Das Erbe (eBook)

Roman. Der große SPIEGEL-Bestseller über Familie, Schuld und Verbrechen, die uns alle angehen
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
512 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-23668-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Erbe -  Ellen Sandberg
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Der große Spannungsroman über Familie, Schuld und Verbrechen, die uns alle angehen
Spätsommer 2018. Über Nacht ist Mona Lang reich. Ihre Großtante Klara hat ihr ein großes Haus in München-Schwabing vermacht, denn sie war sich sicher: »Mona wird das Richtige tun.« Was damit gemeint ist, versteht Mona nicht. Doch kaum hat sie Klaras Erbe angetreten, kommt sie einer Intrige auf die Spur, die sich um die Vergangenheit des Hauses rankt - und um ihre Familie.

München 1938. Die junge Klara belauscht an der Salontür ein Gespräch zwischen ihrem Vater und ihrem Vermieter, dem jüdischen Unternehmer Jakob Roth. Es geht um die bevorstehende Auswanderung der Roths - und ein geheimes Abkommen ...

Ellen Sandberg arbeitete zunächst in der Werbebranche, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete - mit riesigem Erfolg: Ihre psychologischen Spannungs- und Familienromane, die immer monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehen und denen immer ein wichtiges Thema unserer deutschen Vergangenheit zugrunde liegt, bewegen und begeistern zahllose Leserinnen und Leser - wie zuletzt »Das Geheimnis«, »Das Unrecht« und »Keine Reue«. 2022 wurde ihr der Verfassungsorden des Freistaats Bayern verliehen. Unter ihrem bürgerlichen Namen Inge Löhnig veröffentlicht sie erfolgreiche Kriminalromane.

Klara


Sommer 1938


Es war ein wunderschöner Sommertag. Ein bunter Tag, wie Klara dachte. Weiß-blau spannte sich der Himmel über München. Rote Hakenkreuzfahnen wehten am Stadtarchiv. Durch das tiefgrüne Laub der Kastanien und Linden davor strich der Wind. Beschwingt bog Klara von der Winzerer- in die Elisabethstraße ein und geriet so in Sichtweite ihrer Mutter. Vielleicht stand sie oben am Fenster und hielt Ausschau nach ihr. Unwillkürlich blieb Klara vor dem Schaufenster des Schuhladens Meyer stehen und prüfte ihre Erscheinung. Mit geübtem Griff zog sie den Lederknoten am schwarzen Halstuch nach oben, streifte einen Fussel von der weißen Bluse und strich den marineblauen Rock ihrer BDM-Uniform glatt. Keine Strähne hatte sich aus dem Zopf gestohlen. Sie sah tadellos aus und ging weiter, so wie ihre Mutter es erwartete. Ordentlich voreinander gesetzte Schritte und nicht breitbeinig nebeneinander, wie ein Bauernmädchen vom Land.

Seit Klara dienstags den Gymnastikunterricht und freitags den Volkstanzkurs des Bunds Deutscher Mädel besuchte, spürte sie, wie ihr Körper sich veränderte. Er wurde beweglicher, geschmeidiger, und sie ging aufrechter. Hoch erhobenen Haupts. Wie sich das für ein deutsches Mädchen geziemte. Sie nahm jede Sehne wahr und jeden Muskel, und es war ein gutes Gefühl, all das zu spüren. Noch besser fühlte es sich an, dass ihr bereits Brüste sprossen. Im November wurde sie vierzehn. Es war also höchste Zeit dafür. Das behauptete jedenfalls ihre Schulfreundin Therese, die es bei vier älteren Schwestern schließlich wissen musste. Nichts sehnte Klara mehr herbei, als vom Mädchen zum Fräulein zu werden. Und irgendwann zu einer eleganten Dame, wie ihre Mutter es war. Deshalb war sie glücklich, seit sie vor zwei Wochen beim samstäglichen Bad die beiden kleinen Wölbungen bemerkt hatte. Im Spiegel hatte sie sich zugelächelt. »Guten Tag, Fräulein Hacker.« Und am Abend hatte sie ihre Mutter gefragt, ob sie zum Kaufhaus Hirschvogl fahren könnten, um einen Büstenhalter zu kaufen. »Dafür ist es noch ein wenig früh«, hatte Mama mit einem Lächeln erklärt. »Und außerdem sollten wir nicht bei Juden kaufen.« Der Büstenhalter musste also noch ein wenig warten.

Klara steuerte auf das Haus mit dem Schwanenrelief im Giebel zu. Vor vier Jahren waren ihre Eltern mit ihr aus drei Zimmern in Milbertshofen in eine elegante Fünfzimmerwohnung im Schwanenhaus gezogen. Ganz oben in der vierten Etage. Die konnten sie sich nur leisten, weil Herr Roth, der Hauseigentümer, Papa mit der Miete entgegengekommen war. Mama meinte, die Größe und Lage wären ihrem Status angemessen, und das Entgegenkommen bei der Miete sei ein wohlüberlegtes Kalkül von Roth. In diesen Zeiten wäre es für einen jüdischen Unternehmer und Hausbesitzer nur von Vorteil, jemanden in der Justiz zu haben, der einem einen Gefallen schuldete.

Mama war eine anspruchsvolle Frau, wie ihr Vater einmal angemerkt hatte, und schwer zufriedenzustellen. Derzeit hatte sie sich eine Köchin in den Kopf gesetzt. Sie habe zu wenig Personal. Neben einem Dienstmädchen gehöre eine Köchin in den Haushalt eines Oberstaatsanwalts. Doch Papas Beförderung stand erst bevor, Mama musste sich gedulden. Mit dem Gehalt eines Staatsanwalts wäre kein großer Staat zu machen. Das sagte sie häufig, und Klara wusste, dass ihr Vater sich darüber ärgerte. Er gab sein Bestes, aber Mutter war das selten genug.

Der Duft von Lavendel, Jasmin und Bergamotte schlug Klara entgegen, als sie die Straße überquerte und die Parfümerie erreichte, die sich im Erdgeschoss des Schwanenhauses befand. Auf dem schwarz grundierten Glasschild über dem Schaufenster stand in schwungvollen goldenen Buchstaben Elisabeth-Parfümerie. Der Text darunter war abgeklebt. Die Zeile Seit 1903 – Inh. Jakob Roth verbarg sich darunter. Monatelang hatte jemand immer wieder die Fenster der Auslagen mit dem Wort JUDE verziert und dem Aufruf, nicht bei ihnen zu kaufen. Seit zwei Wochen hatte die Parfümerie nun einen neuen Eigentümer. Alfons Wagner, den ehemaligen Handelsvertreter der Roths.

Wobei verziert schon eine boshafte Formulierung war, wie Klara sich eingestand. Eigentlich taten ihr Mirjam und ihre Eltern leid. Sie konnten nichts dafür, dass sie Juden waren. Das suchte man sich ja nicht aus. Es war Schicksal. Trotzdem hatte Klara sich mit Mirjam zerstritten, obwohl sie Freundinnen gewesen waren. Es war passiert, als Klara dem BDM beigetreten war. Mirjam konnte und wollte natürlich nicht Mitglied werden und hatte ihr vorgeworfen, sich gegen sie zu stellen. Gegen Juden überhaupt. Böse Worte waren hin und her geflogen. Und schließlich hatte Mirjam Klara eine braune Schnepfe genannt, und seither redeten sie nicht mehr miteinander. Mama war darüber erleichtert. »Dieses jüdische Mädchen ist kein Umgang für dich. Du bist klug, dass du das erkannt hast.« Natürlich war Klara stolz auf dieses Lob aus dem Mund ihrer Mutter. Zur Belohnung hatte sie das Buch Der Trotzkopf geschenkt bekommen und binnen zweier Tage verschlungen. Mittlerweile hatte sie auch die Fortsetzungen gelesen und war entschlossen, in ihrem Leben alles richtig zu machen. So wie Ilse Macket, die Heldin der Romane, die anfangs ein ungestümer und widerspenstiger Trotzkopf gewesen war und am Ende ihren Platz an der Seite eines guten Mannes fand. Eine tugendhafte deutsche Frau.

Klara sah durch die Scheibe. Hinter der Verkaufstheke in der Parfümerie stand die dralle Gerda Wagner mit ihren blond gefärbten Haaren und beriet eine Kundin. Im Schaufenster waren noch immer die Produkte der Kosmetik-Manufaktur Roth ausgestellt. Seifen, Cremes, Parfums und Eau de Toilette, Puder und Lippenstift. Dazwischen stand ein handgemaltes Plakat. Jetzt in deutscher Hand.

Hatte Wagner nicht nur die Parfümerie, sondern auch die Fabrik der Roths übernommen, die sie in Freimann betrieben?

Es war noch nicht lange her, dass Vater beim Abendbrot gesagt hatte, dass es den Roths nass reinginge. Niemand kaufe mehr bei Juden, und der Umsatz von Roths Kosmetikmanufaktur war ins Bodenlose gefallen. Das habe Roth ihm anvertraut. Im April hatten die Juden obendrein ihre gesamten Vermögen melden müssen, und Roth schwante nichts Gutes. Er befürchtete, dass man sie früher oder später enteignen würde, und überlegte, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen. Mama hatte gemeint, das wäre wohl das Beste. Nur, dass auch niemand anderer die Juden haben wolle, wie ja die Konferenz von Évian am Genfer See vor wenigen Tagen erst gezeigt hatte. Nicht mal die USA, die diese Konferenz auf den Weg gebracht hatten, waren bereit, ihr Kontingent an Visa für jüdische Flüchtlinge zu erhöhen.

Im Treppenhaus begegnete Klara Mirjam. Sie kam aus der Wohnung der Roths in der ersten Etage und sah aus, als hätte sie geweint. Die Augen waren ganz rot und geschwollen. Sie schlug sie nieder, als sie Klara sah, und lief rasch an ihr vorbei. Einen Moment war Klara versucht, ihr nachzulaufen und sie zu trösten. Sie rang den Impuls nieder, denn sie wollte es sich nicht mit ihrer Mutter verderben, und außerdem war Mirjam an der Reihe. Sie hatte braune Schnepfe gesagt. Erst musste sie sich entschuldigen.

***

Oben in der Wohnung hing Vatis Mantel an der Garderobe, also war er früher vom Gericht nach Hause gekommen. In der Küche rumorte Gertrud, das Dienstmädchen, während Mama im Salon telefonierte. Die Tür von Vaters Studierzimmer war geschlossen. Gab es wieder einmal dicke Luft zwischen ihren Eltern? Klara ging auf Zehenspitzen durch den Flur. Aus dem Salon klang Mamas Stimme. »Ernst-Friedrichs Ernennung zum Oberstaatsanwalt kann nicht mehr lange auf sich warten lassen, und dann werde ich eine Köchin engagieren.«

Durch den Türspalt sah Klara den Schattenriss ihrer Mutter im Gegenlicht vor dem Fenster. Seufzend strich sie sich eine Locke aus dem Gesicht. »Ja, Mutter. Das sehe ich genauso. Dann kann er mir das nicht länger verwehren.« Mama telefonierte also mit Großmutter. Das konnte dauern. Vor allem, wenn sie sich über Papa ärgerte, was sie häufig tat. Ein wenig mehr Ehrgeiz täte ihm gut, fand Mama, die ihn auch insgesamt für zu weich hielt. Klara mochte ihren Vater genauso gerne wie ihre Mutter. Doch in letzter Zeit spürte sie, wie sich ihre Haltung zu ihm veränderte. Vielleicht war er ja wirklich zu schwach, und das in einer Zeit, die entschlossene und starke Männer erforderte, wie ihre Klassenlehrerin stets betonte.

Bis zum Abendbrot erledigte Klara Hausaufgaben. Während des Essens bemerkte sie wieder die Spannung zwischen ihren Eltern. Dieser bemüht höfliche Tonfall und ein Gespräch, das sich um Belanglosigkeiten drehte und nicht um den Grund des Streits, der zwischen ihnen schwelte. Vermutlich ging es um die Köchin, die sie sich nicht leisten konnten. Noch nicht.

Sie waren mit dem Essen noch nicht fertig, als es an der Wohnungstür schellte und kurz darauf Gertrud Herrn Roth anmeldete. Vati entschuldigte sich und verschwand mit Mirjams Vater im Studierzimmer. Mama bat Gertrud, das Essen abzuräumen, und schickte Klara auf ihr Zimmer, das sich neben Vatis befand. Wollten die Roths wirklich auswandern? Nach Amerika vielleicht? Doch dort wollten sie die Juden ja auch nicht, wenn stimmte, was Mama über die Konferenz gesagt hatte. Wieder hatte Klara Mitleid mit Mirjam und deren Eltern. Am liebsten wäre sie zu ihrer Freundin hinuntergelaufen und hätte sie fest in den Arm genommen.

Stattdessen presste Klara das Ohr an die Wand, doch sie konnte nichts verstehen. Vielleicht ging es im Flur besser. Sie öffnete so leise wie möglich die Tür und sah direkt auf den...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Arisierung • Bestseller • Bestseller 2020 Krimi • Bestseller 2020 Romane • bestseller romane • Charlotte Link • Die Vergessenen • eBooks • Enteignung • Familie • Inge Löhnig • Judenverfolgung • Krimi • Mechtild Borrmann • München • Nationalsozialismus • Reichskristallnacht • Reichspogromnacht • Restitution • Schwabing • Spannung • spiegel bestseller • Thriller • Weihnachtsgeschenk • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-23668-1 / 3641236681
ISBN-13 978-3-641-23668-7 / 9783641236687
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