Immer auf Sendung ... nie auf Empfang (eBook)

Warum wir einander endlich zuhören müssen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
352 Seiten
Mosaik bei Goldmann (Verlag)
978-3-641-23496-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Immer auf Sendung ... nie auf Empfang -  Kate Murphy
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»Ich war nur kurz abgelenkt.« Viele Menschen halten sich für gute und empathische Zuhörer. Das ist ein Trugschluss - das Gegenteil ist der Fall. Wir sind viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt, planen bereits im Voraus die nächsten Argumente, meinen, im Vorfeld zu wissen, was der Andere sagen will. Wir sind abgelenkt durch ständige Erreichbarkeit auf allen Kanälen, die unterschiedlich bedient werden wollen, durch Multitasking und den beschleunigten Puls der ganzen Gesellschaft. Die vermeintlich simple und passive Tätigkeit des Zuhörens haben wir verlernt. Was das für uns, unsere Familie und unser Miteinander bedeutet und wie wir wieder zurück in den beidseitigen Dialog finden, erläutert die bekannte Wissenschaftsredakteurin Kate Murphy auf anschauliche Weise.

Kate Murphy ist eine renommierte US-amerikanische Wissenschaftsautorin. Ihre regelmäßigen Fachbeiträge unter anderem in der New York Times und The Economist erhalten große Beachtung und werden leidenschaftlich diskutiert.

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Das Gefühl der Übereinstimmung:

Zuhören aus neurowissenschaftlicher Sicht


Der Vorstandsvorsitzende von Facebook, Mark Zuckerberg, verordnete sich 2017 selbst eine »persönliche Herausforderung«, indem er »mit mehr Leuten darüber reden« wollte, »wie sie leben, arbeiten und über die Zukunft denken«.35 Er wollte sich aber nicht mit irgendjemandem unterhalten. Deshalb ließ er ein Vorbereitungsteam im Lande ausschwärmen, das die richtigen Menschen an den richtigen Orten ausfindig machen sollte, die mit ihm reden könnten. Als Zuckerberg dann erschien, war er von bis zu acht Helfern umgeben, wozu auch ein Fotograf gehörte, der ihn beim »Zuhören« aufnahm.36 Die Bilder wurden, welche Überraschung, natürlich auf Facebook gepostet.

Womit Zuckerberg recht hatte, war, dass Zuhören tatsächlich eine Herausforderung darstellt. Was er falsch verstand – und was ihn zum Objekt von Spott in den digitalen Medien und in der Presse machte –, war sein Gedanke, dass gestelltes Zuhören dasselbe wäre wie echtes Zuhören. Vielleicht haben auch Sie Ihre Erfahrungen mit Menschen gehabt, die aus dem Zuhören eine Show machten. Vielleicht taten sie nur so als ob, nickten ernsthaft mit gerunzelter Stirn, trotzdem war hinter ihren Augen eine merkwürdige Leere, und ihr Kopfnicken passte nicht zu dem, was Sie gesagt haben. Vielleicht haben sie allgemein geantwortet (»aha« oder »ich verstehe …«), ließen aber kein echtes Verständnis von dem erkennen, was Sie gesagt haben. Es klang wahrscheinlich herablassend – und Sie hatten vielleicht den Wunsch, ihnen ins Gesicht zu schlagen.

Wenn Sie wie die meisten Menschen reagieren, ärgert es Sie, wenn man Ihnen nicht zuhört, und schlimmer ist es noch, wenn die Menschen Sie herablassend behandeln. Was aber bedeutet es, jemandem wirklich zuzuhören? Interessanterweise können die Menschen leichter beschreiben, was jemanden zu einem schlechten Zuhörer macht, als dass sie sagen könnten, was einen guten Zuhörer ausmacht.37 Die traurige Wahrheit ist, dass die Menschen mehr Erfahrung haben mit dem Gefühl, ignoriert oder missverstanden zu werden, als damit, auf erfreuliche Weise gehört worden zu sein. Zu den am meisten genannten Eigenschaften des schlechten Zuhörens gehört:

  • unterbrochen zu werden,
  • wenn nur unbestimmt oder unlogisch auf das geantwortet wird, was gerade gesagt wurde,
  • wenn auf ein Smartphone, eine Uhr geblickt oder im Zimmer umhergesehen oder anderweitig vom Sprechenden weggeschaut wird,
  • wenn nervös gezappelt wird (auf den Tisch klopfen, häufiges Verändern der Position, mit dem Kugelschreiber spielen, etc.).

Falls Sie dergleichen tun: Bitte lassen Sie es sein. Aber das allein macht Sie noch nicht zu einem guten Zuhörer. Es macht nur die Tatsache weniger deutlich, dass Sie ein schlechter Zuhörer sind. Zuhören ist mehr eine Geisteshaltung als ein bloßer Katalog von Geboten und Verboten. Es ist die besondere Fähigkeit, die im Lauf der Zeit durch den Umgang mit vielen Menschen entwickelt wird – ohne eine Agenda oder Helfer, die einspringen, wenn das Gespräch unerwartet oder ziellos verläuft. Ganz sicher setzen sich Zuhörer einem größeren Risiko aus, wenn sie zwar zuhören, aber nicht wissen, was sie hören werden, doch noch riskanter ist es, Abstand zu halten und die Menschen sowie die Welt um einen herum gar nicht wahrzunehmen.

Die Frage ist nicht ganz unberechtigt, warum man im heutigen Technologiezeitalter überhaupt noch die Fähigkeit zum eigenen Zuhören kultivieren sollte. Die elektronische Kommunikation ist sicher effizienter und ermöglicht einem zu kommunizieren, wann und wie man will, zudem mit einer erheblich größeren Anzahl von Leuten. Und es stimmt auch, dass viele Menschen beim Reden nicht schnell auf den Punkt kommen. Die Menschen langweilen Sie vielleicht mit Geschichten, mit denen sie sich selbst wichtig machen oder Ihnen zu viele Details über ihre Darmspiegelung mitteilen. Und manchmal sagen sie auch Dinge, die verletzend oder verstörend sind.

Doch echtes Zuhören bringt Sie mehr als jede andere Aktivität in das wahre Leben. Zuhören hilft Ihnen, sich selbst so gut zu verstehen wie die, die mit Ihnen reden. Daher achten wir seit der Zeit, als wir Babys waren, mehr auf die menschliche Stimme und sind sehr gut auf ihre Feinheiten, Harmonien und Missklänge ausgerichtet.38 Wir fangen sogar an zu hören, ehe wir überhaupt geboren sind. Bereits ab der 16. Schwangerschaftswoche reagiert ein Fötus auf Geräusche,39 und im letzten Drittel der Schwangerschaft können wir klar zwischen Sprache und anderen Klängen unterscheiden.40 Ein ungeborenes Kind kann durch eine freundliche Stimme beruhigt und durch einen Wutanfall aufgeschreckt werden. Das Hören ist außerdem einer der letzten Sinne, die man vor dem Tod verliert. Hunger und Durst vergehen als Erstes, danach das Sprachvermögen, gefolgt vom Sehen. Sterbende Patienten behalten ihren Berührungs- und ihren Gehörsinn bis zum letzten Augenblick.41

Forschung an tauben und hörgeschädigten Kindern hat gezeigt, dass diese eine verminderte Fähigkeit aufweisen, sich einzufühlen und zugehörig zu fühlen.42 Ausführliche Forschungsarbeiten gibt es auch zu den nachteiligen emotionalen, kognitiven und Verhaltensauswirkungen bei denen, die ihr Gehör in späteren Jahren verlieren. Helen Keller [eine berühmte taubblinde US-Schriftstellerin, Anm. d. Ü.] sagte: »Ich bin taub, so wie ich auch blind bin … Taubheit ist ein viel größeres Unglück. Weil es den Verlust des wichtigsten Stimulus im Leben bedeutet – den des Klangs der Stimme, die Sprache hervorbringt, Gedanken antreibt und uns in der geistigen Gesellschaft der Menschen hält.«43

Man sollte aber auch ganz klar sagen, dass Hören nicht dasselbe ist wie Zuhören, sondern eher dessen Vorläufer. Hören ist passiv. Zuhören ist aktiv. Die besten Zuhörer fokussieren ihre Aufmerksamkeit und setzen noch weitere Sinne dafür ein. Ihr Gehirn arbeitet intensiv, um sämtliche eingehenden Informationen zu verarbeiten und ihre Bedeutung zu finden, was wiederum die Tür zu Kreativität, Mitgefühl, Einsicht und Wissen öffnet. Das Ziel des Zuhörens ist Verständnis, und das bereitet Mühe.

Viele der großen Gemeinschaftswerke in der Geschichte entstanden durch Menschen, die das, was der andere sagte, vollständig begriffen und verinnerlichten. Orville und Wilbur Wright, die Pioniere der modernen Luftfahrt, Winston Churchill und Franklin Roosevelt, Regierungschefs während des Zweiten Weltkriegs, James Watson und Francis Crick, die gemeinsam die Struktur der DNA entdeckten, John Lennon und Paul McCartney von den Beatles waren allesamt Partner, von denen man wusste, dass sie stundenlang miteinander redeten, ehe sie ihre Marken in der Geschichte setzten.

Natürlich war jeder von ihnen auch allein brillant, aber es bedurfte doch einer Art Verschmelzung der Geister, um das zu erreichen, was sie schufen. Diese Übereinstimmung tritt in unterschiedlichem Ausmaß bei allen Paaren auf, die sich zusammentun, seien es Freunde, Geliebte, Geschäftspartner, sogar zwischen Bühnenkomikern und ihrem Publikum. Wenn Sie zuhören und wirklich »mitbekommen«, was der oder die andere sagt, sind Ihre Gehirnwellen und die des Sprechenden buchstäblich synchron.

Der israelische Hirnforscher Uri Hasson sah sich Scans von funktionellen Magnetresonanztomografien (fMRT) an und fand heraus, dass, je größer die Überlappung der Gehirnaktivität des Sprechenden mit der des Zuhörenden ist, die Kommunikation desto besser funktioniert.44 In einem Experiment, das an seinem Labor an der Princeton University durchgeführt wurde, beschrieben Probandenpaare einander eine Szene aus der BBC-Fernsehserie Sherlock. Während dieser Rückschau sahen die Gehirnwellen der Erzählenden fast so aus wie zu dem Zeitpunkt, als sie die Show tatsächlich sahen. Sobald sie die Geschichte hörten, zeigten die Gehirne der Zuhörenden die gleichen Muster wie die der Erzählenden. Diese Koppelung beziehungsweise Synchronisierung von Gehirnwellen ist ein sichtbarer und messbarer Beweis für die Übertragung von Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen.

Eine weitere Studie an der University of California Los Angeles und am Dartmouth College zeigte, dass die Gehirne enger Freunde ähnlich reagieren, wenn sie kurze Videoclips schauen.45 Und wirklich: Je mehr die daraus resultierenden Gehirnaktivitäten beim Anschauen der Videos (von jungen Faultieren, der Hochzeit eines unbekannten Paares, einer Debatte darüber, ob Football am College verboten werden sollte) miteinander im Einklang waren, desto enger waren die beiden Probanden befreundet. Das liegt auch daran, dass Menschen mit ähnlicher Sensibilität sich zueinander hingezogen fühlen. Betrachtet man dies im Zusammenhang mit Hassons Ergebnissen, lässt es auch darauf schließen, dass die Tatsache, wem wir zuhören, Auswirkungen darauf hat, wie wir denken und reagieren. Unsere Gehirne synchronisieren sich nicht nur, sobald uns jemand etwas erzählt, das daraus resultierende Verständnis und die entsprechende Verbindung haben auch Einfluss darauf, wie wir weitere Informationen verarbeiten (auch Videos von jungen Faultieren). Je mehr wir jemandem zuhören, etwa einem engen Freund oder einem Familienmitglied, und je mehr diese Person uns zuhört, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir gleichen Geistes...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Übersetzer Nikolaus Palézieux
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel You're not listening
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bestseller • Chef • Dialog • eBooks • Empathie • Familie • Gespräch • Hirnforschung • Kollegen • Kommunikation • Psychologie • Zuhören
ISBN-10 3-641-23496-4 / 3641234964
ISBN-13 978-3-641-23496-6 / 9783641234966
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