Simon und ich (eBook)

Wie ein kleiner Esel mir beibrachte, was Mitgefühl ist

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
304 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-24159-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Simon und ich -  Jon Katz
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Die berührende Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft
Als Jon und der kleine Esel Simon sich zum ersten Mal begegnen, ist das von seinen Besitzern vernachlässigte Tier ausgehungert und schwach. Der Esel berührt etwas ganz tief in Jons Innerem, und er beschließt, Simon auf seine Farm zu holen und wieder gesund zu pflegen. Jon füttert den Esel mit den großen braunen Augen geduldig mit der Hand, geht mit ihm spazieren und liest ihm vor - und bald erzählt er ihm auch von seinen eigenen Sorgen und Nöten, ganz wie einem guten Freund. Allmählich gelingt es Jon, Simon wieder ins Leben zurückzuholen. Durch die Zeit mit dem kleinen Esel wird ihm klar, was Mitgefühl wirklich bedeutet: dass es unser Leben verändern und uns den Mut geben kann, Risiken einzugehen. Das Buch enthält viele bewegende Schwarz-Weiß-Fotografien.

Jon Katz lebt gemeinsam mit seiner Frau auf einer idyllischen Farm im Bundesstaat New York. Ihr Anwesen teilen sich die beiden mit Hunden, Katzen, Schafen und Hühnern - doch Esel Simon hat einen ganz besonderen Platz im Herzen des Autors gefunden. Jon Katz hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Zudem schreibt er regelmäßig für die »New York Times« und den »Rolling Stone«.

Eins


Mein erster Esel


Vielleicht sollte ich erst einmal erklären, weshalb die Polizei auf den Gedanken kam, ich könnte auf meiner Farm einen sterbenden Esel aufnehmen. Für ein Stadtkind wie mich, das die meiste Zeit seines Lebens glaubte, Esel gebe es nur in Indien oder Spanien, ist das nicht gerade naheliegend.

Ich fragte die Tierschutzbeauftragte, wie viele Leute sie gebeten hatte, über die Aufnahme von Simon nachzudenken. Auch mich verblüffte es nämlich, dass ihre Behörde und die New York State Police ausgerechnet auf mich gekommen waren. »Nur Sie«, war ihre Antwort.

»Oh …«, sagte ich in einem jener bewusstseinsverändernden Augenblicke, in denen wir eine Ahnung davon bekommen, wie andere Menschen uns vielleicht sehen.

»Wir wussten ja, dass Sie ein paar Esel besitzen und sie lieben«, sagte die Frau vom Tierschutz. »Ich habe Ihre Bücher gelesen.«

Ich bin Autor und Fotograf und besitze nördlich von New York eine Farm. Dort wohne ich mit meiner Frau Maria und zahlreichen Tieren. Mein Leben ist nie in geraden Bahnen verlaufen; Zickzacklinien sind mehr nach meiner Art. Wenn mein Leben auf einer Farm überhaupt von irgendeinem Grundgedanken bestimmt wird, ist es womöglich dieser: Immer führt eins zum anderen.

Und es war Carol, die mich – auf einem Zickzackkurs – zu Simon geführt hat.

Der erste Esel, den ich jemals erblickte, trug einen Strohhut und rief Elmer Fudd in einem Samstagmorgen-Zeichentrickfilm sein Iah zu. Ich erinnere mich, dass er riesige Zähne hatte und ziemlich laut und albern war.

Einen echten Esel bekam ich erst zu Gesicht, als ich schon beinahe fünfzig war. Damals hatte ich meinen Border Collie auf eine Schaffarm in Pennsylvania gebracht, damit er dort lernte, wie man Schafe hütet. Dieses Erlebnis veränderte mich in vielerlei Hinsicht. Ich beschloss, mir selbst eine Farm zu kaufen, begann über Hunde zu schreiben und begegnete einem Esel, durch den sich mein Leben grundlegend wandeln sollte.

Carol war bereits an die zwanzig, als ich sie kennenlernte. Sie lebte in einem kleinen Pferch. Wie so viele Esel schien sie eine Art übrig gebliebenes Anhängsel zu sein, ein Sonderling. Esel gelangen aus allen möglichen Gründen auf eine Farm. Mal tauscht sie jemand für ein altes Pferd ein oder für etwas Heu. Mal läuft ein Farmer einem solchen Tier über den Weg und wird von Mitleid erfasst oder denkt, irgendwann könne ihm dieser Esel noch nützlich sein.

Manchmal haben Esel Glück und landen auf einer reichen Pferdefarm. Dort leisten sie den Pferden Gesellschaft, bekommen etwas vom guten Heu und Getreide ab und werden sogar in beheizten Ställen einquartiert. Aber die meisten Esel haben ein anderes Schicksal. Esel leben schon ebenso lange an der Seite des Menschen wie Hunde, vielleicht sogar länger, aber im Vergleich zu den Hunden haben sie es nicht ganz so gut verstanden, sich den Weg ins menschliche Herz zu bahnen. Ihre Geschichte und die Behandlung, die ihnen meist zuteilwird, zeugen nicht gerade von der Generosität und Barmherzigkeit des Menschen.

Der Farmer konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wie Carol einst zu ihm gekommen war, aber in den ganzen sechzehn Jahren, die sie bereits in seinem Besitz war, hatte sie Tag für Tag in jenem Pferch gestanden. Hin und wieder warf er ein bisschen Heu über den Zaun und füllte die rostige Badewanne mit frischem Wasser, aber die meiste Zeit fristete Carol ihr Dasein mit Gestrüpp und Baumrinde, Regenpfützen und Wasser aus einem trüben Bächlein, das durch ihr Gehege floss. Zweimal im Jahr kam ein Hufschmied vorbei, um ihr die Hufe zu schneiden.

Der Farmer war ein viel beschäftigter Mann; er räumte ein, nur selten einmal an Carol zu denken. Auf einer Farm leben Tiere nicht als Hausgenossen; sie müssen ziemlich zäh sein. Besonders zäh sind dabei Esel – sie halten es sehr lange mit ganz wenig aus.

Die Vorstellung, dass Carol Jahr um Jahr in diesem winzigen, zusammengeschusterten Holzverhau zubrachte, ging mir nicht wieder aus dem Kopf und bescherte mir einen ersten Anflug von Mitgefühl, auch wenn meine Reaktion zunächst nur darin bestand, ihr bei jedem Farmbesuch ein paar Äpfel mitzubringen; zu viel mehr reichte mein Mitleid damals noch nicht. Ich war durch andere Dinge abgelenkt und viel beschäftigt, ich hatte ein Kind und überhaupt Sorgen aller Art. Das Leben eines Esels schien mir sehr fern und fremd zu sein.

Carol war weder gutmütig noch eine stille Dulderin, und so wollte sie sich nicht die Hufe schneiden lassen. Irgendwann ging der malträtierte Hufschmied dazu über, ihr vor der Prozedur einen Apfel mit einem Betäubungsmittel zu geben. Trotzdem schaffte sie es immer, ihn wenigstens einmal zu beißen oder zu treten. Das erzählte mir der Farmer, damit ich in ihrer Nähe auf der Hut blieb. »Sie hat sanfte Augen«, sagte er, »aber sie ist nicht sanft.« Vielleicht liegt es ja daran, dachte ich, dass er sie über all die Jahre in jenem Pferch allein gelassen hat.

Carols Gehege lag gleich neben der großen Weide, auf der ich mit meinem Hund das Schafehüten erlernte, und so fiel mir oft auf, wie sie mich anstarrte. Das nervte mich. Sie schien mir etwas mitteilen zu wollen, aber da ich mein ganzes Leben lang nicht in die Nähe eines echten Esels gekommen war, hatte ich keine Ahnung, was es wohl sein konnte.

Ich hatte Mitleid mit ihr – in der Art, wie Großstadtpflanzen aus der Mittelschicht eben Mitleid mit Tieren haben, die draußen in der wirklichen Welt ihr naturgegebenes Dasein zubringen. Wir können einfach nicht anders, als ihnen Gefühle in den Kopf zu dichten. Ich nahm einfach an, dass Carol Hunger hatte und einsam war, wie sie da in ihrem Pferch stand und mich anstarrte.

Als ich ihr zum ersten Mal Äpfel mitbrachte, schlenderte ich, die Taschen mit ein paar großen roten und saftigen Früchten gefüllt, zu ihr hinüber. Carol beugte sich über den Zaun, schnappte sich den ersten Apfel – und meinen Daumen beinahe gleich mit – und zermahlte ihn methodisch und mit großem Appetit. Mein Hund stand im Hintergrund, starrte auf Carol und versuchte zugleich, die ganz in der Nähe grasenden Schafe nicht aus dem Blick zu verlieren.

Ich griff nach dem nächsten Apfel, aber Carol hatte nicht die Absicht, geduldig zu sein. Sie brach geradewegs durch den Zaun, zog Drähte und Pfosten hinter sich her, legte die Ohren an und ging auf meinen völlig verängstigten Hund los, der sich schleunigst bis ans andere Ende der Weide entfernte. Die Schafe brauchten keine Extraeinladung, um sich davonzumachen – sie schlugen die entgegengesetzte Richtung ein. Dann kam Carol auf mich zu, riss mir den Apfel aus der Tasche und begann die übrigen Taschen nach weiteren Früchten abzusuchen.

»Hey, hey!«, sagte ich, denn ich war nicht sicher, welche Kommandos man einem Esel gab. Es war eine schockierende Entdeckung: Wenn Carol es gewollt hätte, hätte sie an jedem beliebigen Tag durch diesen Zaun brechen können, all die sechzehn Jahre lang. Hier bekam ich zum ersten Mal eine Lektion in Eseldenken. Die wichtigste Regel im Ethos eines Esels lautet: Alles geschieht nach seinem eigenen Willen.

Der verärgerte Farmer brauchte eine Weile, bis er Carol wieder im Pferch hatte (er schaffte es schließlich mit einem Brotlaib), und gab mir unmissverständlich zu verstehen, ich solle sie künftig in Ruhe lassen.

Dazu war ich natürlich nicht imstande. Jedes Mal, wenn ich zum Schafehüten kam, brachte ich Äpfel und Mohrrüben mit. Oft kletterte ich mit den Leckereien zu ihr in den Pferch, sodass sie keinen Grund hatte, noch einmal auszubrechen.

Es gibt Menschen, die sich leidenschaftlich für die Rettung von Tieren einsetzen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Ich glaube, dass solche Tierrettungen für mich in gewisser Hinsicht zu intensiv sind, zu schwierig. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass ich glückliche, gesunde und gut genährte Arbeitshunde so liebe. Ich unternehme gern etwas mit ihnen; ich mag es, wie sie ganz unkompliziert in mein Leben eintreten und meinen Weg begleiten.

Aber ich verliebte mich in Carol, dieses grantige, unabhängige Geschöpf. Ich machte mir Sorgen um sie, wollte ihr helfen. Indem ich sie gut behandelte, tat ich etwas für mich selbst – etwas ganz und gar Eigennütziges. Es nährte etwas in meinem Innern.

Auf ihre eigene Art war mir Carol durchaus zugetan. Sie mochte es, wenn ich die Innenseiten ihrer Ohren rieb oder sie neben den Nüstern kraulte. Allerdings ließ sie sich von mir nicht bürsten, und wenn ich keinen Apfel dabeihatte, senkte sie den Kopf und stieß mich in die Seite oder in den Hintern. Carol machte mir keine Illusionen über die Art unserer Beziehung – sie wollte die Äpfel, und wenn ihr danach zumute war, durfte ich ihr vielleicht ein wenig Zuneigung zeigen. Vielleicht aber auch nicht. Esel sind nicht käuflich oder bestechlich, man kann sie nur besänftigen.

Und was Carol betrifft … Nun ja, sie war nicht besonders freundlich. Sie hätte nicht in eine dieser niedlichen Eselgeschichten aus Comics oder Filmen gepasst. Manchmal war man gezwungen, den Gedanken, dass es sie gab, mehr zu mögen als Carol selbst. Hier bekam ich vielleicht eine erste Ahnung davon, welch seltsame Wege das Mitgefühl geht – wir neigen dazu, es für Menschen und Tiere zu empfinden, die wir gernhaben, aber es ist schwer, es für Menschen oder Tiere zu fühlen, die wir nicht leiden können.

Immer wenn ich dort draußen Schafe hütete, kam Carol an den Zaun und schob ihren Kopf über die Absperrung. Ihre Ohren kreisten wie Radarantennen, und sie schaute mich aus ihren großen braunen Augen schwermütig an. Irgendwie schien es so, als wäre ich ihr...

Erscheint lt. Verlag 11.11.2019
Übersetzer Ralf Pannowitsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Saving Simon. How a Rescue Donkey Taught Me The Meaning of Compassion
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Biografie • Biographien • Bob der Streuner • Das geheime Leben der Bäume • Das Seelenleben der Tiere • eBooks • Freundschaft • Hund • Katze • Penguin Bloom • Peter Wohlleben • Wolf
ISBN-10 3-641-24159-6 / 3641241596
ISBN-13 978-3-641-24159-9 / 9783641241599
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