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Jarmy und Keila (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
464 Seiten
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
978-3-633-76224-8 (ISBN)
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»Eine wunderbare, wunderbare Welt, diese schrecklich schöne Welt von Isaac Bashevis Singer!« Henry Miller

»Es kam selten vor, dass eine Frau, die schon in drei Bordellen gearbeitet hatte, noch heiratete ... Es war ein Omen für alle Warschauer Huren, nicht die Hoffnung aufzugeben, ein Zeichen, dass die Liebe noch immer die Welt regierte.«

Warschau 1911: Keila - die bereits mehrere Stationen in Bordellen hinter sich hat - findet in Jarmy, dem Ex-Häftling, ihre große Liebe. Das junge Ehepaar sehnt sich nach einem Leben außerhalb des jüdischen Gettos, in dem der Alltag von Armut und der Angst vor Pogromen geprägt ist. Dieser Traum scheint plötzlich zum Greifen nahe: Max, ein alter Bekannter, will in Amerika das große Geld machen - das Paar soll ihm dabei helfen. Keila soll junge Mädchen für die Bordelle in der Neuen Welt anwerben. Max selbst fühlt sich zu Jarmy hingezogen, dem er schon früher näherkam. Es entfaltet sich eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung. Da tritt der schüchterne und unerfahrene Bunem in ihr Leben, der sich auf ein Leben als Rabbiner vorbereitet. Für Keila, die er glühend verehrt, ist er bereit, mit allen Konventionen des Schtetls zu brechen. Werden die beiden in Amerika ihr Glück finden?



<p>Isaac Bashevis Singer wurde am 21. November 1902 in Polen geboren. In seinen Jugendjahren gab er den 14. Juli 1904 als offizielles Geburtsdatum an, eine vorsichtige Richtigstellung erfolgte im Alter. Singer wuchs in Warschau auf und emigrierte 1935 in die USA. Er lebte in New York und geh&ouml;rte dort bald zum Redaktionsstab des <em>Jewish Daily Forward</em>. 1978 wurde ihm f&uuml;r sein Gesamtwerk der Nobelpreis f&uuml;r Literatur verliehen. Er starb am 24. Juli 1991 in Miami.</p>

Isaac Bashevis Singer, am 14. Juli 1904 in Polen geboren, emigrierte 1935 in die USA. 1978 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Er starb am 24. Juli 1991 in Miami. Jarmy und Keila ist das erste Buch von Isaac B. Singer im Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag. Weitere werden folgen. Christa Krüger übersetzte u.a. Werke von Louis Begley, Penelope Fitzgerald und Richard Rorty. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Erstes Kapitel


1.


In Wirklichkeit hieß er Jeremia Eliezer Holtzman, aber am Krochmalna-Platz, wo man nicht genug Geduld für lange Namen hatte, nannte man ihn nur Jarmy und hängte ihm den Spitznamen Stachel an. Seine Frau Keila Leah Kupermintz wurde wegen ihrer feuerroten Haare die Rote Keila genannt. »Stachel« kam von den stacheligen Kletten, mit denen die Jungen in Warschau am neunten Aw Passanten bewarfen. Verfing sich so eine Klette in einem Bart oder im Haar eines Mädchens, konnte man sie nur schwer wieder lösen. Jarmy Stachel stichelte gern bei seinen Kumpanen und den Frauen, mit denen er sich einließ.

Mit zweiunddreißig hatte Jarmy Stachel im Pawiak-Gefängnis schon vier Strafen wegen Diebstahl abgesessen (er war ein Meistertaschendieb). Auch wegen Mädchenhandel war er mehrere Male eingebuchtet worden. Die Rote Keila war neunundzwanzig und hatte bereits drei Bordelle von innen gesehen – eins in der Krochmalna, eins in der Smocza, eines in der Tamka-Straße. Ihr erster Lude war Itsche Einauge persönlich gewesen. Jarmy war im Ganoventreff in der Krochmalna-Straße auf Keila gestoßen. Nachdem er einen Tag und eine Nacht lang mit ihr zusammen gewesen war, nahm er sie mit zu einem Rabbi im Revier, in die Stavskystraße, und heiratete sie. Anders als andere Rabbiner fragte dieser aus der Stavskystraße nicht nach, warum Paare, die zu ihm kamen, heiraten oder sich scheiden lassen wollten. Er nahm einfach die drei Rubel Gebühren und füllte die nötigen Papiere aus.

Es war 1911, sechs Jahre nach der Revolution. Die Streiks und die Bombenleger hatten das Ihre getan und dem Zaren Nikolaus eine Verfassung abgezwungen, aber die erste Duma hatte sich schon wieder aufgelöst und die zweite und dritte waren gewählt. In Russland wie in Kongresspolen stritten sich die Parteien. Die Schwarzhunderter in Russland hetzten zu Pogromen auf, und die Nationaldemokraten in Polen verlangten den Boykott jüdischer Waren. Junge Juden gingen zu Hunderttausenden heimlich über die Grenze nach Galizien und Preußen und schlugen sich weiter übers Meer nach Amerika durch, um dort ihr Glück zu suchen. In jiddischen Zeitungen hatten die Politiker den Balkan schon seit Jahren mit einem Pulverfass verglichen. Sie sagten Krieg voraus, nicht nur zwischen Serbien, Bulgarien, Montenegro und der Türkei, sondern sogar zwischen Russland und Deutschland. Dr. Herzl war tot, aber die Zionisten hielten trotzdem ihren jährlichen Kongress ab. Sozialisten schrieben in ihren Aufrufen, der Zionismus sei eine eitle Fantasterei, und die jüdischen Arbeiter sollten lieber zu Hause für den Sozialismus kämpfen, statt von einem Land zu träumen, das zur Hälfte eine Wüste und außerdem von Arabern bewohnt sei. Der Sultan Abdülhamid würde ihnen niemals ein verbrieftes Recht auf Einwanderung geben.

Aber im Ganovennest in der Krochmalna Nummer 6 lasen sie keine Zeitungen und kümmerten sich nicht um Politik. Wohl erinnerten sie sich an den Anschlag der Sozialisten auf die Unterwelt, als die Rebellen in die Bordelle stürzten, die Huren verprügelten, das Bettzeug auseinanderrissen, Augen grün und blau schlugen und Rippen brachen. Aber das war lange her. Eine Menge Randalierer waren nach Sibirien verbannt, etliche in der Zitadelle erhängt worden, und eine ganze Reihe von ihnen hatte den »Blutigen Mittwoch« nicht überlebt.

Jarmy konnte die jiddische Zeitung lesen. Er stammte aus Piaski, der Stadt der Diebe. Eine Weile hatte er an einer Jeschiwa in Lublin gelernt. Wenn einer aus seiner Bande den Eltern schreiben oder einen Brief nach Brasilien schicken musste, kam er zu Jarmy, der den Brief auf Jiddisch und die Adresse auf Russisch abfasste. Jarmy kaufte sich die Zeitung jeden Morgen, las aber nur die Fortsetzungsromane »Die blutbesudelte Frau«, »Die betrogene Dame« und andere solche Geschichten. Oft las er Keila daraus vor oder beschrieb ihr, was inzwischen passiert war. Keilas grüne Augen leuchteten, wenn sie die Einfälle des Autors hörte. Sie sagte dann:

»Fabelhaft, was die Schreiber sich ausmalen. Die können Berge versetzen.«

»Alles Quatsch, die sitzen da mit dem Stift in der Hand, diese Traumtänzer, und bauen Luftschlösser. Die können gar nix, nicht mal einer Katze einen Knoten in den Schwanz machen.«

»Das kommt davon, dass sie diese Tora studieren«, sagte Keila. »Vergraben sich in den dicken Gemaras und wetzen ihren Verstand …«

»Stimmt. Haskele Glasbruch war gut im Studieren. Wenn einer kam und ihn um Rat fragte, hat er sich die Stirn gerieben wie ein Rebbe«, sagte Jarmy. »Hat alle die Russkis in Polen an der Nase rumgeführt. Seine Finger waren so lang, dass er einmal sogar dem Polizeichef eine goldene Uhr geklaut hat.«

»Haben sie ihn erwischt?«, fragte Keila.

»Er hat sie von sich aus zurückgegeben. Hat gesagt: ›Eure Exzellenz, bitte sehr, hier ist Ihre Uhr‹. Den Bonzen hätte fast der Schlag getroffen.«

Jarmy und Keila schliefen nicht nur gern miteinander, sondern schwatzten auch mit Freude zusammen. Sie blieben in ihrer Wohnung in der Krochmalna-Straße 8 halbe Nächte lang wach und redeten. Die Rote Keila hatte Millionen Geschichten auf Lager, und Jarmy zehnmal so viel. Keila war vor zwanzig Jahren aus der Provinz in die Stadt gebracht worden und hatte sich seitdem nicht aus Warschau hinausbewegt. Weiter als bis Praga oder Pelcowizna war sie nicht gekommen. Jarmy Stachel dagegen war viel gereist. Eine Weile hatte er auf Bahnfahrten dümmliche Mitreisende beim Würfeln und anderen Glücksspielen abgezockt. Eine Zeit lang hatte er in Mława Leute, die nach Amerika wollten, über die Grenze geschmuggelt. Auch hatte er Konterbanden nach Preußen und weiter nach Russland verschoben. Beinahe wäre er mit einer Schiffsladung Prostituierter in Brasilien gelandet. Er steckte mit allen Mädchenhändlern und Safeknackern Polens unter einer Decke. In seinem Kalender hatte er sich die Daten aller Jahrmärkte in Russland notiert.

Keila himmelte ihn an: »Jarmele, ich bin die glücklichste Frau auf der Welt! Nur um eines bitte ich Gott – dass mein Glück nicht vergeht. Ich stecke immer was in die Almosenbüchse und bete, dass du mir gesund bleibst.«

»Keila, dich würde ich nicht hergeben, und wenn jemand mir dein Gewicht in Gold bieten wollte«, antwortete Jarmy.

»So eine Liebe wie unsere hat die Welt noch nicht gesehen«, wisperte Keila.

Wohl wahr; allerdings hatte das Paar eine Abmachung: Falls Jarmy der Sinn nach einer anderen Frau stand oder Keila Lust auf einen Mann hatte, sollten sie sich keinen Zwang antun, sondern ihren Wünschen folgen. Jedoch unter einer Bedingung: nichts geheim halten und sofort danach dem anderen alles, was passiert war, genau beschreiben. Beide hielten sich strikt an die Abmachung.

In ihren zweieinhalb Ehejahren war Jarmy nur selten fremdgegangen und nur, wenn er außerhalb der Stadt zu tun hatte. Und in dieser Woche hatte Keila zum ersten Mal mit Itsche Einauge im Hospital an der Czysta-Straße geschlafen, wo er liegen musste, nachdem ihn ein Ganove fast erdolcht hätte. Itsche Einauge hatte die Strippen gezogen, um ein Zimmer für sich allein zu ergattern. Als Keila ihn am Krankenbett besuchte und ihm einen Käsekuchen mitbrachte, verlangte Itsche, verwundet, verpflastert und verbunden wie er war, sie solle ihn um der alten Zeiten willen tun lassen, was er nötig habe.

Trotz Krankheit und Fieber zerrte er sie in sein Bett und brauchte für das Ganze kaum länger als eine Minute, denn außen an der Tür wartete schon eine Krankenschwester, die nur noch ein paar Worte mit dem Pförtner wechselte. Als Keila Jarmy in der Nacht erzählte, was geschehen war, überschüttete er sie mit Küssen und sagte begeistert:

»Keilachen, das war...

Erscheint lt. Verlag 9.4.2019
Übersetzer Christa Krüger
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerika • Anfang des 20. Jahrhunderts • Auswanderer • Bordell • C.H. Beck Übersetzerpreis 2009 • Dreier-Beziehung • Gangster-Milieu • Gesellschaftspanorama • Getto • Ghetto • grosse Liebe • Große Liebe • Jiddisch • Judentum • Jüdische Immigranten in Amerika • Kriminalität • Liebesgeschichte • New York • Nobelpreis für Literatur • Nobelpreis für Literatur 1978 • Polnische Immigranten in Amerika • Polnische Juden • Polnisch-jüdische Kulturtradition • Rabbiner • Schtetl • ST 5061 • ST5061 • suhrkamp taschenbuch 5061 • Warschau
ISBN-10 3-633-76224-8 / 3633762248
ISBN-13 978-3-633-76224-8 / 9783633762248
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