Zündschlüssel, griff nach ihrer Tasche und stieg aus.
Walderstadt hatte nicht einmal zwanzigtausend Einwohner und gehörte laut Glücksatlas zu den glücklichsten Städten in Deutschland. Lag es an der Überschaubarkeit dieser Stadt, die man weder als klein noch als groß bezeichnen konnte? Ein paar Bäcker, eine gut ausgestattete Stadtbücherei, Schulen, ein Rathaus mit einem Rundturm auf der linken Seite und üppigen roten Geranien vor den Kassettenfenstern, Cafés, Restaurants, mehrere Immobilienmakler, Tankstellen, eine hübsche Allee aus großen Platanen und der Eiler Bach, der gelegentlich über die Ufer trat. Die Einheimischen nannten ihn eigenwillig, weil er sich immer wieder neue Wege ins Bachbett spülte. Ihn zu begradigen wäre trotzdem niemandem in den Sinn gekommen. Genau genommen war Walderstadt eine Kleinstadt wie viele andere. Bedeutungslos für das Weltgeschehen, aber voll von Einzelschicksalen ganz normaler Menschen.
Nur einmal im Jahr stellten die Walderstädter ihre Haushalte auf den Kopf, schoben alte Töpfe zur Seite, krochen tief in ihre Kleiderschränke hinein, durchwühlten Dachböden, Keller und die Zimmer der Kinder und suchten mit ihren Trüffelnasen nach längst vergessenen Schätzen für den Trödelmarkt. Einen Trödelmarkt, der weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war, weil er seinesgleichen suchte. Denn er bestand nicht nur aus einigen Holzbuden auf dem Stadtplatz, sondern der gesamte Ort verwandelte sich für drei Tage in ein lebendiges Handelszentrum. Dann wurden die Tore zu den Hinterhöfen weit aufgestoßen, und jeder, der wollte, konnte hereinkommen und sich aus dem Hausstand aussuchen, was zum Verkauf oder Tausch von der Familie freigegeben worden war. So kam es vor, dass die geschliffene Bleiglas-Vase der Oma nur zwei Häuser weiterzog und auf dem Kaminsims des Nachbarn ein neues Zuhause fand. Ein großer Teil des Handels untereinander wurde durch Tauschgeschäfte vollzogen. Lediglich die Besucher von außerhalb bezahlten für ihre Fundstücke. Sie kauften ein bisschen Geschirr hier und da, einen alten Stuhl oder eine Lampe und fuhren wieder nach Hause, meistens ohne die Seele dieses Marktes erspürt zu haben.
Die Walderstädter aber erlebten diese Tage wie ein äußeres und inneres Aufräumen, eine Grunderneuerung, die traditionsgemäß den Sommer einläutete. Ein allgemeines Glücksgefühl schien sich dann über die Stadt zu legen. Eine freudige Erregung, wie man sie kannte, wenn etwas Neues einzog und man sich von alten Dingen trennte. Man begegnete sich, blieb in der Tür stehen, begutachtete Handbemaltes, setzte sich, trank Kaffee und redete. Die Kinder drückten sich von Haus zu Haus und machten große Ohren. Drei Tage lang herrschte in Walderstadt ein gemeinschaftliches Treiben, und das hatte sich über die Jahre herumgesprochen. Noch war es ruhig, aber der Ansturm würde nicht lange auf sich warten lassen.
Anna schlenderte, die Hände tief in den Taschen vergraben, auf den Stadtplatz zu. Sie hatte es nicht eilig. Es ging ja erst los, und die professionellen Händler bauten noch auf. Stabile Holzbuden, die in ein paar Stunden von der Vergangenheit so vieler Menschen zeugen würden. Zerkratzte Pfannen, Teppiche, silberne Kerzenständer, Vasen, Keramik, Saucieren, Waschschüsseln, Spiegel, gerahmte Kunst – und an allem haftete das Leben. Vergangene Glücksmomente zum Anfassen. Anna wollte von Anfang an dabei sein, wollte den Geschichten begegnen, bevor sich später große Menschentrauben durch die Gassen schieben würden. Sie war noch in der Dunkelheit in München losgefahren. Doch nun war sie zu früh dran und fror. Anna zog die Jacke fester um sich, drehte sich unschlüssig im Kreis und steuerte dann auf das einzige hell erleuchtete Fenster in der Nähe zu: Lotto Otto. Sie lächelte.
»Hmm.« Der Mann hinter der Theke stützte sich mit den Ellenbogen auf eine Zeitung. Er blickte auf, als die Glocke an der Tür ertönte.
»Guten Morgen. Wie schön, dass Sie schon aufhaben!«, rief Anna.
»Kommt selten vor, dass um diese Uhrzeit jemand mit guter Laune hier reinkommt.«
»Tatsächlich? Also wenn ich jetzt noch einen Kaffee bekommen könnte, wäre ich sogar wunschlos glücklich.«
Der Mann, den Anna anhand seines Namensschildes als Otto ausmachte, deutete auf einen Kaffeeautomaten.
»Perfekt.« Sie schob einen Pappbecher unter den Auslauf und drückte auf die Taste Milchkaffee. Ohne sich umzusehen, spürte sie Ottos Blick in ihrem Rücken. Als der Kaffee durchgelaufen war, drehte sie sich um: »Sie werden es nicht glauben, aber ich war sogar schon einmal hier. In Ihrem Laden.«
Otto blickte von seiner Zeitung auf. »Sie? Das wüsste ich aber.«
Anna nahm einen Plastiklöffel und rührte ihren Kaffee um. »Doch, Sie wissen es nur nicht mehr. Es ist schon ein paar Jahre her. Mein Vater war dabei.« Sie schmunzelte. »Ich war ungefähr zehn, jetzt bin ich über dreißig.«
»Ach so«, sagte Otto. »Da hatte ich den Laden ja gerade erst eröffnet.«
»Und?«, fragte Anna.
»Und was?«
»Was ist in der Zwischenzeit passiert?«
Otto schnaubte. »Was halt so passiert in zwanzig Jahren. Ich bin älter geworden, meine Frau hat mich verlassen, Walderstadt hat eine Bürgermeisterin, und einmal hat einer bei mir richtig was gewonnen. Aber glücklicher ist er deshalb nicht geworden.«
»Nicht?«
»Nicht.«
»Dabei habe ich gelesen, dass die Menschen in Walderstadt zu den glücklichsten in ganz Deutschland gehören sollen.«
Otto zuckte mit den Schultern. »Man muss auch nicht alles glauben, was man liest«, sagte er dann und vertiefte sich erneut in seine Tageszeitung.
Anna probierte den Kaffee, der seinen Namen kaum verdiente. Die Pappe des Bechers setzte sich geschmacklich eindeutig durch.
»Ich bin übrigens nicht nur wegen des Marktes hier.«
Otto nahm die Zeitung beiseite. »Ach, nicht?«
Anna lächelte. Otto war wohl ein Freund weniger Worte. »Nein. Ich habe später noch einen Termin bei einem Makler. Vielleicht ziehe ich sogar hierher.«
Otto sah auf. »Spielen Sie Lotto?«
»Manchmal«, sagte Anna, »aber nur, wenn ich von Zahlen träume.«
»Na, dann sind Sie bei mir in bester Gesellschaft. Ich habe Kunden, die kommen nur, wenn ihnen eine Sieben oder eine Zwölf begegnet. Oder wenn der Postbote dreimal geklingelt hat.« Er nickte Richtung Fenster. »So, jetzt geht der Zauber draußen aber bald los. Für die besten Stücke sollten Sie sich langsam auf den Weg machen.«
Man hätte diese Bemerkung als freundlichen Rausschmiss deuten können, aber so dachte Anna nicht. Es gab Freunde, die nannten sie naiv oder sogar realitätsfremd. Doch so einfach war es nicht. Annas Antennen empfingen lediglich positive Signale. Sie wollte das Gute sehen. Mit aller Macht. Immerhin sicherte ihr diese Eigenschaft seit einigen Jahren ihren Lebensunterhalt. Hätte sie sich nur ein paar Minuten länger in Ottos Laden umgesehen, hätte sie mit Sicherheit in einem Magazin oder einer Zeitschrift einen Artikel von sich gefunden, den sie unter ihrem Pseudonym Julia Jupiter geschrieben hatte. Doch nun stand ein viel größeres Projekt auf ihrer Agenda, und Anna bekam ein bisschen Bauchschmerzen, wenn sie daran dachte. Sie seufzte und zwang sich, nicht weiter darüber nachzudenken. Sie hatte einen Plan. Erst einmal würde sie sich den Markt ansehen, so wie sie es vor vielen Jahren mit ihrem Vater schon einmal gemacht hatte, und danach, danach würde sie das Immobilienbüro Graf & Graf aufsuchen. Der Termin stand für den Mittag in ihrem Kalender. Wenn alles klappte, würde sie vielleicht schon bald eine neue Wohnung hier in Walderstadt beziehen können. Und wenn das geschafft war, dann würde sie sich endlich in Ruhe ihrem großen Ziel widmen können.
Anna verließ Ottos Laden und schob ihre Hand in die Jackentasche. Dort war der Zettel, der vom vielen Anfassen schon ganz weich geworden war. Um ihn vor dem völligen Zerfleddern zu bewahren, hatte sie ihn sogar einmal mit Klarsichtfolie verstärkt. Manchmal zog sie ihn heraus und betrachtete die kantige, winzige Schrift ihres Vaters.
Glück besteht in der Kunst, sich nicht zu ärgern, dass der Rosenstrauch Dornen trägt, sondern sich zu freuen, dass der Dornenbusch Rosen trägt.
Wenn sie die wenigen Worte las, klang seine freundliche Stimme in ihr wie ein fernes Echo nach. Es waren nicht seine letzten Worte gewesen. Anna hatte viel darüber nachgedacht. Wüsste man, dass man seine letzten Worte sprach, was sollte man dann noch sagen? Bleischwer würde das Gewicht dieser Worte wiegen. Jeder gut gemeinte Ratschlag, jeder Wunsch und jede Aufgabe konnte dann eine schwere Bürde für den Empfänger bedeuten. Soweit sie wusste, hatte ihr Vater keine...
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2019 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Autorin • Backen • Bayern • Café • Dorf • Dorfleben • Geheimnis • Glücks-Reporterin • Glückssuche • Glück verschenken • Haus am See • Journalistin • Kleinstadt • Künstler • Kunstwerk • Landschaftsmalerei • Lebenssinn • Liebe • Liebes-Roman • Malen • Maler • Malerei • Oberbayern • Roman • Romane für Frauen • Romantik • Romantische Geschichte • Sinnsuche • Wohlfühlroman |
ISBN-10 | 3-426-44176-4 / 3426441764 |
ISBN-13 | 978-3-426-44176-3 / 9783426441763 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 4,0 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich